Bestandsaufnahme, Qualitätsbeurteilung und Handlungsbedarf

Spielplatzleitplanung in Ibbenbüren entwickelt

von:
Spielplatzbau
Herausforderungen für Kleine… Foto: Planergruppe Oberhausen

Das Spielen der Kinder im Sande" ist der wunderbare Titel eines 1909 veröffentlichten Buches des dänischen Sozialpolitikers und Pädagogen Hans Dragehjelm. Es beschreibt unter anderem die zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts zögerliche Etablierung von Spielplätzen in deutschen Städten.

In Hamburg gab es 1850 eine Eingabe von Bürgervereinen an den Senat, einen Spielplatz anzulegen, damit die Kinder nicht mehr auf der staubigen Straße oder in dunklen Hinterhöfen spielen mussten. 1920 legte der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen dem Parlament das erste Spielplatzgesetz vor, in dem öffentlichen Bauträgern empfohlen wurde, drei Quadratmeter Spielfläche pro Kind vorzusehen. Obwohl das Gesetz nicht offiziell verabschiedet wurde, wurden nach und nach Parks und Spielplätze angelegt. Sie unterliegen bis heute dem Wandel der Zeit.

Auch in Ibbenbüren, einer Mittelstadt mit 53.000 Einwohnern im Tecklenburger Land, wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren überall im Stadtgebiet - und unabhängig von der Kinderzahl des Viertels - Spielplätze und Bolzwiesen angelegt. Heute sind viele der Flächen in die Jahre gekommen und bieten keine zeitgemäßen Angebote mehr. Im Mai vergangenen Jahres wurde unser Büro beauftragt, eine Spielplatzleitplanung für das gesamte Stadtgebiet zu erstellen und zu prüfen, welcher Spielflächenbedarf anzusetzen und wie die Qualität der vorhandenen Spielangebote zu beurteilen ist. Ziel ist es, der Stadt Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, für jede Altersgruppe in angemessener Entfernung dauerhaft ausreichende, anregende und zeitgemäße Spielmöglichkeiten bereitzustellen.

Um die Spielflächen anhand überprüfbarer Qualitätskriterien bewerten zu können, werden Parameter gesucht, die Anhaltspunkte für gute Spielplätze, Schulhöfe und Bolzwiesen sind. Dazu musste zunächst definiert werden, was unter gutem Spiel zu verstehen ist. Es werden drei Thesen aufgestellt.

These 1: Kinder brauchen Herausforderungen, um an sich zu wachsen.

Je nach Alter der Kinder sind es kleine Stufen oder hohe Leitern, ein Hügel oder eine steile Rutsche, die Herausforderungen darstellen können. Durch Ausprobieren oder mithilfe anderer Spielkameraden erlernen die Kinder Stück für Stück neue Fähigkeiten, siehe Abb. 1 und 2.

These 2: Kinder brauchen Anregungen für andauerndes, phantasievolles Spiel.

Auf exponierten, ebenen Flächen, dort, wo Kinder ständig unter der Aufsicht der Erwachsenen stehen, kann sich nur schwer andauerndes, freies Spiel entwickeln. Häufig werden die angebotenen Spielgeräte lediglich in ihrer Funktionalität wie Rutschen oder Klettern wahrgenommen und nur selten entstehen Spiele, die darüber hinausgehen.

Das Wohlbefinden, welches durch Raumgefühl, Lichtverhältnisse, Materialwahl und Topographie erzeugt wird, hat ebenfalls Auswirkungen auf die Spieldauer und die Phantasie, siehe Abb. 3 und 4.

These 3: Kinder brauchen geschützte Räume, in denen sich spielen entwickeln kann.

Spielplätze sollen Anregungen bieten, die über die Funktionalität der jeweiligen Geräte hinausgehen. Dies ist hauptsächlich durch die Raumgestaltung - also wie eben erwähnt durch Topographie, Baumdächer, Hecken, Steinhügel, Sonnensegel und Ähnlichem zu erreichen. So kann ein schirmförmiger Strauch eine Höhle werden, eine Kuhle im Boden ein Boot und die zweite Ebene des Kletterturms der Ausguck des Piratenschiffs. Wichtig ist, dass der Phantasie Raum gelassen wird und die Angebote nicht schon vom Hersteller thematisch ausgerichtet sind, sondern mehrere Möglichkeiten eröffnen, siehe Abb. 5 und 6.

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Was lässt sich daraus für die Spielleitplanung ableiten?

