Verkehrssicherungspflicht

Rutschgefahr wegen feuchter Nadeln auf Geh- und Radweg

Verkehrssicherungspflicht Verkehrssicherheit
Die Entscheidung des OLG Hamm überzeugt insgesamt. Sie rückt dankenswerter Weise Erwägungen zur Zumutbarkeit beim Umfang der kommunalen Straßenreinigungspflicht in den Vordergrund. Foto: Adobe Stock, struvictory

Dem Hinweisbeschluss des OLG Hamm vom 11.04.2022 - 11 U 49/21 -, der zur Berufungsrücknahme und Rechtskraft des Urteils des LG Siegen vom 09.02.2021 - 5 O 136/20 - geführt hat, lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin befuhr am 14.10.2019 zur Mittagszeit mit ihrem E-Bike einen geteerten Geh- und Radweg in einem ländlichen Waldstück. Auf einem leicht abschüssigen Abschnitt bremste sie ihr Rad in einer leichten Linkskurve ab. Wie bereits zuvor war in diesem Bereich die Fahrbahnoberfläche vollständig mit Baumnadeln in erheblichem Umfang und nicht unerheblicher Dicke bedeckt. Bei dem Bremsvorgang stürzte die Klägerin und verletzte sich. Mit der Klage macht sie gegen die beklagte Stadt ein Schmerzensgeld i. H. v. mindestens 6000 Euro geltend.

Das LG Siegen hat die Klage durch Urteil vom 09.02.2021 - 5 O 136/20 - abgewiesen. Das Gericht geht nach Beweisaufnahme bereits nicht von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die beklagte Stadt aus. Es ist überzeugt davon, dass für jeden Benutzer des Weges schon weit vor der Unfallstelle klar erkennbar ist, dass die Fahrbahnoberfläche in erheblichem Umfang mit Baumnadeln bedeckt ist. Die Unfallstelle liegt im direkten Waldbereich und wird von beiden Seiten durch eine Vielzahl von Nadelbäumen gesäumt.

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Die Gefahr besonderer Rutschigkeit einer stark mit Tannennadeln bedeckten Fahrbahnoberfläche liegt nach Auffassung des Gerichtes für jedermann auf der Hand. Bei Anwendung gebotener Eigensorgfalt sei eine solche Straßenoberfläche gleichwohl gefahrlos mit einem Fahrrad befahrbar. Als naheliegende und einzig plausible Unfallursache komme entweder eine zu schnelle Fahrgeschwindigkeit oder ein unvorsichtiges und an die Straßenverhältnisse nicht angepasstes Bremsen infrage. Unabhängig von einer fehlenden Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte scheiden nach Auffassung des Gerichts Schadenersatzansprüche auch wegen eines weit überwiegenden und daher anspruchsausschließenden Mitverschuldens an der Unfallentstehung gemäß § 254 BGB aus. Die Klägerin hätte ihre Fahrweise den örtlichen Gegebenheiten und der besonderen Rutschigkeit der Fahrbahnoberfläche anpassen müssen. Dies sei offensichtlich nicht erfolgt.

In seinem Hinweisbeschluss vom 11.04.2022 - 11 U 49/21 - schließt sich das OLG Hamm im Ergebnis vollständig, in der Begründung aber nur teilweise der Einschätzung des Landgerichts an. Das OLG folgt nicht der Auffassung des LG Siegen, eine Haftung scheide gemäß § 254 BGB wegen eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens aus.

Die Haftung aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht entfalle nicht bereits dann vollständig, wenn der Geschädigte bei Einhaltung gebotener Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenstelle hätte erkennen und umgehen können. Eine solche Verlagerung der Gesamtverantwortung für einen Unfall allein auf den Geschädigten, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadenereignis gesetzt habe, widerspreche dem Schutzzweck einer verletzten Verkehrssicherungspflicht. Ein haftungsausschließendes Mitverschulden des Geschädigten könne unter Hinweis auf das Urteil des BGH vom 20.06.2013 - III ZR 326/12 - nur dann angenommen werden, wenn dessen Handeln von einer gesteigerten, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet sei, wofür vorliegend hinreichende Anhaltspunkte fehlten.

Das OLG Hamm folgt hingegen der Einschätzung des Landgerichts, dass es bereits an einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte fehlt. Die Nichtbeseitigung von Nadeln auf dem streitgegenständlichen Rad- und Fußweg stelle keine Pflichtverletzung dar. Eine allgemeine Pflicht für den Sicherungspflichtigen, sämtliche Straßen und Wege frei von jeglicher Verschmutzung einschließlich von Laub zu halten, bestehe nicht. Dies sei nicht zumutbar.

Nur außergewöhnliche und für die Verkehrsteilnehmer nicht vorhersehbare Verschmutzungen, die eine Schleuder- oder Rutschgefahr mit sich bringen, müssten vom Verkehrssicherungspflichtigen beseitigt werden. Während innerhalb einer Stadt in von Fußgängern und Radfahrern genutzten Bereichen eine regelmäßige Beseitigung von Laub geboten sein könne, sei in ländlichen Bereichen eine mäßige Verschmutzung, mit der jeder Verkehrsteilnehmer rechnen müsse, im allgemeinen nicht zu beanstanden. So lägen die Dinge vorliegend bei einem Weg untergeordneter Verkehrsbedeutung, der im ländlichen Bereich mitten durch den Wald führe. Ein Radfahrer, der sich beim Befahren des Weges nicht sicher fühle, müsse notfalls vom Rad absteigen und dieses über mit Laub oder Nadeln bedeckte Flächen schieben.

Die Entscheidung des OLG Hamm überzeugt insgesamt. Sie rückt dankenswerter Weise Erwägungen zur Zumutbarkeit beim Umfang der kommunalen Straßenreinigungspflicht in den Vordergrund ebenso wie die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer bei Gefahren, die vor sich selbst warnen und vor denen jeder aufmerksame Radfahrer sich ohne weiteres selbst schützen kann.

Ass. jur. Armin Braun, GVV Kommunalversicherung

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