Symbole der Demokratie werden für die Stadt Istanbul wiedergewonnen

Taksim - Platz und Park

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Stadtklima
Stiller Protest im Gezi Park, April 2012. Foto: Christine Fuhrmann

Der Taksim Platz und der angrenzende Taksim Gezi Park in Istanbul sind Symbole der Demokratie in der Türkei und gehören zum kollektiven Gedächtnis der Republik. Der Platz, der heute überwiegend als chaotischer Verkehrsverteiler für Autos und Buslinien am nördlichen Ende der zentralen Geschäfts- und Vergnügungsstraße Istanbuls, der Istiklal Caddesi, wahrgenommen wird, spielte jedoch seit dem 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle für die soziale und kulturelle Identität des modernen Istanbul. Hier wurde 1928 das zentrale "Denkmal der Republik" errichtet und in den 1950er Jahren mit dem Atatürk Kulturzentrum das wichtigste Musiktheater der Türkei eröffnet, das inzwischen seit mehr als sieben Jahren ungenutzt auf seine Renovierung wartet.

In der Nacht zum 28. Mai 2013 um halb eins kamen die Bagger, um die Bäume im Taksim Gezi Park auszureißen. Damit begannen die scheinbar unbeugsamen Proteste einer türkischen Zivilgesellschaft, die sich zum ersten Mal in der Geschichte der Republik selbst artikulierte. Die in der ganzen Welt beachtete Protestbewegung ist aus dem Widerstand einer Bürgerinitiative gegen die Abholzung der Bäume im Gezi Park hervorgegangen.

Fast unbeeindruckt von den brutalen Tränengaseinsätzen der Polizei entwickelte sich die friedliche Revolution im Taksim Park zum euphorischen Volksfest: ein Gemeinschaftserlebnis, eine Attraktion für die ganze Familie, alle Generationen, ethnischen Gruppierungen und Religionen sind vertreten.

Tatsächlich ist das einstige Vorzeigeobjekt der Republik bereits seit langem ein Zankapfel. Im Juni 2011, vor der Parlamentswahl, hatte Ministerpräsident Tayyip Erdogan eine Reihe von Großprojekten für Istanbul angekündigt. Eines war die Neugestaltung des Taksim Platzes in Folge einer unterirdischen Verkehrsführung und die Rekonstruktion einer ehemaligen Kaserne aus der osmanischen Zeit auf dem Areal des Taksim Gezi Parks.

Am 16. September 2011 wurde dieses Projekt mit den Stimmen der Opposition vom städtischen Parlament gebilligt. Aufgrund der Art und Weise des Planungsprozesses hatten sich bereits im Dezember 2011 erste Widerstände in der Bevölkerung gebildet. Daraus hervorgegangen ist auch die Bürgerinitiative Taksim Platformu, die von Architekten, Stadtplanern, Künstlern, Wissenschaftlern aber auch Anrainern gegründet wurde. Sie unternahm zahlreiche Versuche, um mit der Stadtverwaltung und dem Bürgermeister von Istanbul in einen konstruktiven Dialog zu treten. Erfolglos.

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Istanbul gehört mit mehr als 13,7 Millionen Einwohnern zu den größten Metropolen der Welt. Im rapiden Wandel der vergangenen 60 Jahre ist in der Stadt zwischen den Kontinenten eine bunt gemischte bauliche und kulturelle Vielfalt entstanden, die zu einem engen Nebeneinander und der Überlagerung von Tradition und Moderne, von Slum und Gentrifizierung, von Vernachlässigung und höchster kapitalistischer Ausnutzung geführt hat. Das Bevölkerungswachstum und die fortschreitende Verstädterung gehen einher mit hohem Ressourcenverbrauch und erhöhen den Druck auf die wenigen Freiflächen der Stadt.

