Ein Naturdenkmal mit schief gewachsenen Kiefern

Schepp gezooche - Die Schepp Allee in Darmstadt

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Stadtbäume
Das Griesheimer Haus. Quelle: Walther, Ph. (1865): Darmstadt wie es war und wie es geworden. Neue Bearbeitung des „Darmstädter Antiquarius“, Hofbuchhandlung von G. Jonghaus)

Die Schepp Allee in Darmstadt - als ich diese Überschrift in den Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft von 1929 las, war meine Neugier geweckt. Ob es diese Anlage noch gab? Im Stadtplan ist sie verzeichnet. Und tatsächlich, die Allee existiert noch immer: beidseitig mit Kiefern - ja Kiefern - bepflanzt, ein eindrucksvolles Straßenbild.

Wie kam es zu dieser Pflanzung? Kiefern gehören ja nicht gerade zu den Bäumen, die die Straßenbaumliste empfiehlt. Der Ursprung liegt 300 Jahre zurück. Bereits im 17. Jahrhundert wurden die Darmstädter Waldungen zur besseren Ausübung der Jagd mit Schneisen erschlossen. Besonders die Parforcejagd, Hetzjagd mit Hundemeute, benötigte für den schnellen Ritt entsprechend aufgelichtete Wälder. Zu den ursprünglich rechtwinklig zueinander liegenden Schneisen kamen sternförmige, auf einen zentralen Platz, dem Parforcestern, orientierte Wege hinzu.

1713 ließ Landgraf Ernst Ludwig (1667-1739), leidenschaftlicher Jäger und Bauherr, durch den Gießener Architekten Johann Ernst Müller ein Jagdlusthaus erbauen, das den Mittelpunkt eines sehr wahrscheinlich gleichzeitig angelegten Schneisensterns bildete.

Das zweistöckige schlichte "Schlösschen" diente ausschließlich dem Tagesaufenthalt und bot von der Dachterrasse des hohen Kuppeldaches eine gute Aussicht in die Alleen und auf das Jagdgeschehen. Nach 23 Jahren war das Häuschen so baufällig, dass Teile einstürzten. Ernst Ludwigs Sohn, Ludwig VIII. (1691-1768), der "große Jäger" unter den Landgrafen, ließ 1740 nach Plänen des Baumeisters Helfrich Müller ein neues komfortableres Bauwerk errichten. Die erhöhte achteckige Terrasse, auf der das Haus stand, wurde vergrößert und acht auf die Schneisen ausgerichtete Freitreppen führten hinauf. Die neue größere Dachterrasse bot mehr Zuschauern Platz. Doch auch dieses Bauwerk hatte keine allzu lange Lebensdauer. 17701) wurde das Gebäude abgerissen. Unter Großherzog Ludwig III. (1806-1877) wurde an der Stelle ein hölzerner Pavillon errichtet, in dem ein Bild des Griesheimer Hauses dem Betrachter einen Eindruck der ehemaligen Situation vermittelte (Siebert, 1972).

In einem Zeitungsbericht von 1931(1) träumt der Verfasser davon, dass das Griesheimer Haus in alter Schönheit wieder auferstände. Der Bau der Bergstraßenautobahn ab 1968 beendete alle Illusionen: Die Trasse (A 5) legte sich unmittelbar über den Griesheimer Stern. Kein Hinweis gibt Auskunft über diese einst reizvolle Anlage.

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Die Schepp Allee, Richtung Haardtring, September 2013. Fotos: Soweit nichts anderes angegeben, Renate Scheer.

Von den acht Schneisen, die zu dem Griesheimer Haus führten, und von denen noch sieben erhalten sind, ist nur eine wichtig: die Stadtschneise, die die kürzeste Verbindung zwischen Residenz und Jagdhaus bildete. Über ihre Entstehung, die aktenmäßig nicht nachweisbar ist, wurden mancherlei Vermutungen geäußert. Nach Forschungen des Oberförsters Muhl(2) verhält sich die Sache folgendermaßen: "Ihre Anlage hängt unzweifelhaft mit dem vormaligen Jagdhause 'Griesheimer Haus' zusammen, ...", welches oft von der fürstlichen Familie besucht wurde (Walther, 1879, S. 329). In dem stadtnahen Abschnitt, wo kein Wald stand, waren die Equipagen ungeschützt den Staubwolken des sandigen Geländes ausgesetzt. Um diesem Übel abzuhelfen, ließ Ernst Ludwig 1714(3) von der Stadt bis zur Zweifalltorschneise den Sandweg beiderseits dicht mit Kiefern bepflanzen, um so eine Schutzhecke gegen den Sand zu erhalten. Dazwischen wurden in angemessenen Abständen Kastanien als Schattenspender gesetzt.

