Zur Ästhetisierung von Lärm statt Lärmvermeidung

"Ruhe!" - Musik und Stille in öffentlichen Parks

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Lärm Parks und Gärten
Öffentliche Parks sind im städtischen Raum eine der letzten Refugien, Rückzugsgebiete, Reserven und Ressourcen der Ruhe. Der Landschaftspark auf der Berliner Pfaueninsel gehört dazu. Foto: Mechthild Klett

Dass es in unserer Umwelt zu viel Lärm gibt, in Stadt und Land, im Grünen und in den Straßen, im Haus und im Freien, und dass Lärm ungesund ist, ist ebenso bekannt wie unumstritten. Schon weniger unbestritten ist es, dass auch Musik, besonders unfreiwillig bzw. zwangsweise zu hörende unerwünschte Musik, ebenfalls Lärm ist und damit ebenfalls gesundheitsschädlich. Umstritten und vor allem schwierig zu lösen, ist die Frage, was dagegen zu tun ist.

Lärm ohne und mit Musik

Lärm ist knapp definierbar als unerwünschtes und relativ lautes Geräusch. In der Stadt ist er fast allgegenwärtiger Bestandteil dessen, was der kanadische Komponist R. Murray Schafer Soundscape genannt hat.1 Dieses Kofferwort, zusammengesetzt aus Sound + Landscape, ist übersetzbar als Klanglandschaft. Sie lässt sich dem Soundtrack des Films vergleichen, der aus Wortsprache, Musik sowie den diversen Realgeräuschen besteht. Die reale Klanglandschaft setzt sich etwas anders aus verschiedenen Komponenten zusammen. Auf der einen Seite sind das Geräusche, Klänge, Töne der äußeren, nicht-menschlichen Natur zwischen Blätterrauschen, Wasserplätschern und Vogel-"Gesang", das also, was der Tendenz nach im Park dominiert. Im Englischen wird hier zwischen "geophon" (unbelebte Natur und Pflanzen) und "biophon" (das heißt Tierlauten) unterschieden, und dem werden menschengemachte Lautäußerungen aller Art ("anthropophon") gegenübergestellt. Bei letzteren gibt es aber eine wesentliche Unterscheidung. Denn hier stehen Wortsprache und Musik, also gewissermaßen ihrerseits "natürliche" Lautäußerungen jenen Geräuschen gegenüber, die Arbeit, Technik, Verkehr erzeugen - und die wiederum im Park möglichst zurücktreten sollten. (Faktisch haben Parks da mit Rasenmähern, Motorsensen, Kettensägen, Laubwegblasgeräten und ähnlichem doch einiges andere als Naturlaute zu bieten, das kaum vermeidbar ist.) Bedeutsam sind hier die historischen Verschiebungen. Denn mit der Industrialisierung ergab sich ein immer noch anwachsender höherer Anteil der technisch-industriellen Geräuschkomponenten, zumal Maschinen- und Verkehrsgeräusche im Gesamt der städtischen Klanglandschaft. Dieser Anteil liegt in der Größenordnung von über zwei Dritteln.

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Fluglärm scheint schwer bis gar nicht abschaffbar und nur begrenzt reduzierbar. Foto: matchka, pixelio.de
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Auch Musik ist im Zeitalter der technischen Re-Produzierbarbeit eine Komponente des Lärms. Foto: Dieter Schütz, pixelio.de
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Musik-Lärm im Freien, eine Musikkapelle in Vermilion in Ohio. Foto: Paul M.Walsh1996, http://ommons.wikimedia.org/wiki/File:Band_Vermilion_OHIO.JPG

Dabei ist, wie der Lärm, im Zeitalter der technischen (Re-)Produzierbarkeit auch Musik fast allgegenwärtig als Komponente, vorwiegend so, dass sie andere Geräuschkomponenten überlagert, seltener so, dass sie in Stille eingebettet ist. Im Detail ist die Zusammensetzung der Klanglandschaft aufgrund der historischen Quellenlage nicht ganz so einfach quantifizierbar, wie es manche Tabellen suggerieren. Aber die Tendenzen sind doch deutlich und letztlich ja auch empirisch, sogar von der alltäglichen Erfahrung her plausibel.