Lag die Bevölkerungszahl Mitte der 1980er Jahre noch bei 4,8 Millionen, verzeichnete man im Jahr 2007 bereits 12,6 Millionen.¹) Auffällig ist, dass sich das Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum überproportional in den Außenbezirken vollzog. Der historische Kern hingegen verlor tendenziell Einwohner. Der Stadtteil Beyoglu, in dem sich Taksim Platz und Park befinden, gewann von 1985-2007 nur magere 0,02 Prozent.²)

Obwohl die Metropole mittlerweile über ein gut ausgebautes Straßennetz verfügt, versinkt die Stadt tagtäglich im Stau. Lärm und Luftverschmutzung sind die Folgen. So werden, laut einer Untersuchung der Istanbuler Verkehrsgesellschaft, 88 Prozent des Verkehrsaufkommens über die Straßen abgewickelt, nur elf Prozent über den Schienenverkehr und lediglich zwei Prozent nehmen die Fähren auf.³)

Obwohl der Ausbau des Schienennetzes zunimmt, beträgt der Anteil des motorisierten Individualverkehrs derzeit 26 Prozent des gesamten städtischen Verkehrsaufkommens. Waren im Jahr 1980 gerade einmal 200.000 Pkw in Istanbul registriert, belief sich die Zahl im Jahr 2007 bereits auf 1,7 Millionen. Die Tendenz ist steigend. Die Folgen daraus, besonders für den Taksim Platz, sind absehbar.

Die Metropolregion steht daher auch angesichts der demografischen Entwicklung, des Klimawandels sowie der Globalisierung vor besonderen Herausforderungen.

Die Stadt als Ökosystem, der städtische Lebensstil und die Wirkung von städtischen Grünflächen auf die Gesellschaft werden in diesem Zusammenhang auch am Bosporus weiter an Bedeutung gewinnen. Es ist unbestritten: Die Bereitstellung von städtischen Grünflächen und Parks ist entscheidend für die zukünftige Entwicklung von Metropolen.

Doch trotz wahrnehmbarer Anstrengungen, die zur Steigerung des Grünflächenanteils in Istanbul unternommen werden, wird das Problem der ungleichen Verteilung des Grüns nicht bewältigt. Dabei ist die Sehnsucht nach Grünräumen in der Großstadt allgegenwärtig. Noch immer gibt es Menschen, die an der Stadtautobahn inmitten der Abgase picknicken. Auch in den Parks und öffentlichen Gärten spiegeln sich die unterschiedlichen Klassen und Lebensstile wider. Die Vielfalt an Freiraumtypologien der Metropole am Bosporus macht die enge Beziehung zwischen der sozialen Bedeutung der Grünräume und deren Einfluss auf die städtebaulichen Strukturen deutlich: Erholungswert und Gesundheit, Ästhetik und Leistungswert, Biodiversität und Kulturerbe, soziale Entwicklungsmöglichkeiten und Luftreinhaltung.

Taksim Platz und Park im Bezirk Beyoglu sind Orte von besonderer Bedeutung für die Stadt Istanbul. Sie haben jedoch angesichts einer jahrelangen Vernachlässigung durch die Stadtplanung viel von ihrer ursprünglichen Qualität verloren.

Der Taksim Platz ist einer der zentralen Verkehrsknotenpunkte im europäischen Teil Istanbuls. Von hier aus führen wichtige Verbindungsstraßen in alle Richtungen: Zur historischen Halbinsel (Tarlabasi Bulvari), in den nördlichen Stadtteil Sisli (Cumhuriyet Caddesi), zum Bosporus (Inönu Caddesi) und die Istiklal (Istiklal Caddesi) hinab zum Tünel-Platz und Fährenanlegestellen. Die Istiklal, früher auch bekannt als "Grande rue de Pera" ist seit Anfang der 1990er Jahre eine Fußgängerzone. Am südlichen Eingang zum Taksim Gezi Park befindet sich ein stark frequentiertes Busterminal für Linienbusse.

An der Westseite des Parks, an der Cumhuriyet Caddesi fahren die Havatas-Shuttle-Busse zu den beiden Flughäfen Istanbuls. Der Taksim ist jedoch nicht nur Ausgangs- und Haltepunkt verschiedener Buslinien, Sammeltaxis (Dolmas) und Taxis, sondern auch Startpunkt der bisher einzigen U-Bahn Linie, die auf einer Länge von 23 Kilometer den alten Stadtteil Pera mit dem neuen Banken- und Wirtschaftszentrum Levente verbindet. Schließlich ist der Taksim Platz auch die Bergstation der unterirdisch verlaufenden Standseilbahn Kabata-Taksim.