Lange hielten sich die Kiefern nicht, auch wenn man versuchte, sie durch Rückschnitt in Heckenform zu halten. Der Bestand ging kontinuierlich zurück. Dafür boten die noch übrig gebliebenen Bäume durch die vielfältigen Pflegemaßnahmen ein barockes Aussehen. Da der "lebende Zaun" nicht funktioniert hatte, entschloss man sich, die Bäume mit den auffälligsten Stammformen freizustellen, um auf diese Weise eine Allee zu erzielen. Das Schneiden, Biegen und Einkerben wurde fortgesetzt, damit die Bäume ihr bizarres Aussehen behielten:

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Plan von 1840.

Die Schepp Allee war geboren. Doch nicht nur die Stammformen waren auffällig, auch die Kronenbildung war ungewöhnlich. Dies, so wird berichtet, hing mit einem Käfer, dem Waldgärtner (Myelophilus piniperda, heute Tomicus piniperda) zusammen, der in einem damals nahe gelegenen Holzhof seine Brutstätte hatte. "Dieser bis Ende Juli vollkommen ausgebildete und sich hauptsächlich durch Ausfressen des Marks der jüngsten Kieferntriebe ernährende Käfer findet nun bei seinem ersten Ausfluge in die Welt in der Schepp-Allee die bequemst gelegene Waide ...; in jeder Jahreszeit sieht man dort ... ausgefressene Triebe herabhängen" (Walther, 1879, S. 331). Stark befallene Baumkronen sehen wie beschnitten aus, daher der Name "Waldgärtner".

1879 gab es noch 210 echte scheppe Kiefern und 30 alte Kastanien, 1905 dann 144 und 1954 gerade einmal 30 Kiefern, die in ihren so ungewöhnlichen Wuchsformen überdauert hatten. Sie boten Kindern einen idealen Kletterplatz, was diese ihnen mit ausgefallenen Namensgebungen dankten. So standen in der Straße unter anderem ein Kamel, eine Giraffe, ein Darmstädter Gurkenzieher und eine Schlange friedlich beieinander (2).

Die Pflanzung blieb problematisch. Versuche, ausgefallene Bäume durch Krüppelkiefern (Pinus mugo subsp. mugo) zu ersetzen, scheiterten ebenso wie alle vorangegangenen Nachpflanzexperimente. So sah es in den 50er-Jahren aus, als wäre die Scheppe Allee bald nur noch Geschichte. 20 Robinien wurden in die entstandenen Lücken gesetzt. Ziel war eine bunte Mischung aus Laubbäumen (3).

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Ein bisschen wie im Märchen, Baum Nr. 135, September 2013.
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Im Gespräch mit Nachbar Baum, Baum Nr. 44, September 2013.

Diese Überlegungen sind seit Jahrzehnten eingestellt. Die Kiefern geben keinen Anlass zur Sorge. Im Gegenteil, ihr Gesundheitszustand ist gut. Die dazwischen stehenden Laubbäume hingegen schwächeln. Unter anderem sind einige Robinien im Absterben begriffen. Die so entstehenden Lücken werden mit Kiefern (Pinus sylvestris) - möglichst krumm gewachsenen - nachgepflanzt. Nach 10 bis 15 Jahren werden die Spitzen der Bäume gekappt, damit sie schön "schepp" werden (Jutzler, mdl. 28.11.13).