Spielplätze sollen den Kindern Raum- und Höheneindrücke vermitteln, die Spielgeräte sollen multifunktional nutzbar sein und mehreren Kindern gleichzeitiges Spiel ermöglichen. Die Spielgeräte sollen nicht flächig, sondern in unterschiedlichen, durch Baumdächer oder Hecken geschützten Räumen angeordnet sein, so dass angenehme Orte entstehen, an denen sich Kinder und deren Begleiter gerne und häufig aufhalten. Neben den Spielangeboten sollte auch genügend Freifläche zum Fangen und Toben vorhanden sein, sowie einige 'wilde Ecken', in denen man sich im Gebüsch verstecken oder unter einem Blätterdach eine Höhle bauen kann. Sicher sind auch Angebote wünschenswert, die naturnah angelegt sind, viel Frei- und Gestaltungsräume bieten und ohne Geräte auskommen. Für die Städte, die für die Sicherheit zuständig sind, ist sind "Naturspielplätze" leider oft ein zu großes Risiko. Eine Alternative sind Bauspielplätze. Diese benötigen jedoch Trägerschaft und Betreuung und bleiben daher eine Ausnahme innerhalb der Spielangebote einer Stadt.

Ja nach Altersgruppe haben die Kinder unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse - wer braucht was? In der Gruppe der 0- bis 6-Jährigen werden die meisten Bedürfnisse im Sand- und Bewegungsspiel erfüllt. In der Gruppe der 7- bis 13-Jährigen stehen Möglichkeiten zum Rollen- und Bewegungsspiel im Vordergrund. Der Aktionsradius hat sich vergrößert und auch unbeobachtetes Spielen wird zunehmend wichtiger. Für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren müssen Räume zum sich Treffen und Zeigen vorhanden sein und Sportangebote gemacht werden.

… und Große. Foto: Planergruppe Oberhausen
Anregungen für Spiel und Bewegung. Foto: Planergruppe Oberhausen
Auf einer schiefen Ebene das Gleichgewicht behalten. Foto: Planergruppe Oberhausen
Geschützte Räume… Foto: Planergruppe Oberhausen
…bieten Gelegenheit für phantasievolles Spiel. Foto: Planergruppe Oberhausen
Spielplatzbau
Übersicht der Bewertung. Grafik: Bianca Porath
Spielplatzbau
Verteilung der Altersstruktur der Kinder im Stadtgebiet, Angaben Stadt Ibbenbüren. Grafik: Bianca Porath

Was macht gutes Spiel aus und was ist daran wichtig?

"Die Welt erschließt sich dem Kind über Bewegung. Das heißt, Kinder brauchen Platz, sie brauchen Raum. Mit Hilfe von körperlichen Sinneserfahrungen bildet das Kind Begriffe, im Handeln lernt es Ursachen und Wirkungszusammenhänge kennen und begreifen", so schreibt Hans-Peter Barz im Novemberheft 2011 in "Stadt und Grün".

Über die Bedürfnisse, die Kinder haben, um sich gesund zu entwickeln, ist bereits viel geforscht und publiziert worden. Trotzdem werden die meisten Spielplätze nach einem ähnlichen Schema in ebener, übersichtlicher Fläche angelegt und lassen häufig wenig Raum für phantasievolles und andauerndes Spiel. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sagt dazu: "Für Erwachsene ist Spielen meist nur ein unterhaltsamer Zeitvertreib - für ein Kind ist Spielen die "Hauptsache. Spielen ist ein Grundbedürfnis von Kindern und für die kindliche Entwicklung so wichtig wie Schlafen, Essen und Trinken. Und das gilt für jedes Kind gleichermaßen, unabhängig von Kultur und Herkunft und davon, ob es eine Behinderung hat: Im Spiel sammelt es grundlegende Erfahrungen, erlebt Gefühle wie Stolz, Enttäuschung, Freude und Wut. (...) Spielen ist der kindliche Zugang zur Welt. (...) Dabei hat die Bewegung beim Spielen wenig mit dem gemein, was Erwachsene unter "Sport" verstehen: Kinder "trainieren" in der Regel nicht über längere Zeit eine "Bewegungsart", sondern sie verhalten sich beim Spielen spontan, erfinden ständig neue Arten und Weisen, sich zu bewegen und wechseln zwischen ihnen hin und her. Auf spielerische Weise werden so Herz und Kreislauf, die Atmungsorgane und Muskeln trainiert, Knochen und Gelenke festigen sich. Zudem trägt ausreichend Bewegung dazu bei, langfristig krank machendes Übergewicht zu verhindern. Spielen und Bewegung - insbesondere an frischer Luft - sorgt außerdem für gesunden Appetit und tiefen Schlaf. (...)", (siehe: www.kindergesundheit-info.de/themen/spielen/hauptsache-spielen/spielen-ist-gesund/, aufgerufen am: 15.01.2016).