Beyoglu ist das Zentrum des westlich geprägten Istanbuls, was sich auch an zahlreichen Bauwerken aus der Wende zum 20. Jahrhundert zeigt. Das Gebiet um den Taksim Platz gliedert sich in den zentralen Einkaufsboulevard der Metropole, die Istiklal Caddesi, das daran angrenzende Stadtquartier Cihangir, den vor allem von ärmeren Bevölkerungsschichten bewohnten Stadtteil Tarlabas? und das im Westen des Taksim Gezi Parks gelegene Hotelquartier Talimhane. In Cihangir und Talimhane haben in den vergangenen 20 Jahren Transformationsprozesse stattgefunden, die zu einer Verdrängung der eingesessenen Bevölkerung geführt haben. Das Gebiet um die Istiklal Caddesi erfährt bereits seit geraumer Zeit den Trend der Umnutzung von Wohnraum zu Gastronomieeinrichtungen.

Tarlabas? befindet sich am Anfang massiver Umgestaltungsmaßnahmen, die als Pilotprojekt für kommende Aufwertungsmaßnahmen in der Metropole dienen sollen. Die Verlegung der Cumhurriet Caddesi in den Untergrund, mit der im November 2012 begonnen wurde, war der Auftakt.

Nordöstlich wird der Taksim Platz durch das im Bezirk Sisli liegende Quartier Nisantas? begrenzt. Die Bewohner hier gelten allgemein als wohlhabend, die Grundstücke sind durch Zäune und Mauern gesichert. Weiter nördlich des Platzes nehmen sowohl geschlossene Wohnkomplexe, sogenannte gated communties, als auch hochpreisige Einzelhandelseinrichtungen zu.

Vom Exerzierplatz zum Vorzeigeobjekt der jungen Republik

Der Name des Platzes am höchsten Punkt Beyoglus leitet sich aus dem Arabischen ab und bedeutet Verteilung. 1732 wurde hier am Ende einer von Norden kommenden 23 Kilometer langen Fernwasserleitung eine Verteileranlage errichtet, um den Bewohnern der angrenzenden Stadtteile Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Mit der Einführung eines modernen Leitungssystems in den 1880er Jahren verlor der Wasserverteiler, der bis dahin vorwiegend die zahlreichen öffentlichen Brunnen speiste, zunehmend seine Funktion und wurde 1950 im Zuge der Neugestaltung des Platzes schließlich ganz außer Betrieb genommen.

Städtebaulich geprägt wurde der Taksim von der 1806 wieder aufgebauten Topcu Kaserne. Das zweigeschossige Bauwerk vermischte in historisierender Formensprache den osmanischen Baustil mit Elementen aus der russischen sowie indischen Architektur.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verlor die Kaserne immer mehr an militärischer Bedeutung. Die Gebäude blieben ungenutzt, der Innenhof wurde als Fußballstadion ausgebaut, das zeitweise den Namen Taksim-Stadion erhielt.

Im Jahr 1939 entschied die Stadt Istanbul die Kaserne aufgrund des schlechten Gebäudezustandes abzureißen. Auf dem freiwerden Areal sollte im Rahmen des Stadtverschönerungsprogramms ein öffentlicher Park nach modernem westeuropäischem Vorbild entstehen.

Die Errichtung des Denkmals der Republik im Jahr 1928 gilt als bedeutender Auftakt für die Neukonzeption des Taksim Platzes. Das vom italienischen Bildhauer Pietro Canonica entworfene Monument erinnert an die Neugründung der Republik im Jahr 1923. Das elf Meter hohe Ehrenmal zeigt unter anderen den Gründer der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk und Mitglieder seiner Regierung.

