David Rothenberg

Unterwegs in Parks und freier Natur: Von Nachtigallen und anderen Klangkünstlern

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Neben dem Hörbuch gibt es Hinweise auf weitere Klangbeispiele verschiedener Künstler, so auch auf Rothenbergs www.nightingalesinberlin.com Abb.: Rowohlt Verlag

David Rothenberg, geboren 1962, ist nicht nur us-amerikanischer Jazzmusiker und Komponist, sondern lehrt auch Philosophie und Musik am New Jersey Institute of Technology in Newark. Ein beruflicher Hintergrund, der die Sicht auf die "Stadt der Nachtigallen. Berlins perfekter Sound" prägt.

Die Singvögel kommen in den USA nicht vor, in den Berliner Gärten und Parks aber besonders häufig, sogar mitten im tösenden Autoverkehr. Ein Ort, an dem Rothenberg die bereits Millionen Jahre alte Vogelart mit der Klarinette begleitet: "Ich musiziere mit anderen Spezies und spüre ihnen auf der ganzen Welt nach, begleite sie mit der Klarinette, lebe in ihren Habitaten und kreiere Musik mit Klängen, die ich vielleicht niemals verstehen werde, aus Tönen, die nicht für mich gesungen werden."

Rothenberg ist in der ganzen Welt unterwegs, um neue Naturgesänge einzufangen. Neben der Nachtigall ist es auch der Buschrohrsänger, der ihn fasziniert und gegen den die Nachtigall sogar ganz kümmerlich klingen soll. Er berichtet von seinen Begegnungen mit anderen Musikern und Klangkünstlern, die sich wie er den Klängen und Geräuschen der Natur verschrieben haben. Rothenberg lässt uns in neun Kapiteln an seiner Sound-Arbeit teilnehmen und klärt uns auf über die unterschiedlichen Nuancen des Nachtigallen Grooves. Er entdeckt einen schnalzenden, klickenden Sound, der nur durch seine seltene Verwendung besondere Wirkung entfaltet, den Buri-Ton.

Auch wenn er einige Gedichte über Nachtigallen parat hat, erzeugt seine Ich-Erzählung mit vielen kleinen Episoden des Entdeckens und Teilens neuer Klänge keine romantischen Stimmungen. Im Gegenteil. Den Vogelgesang mit seinen mehr als 200 möglichen Texturen empfinden wir zwar als schön, doch ist er auch von vielen Unregelmäßigkeiten und Irritationen begleitet. Eine Musik, von der Sir William Temple schon 1691 schrieb, dass Chinesen solch einen Klang als Scharawaji bezeichneten, dessen Grundcharakter gewollt unregelmäßig sei.

Dabei sind es nicht nur die Rhythmen, denen Rothenberg sich musikalisch nähert und von denen er sich nährt. Er will als Musiker auch der nichtmenschlichen Natur ganz nahe sein, sich verbunden fühlen mit dem Fremden, mit dem er sich auf respektvolle Weise vertraut macht - mit Distanz und Einfühlung zugleich. Bei so viel Dialektik kommt einer seiner Gesprächspartner, der Klangkünstler Fung (alias Lars Frederiksson) aus Stockholm, der sich dem Zirpen von Grillen verschrieben hat, schließlich hegelianisch daher: Der Klang der Natur "sollte, wenn es denn funktioniert, größer sein als seine Teile, genau wie die Natur größer ist als jede einzelne Spezies, die ein Teil von ihr ist." Fungs Begeisterung für die schwirrenden Geräusche, die die in seiner Wohnung gezüchteten 108 Grillenarten erzeugen, beschreibt er als absolut und total. Große Worte - denen Rothenberg weitgehend nüchtern begegnet, weil er seine Begeisterung für Naturerkundungen und -Klänge mit den Grenzen des Musizierens und Forschens kontrastiert. Sehr drastisch zum Beispiel, als er von den gruseligen Geräuschen berichtet, die ein Grizzly-Bär und sein schreiendes Opfer hervorbringen, ein Naturforscher, der die Regeln von Nähe und Distanz nicht beachtet hatte. Einer Nachtigall genau zuzuhören heißt für ihn, "die Kraft eines Musikers zu erleben, der kein Mensch ist, eines Überbringers von ebenso alten wie zukunftsweisenden Klängen. Urzeitlich und elektronisch zugleich, ist das Hin und Her ihres Pfeifens und Kratzens unzweifelhaft Musik".

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Darstellung der kontinuierlichen Amplitude von vier Liedern. Abb.: Tina Roeske

Rothenberg hält nichts davon, den Gesang von Nachtigallen in Noten zu transkribieren. Dennoch anerkennt er eine ihm völlig entgegengesetzte Vorgehensweise, wenn etwa Wissenschaftler*innen anhand von hunderten von Nachtigallen-Aufnahmen die Grundstrukturen ihrer Musik analysieren. Rothenberg erklärt, wie ihre Laute Klangteppiche erzeugen, die sich als Sonogramme dokumentieren lassen. Eine Systematik ist visuell erkennbar: Verzögerungs- und Groove-Effekte wechseln mit Remix-Qualitäten. Als Jazzmusiker ist Rothenberg für sie offen, auch für elektronische Musik und Techno und scheut auch nicht vor Livekonzerten mit Walen zurück. Wir erfahren, dass ein Filmproduzent sogar von ihm fordert, die Geräusche eines brechenden Eisberges einzufangen.

Der Musiker und Naturentdecker teilt mit uns sein Expertenwissen, seine Erfahrungen und Entwicklungen, Einsichten und Impressionen. Er lenkt unseren Blick auf die Natur, schärft unser Gehör auf ihre Geräusche und Klänge und macht uns auf die Pausen aufmerksam, die die Nachtigallen einlegen. Eine Stille, als ob sie ihn einladen, ihre Gesangsstimme mit seiner Klarinette zu übernehmen oder einfach nur, um zu horchen, ob die männliche Nachtigallen-Konkurrenz mit besseren Liedern droht.

Der perfekte Sound endet wieder in Berlin, mit der Stadt, in der der New Yorker ein Jahr verbracht hat und zu der er - von seinen zahlreichen Reisen und Besuchen berichtend - viele erzählerische und musikalische Bögen spannt. Nicht nur die Version des Hörbuchs macht großen Sinn, sondern auch der Verweis auf Rothenbergs Webseite, von der Klangbeispiele abrufbar sind. Zuvor gibt er Tipps für DJs und andere Klangkünstler, den perfekten Sound einzufangen und fortzuführen.

Das Buch ist eine ideale Urlaubslektüre für Natur- und Musikbegeisterte, anregend neu, die Sinne einspannend, witzig, kurios, manchmal erschreckend, denkwürdig und lehrreich zugleich. Und wer es derzeit nötig hat - es ist auch als Antidepressivum geeignet. Für Berliner genauso wie für alle anderen.

Mechthild Klett

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