Zehn Jahre Georg-Büchner-Platz Darmstadt

Sozialer Stadtraum - Platz für Begegnung

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Öffentliche Freiflächen Stadtentwicklung
In der Gesamtschau des Platzes (Blick nach Osten) kontrastieren die modernen Treppenabgänge in die Tiefgarage (weiße "Betonpilze") mit der historischen Bebauung am Platzrand. Foto: Thomas Herrgen

Die wachsende Zuwanderung in Stadt- und Ballungsräume, der damit verbundene Bauboom und die auch notwendige Verdichtung des urbanen Raums dürfen nicht vergessen lassen, dass Städte gleichzeitig und notwendigerweise auch noch genügend Plätze, Freiflächen, Grün und sozialen Raum als Ausgleich vorhalten müssen. In öffentlichen Freiräumen können sich verschiedene Bevölkerungsgruppen, Alt und Jung, Frauen und Männer, Migranten und Alteingesessene sowie Menschen mit ähnlichen oder den unterschiedlichsten Interessen begegnen.

Städtische Freiflächen sind zwingend notwendige soziale Freiräume, die ein friedliches Miteinander erst möglich machen. Von ihrer Gestaltungsqualität hängt nicht nur die Art und Intensität der Nutzung ab, sondern bisweilen auch die Frage, ob eine "Frei"-Fläche zur Bebauung freigegeben wird. Im Umkehrfall sorgt demnach ein hohes Maß an Design, Funktionalität und Möglichkeiten für soziales Miteinander dafür, dass öffentliche Räume als solche erhalten bleiben und intensiv genutzt werden.

Ein Platz als Freiluftbühne

Im südhessischen Darmstadt wurde vor rund zehn Jahren der Georg-Büchner-Platz umgestaltet. Der moderne grüne Platz ist der Vorraum des Theaters, inzwischen der Studententreffpunkt schlechthin, ein Ort für Veranstaltungen, auch verschiedener Religionen, für Feste, (Floh-)Märkte und vieles mehr. Er sorgt so für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt und ist vor allem bei schönem Wetter sehr gut angenommen. Wenn der öffentliche Vorplatz eines Theaters neu gestaltet wird liegt es vielleicht nahe, die Fläche wie eine Freiluftbühne mit Zuschauerraum anzulegen und zu bespielen. Diese Grundidee prägte den Entwurf zum Georg-Büchner-Platz. Der auf dem sanft ansteigenden Deckel einer Tiefgarage realisierte Freiraum ist Ort für Begegnung, Spiel, Sonnenbaden, das Sehen und Gesehen-Werden, nicht zuletzt auch für öffentliche Aufführungen des Hessischen Staatstheaters. Eine moderne indirekte Beleuchtung von Gebäudefassaden und Platz mit den erhellten Tiefgaragenabgängen sorgt nach Einbruch der Dunkelheit zudem für eine sphärische und futuristische Atmosphäre, die nicht zuletzt auch für Sicherheit am Abend und in der Nacht sorgt; eine Grundvoraussetzung für die Nutzung aller Bevölkerungsgruppen.

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Große Geschichte trifft Moderne

Die städtischen Bühnen Darmstadts, heute ein Vierspartenhaus (Oper, Tanz, Schauspiel und Orchesterkonzertwesen), können auf eine mehr als 300 Jahre lange Tradition zurückblicken. Aus dem ehemaligen landgräflichen Opernhaus und dem Hoftheater entstand mit Gründung der Republik 1919 das Landestheater Darmstadt. Beide Häuser wurden 1944 zerbombt und zogen für fast 30 Jahre in provisorische Spielstätten um. Nach einem 1963 durchgeführten Wettbewerb, den der Darmstädter Architekt Rolf Prange (1919-2006) gewann, konnte das nun in "Staatstheater" umbenannte Haus 1972 in den an anderer Stelle errichteten Neubau umziehen.

Am Georg-Büchner-Platz war bedeutend mehr Raum für ein Haus mit rund 1000 Zuschauerplätzen und auch die Erschließung, Organisation und das Parken waren hier deutlich besser gewährleistet. Denn mit dem Neubau entstand auf der Ostseite eine große Tiefgarage. Ihr Deckel war entsprechend der Zeit mit Waschbetonplatten und mehr oder weniger großen Waschbetonkübeln gestaltet. Die Bepflanzung mit Koniferen und die Platzausstattung mit wenigen Bänken und Leuchten entsprachen dem damaligen Zeitgeschmack und machten ihn zu einem Ort des schnellen Überquerens mit nahezu keinen Aufenthaltsqualitäten. Auch mangels Pflege und Unterhaltung verkam der Platz zu einem "Unort"; er wurde ein Sanierungsfall und aufgrund seiner Unübersichtlichkeit zu einem Sicherheitsproblem bei Dämmerung und in den Nachtstunden.