Nachdem man die Topcu-Kaserne abgerissen hatte und damit auch die Spuren der osmanischen Vergangenheit auslöschte, entstanden zuerst die Inönü-Promenade und schließlich der Inönü-Park. Das Großprojekt sollte den Platz zum Zentrum einer modernen Metropole Istanbul machen. Der Taksim Platz wurde zum Vorzeigeobjekt der Nation.

Der Generalplan für das neue Istanbul, erarbeitet unter der Federführung des französischen Architekten und Stadtplaners Henri Prost, sah vor, die Quartiere Harbiye und Beyglu mit neu zu entwickelnden Stadtgebieten im Norden zu verbinden.4) Dazu sollten der Taksim Platz und seine Umgebung öffentliche Freiflächen, Parkanlagen, Plätze erhalten, die sowohl zur Erholung dienen als auch kulturelle Funktionen erfüllen konnten.

Der Platz wurde zum Ort für öffentliche Veranstaltungen, Kundgebungen und Paraden. Eine höher gelegene Plattform bot einen guten Überblick über das Geschehen. Inönü-Promenade und Park waren im streng formalen Stil angelegt. Konzept und Gestaltungselemente wurden der französischen Gartenkunst entnommen: Geometrische Formen, geschnittene Hecken, Blumenparterre, Baumreihen und Wasserspiele gliederten die Anlagen. Im Kontrast dazu stand der landschaftlich gestaltete Taksim Garten, der heutige Iciyoln-Park, nördlich des Inönü-Parks.

Der Masterplan von Prost sah ursprünglich eine größere zusammenhängende Parklandschaft (Parc Nr. 2) vor, die sich nach Norden erstrecken sollte. 1949 wurde dafür eigens eine Fußgängerbrücke errichtet, jedoch wurde dieser Park nie verwirklicht. Stattdessen entstanden in den Folgejahren immer mehr neue Gebäude. Schließlich blieb der heute als Taksim Gezi Park bezeichnete Bereich erhalten.

Er ist einer der wenigen noch nutzbaren und stark frequentierten Grünanlagen in Beyoglu. Jedoch entspricht er nur noch begrenzt den zeitgemäßen Anforderungen an öffentliche Freiräume. Besondere Qualität bietet der 70 Jahre alte Platanenbestand, der die Anlage heute prägt sowie eine aus der Bauzeit erhaltene, weit sichtbare Wasserfontäne im Norden des tiefer gelegenen Parterres. Voller informeller Parkplätze und von den benachbarten Bezugsräumen aus schlecht erreichbar, bedarf der Park zweifellos einer Überarbeitung, insbesondere auch einer besseren Anbindung an angrenzende Freiräume und den Taksim Platz. Die Nutzer des Parks gehören überwiegend zur mittleren bis niedrigen Einkommensgruppe. Besucht wird er vor allem tagsüber. 45 Prozent der Menschen benutzen den Park, um sich auszuruhen und um Zeit zu überbrücken. Wegen der zentralen Lage, wird der Park von 18 Prozent der Nutzer auch gerne als Treffpunkt bevorzugt.

Die Zufriedenheit mit dem Taksim Park ist im Vergleich zu den großen Waldparks im Norden der Stadt jedoch gering.

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Im Park gibt es ein Teehaus mit Blick auf den Bosporus, wo der Tee lediglich zwei Lira kostet. Wenn im Gezi Park ein Luxushotel oder Einkaufszentrum entsteht, wird es auch in diesem Teil der Stadt nur noch den Fünf-Euro-Cappuccino geben, wie in so vielen anderen gentrifizierten Quartieren Istanbuls. Mit dem Bau würde der Park, der jetzt noch für alle Bevölkerungsschichten zugänglich ist, zum Luxusobjekt werden.

Im Januar 2012 hatte die islamisch-konservative Stadtverwaltung erstmals ein Informationsvideo der Neuplanungen veröffentlicht. Kritischen Initiativen, wie beispielsweise Taksim Platformu und Experten erschien dieses widersprüchlich und für die Qualität dieses wichtigen Gelenks zwischen dem historischen Beyolu, dem neuen nördlichen Wirtschaftszentrum in Sisli (Levent) und dem Entwicklungsraum am Bosporus unzureichend. Fragen, wie etwa nach der Nutzung und Funktion der geplanten Rekonstruktion der einstigen Topku-Kaserne und der Nachhaltigkeit des Projektes wurden nicht beantwortet.