Hier ist noch zu differenzieren: "Im öffentlichen Raum fast aller großen Städte stammt der alles beherrschende Klang vom Auto, zusammengesetzt aus dem Abrollgeräusch der Reifen und den Motorengeräuschen, komplettiert durch Hupen und Musik aus den Lautsprecherboxen. Autogeräusche bilden [...] in der industrialisierten Stadt den wichtigsten Grundton, den klanglichen Hintergrund, auf dem sich die urbane Klangwelt entfaltet." (Friedrich 2010, S. 237) Besonders die technischen Geräusche wirken als Lärm, vor allem weil sie nicht gewünscht werden, sondern einfach irgendwie da sind sowie aufgrund ihrer Lautstärke, ihrer Monotonie und ihrer Frequenzzusammensetzung. Beim Lärm lassen sich fünf Hauptkategorien" unterscheiden: Verkehrslärm, Gewerbe- und Industrielärm, Baulärm, Nachbarschaftslärm, und, hier vor allem einschlägig, Freizeitlärm (vgl. Payer 2012).

"Laut einer Umfrage des Umweltbundesamts aus 2012 fühlt sich jeder Zweite in seinem Wohnumfeld von Lärm belästigt. Schuld daran ist vor allem die steigende Zahl der Fahr- und Flugzeuge. Doch es gibt noch eine ganz andere Art von Lärm, der vielen zu schaffen macht: der Freizeitlärm chilli-freiburg.de/02-freiburg/fluglarm-kirchengelaut-barmusik-hier-krachts-in-freiburg/ (Abfrage 19.07.2014).

Es gibt vielfache Versuche, den Lärm einzuschränken, durch staatliche/kommunale Verordnungen oder architektonische Abwehrmaßnahmen. Denn "die Forderung nach Ruhe [ist] so alt wie der Lärm, der sie stört." (Friedrich 2010, S. 240) Sowohl von Seiten der Technik als auch der staatlichen Regulierung gibt es zwar Versuche, diesen Verkehrs- und Industrie-Lärm wenigstens einzudämmen. Die "Deutsche Bahn" zum Beispiel bemüht sich, etwa mit neuen Bremsen, die die Räder weniger aufrauen und dadurch die Abrollgeräusche vermindern. Oft werden aber auf Druck der einschlägigen Unternehmen Normen und Grenzwerte gesenkt. Originell ist die Eingrenzung "Auch über den Wolken darf der Fluglärm nicht grenzenlos sein". So der Titel eines Vortrags von Berthold Vogelsang, Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, am Institut für Angewandte Mechanik der Technischen Universität Braunschweig, 12.06.2013, Pressemitteilung der TU Braunschweig, Nr. 085_13.

Gegen Fluglärm ist im Freien allerdings kein Kraut gewachsen. Trotz vieler Bemühungen wächst generell der urbane Lärm, in der Regel stärker als das Bruttoinlandsprodukt. Er scheint schwer bis gar nicht abschaffbar und nur begrenzt reduzierbar. Abhilfe schaffen daher vor allem Schallisolierungen verschiedener Art. Parks als Ganzes gehören zu diesen Maßnahmen.

Parks als Ruhe-Räume

Öffentliche Parks sind im städtischen Raum eine der letzten Refugien, Rückzugsgebiete, Reserven und Ressourcen der Ruhe. Diese ist nötig zur Bewahrung der Gesundheit und hat wesentlich auch eine akustische Dimension: Parks bieten einen gewissen Schutz vor dem allgegenwärtigen Lärm. Und hier im Grün ist, wie erwähnt, der Anteil an noch natürlichen, sozusagen "naturbelassenen" Geräuschen erheblich höher als sonst in der Stadt.

