Zur Erhaltung eines baukulturellen Erbes in Vorarlberg

Trockenmauer-Handwerk als transnationales Kulturerbe

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Trockenmauern Baustellen
Die Vanovagasse verbindet seit dem 15. Jahrhundert die Blumenegg-Gemeinden Bludesch und Thüringen im Walgau, Vorarlberg. Im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojekts wurden zwei Abschnitte ihrer Stützmauern saniert. Foto: Ingrid Schegk

Während die bestmögliche Bewahrung schützenswerter historischer Gebäude in Städten in der Regel unter Aufsicht der Denkmalbehörde und mit erfahrenen Fachleuten erfolgen kann, stellt die Erhaltung gebauter Elemente in der Kulturlandschaft vielfach alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Oft fehlen Forschungen und Methoden der Bewertung vernakulärer Objekte sowie Mittel und Kenntnisse zur Durchführung ihrer fach- und sachgerechten Instandsetzung und Erhaltung. Hinzu können Erschwernisse aus schwer zugänglicher Lage und den vielfältigen unmittelbaren Umwelteinflüssen kommen.

Wie eine angemessene Sanierung durch internationale Zusammenarbeit gelingen kann, zeigt das Beispiel der Vanovagasse in Vorarlberg, Österreich.

Erhebung historischer Mauern in Vorarlberg

Grundlage dieses grenzüberschreitenden Kooperationsprojekts bildete ein Forschungsvorhaben an der Universität für Bodenkultur Wien, bei dem im Auftrag der Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg historisch bedeutende Mauern inventarisiert wurden. "Neben den Aufnahmen der Mauern im Gelände bildeten historische Kartenwerke und Quellen des Vorarlberger Landesarchives wesentliche Grundlagen der Forschungen" (Drexel, Lochner: 2015: 143). Hierbei wurden auch die beeindruckenden Stützmauern entlang der Vanovagasse, einer etwa 400 Meter langen Wegeverbindung zwischen den Blumenegg-Gemeinden Bludesch und Thüringen, erfasst. Der Name kommt von "Vianova" beziehungsweise "via nova", der neue Weg, und wurde bereits 1471 erwähnt (Jussel: 1994: 112). Der Weg führt vom Tal zu einer etwa 60 Meter höher gelegenen Ebene, "Jordan" genannt. Früher stand hier das Jordanschloss, das die Terrasse oberhalb der Mauer für den damals hier verbreiteten Weinbau nutzte. Die Mauern im Bereich des Jordan bilden ein Gesamtensemble, in dem die Vanovagasse mit ihrer bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte eine besondere Bedeutung einnimmt.

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Die Stützmauer der Vanovagasse erreicht Höhen bis 3,50 Meter und wird von Strebepfeilern verstärkt. Foto: Ingrid Schegk
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Verstürzter Mauerbereich oberhalb eines Entlastungsbogens. Foto: Ingrid Schegk
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Typischer Wasserauslass zur Entwässerung der Mauerrückseite. Foto: Ingrid Schegk

Trockenmauern als Landschaftselement und Kulturgut

Die Wegeverbindung wird hang- und talseitig von Trockenmauern gestützt, deren Entstehung wohl auf die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert werden kann (Drexel, Lochner: 2015: 146). Als Trockenmauern oder Trockensteinmauern werden Wandkonstruktionen bezeichnet, die aus lokal verfügbaren Natursteinen ohne Verwendung von Mörtel oder Beton, also trocken, aufgeschichtet werden. Derartige Mauern prägen viele historisch entstandene Kulturlandschaften als zweihäuptige, das heißt freistehende, Grenz- beziehungsweise Weidemauern oder einhäuptige Terrassenmauern, die oft in Verbindung mit Wein- oder Obstgärten zu finden sind. Ihre Errichtung ist eine über Jahrhunderte bewährte Handwerkskunst. Als vergleichsweise sanfter Eingriff in die Landschaft erfüllen sie eine Vielzahl von ökologischen, technischen und landschaftskulturellen Funktionen: sie bewirken ein spezielles Kleinklima, regulieren den Wasserhaushalt, bieten Lebensraum für zahlreiche, auch bedrohte Pflanzen- und Tierarten und prägen das Landschaftsbild sowie die örtliche Identität der Kulturlandschaft (Schegk: 2013: 80f.).

Die überwiegend aus Kalkstein errichteten Stützmauern der Vanovagasse beeindrucken mit ihrer Bauhöhe von bis zu 3,50 Meter und ihren aufwändigen Baudetails wie Strebepfeiler, Bögen, Treppenaufgänge, Entwässerungsöffnungen und in die Mauer eingelassene Nischen. Die insgesamt acht Strebepfeiler, vier schmalere mit 70 bis 80 Zentimeter Breite und vier breitere mit 90 bis 110 Zentimeter, erfüllen vorrangig statische Funktionen und sichern die Standsicherheit der Stützmauer im Bereich ihrer höchsten Abschnitte. Bögen im Trockenmauerwerk können unterschiedliche Funktionen erfüllen: Als statisch wirksame Spann- oder Entlastungsbögen nehmen sie die Druckkräfte der darüber liegenden Mauerschichten auf und entlasten so die darunter liegenden Partien. Die Last wird über den Bogen abgetragen. In anderen Fällen dient der Bogen ähnlich einem Torbogen zur Überbrückung von Felspartien oder ähnlichen Hindernissen (SUS: 2014: 136).