Anhand der Kriterien für gutes Spiel und der Angebote, die dafür vorhanden sein sollten, werden in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber die Bewertungskriterien für die Spiel- und Bolzplätze sowie für die Schulhöfe aufgestellt. Für Spielplätze und Schulhöfe sind die gleichen Parameter mit gleicher Gewichtung vorgesehen. Bei der Bewertungsmatrix für Bolzplätze werden aufgrund der Zweckbestimmung andere Gewichtungen angesetzt. Berücksichtigt wird auch, dass auch andere Spiele wie zum Beispiel Fangen möglich sein sollten. Die Qualitätskriterien für Spielplätze und Schulhöfe bestehen aus folgenden Parametern:

Lage im Quartier: ohne Wertung

Vielfältige Gestaltung: 10 Prozent

Raumgliederung: 35 Prozent

Komfort: 5 Prozent

Erlebnischarakter: 15 Prozent

Gestaltung/Naturbezug: 10 Prozent

Nutzungsvielfalt: 20 Prozent

Allg. Erscheinungsbild: 5 Prozent

Während bei den Bolzplätzen hauptsächlich die Nutzbarkeit im Vordergrund steht, ist bei den Spielplätzen und Schulhöfen, wichtig, dass eine Raumgliederung vorhanden ist, die Spielräume schafft und eine differenzierte Höhen- und Raumwahrnehmung zulässt. Verschiedene Räume, die Schutz vermitteln, sind für phantasievolles, andauerndes Spiel eine wichtige Voraussetzung.

Auch der Pflegezustand spielt für die Qualität des Aufenthalts und des Spielens eine Rolle; dies wird jedoch in der Bewertung eher niedrig angesetzt, da hier am ehesten korrigiert werden kann. Nach den genannten Kriterien werden Bewertungsbögen entwickelt, die nach Abstimmung mit dem Auftraggeber an drei Tagen im Sommer 2015 für insgesamt 95 Flächen mit mehr als zehn Hektar zur Anwendung kamen.

Ersteinschätzung und Bewertung nach der Begehung

Die Spiel- und Bolzplätze im Stadtgebiet überzeugen durch einen attraktiven, raumbildenden Baumbestand und sind überwiegend gut gepflegt. Auffallend ist die häufig stark überalterte, gleiche oder ähnliche Ausstattung der Geräte wie Wipptiere, Rutschentürme, Nestschaukeln und Sandbacktische desselben Herstellers, siehe Abb. 9. Die Spielangebote sind überwiegend für Grundschulkinder konzipiert, obwohl alle Altersgruppen ähnlich groß sind. Für Jugendliche sind bis auf einen Spielplatz keine zeitgemäßen Angebote vorhanden. Oft fehlt innerhalb der Spielflächen eine Raumstruktur durch Hecken oder Sträucher, sowie eine Topographie. Die Bolzwiesen sind häufig sehr üppig bemessen und zahlreich vorhanden und werden nach Angaben der Stadt genutzt. Die erreichten Punkte aus den Bewertungsprotokollen sind in Schulnoten umgerechnet und graphisch aufgearbeitet worden.

Die Ergebnisse sind überwiegend nur befriedigend bis ausreichend, siehe Abb. 8. Gründe sind die häufig mangelnde Topographie, die Überalterung der Geräte und die immer wiederkehrende Geräteauswahl. Viele Spielplätze sind also verbesserungswürdig.

Pflegerückstände. Foto: Planergruppe Oberhausen
Überalterte Geräte. Foto: Planergruppe Oberhausen
Exponierte Spielsituation. Foto: Planergruppe Oberhausen
Häufig gleiche Ausstattung. Foto: Planergruppe Oberhausen
Spielplatzbau
Spielplatz am Aasee. Foto: Planergruppe Oberhausen
Spielplatzbau
Spielplatz am Aasee. Foto: Planergruppe Oberhausen

Als Beispiel für einen mit "sehr gut" bewerteten Spielplatz in Ibbenbüren, sei der Spielplatz am Aasee I genannt. Er bietet zeitgemäße Angebote für alle Altersgruppen, hat raumbildenden Baumbestand, viele Hügel und Senken und Aufenthalts- und Kommunikationsmöglichkeiten für Jugendliche.