Öffentliche Parks sind ohne Eintrittsgeld für alle (tags und nachts sowie das ganze Jahr über) zugängliche und meist auch nutzbare Grünflächen mit diversen Einrichtungen zwischen Badesee, botanischem Lehrpfad und Kinderspielplatz. Sie vermitteln "Genuss aller Art"i), sprechen alle Sinne an, bieten neben dem Hören, Sehen/Gesehenwerden und Fühlen vieldimensionale Beziehungen zu Bäumen, Blumen und Boden. Zu genießen sind Gerüche, mit dem Temperatursinn sind kühlere oder wärmere Zonen zu spüren. Angesprochen wird auch der Geschmackssinn durch gekauftes oder mitgebrachtes Essen und Trinken, fertiges oder erst durch Grillen zuzubereitendes. Das kinästhetische Sinnessystem wird in körperkultureller und sportlicher Betätigung beansprucht - gegebenenfalls dabei auch der Schmerzsinn. Parks ermöglichen vielfältige Nutzungsweisen und -zwecke und fördern nicht zuletzt die physische und psychische Gesundheit durch Bewegung, ob Ball-, Frisbee- oder Kinderspiel, gegebenenfalls aber auch durch entspannende Nicht-Bewegung auf der Liegewiese oder auf den Parkbänken.

Lärm und damit auch Musik-Lärm stören das Wohlbefinden oder schädigen sogar die Gesundheit. Sie haben im Zusammenhang Park drei Dimensionen: 1. Musik-Lärm im Park, 2. Musik-Lärm aus dem Park heraus - vor allem bei nicht-alltäglichen "Events", diversen Großveranstaltungen, aber auch und alltäglich bereits durch ausdauernde "Ghetto-Blaster"-Dudler- oder TrommlerInnen, die zugleich im Park stören oder schädigen; 3. Musik-Lärm in den Park hinein, aus Gaststätten oder Privathäusern in der Nähe (das gilt vor allem für städtische Kinderspiel-Plätze, die oft in Kriegs- bzw. Baulücken hineingequetscht sind - was besser als keine solchen Plätze ist) oder aus vielen der vorüberfahrenden Autos. In dieser Hinsicht erheblich gewichtiger und problematischer sind jedoch der Verkehrs- und Industrie-Lärm. Je größer der Park ist, desto geringer ist der Haupttendenz nach diese Belästigung. Allerdings sind Straßenverkehrslärm und auch Fluglärm fast allgegenwärtig.

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Das Konzertsegel in Radolfzell am Bodensee. Hier finden im Sommer bis zu neun Konzerte im Monat statt. Foto: Gerhard Giebener, pixelio.de
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Anthropophone, aber automatisierte Klangerzeugung mit einem Windspiel aus rostigen Blechdosen. Foto: Waldili, pixelio.de

Musik: Ästhetischer Genuss und akustische Störung

Der Lärm außen und von außen reproduziert sich freilich auch innerhalb des Parks. Musik spielt in diesem Zusammenhang eine zwiespältige Doppelrolle: als Lust und Last, als ästhetischer Genuss und akustische Störung oder sogar Schädigung.

Im Hinblick auf öffentliche Parks ist das Problem Lärm/Musik eingebettet in mehrere Spannungs- und Konfliktfelder. Verschiedene, teils koexistenzfähige, teils konfliktuelle Bedürfnisse stehen einander gegenüber. Die einen wollen sich austoben, die anderen sich ausruhen. Der Wunsch nach Stille - die immer nur relativ ist und Naturlaute einschließt - steht dem Wunsch nach lautstarker Unterhaltung entgegen, ob verbal in direkter Kommunikation oder per Handy oder mit Musik. Eine grundlegende Spannung ist die Spannung zwischen Sich-Erholen und Sich-Ausleben sowie zwischen sozialer gemeinsam-gemeinschaftlicher und privat-solistischer Selbstverwirklichung. In dieses Feld eingebettet ist aus der Perspektive des Parks die Spannung zwischen "Nutzung und Erhaltung". (Bezogen auf Historische Gärten Thema von Stadt+Grün 3/2009; vgl. DGGL-Jb. 2013)

Für viele - nicht alle - Jüngere ist es inzwischen fast selbstverständlich, dass, egal wo und was, Musik immer dabei sein muss, als mitgebrachte Konserve oder live selbstgemacht. Das soll die Grundstimmung des Individuums oder der Gruppe positiv einfärben, egal, ob das andere stört. Oft genug ist das gedankenlose Gewohnheit ohne irgendwelche spezifische Wirkung, die Stimmungsverbesserung bloße Illusion.