Besonders aber wurde der Versuch kritisiert, die Veränderungen ohne angemessene öffentliche Diskussion von Alternativen, wie beispielsweise die Auslobung eines städtebaulichen Wettbewerbs, durchzusetzen. Denn die Neuplanung hat weitreichende Konsequenzen für die Nutzer und Anrainer des Taksim Platzes und Parks. Vorgesehen als reines Verkehrsprojekt, würden soziale, ökologische sowie stadtstrukturelle Entwicklungen nicht oder nur marginal berücksichtigt. Dennoch wurde von der Bürgerinitiative bewusst kein Gegenentwurf vorgelegt. Interessante Vorschläge zur Neugestaltung gab es bereits viele.

Die Neuplanung für den Taksim Platz und Taxim Gezi Park stand auch im Mittelpunkt eines Forschungsprojektes am Lehrstuhl Landschaftsplanung und Freiraumgestaltung der BTU Cottbus.5) Die komplexe Fragestellung machte - neben einer umfangreichen Analyse (Freiraum, Städtebau, Verkehr, soziokulturelle Aspekte) - auch planerische Interventionen notwendig, die die unterschiedlichen Facetten städtischer Entwicklung berücksichtigen: die Einbindung in die städtischen Funktionen, Freude am öffentlichen Raum, politische Repräsentanz und ökonomische Tragfähigkeit. Umweltbelange und ökologische Nachhaltigkeit standen den gestalterischen Anforderungen an einen zentralen öffentlichen Raum der Metropole gegenüber.

Die entwickelten Studien sollten sowohl Anregungen für die vor Ort tätigen Initiativen bieten als auch für die Verantwortlichen der Stadtverwaltung. Sie wurden mit Wissenschaftlern der Technischen Universität Istanbul und Bürgern in einem Workshop im September 2012 diskutiert und so einem Realitätstest unterworfen.

Betrachtet man zunächst die Überlagerung aus der Planzeichnung der Neuplanung und den Zustand des Platzes im Jahr 2011 aus einem Luftbild, werden die wesentlichen Veränderungen deutlich. Die größte Maßnahme ist die Neuordnung des Verkehrs in den Untergrund. Das vorgelegte Projekt sieht eine Untertunnelung vor, die sowohl den Autoverkehr als auch den ÖPNV unter den Platz verlagert. Die Qualität des vorgelegten Konzeptes liegt darin, den Verkehr unterirdisch zu organisieren und somit oberirdisch einen großen öffentlichen Freiraum zu schaffen.

Die Grünanlage um das Denkmal der Republik bleibt unangetastet, der Taksim Gezi Park allerdings muss einem Neubau weichen, der in Grundriss und Ansichten die ehemalige Topcu-Kaserne rekonstruiert. Als Grünanlage bleibt lediglich der sich im Norden des Gezi Parks anschließende Iciyoln-Park erhalten.

Wie der Platz seine Verteilerfunktion für den Anliegerverkehr zukünftig erfüllen kann, bleibt jedoch offen. Aus den Planungen geht auch nicht hervor, welche Gestaltungs- und Aufenthaltsqualitäten der verkehrsfreie Platz haben wird. Doch gerade darin liegt das große Potenzial der Neuplanung. Die Erarbeitung eines auf die Bedürfnisse aller Nutzer abgestimmten Freiraumkonzepts: ein Freizeit- und Erholungsraum, Repräsentationsraum, Naturraum und Bildungsraum. Ein Ort der Kommunikation, zum Sport machen, zum Spazierengehen, sich treffen, sonnen und entspannen.