"Schallkörper" am Open-Air-Platz

Auch das Gebäude selbst war nach dem Jahrtausendwechsel sanierungsbedürftig, Bühnentechnik und Brandschutz waren nicht mehr auf dem Stand der Zeit und so nahm das Land Hessen als Träger etwa 70 Millionen Euro für Umbauten inklusive der östlich gelegenen Platzfläche in die Hand und setzte die Hochbaumaßnahmen 2002 bis 2006 um. Das Stuttgarter Architekturbüro LRO Lederer + Ragnarsdóttir + Oei erhielt den Auftrag und entwarf ein für die Außenwirkung bedeutendes neues Eingangsbauwerk, das der Form eines Lautsprechers ähnelt. Es verbindet nicht nur die Tiefgarage direkt mit dem Foyer und der Foyerterrasse, sondern dient damit auch als Bühne für öffentliche Aufführungen auf dem Platz. Auch diesen großen Freiraum gestalteten LRO komplett um. Nach Freiräumung des Altbestandes wurde die Fläche axialsymmetrisch auf das Gebäude und den neuen Eingang ausgerichtet und klar zoniert.

Zentral liegt ein Teppich aus Rasenstreifen und Plattenbelägen, der mehrfach durch je eine kleine Stufe nach Osten, wie bei einem Zuschauerraum ansteigt. Die Seitenbereiche werden von Baumhainen flankiert und dazwischen liegen die Eingangsbauwerke in die Tiefgarage. Sie sind als weiße Schirme aus Sichtbeton gestaltet und halten wie futuristische Pilze die Treppenabgänge trocken. Weitere Elemente wie Sitzmauern, die teilweise auch geschwungen sind und ein großes rechteckiges Wasserspiel mit Fontänen im Osten des Platzes vervollständigen den Entwurf. Das Bronzekunstwerk "Grande Disco" des italienischen Bildhauers Arnaldo Pomodoro, 1974 aufgestellt für den Namensgeber des Platzes Georg Büchner (Schriftsteller, geb. 1813 in Südhessen, gest. 1837 in Zürich.

Der Georg-Büchner-Preis gilt als die renommierteste Literaturpreis-Auszeichnung im deutschen Sprachraum) blieb erhalten und wurde in das Wasserfeld integriert. Mit der Umsetzung, der Werkplanung, Ausschreibung und Bauleitung war der Landschaftsarchitekt Helmut Hornstein aus Überlingen/Bodensee beauftragt. Er führte das Freiraumprojekt von 2009 bis 2010 im Rahmen der Werkplanung, Ausschreibung und Bauleitung weiter bis zum Ende und Abschluss. Am 27. August 2010 fand die Einweihung statt. Restarbeiten und die Pflanzflächenpflege über das Leistungsverzeichnis dauerten noch bis 2014 an.

Geraden und Wellen - Klare Linienführung

Der oft auch als Georg-Büchner-Anlage im Sinne einer Grünfläche benannte Platz zeichnet sich deutlich durch seine baulichen Elemente aus. Während die Mitte durch Betonplatten mit Natursteinvorsatz Basalt und Rasenstreifen noch ein gewisses Flächengrün aufweist, zeigen die darin liegenden Sitzstufen über die gesamte Breite mit einer Höhe von circa 40 bis 45 Zentimetern, Einfassungsmauern, Mauerwangen und einer Pergola über der Sichtbetonstützmauer nach Norden klare Baukanten. Beiderseits der Mitte schließen leicht erhöhte Bereiche an, die durch weiße wellenförmige Betonstützmauern eingefasst werden. Auch alle in den Seitenbereichen mit wassergebundener Decke verteilten Sitzbänke sind aus weißem Sichtbeton hergestellt und haben Holzauflagen. Die neun weißen und schirmartig runden Betonpilze über den Tiefgaragenzugängen strukturieren den Platz regelmäßig. Durch eine indirekte, reflektierende Beleuchtung von unten geben sie dem Platz und den Wendeltreppen abends ausreichend Licht und sorgen für ein science-fiction-artiges Bild. Fast ist der Betrachter geneigt zu glauben, hier würde gleich jemand zu einem Raumschiff gebeamt.

Minimalistisches Pflanzkonzept

Die Bepflanzung der Platzanlage ist im Hinblick auf die Anzahl der Arten sehr puristisch minimalistisch entworfen und realisiert. Die Begrünung besteht in den flankierenden Seitenbereichen aus Baumhainen, die jeweils zwei- bis dreireihig angelegt sind. Die gepflanzten Japanischen Schnurbäume (Sophora japonica) sollen, bei ausreichender Größe nach weiteren Jahren am Standort, zum Kronenschluss gelangen. 50 bis 60 Zentimeter hohe Buchshecken (Buxus sempervirens) begleiten die teilweise geschwungenen Mauern am Platzrand.

