Peter Funken

Unter Bäumen, Die Deutschen und der Wald

Bücher Bäume
ISBN 978-3-942422-70-3

Herausgegeben von: Ursula Breymayer; Bernd Ulrich; Deutsches Historisches Museum, 320 Seiten, 243 meist farbige Abb., Format 28 x 21 cm, Festeinband, erschienen 1. 12. 2011 anlässlich der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Einzelpreis: 38,00 Euro, ISBN 978-3-942422-70-3.

In Deutschland war der Wald immer ein "deutscher" Wald. Seit dem 18. Jahrhundert wurde er zum Symbol einer Nation, die nach ihrer Identität suchte. Davon handelte eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, doch thematisierte sie den Wald auch unter ökologischen, wirtschaftlichen, künstlerischen, touristischen oder kriminologischen Gesichtspunkten.

Vermeintlich beginnt die deutsche Geschichte im Wald: Darin sind die Deutschen ein "Waldvolk", das seine Gegner aus dem Unterholz angreift. Solche aus römischen Quellen abgeleiteten Zuschreibungen wurden Ende des 18. Jahrhunderts populär. Vor allem die Besetzung durch Napoleons Truppen und die folgenden "Befreiungskriege" (1813-1815) beförderten die Sehnsucht nach politischer Einheit und machten den Wald zum nationalen Symbol der Deutschen. Zunächst formte die Literatur die Wahrnehmung des Waldes. Eingebunden in die Romantik und eins mit ihren Motiven prägten Dichter wie Uhland und die Brüder Grimm, Maler wie Caspar D. Friedrich oder Kersting die um sich greifenden Deutungen eines "deutschen" Waldes.

Dichtung, Musik und Malerei inspirierten sich seitdem wechselseitig. Patriotische Inhalte finden sich darunter, ebenso wie Märchen-, Natur- und Stimmungsbilder. Der Wald als "Seelenort der Nation" verankerte sich fest im deutschen Bewusstsein und prägte das kulturelle Selbstverständnis, dies nicht nur dann, wenn man tatsächlich unter Bäumen wandelte. Zu diesem Mythos zeigte die Ausstellung etliche gemalte Walddarstellungen, beginnend mit Friedrichs "Kreuz im Gebirge" (1823) bis hin zu Anselm Kiefers "Hermannschlacht" (1977).

Doch rasch begriff man, der mythische Wirkungsgehalt des Waldes war nach 1960 für Künstler kein Thema mehr - Martin Kippenberger brachte dies 1990 mit seiner Installation "Ich geh jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald" auf den Punkt. Auf Münzen war das symbolische Abbild des Waldes jedoch auch später aktuell - das galt für das Geld der DDR wie der alten BRD, auf deutschen Euro-Münzen findet sich auch heute Eichenlaub.

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Rast im Wald, Fotografie, 1930 Voller Ernst Gbr, Berlin.

Über Wald und Ökonomie bemerkte der Soziologe Walter Sombart 1902: "Aus dem Wald ist alle europäische Kultur, die geistige nicht minder als die materielle, hervorgegangen." Als "politische Landschaft" ist uns der Wald aber suspekt geworden. Allzu lange war er aber ein politischer Tatort, in dem der Kriegstoten gedacht wurde und wo sich "Volksgemeinschaften" verschworen. So kann es kaum wundern, dass im Kaiserreich, im Nationalsozialismus und in der Adenauer-Ära die Formel, dass der Wald immer ein "deutscher Wald" ist, emotional und politisch aufging: Jedem Gefallenen im Ersten Weltkrieg sollte in Heldenhainen ein Baum gepflanzt werden, der Wald wurde damit zum Einheits- und Erinnerungsraum stilisiert. Nach 1933 war es den Juden verboten, Wälder zu betreten, sie wurden zu "Waldfeinden" erklärt. Den Nazis war der Wald Vorbild für ihre Volksgemeinschaft. In dem Film "Ewiger Wald" (1936) raunt die Erzählerstimme aus alten Zeiten: "Der König will, dass der Wald stehe akkurat, wie Soldat an Soldat." Die Propaganda trieb die Analogie noch weiter: Baumschulen sind wie die Kadettenanstalten, nach drei Jahren wird der junge Baum Teil des Waldes, der Kadett Element des Heeres.

Nach 1945 wurde aus dem Nationalsymbol eine Heimatschmonzette. Das Motto der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald lautete: "Tu' dem Wald kein Leid, er ist der Heimat schönstes Kleid." Heimatfilme und -romane hatten die Funktion der besiegten Nation - die meisten Deutschen fühlten sich ja nicht befreit - Identität und Selbstverständnis wiederzugeben. Wer in zerstörten Städten lebte, wollte wenigstens im Film heile Natur sehen. Im Kitsch fand das falsche Bewusstsein die passenden Motive - etwa den röhrenden Hirschen, dem in der Ausstellung eine ganze Wand gewidmet war.

Ein Rest des Wald-Klischees haftete später noch Bundespräsidenten Carl Carstens an, der in seiner Amtsperiode 1976-1979 deutsche Wälder wandernd durchschweifte und die Bürger aufforderte, ihn zu begleiten. Genau in diesen Jahren brach mit "saurem Regen" und "Waldsterben" die harte Wirklichkeit über die Wälder herein. Das Waldsterben wurde in Westdeutschland intensiv debattiert, während es in den meisten Nachbarländern kaum Thema war. Seit 1983 hat sich stattdessen für festgestellte Schadensbilder der Begriff "neuartige Waldschäden" etabliert. Der Geobotaniker Heinz Ellenberg bezeichnet das "Waldsterben" als ein Konstrukt, das durch Anwendung einheitlicher Schätzungshilfen auf standörtlich unterschiedliche Waldflächen und in witterungsmäßig ungleichen Jahren zustande kam. Doch hatte die Sache erhebliche Auswirkungen auf Politik und Industrie und gilt als wesentlich für den Aufstieg der grünen Partei. Das "Waldsterben" wurde in soziologischen Forschungsprojekten behandelt. Die deutsche Forschungsgemeinschaft förderte ein großes Projekt unter dem Titel "Und ewig sterben die Wälder".

Heute ist der deutsche Wald befriedet - er ist forstwirtschaftlicher Produktionsraum und Erholungsgebiet, selbst wenn in einigen Teilen die Wölfe wieder heimisch werden. Nicht allein deshalb ist der Wald ein unheimlicher Ort - davon handelten in der Ausstellung Filmbeispiele, die Mord und Gewalttaten zeigten etwa im Roman "Berlin Alexanderplatz". Drastisch erzählt Alfred Döblin von einer Frau, der Hure Mieze, die von Reinhold im Wald umgebracht und verscharrt wird: "Es ist acht Uhr, der Wald ist mäßig dunkel. Die Bäume schaukeln, schwanken. War eine schwere Arbeit. Sag die noch wat?"

Versöhnlich stimmt hingegen ein Vers aus dem Gedicht von Erich Kästner Die Wälder schweigen von 1959: "Die Seele wird vom Pflastertreten krumm, Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden und tauscht bei ihnen seine Seele um. Die Wälder schweigen, doch sie sind nicht stumm, und wer auch kommen mag, sie trösten."

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