Da solche Musik- und Park-NutzerInnen sowieso in der Regel kaum hinhören, im Unterschied zu den davon unfreiwillig Betroffenen, könnte und sollte es genauso gut und ohne Schaden für die Geselligkeit auch unterbleiben. Wie sonstiges Lärmen, so wäre auch Musik als unfreiwillig mitzuhörender Hintergrund und Dauerbegleitung im Park zu unterbinden. Für suchtartig Abhängige gibt es Kopfhörer.

Musik als Ereignis: Konzentration und Konzert

Statt dass sie immer und überall, medial mit "Ghettoblastern" oder "live", etwa als weithin hallendes "Trommeln in der Nacht" oder auch am Tag erklingt, ist Musik zu besonderen Zeiten und an besonderen Orten im Park wünschenswert und sinnvoll.

Eine räumliche Konzentration sind Musikautomaten sowie klingende Wind- oder Wasserspiele, wie sie vor allem in Barockgärten häufig waren. Ein zum englischen Landschaftsgarten-Typ passender, romantischer Nachhall sind die Äolsharfe, bei der der Wind Saiten zum Klingen bringt, oder Windspiele mit Klangstäben oder -glocken.

Eine sehr spezielle Art der räumlichen Konzentration von Musik ist der Entwurf eines Kinderspielplatzes mit riesigen einfachen Musikinstrumenten. Es sieht so aus, als wäre er nicht realisiert worden. In der Praxis fordern manche Parks an einigen Stellen das Publikum auf, klangerzeugend tätig zu werden.

Die Regel im Park ist nicht die aktiv-produktive sondern die rezeptive Realisierung von Musik. Gemäß dem Motto "Genuss aller Art" ist die konzertante Realisierung von Musik oft eingebettet in künstlerische und sonstige Genüsse zwischen Zuckerwatte und Alkohol, Würstchen und Wundertüten, Fischbrötchen und Wein. Hier gibt es vielfältige Formen der Aufführung und der Tendenz nach alle Musikarten zwischen esoterischem Mittelalter und extrovertiertem Heavy Metal.

Die Tendenz zur eingrenzenden räumlichen und zeitlichen Konzentration des Musizierens einerseits wie zu einer gewissen Regelmäßigkeit zeigen zum Beispiel Traditionen wie Platzkonzerte auch in kleineren Städten oder Kurkonzerte in speziellen Städten (ausf. Krah 2012). Das erste deutsche Kurkonzert in Pyrmont ist für das Jahr 1726 dokumentiert. 1734 schrieb Georg Philipp Telemann eine Reihe Scherzi Melodichi für Violine, Viola und Generalbass.

Akustische Konzentration des Klangs wie Schutz gegen Witterung, vor allem Regen, bieten Konzert-Pavillons. Sie sind ein internationales Phänomen. Und es gibt eine breite Typen-Palette vom schlichten hüttenartigen Gebäude bis zum fast palastartigen, etwa dem Monopteros verwandt.

Für konzertartige Veranstaltungen im Park gibt es unzählige Beispiele und zahlreiche Typen. Ein Typ sind einmalige Ereignisse wie die Serie von Kurz-Konzerten von jeweils ca. 50 Minuten Dauer anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums des Stadtparks Berlin-Steglitz.

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Stadtpark Steglitz Konzert im Juli 2014 Chor-Konzert. Foto: Hanns-Werner Heister
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Kinderspielplatz mit Riesen-Instrumenten, entworfen von John Grayson. Abb.: Schafer 1973, S. 31.
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Zahlreiche Varianten zeugen von Konzerten in den Parks, etwa in Lawrence in Kansas USA. Foto: Hanns-Werner Heister

Solche besonderen, einmaligen Ereignisse können von regelmäßigen Wochenend-Konzerten und weiteren konzertanten Veranstaltungen flankiert werden.

Wie der Pavillon das Musizieren vor Regen und Wind schützt, so kann er seinerseits durch Partizipation der NutzerInnen vor Vandalismus geschützt werden. Ein weiterer Typ von Konzerten sind Veranstaltungsreihen wie Musik und Lyrik im Gewächshaus des Botanischen Gartens in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, die zum Beispiel 2010 etwa monatlich stattfanden, weiter durch regelmäßig wiederkehrende Ereignisse wie das Open-Air-Sommerfest der Städtischen Musikschule Braunschweig oder, größerformatig, als Festival "Klassik im Park" in Braunschweig und so weiter.