Die Planungen für das Großprojekt berauben die Innenstadt zwischen Beyoglu und den nördlichen Geschäfts- und Wohnzentren eines Parks, der das Potenzial hat, zum Kumulationspunkt eines zentralen Grünraumsystems entwickelt zu werden. Dass Platz und Park einer planerischen Überarbeitung bedürfen, ist seit langem ein Thema der stadtpolitischen und planungsprofessionellen Diskussion in Istanbul. So wurde begrüßt, dass die Stadtverwaltung sich dieses Themas annimmt. Dass jedoch ohne angemessene Beteiligung der Öffentlichkeit und der Professionellen, eine als alternativlos dargestellte Planung innerhalb weniger Wochen, trotz offensichtlich nicht gelöster Probleme, durchgesetzt werden soll, wurde von Initiativen aus der Bürgerschaft heftig kritisiert.

Der Vergleich mit anderen Metropolen macht deutlich, dass eine Untertunnelung in Innenstädten heute weder zeitgemäß noch nachhaltig ist. Gefragt sind insbesondere alternative Lösungen zur Verkehrsreduzierung, sowie neue Konzeptansätze für die Organisation des Straßenverkehrs. Da Grünräume in Istanbul ohnehin ein knappes Gut darstellen, sind besonders Alternativen für den zukünftigen Umgang mit dem Taksim Gezi Park, sowie den sich daran anschließendem Iciyoln-Park zu prüfen.

Bis heute wartet die türkische Gesellschaft auf eine umfangreiche Änderung der Verfassung von 1980, die von Generälen nach dem Militärputsch erarbeitet wurde. Die Novellierung soll die türkische Verfassung an die Normen der europäischen Demokratie anpassen und die Rechte sämtlicher ethnischer Gruppierungen und Religionen schützen. Auf dem Taksim Platz und im Gezi Park zeigte sich, dass genau diese Verschiedenheit als Vielfalt gelebt werden kann. Auch wenn die Zukunft des Taksim Gezi Parks bisher noch ungewiss ist, die Protestbewegung hat das Land heute bereits nachhaltig verändert.


Anmerkungen

¹) Vgl. Harluk Gercek, Orhan Demir: Urban mobility in Istanbul. Final Report. Istanbul Technical University. 2008, S. 11.

²) Die Zahlen resultieren einerseits aus der massiven Zuwanderung aus den ländlichen Gegenden der Türkei und der mit damit einhergehenden Suburbanisierung am Stadtrand, anderseits sind sie ein deutlicher Beleg für die Umstrukturierungsprozesse in Beyoglu.

³) Vgl. Orhan Demir: The City and its Spatial Components. Istanbul Technical University. 2008, S. 9.

4) Henri Prost (1874-1959) arbeite von 1936 bis1951 in Istanbul als Architekt und Stadtplaner. Nach zweijähriger Analyse präsentierte er im Jahr 1937 den Masterplan für die europäische Seite Istanbuls, der zwei Jahre später von der türkischen Regierung bewilligt wurde. Der Masterplan für das moderne Istanbul wurde in zwei Teilen entworfen und dargestellt: für das alte Istanbul, folglich die historische Halbinsel und für Pera-Galata, auf dem sich der Taksim Platz befindet. Prost war ein vehementer Gegner von Landschaftszerstörung und Zersiedelung. Die Planungen des heutigen Taksim Platzes und erhaltenen Teilen des Gezi Parks gehen auf seine Entwürfe Anfang der1940er Jahre zurück.

Zu seinem Wirken in Istanbul vgl. M. Baha Tanman, F. Cana Bilsel (Hrsg.) From the Imperial Capital to the Republican Modern City: Henri Prost's Planning of Istanbul (1936-1951). Istanbul 2010.

5) Vgl. BTU Cottbus-Senftenberg. Lehrstuhl Landschaftsplanung und Freiraumgestaltung: Reclaiming Taksim Square for the City. Ergebnisse des Forschungsprojektes mit umfangreichem Kartenmaterial. Cottbus 2012. Unveröffentlicht.
Dr. Christine Fuhrmann
Autorin

Professur an der Internationalen Hochschule/Fernstudium in Erfurt Landschaftsarchitektur

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