Im Bereich der Vanovagasse sind zwei Bögen, vermutlich Entlastungsbögen, zu finden, einer davon halb verfallen. Auch Stufen und Treppen sind typische Elemente in Verbindung mit Stützmauern. Sie verlaufen je nach Funktion und Platzangebot parallel zur Mauer oder in Falllinie, wodurch die Treppe eine Zusatzfunktion als Entwässerungselement übernehmen kann. Im Bereich eines Mauerrücksprungs im mittleren Teil der Vanovagasse sind die Reste eines Treppenaufgangs zu finden, die den Weg mit den höher gelegenen Weinterrassen verband. Die beiden Mauernischen, von denen eine bemerkenswerte 120 Zentimeter tief ist, waren zur Deponierung von Werkzeug in Verbindung mit dem früheren Weinbau oder auch zur kühlenden Lagerung von Proviant bestimmt (Drexel, Lochner: 2015: 145).

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Der näher bei Bludesch gelegene (untere), besonders anspruchsvolle Bauabschnitt am dritten Arbeitstag. Foto: Ingrid Schegk
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Der näher bei Thüringen gelegene (obere) Bauabschnitt am dritten... Foto: Ingrid Schegk
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... und am fünften Arbeitstag. Foto: Ingrid Schegk

Internationaler Workshop als Initialprojekt

Nachlassenden Unterhalt und Bau- und Rodungsmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit zog die Mauern stark in Mitleidenschaft. Durch partielle Verstürze und intensives spontanes Vegetationsaufkommen droht sogar der abschnittsweise Verlust des kulturhistorisch bedeutenden Landschaftselements, das als Wander- und Spazierweg auch für Naherholung und Tourismus eine Rolle spielt. Mit dem Ziel, den funktionsfähigen Zustand der Stützmauer in zwei repräsentativen Teilabschnitten wiederherzustellen und dabei Wissen und handwerkliches Knowhow für weitere Bauabschnitte zu generieren, fanden sich im Mai 2016 drei Kooperationspartner aus den Nachbarländern Österreich, Deutschland und der Schweiz zusammen: Unter der Koordination von Dr. Anita Drexel vom Fachbereich Landschaftsbau am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur in Wien arbeiteten eine Woche lang Studierende und Lehrende an der Instandsetzung der Trockenmauer. Unterstützt wurden die Wiener von Studierenden des Studiengangs Landschaftsbau und -Management der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Deutschland, die teilweise schon Vorkenntnisse in Steinbearbeitung und im Trockenmauern mitbrachten, sowie neben zwei Asylanten sechs erfahrene Mauerbauer der Gemeinden und der Straßenbauabteilung des Landes. Das handwerkliche Know-how vermittelten Trockenmauer-Experten aus der Schweiz. Die Stiftung Umwelt-Einsatz Schweiz (SUS) macht sich seit Jahrzehnten um die Erhaltung von trocken gemauerten Bauelementen in der Kulturlandschaft verdient und hat inzwischen Wissen und Erfahrungen um das traditionelle Handwerk in einem Standardwerk veröffentlicht (SUS: 2014). Sie stellte zwei ihrer Fachleute zur Verfügung, die Studierenden und einigen mitwirkenden Vorarlbergern fachgerechte Anleitung gaben.

Tag für Tag war der Baufortschritt ablesbar: Zunächst wurden die verfallenen Teile der Trockenmauer abgetragen, dabei Gehölzaufwuchs gerodet und brauchbare Mauersteine gesichert. Daraufhin wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. Hierzu wurden wieder verwendbare alte und neu gelieferte Steine in ausgewogener Durchmischung verwendet. Zudem musste der Mauerwerksverband der neugebauten Abschnitte der Bauweise der bestehenden Trockenmauer angepasst werden.