Übernutzungstendenzen

Hier wie oft gibt es eine Tendenz zur Übernutzung. Wie die Überweidung oder Kahlschlag bei Wäldern ist das nicht nur akustisch eine Gefahr. (Vgl. unter anderem Balder 2002, Gehrcke 2001, Jung 2013).

Die Internationale Garten-Schau Hamburg-Wilhelmsburg warb in einem Faltblatt unter anderem mit über 5000 (!) Veranstaltungen an 171 Tagen: "Der ganze Park ist eine einzige Fest- und Spielwiese! Überall findet etwas statt: auf den drei Bühnen, in den 80 Gärten, auf den Wegen und Wiesen, in den Pavillons und Ausstellungsgebäuden der Gartenschau." Konzerte waren dabei ein beträchtlicher Teil der "kulturellen Highlights der Gartenschau" - so im August 2013:

03.08. TRUCK STOP

04.08. Inga Rumpf & Friends

10.08. Das Ella Endlich Konzert - Großstadtmärchen

11.08. Hamburger Camerata

16.08. Rumpelstil Taschenlampenkonzert

17.08. Y'Akoto live

20.08. ChinaInn 2013 1. junges Orchester- festival Hamburg-Shanghai

24.08. Markus, "Ich will Spaß - Die wilden 80er"

25.08. EXTRABREIT

31.08. Ovids Traum, Im Garten der Wandlungen

(Faltblatt, S. 4f.)

Eine solche geballte Ladung von Events ist nun nicht die Norm für gewöhnliche Öffentliche Parks und deren Alltagsbetrieb. Aber die Tendenz zur Überhäufung mit Musik-Events ist weit verbreitet.

Statt Lärm-Vermeidung und -Bekämpfung: Beschönigung und Ästhetisierung

Bei der Werbung für die internationale gartenschau 2013 in Hamburg-Wilhelmsburg wird das Lärm-Problem sogar gesehen und thematisiert, aber schöngeredet. (www.iba-hamburg.de/fileadmin/ Wissen/Klangkataster/150521_Klangkarte_web.pdf, Abruf 24.6.2014)

"'Lärm' ist aus unserem Leben nicht zu verdrängen, da wir oft Betroffene und Verursacher in einer Person sind. Immer höhere Lärmschutzwände an Straßen oder Schienenwegen können, besonders aus städtebaulicher Sicht, keine grundsätzlich adäquate Antwort sein." Hier sehen wir schon eine erste Verschiebung: Die "städtebauliche Sicht" ist eigentlich keine Frage der Optik und der Ästhetik, sondern eine des angenehmen und gesunden Lebens.

Gesellschaftliches wie Lärm, das letztlich bis auf vorerst untilgbare Reste Vermeidbare erscheint als unvermeidliche Quasi-Natur, sozial Negatives und Schädigendes als ästhetisch Genießbares. Die hier angewandte Beschönigungs- und Rechtfertigungsstrategie versucht dann sogar, noch den - einstweilen jedenfalls kaum vermeidbaren - Lärm an bestimmten Verkehrs-Orten im Bereich der IBA schönzureden. Wir erinnern uns: Parks sind Refugien der Ruhe. In einer "Unterführung genügt ein einzelner LKW, um wirkungsvoll jeden anderen Laut wie zum Beispiel ein menschliches Gespräch zu übertönen. Niemand hält sich hier länger auf, als es unbedingt sein muss. [...] Wenn wir uns aber auf diesen, dem Leben nicht unbedingt freundlich gesonnenen Ort einlassen, dankt es uns die Unterführung mit einer eindrucksvollen Demonstration. Donnert ein Zug über unsere Köpfe, kommen wir dank der Reflexionen von allen Seiten in den Genuss eines brachialen Dolby-Surround-Effekts: Wir tauchen für Sekunden in puren Lärm ein, der von allen Seiten - auch von oben und unten - auf uns einstürzt. Das Zittern der Schienen hat das Beben schon angekündigt, das dann losbricht und uns mit seinem abrupten Ein- und Aussetzen jedes mal wieder überrumpelt und am ganzen Körper erfasst, wenn wir dem Hörspiel wiederholt lauschen. Durch und durch geht uns auch das schrille Kreischen, wenn die S-Bahngarnituren über uns zum Halt am Bahnsteig einschleifen." Einen Höhepunkt erreicht diese Umwertung von betäubenden Verkehrsgeräuschen in eine Art Konzert oder Disko, von gesundheitsschädigendem Lärm in ästhetischen Genuss und von Ruhe als Drogen-Entzug mit der Formulierung, in der Lärm als Gott personalisiert und fetischisiert wird: "Der Verkehr ist derart dominant, dass wir die kurzen Aussetzer als störende Momente empfinden, in denen uns die Lärmgottheit den Rücken zukehrt und uns mit Augenblicken der Stille straft."