Neben der Qualität ist auch zu klären, ob ein Über- oder Unterangebot an Spielflächen vorherrscht. Da eine gesetzlich verbindliche Grundlage fehlt, werden zur Ermittlung der anzusetzenden Werte die Empfehlungen zum Spielflächenbedarf des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, der zwischen sechs Quadratmeter und elf Quadratmeter pro Kind liegt, herangezogen. Die Toleranz kommt dadurch zustande, dass die baulichen Gegebenheiten, die Sozialstruktur und die Freiraumversorgung zu berücksichtigen sind. In Ibbenbüren leben 9309 Kinder, im Kernsiedlungsgebiet 7904 Kinder. Aufgrund der Streulage der Wohnhäuser im Außenbereich wird zur Bedarfsermittlung die Zahl der in der Kernstadt lebenden Kinder herangezogen, da in den Randlagen andere Lebens- und Wohnumfeldbedingungen herrschen und Spielplätze nicht zwingend benötigt werden beziehungsweise aus finanziellen Gründen auch nicht überall in angemessener Qualität gehalten werden können. Für den Kernstadtbereich wird ein Durchschnittswert von 7,25 Quadratmeter pro Kind gewählt. Diese Zahl ist hier aufgrund der Struktur der Stadt Ibbenbüren ausreichend. Es existieren viele Einfamilienhäuser mit Gärten, Spielstraßen und innerstädtische Grünzüge, die eine kindgerechte Umgebung darstellen sowie Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten bieten. Da die Stadt insgesamt eine Fläche von 90 322 Quadratmeter Spielflächen aufweist und mit dem oben erwähnten Wert 57 304 Quadratmeter benötigt werden, existiert für den Kernsiedlungsbereich eine rechnerische Überdeckung vorhandener Spiel- und Bolzplätze von 33.000 Quadratmeter, was etwas mehr als ein Drittel aller Spielflächen der Stadt ausmacht.

Eine Schließung von Überhang-Spielplätzen versetzt die Stadt Ibbenbüren in die Lage, freiwerdende Finanzmittel in die Inwertsetzung, den Umbau und dauerhaften Erhalt der übrigen Spielplätze zu investieren, um damit langfristig Orte mit hohem Spielwert in angemessener Qualität für alle Altersgruppen bereit zu halten. Bezüglich der Bevölkerungsentwicklung ist in Ibbenbüren mit etwa gleichbleibender Geburtenrate zu rechnen. Wie sich die Zahl dauerhaft bleibender Flüchtlingskinder entwickelt, ist nur schwer prognostizierbar, wird sich jedoch aufgrund der Größe und Aufnahmekapazität der Stadt nicht signifikant auf den Spielflächenbedarf auswirken.

Neben der Reduzierung der Spielflächen ist auch eine zielgruppenorientierte Umverteilung notwendig. In fünf von neun Schulbezirken gibt es zu wenig Angebote für die Gruppe der 14- bis 17-Jährigen; das größte Angebot existiert für die 7- bis 13-Jährigen, obwohl auch hier in zwei von neun Bezirken ein rechnerisches Manko besteht.

Die Erwägung zur Schließung oder zum Erhalt wurde zunächst sehr schematisch vorgenommen; allerdings stellte sich schnell heraus, dass der einzelne Spielplatz in Lage, Funktion und Wechselwirkung mit den benachbarten Spielplätzen zu sehen ist. So werden nach sorgfältiger Abwägung und Beratung mit der Stadt Ibbenbüren vor allem Spielplätze zum Rückbau ausgewählt, deren Radien sich überdecken, also im Falle einer Schließung andere Spielgelegenheiten in ähnlicher Entfernung erreichbar sind. Zusätzlich werden Spielplätze ausgewählt, die aufgrund der Lage, Größe und der stark überalterten Spielgeräte nicht erhaltenswert sind.

Die gesamte Untersuchung wird im Sommer dieses Jahres abgeschlossen sein - die Umsetzung dürfte ein Jahrzehnt dauern, da 40 Prozent der Flächen einen hohen bis sehr hohen Aufwand zur Aufwertung benötigen. Langfristig werden die Stadt und ihre Bürger davon profitieren. Die Stadt wird in die Lage versetzt, weniger Spielflächen in besserer Qualität dauerhaft erhalten zu können und Kinder und Jugendliche finden interessante Angebote vor, die Spiel, Bewegung und Sozialkontakte fördern.

 Bianca Porath
Autorin

Landschaftsarchitektin AKNW, Planergruppe Oberhausen

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