Betritt man die Allee heute (2015), ist es, trotz der Autos rechts und links, ein Schritt in ein Märchenland. Die 160 Bäume, die in zwei bis drei Meter breiten Rasenstreifen stehen, sind zwar nicht mehr ganz so krumm wie ihre Vorgänger, aber immer noch staunenswert. Sie sind ein wenig wie Nachbarn, mit denen man ins Gespräch kommen kann - nicht so weit weg, wie die üblicherweise brav aufgeasteten Straßenbäume. Auf der Nordseite mischen sich Robinien, Linden und Eichen darunter. Etwa 750 Meter währt diese Idylle. Nach der Querung des Haardtringes gibt es zwar noch ein paar Exemplare, doch dann steht man vor dem Tor des ehemaligen Nathan Hale Depot, einem 13 Hektar großen Gelände mit Lagerhallen und Werkstätten der inzwischen heimgekehrten Amerikaner.

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Die „Autobahnschneise“ deckt den Griesheimer Stern zu (September 2013).
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Die Stadtschneise, Blick von der Autobahn Richtung Stadt (November 2013).

Umfährt man das Areal, trifft man am Rand des Westwaldes auf die Fortsetzung, die "Stadtschneise", die nach etwas über einem Kilometer auf einen kleinen Platz oberhalb der Autobahn mündet (ehemaliger Griesheimer Stern). Wer Autoverkehr schätzt, kann sich dort auf einer Bank niederlassen.

Kommt man mit Anwohnern ins Gespräch, äußern sie sich voller Stolz über "ihre" herrlichen Bäume. Gut sei es, dass die Bordsteinkanten so hoch sind, sonst wären die Kiefern längst hin. Durchfahrende Lkws beeinträchtigen die Bäume erheblich.

Die seit 1938 als Naturdenkmal ausgewiesene Allee wird jährlich begutachtet, Totholz sowie Äste, die sich zu weit auf die Straße neigen werden entfernt. Die letzte dieser Schnittmaßnahmen erfolgte im Frühjahr 2014. Die nächste Kontrolle steht den Kiefern August/September 2015 bevor. Im Herbst 2015 werden auch die Lücken geschlossen, die durch Fällungen in den Jahren 2013/14 entstanden. Betroffen hiervon waren fast ausschließlich Robinien. Nachgepflanzt wird mit Kiefern, neun Bäume kommen hinzu.

Eine weitere Maßnahme, die sich über die nächsten Jahre erstrecken wird, ist eine Teilentsiegelung des Asphalts dort, wo die Wurzeln den Belag hochdrücken. Das Umweltamt kontrolliert die Arbeiten, sodass keine stärkeren Wurzeln entfernt oder geschädigt werden, die aufgenommenen Flächen werden geschottert (Gomersky, mdl. 15./16.7.15).

So kann man den Artikel vielleicht mit den gleichen Worten beenden wie Walther 1879 seinen Bericht: dass auch nach weiteren 100 Jahren Kiefern stehen werden, "ehrwürdige Zeugen einer längst verklungenen Zeit".

Anmerkungen

¹ Nach Walter (1865) wurde das Haus in den 1770er-Jahren abgerissen.

² Oberförster Ferdinand Muhl, 13.01.1829-24.12.1897 Darmstadt.

³ Durch Jahrringzählung ermittelt.

Literatur

(1) Vom Griesheimer Haus, o. A. der Zeitung, 06.12.1931.

(2) Eine Kiefer namens Kamel, Darmstädter Echo, 27.03.1954.

(3) Keine Hoffnung mehr für die "Scheppe", Darmstädter Echo, 20.02.1958.

Noack (1929): Die Scheppe Allee (= schiefe Allee) in Mitteilungen Dt. Dendrolog. Gesellschaft, S. 396.

Siebert, G. (1972): Jagd und Jagdhäuser in Hessen-Darmstadt. DRW-Verlags-GmbH, Stuttgart.

Walther, Ph. (1865): Darmstadt wie es war und wie es geworden. Neue Bearbeitung des "Darmstädter Antiquarius", Hofbuchhandlung von G. Jonghaus.

Walther, Ph. (1879): Die "scheppe Allee" in Darmstädter Historische Kleinigkeiten. Eine Ergänzung des "Darmstädter Antiquarius", Druck u. Verlag der Wittich'schen Hofbuchdruckerei, S. 329-332.

Mündliche Auskünfte: Michael Gomersky, Umweltamt, Untere Naturschutzbehörde , 15./16.7.15

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