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Der wiedererrichtete Treppenaufgang zu den ehemaligen Weinterrassen. Foto: Ingrid Schegk
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Der neu angelegte Sitzplatz am oberen Beginn bzw. Abschluss der Vanovagasse. Foto: Ingrid Schegk
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Die sanierte Trockenmauer nach drei Monaten. Foto: Anita Drexel

Eine technische Herausforderung bestand darin, die Mauer so standsicher zu bauen, dass sie sowohl dem Erddruck als auch einer langfristigen Befahrung durch landwirtschaftliche Maschinen im Bereich der Mauerkrone standhält. Damit beim Mähen keine Schäden verursacht werden, wurde auf häufig zweckmäßige große, schwere Abdeckplatten verzichtet. Stattdessen wurde die Mauerkrone mit kleineren Steinen ausgebildet, sodass die Vegetationsdecke der anschließenden Wiesenfläche bis auf die Mauerkrone reicht. Besonderer Wert wurde auf eine sorgfältige Hintermauerung gelegt. Die Bauleitung oblag dabei den Experten der Stiftung Umwelt-Einsatz Schweiz. Neben den ortsspezifischen Lösungen vermittelten sie schrittweise die wichtigsten allgemein gültigen Prinzipien, "die 10 goldenen Regeln", des Trockenmauerbaus (SUS: 2014: 311).

Vielmehr als die meisten als Baudenkmale geschützten Gebäude stellen Trockenmauern als Kulturlandschaftselemente ein besonders lebendiges Erbe dar, das durch den ständigen Instandhaltungsbedarf immer ein wenig die Handschrift der jeweiligen Maurer trägt. So wurde der Treppenaufgang wiederhergestellt, dessen Dimensionierung und genauer Verlauf nur anhand der örtlichen Gegebenheiten rekonstruiert werden konnte. Den oberen Beginn und Abschluss der Vanovagasse markiert nun eine trocken gemauerte Sitzbank mit Rückenlehne, die als neu interpretierter Beitrag der heutigen Bedeutung des Weges für Naherholung und Tourismus in angemessener Weise Rechnung trägt und im positivsten Sinne Aufmerksamkeit für das Projekt bewirken kann.

Das Sanierungsprojekt zu den ersten beiden Abschnitten der Vanovagasse zeigt beispielhaft, wie Forschung, Planungspraxis und Handwerk zur Erhaltung bedeutender Kulturlandschaftselemente zusammen wirken können und wie dabei Wissen um kulturhistorische Zusammenhänge und traditionelle Bautechniken wiederbelebt, vermittelt und dokumentiert werden kann. Für die Zukunft sind in den Gemeinden Bludesch und Thüringen weitere Sanierungsprojekte geplant, ein Folgeprojekt möglicherweise bereits 2017. Regelmäßige Kontrollgänge und Pflegemaßnahmen auf Basis eines vereinbarten Pflegekonzeptes sollen überdies das erneute Aufkommen von Bewuchs verhindern und den Erhalt der Mauern sichern.

Trockenmauer-Handwerk als transnationales Kulturerbe

Die Erforschung und Erhaltung des kulturellen Erbes in der Landschaft, insbesondere auch von Kulturlandschaftselementen aus Trockenmauerwerk, wurde in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr Gegenstand von Workshops, internationalen Tagungen und transnationalen Netzwerken. Trotzdem besteht hier noch weiterer Bedarf, sowohl in regionaler als auch in überregionaler, grenzüberschreitender Dimension. Neben der technisch-landschaftsbaulichen Komponente könnte insbesondere auch die sozio-kulturelle Bedeutung dieser meist anonym - ohne bekannte Baumeister - und kollektiv entstandenen Bauelemente interessant sein (Schegk: 2013: 91). So erscheint folgerichtig, dass eine Reihe von besonders trockenmauerreichen Ländern wie Frankreich, England, einige Mittelmeerländer und die Schweiz derzeit den multinationalen Antrag vorbereiten, das Handwerk des Trockenmauerns als immaterielles Welterbe mit transnationaler Bedeutung in die Liste der UNESCO aufzunehmen. Es ist anzustreben, dass sich weitere Länder wie etwa Deutschland und Österreich anschließen. Dies könnte eine Chance bedeuten, Forschung und Wissenstransfer weiter voranzutreiben.

Literatur

Drexel, Anita; Lochner Stefan (2015): Die Geschichte der Vanovagasse und des Jordangutes in Bludesch. In: Montfort Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs, Band 1/2015, S. 143-151.

Drexel, Anita; Stefan Lochner (2014): Inventar historischer Mauern - Gemeinden Bludesch, Thüringen und Ludesch, Wien.

Jussel, Guntram (1994): Dorfbuch Bludesch. Von den Rätoromanen zur II. Republik. Geschichte und Gegenwart einer Walgaugemeinde, Bludesch.

Schegk, Ingrid (2013): Trockenmauern - Steinerne Linien der Kulturlandschaft mit vielschichtiger Bedeutung. In: Siegesmund, Siegfried; Rolf Snethlage (Hg.): Naturstein in der Kulturlandschaft, Osnabrück, 2013, S. 80-95.

Stiftung Umwelt-Einsatz Schweiz - SUS (Hg., 2014): Trockenmauern. Grundlagen, Bauanleitung Bedeutung. Bern, Stuttgart, Wien.

Ass. Prof. Dr. Anita Drexel
Autorin

Universität für Bodenkultur Wien
Prof. Ingrid Schegk
Autorin

Lehr- und Fachgebiet Baukonstruktion und Entwerfen

Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

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