Anmerkungen

¹ Schafer, Richard Murray: Klang und Krach: eine Kulturgeschichte des Hörens, Frankfurt am Main 1988 (englisch The Tuning of the World, Toronto und New York 1977).

Vgl. z. B. Ursula Kellner: "Genuss aller Art". Kunst und Kultur im Stadtpark, in: Betreten erwünscht. Hundert Jahre Hamburger Stadtpark, hrsg. von Heino Grunert (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Band 32), Hamburg 2014, S. 106-165.

Literatur

Balder, Hartmut 2002: Schäden am Stadtgrün durch Größveranstaltungen. Stadt und Grün 51, H. 1, S. 13-17.

Bijsterveld, Karin (ed.): Soundscapes of the Urban Past.Staged Sound as Mediated Cultural Heritage, transcript Verlag Bielefeld 2013.

Friedrich, Malte: Urbane Klänge. Popmusik und Imagination der Stadt, transcript Verlag, Bielefeld 2010.

Gehrcke, Matthias 2001: Der Park als Veranstaltungsort - Teil 1: Über Veranstaltungen im Grünen und deren Verträglichkeit. Stadt und Grün 50, H. 5, S. 325. Teil 2: Parkverwaltung und Veranstaltungsmanagement. Stadt und Grün 50, H. 7, S. 487.

Jung, Birte 2013: Konfliktfeld Veranstaltungen auf Grünflächen. Zwischenergebnis einer Onlineumfrage innerhalb der Gartenamtsleiterkonferenz. in: Stadt+Grün 12/2013, S. 50-54.

Kellner, Ursula: "Genuss aller Art". Kunst und Kultur im Stadtpark, in: Betreten erwünscht. Hundert Jahre Hamburger Stadtpark, hrsg. von Heino Grunert (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Band 32), Hamburg 2014, S. 106-165.

Krah, Matthias: Kurmusik im deutschsprachigen Raum - Institution, Funktionen, Fallbeispiele, Hochschule für Musik und Theater Hamburg Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an der Oberstufe - Allgemeinbildende Schulen - im Fach Musik, Ms. 2012.

Krebs, Stefanie 2008: Akustische Verführungen. Audiowalks als Landschaftsentwürfe, in: S+G, 7/2008, S. 7-12.

Krebs, Stefanie 2009: Audiowalks: Akustische Spaziergänge. Auditive Entwürfe für Stadt und Landschaft, in: DGGL-Jb. 2009, S. 59-63.

Payer, Peter: Kampf der akustischen Zwangsbeglückung - Eine Polemik. In: in|ad|ae|qu|at, www.zintzen.org, 24.11.2008.

Payer, Peter: Vom Geräusch zum Lärm. Zur Geschichte des Hörens im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Historische Sozialkunde. Geschichte - Fachdidaktik - Politische Bildung. Heft 3/2012, S. 4-13. (Reprint).

Schafer, R. Murray: The Music of the Environment (No. 1 of an Occasional Journal devoted to Soundscape Studies, hrsg. R.M.Schafer, Wien 1973 (Universal Edition No. 26912).

Zukunft Stadtgrün. Nutzen und Notwendigkeit urbaner Freiräume, DGGL Jb. 2014.

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