Die Grünstreifen im Platzbelag wurden als Rollrasen mit einer strapazierfähigen Gebrauchsrasen Sorte (Regelsaatgutmischung RSM 2.3) eingesät. Die einjährige Fertigstellungspflege des gesamten Grüns, Nach- und Ersatzpflanzungen bei Ausfall erfolgten im Rahmen der Gewährleistung über die Garten- und Landschaftsbaufirma, die die Freianlage gebaut hat. Es schlossen sich drei weitere Jahre Unterhaltungspflege an. Seit Abschluss und Abnahme dieser Pflegemaßnahmen Ende Juli 2014 hat die Stadt Darmstadt die Anlage in ihre Unterhaltungspflege übernommen.

Theater mit Freiluft-Veranstaltungen

Der Georg-Büchner-Platz ist das Freiraum-Foyer des Staatstheaters, das an allen drei anderen Seiten von Bebauung und Straßen umgeben ist. Zur jährlichen Spielzeiteröffnung und anlässlich eines lokalen Volksfestes ("Heinerfest" Anfang Juli. Mit 0,7 Mio. Besuchern eines der größten Innenstadtfeste in Deutschland. 2020 vom 2.-6. Juli) finden hier Open-Air-Konzerte des Staatsorchesters Darmstadt und Aufführungen des Staatstheaters statt. Die Hauptnutzergruppe an normalen Tagen ist die Studentenschaft der nahen, etwa 300 Meter entfernten Technischen Universität, die sich dort gerne bis in die Abend- und Nachtstunden trifft; teilweise auch zum Leidwesen der Anwohner. Vor allem in den Sommermonaten wird es immer wieder einmal lauter und die Ordnungskräfte müssen einschreiten. Auch das bringt ein zentraler sozialer Stadtraum leider mit sich.

Aufenthaltsqualitäten bieten die Sitzmauern, Bänke, Stufen und unter den Baumhainen eingefügte Spielgeräte für Kinder, die mit ihren Eltern gerne die Sonne und die freie Weite der Anlage genießen. Auch für Foto- und Filmaufnahmen wird der Platz wegen seiner futuristischen Formensprache gern genutzt. Genehmigte Dreharbeiten finden immer wieder einmal statt und verlangen den anderen Nutzer*innen stets ein wenig Rücksichtnahme ab.

Auch religiöse Nutzungen

Seit 2015 organisiert der BIS (Bilalzentrum, Imanzentrum und islamischer Studentenverein) das gemeinsame öffentliche Fastenbrechen der islamischen Bevölkerungsgruppen, das seither regelmäßig auf dem Georg-Büchner-Platz begangen wird. Bisher einmalig fand "Le Diner en Blanc" ("Die weiße Tafel") auf dem rund einen Hektar großen Areal mit etwa 1500 bis 2000 Teilnehmenden statt. Nach etwa zehn Jahren in Nutzung ist der Platz ein fixer Ort im Bewusstsein der Darmstädter Bevölkerung geworden. Außer der angesetzten Patina an Belägen, Betonelementen und Metallteilen, die toleriert oder gar gewünscht wird, hat der Georg-Büchner-Platz noch nichts von seinem Glanz der ersten Jahre eingebüßt. Und seine Funktion und Bedeutung als sozialer Stadt- und Begegnungsraum hat in dieser Zeit, auch im Zuge der Migrationsbewegungen seit 2015 und des notwendigen interreligiösen Dialogs noch zugenommen.

Projekt: Umgestaltung Georg-Büchner-Platz

  • am Hessischen Staatstheaterin Darmstadt/Südhessen
  • Platzfläche: Ca. 10.000 m² (1 ha)
  • Bauherr: Land Hessen,vertreten durch das Hessische BaumanagementRegionalniederlassung Süd, Darmstadt
  • Entwurf Freianlagen: LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten, Stuttgart www.archlro.de
  • Umsetzung (Ausführungsplanung bis Bauleitung):Helmut HornsteinFreier Landschaftsarchitekt BDLA, Stadtplaner SRLÜberlingen/Bodensee www.helmuthornstein.de
  • Realisierung: 2009 bis 2010 Garten- und Landschaftsbauarbeiten
  • bis 2014 Pflegearbeiten (Fertigstellungspflege)
  • Seit August 2014 in Unterhaltungspflege der Stadt Darmstadt
  • Ausführung: Säger GmbH,Garten- und Landschaftsbau, Darmstadt www.saeger-galabau.de
  • Projektadresse:Georg-Büchner-PlatzD-64283 Darmstadt
  • Weitere Informationen:www.staatstheater-darmstadt.de
Dipl.-Ing.(FH) Thomas Herrgen
Autor

Landschaftsarchitekt

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