Vergessene Orte, verlorene Geschichte(n) und Lichtblicke

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Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Beschädigtes und beschmiertes Grabmal auf dem Hörster Friedhof in Münster. Fotos: Niels Biewer

Der Umgang mit ehemaligen Fried-höfen wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Allein zur Frage, wie ein ehemaliger Bestattungsort genutzt werden darf, gehen die Meinungen weit auseinander. Dürfen die Grabsteine entfernt und die Fläche neu gestaltet werden? Kann zwischen Grabreihen Freizeitnutzung stattfinden? Durch Flächenüberhänge auf deutschen Friedhöfen muss in den nächsten Jahren vermehrt mit Schließungen von Friedhöfen und Friedhofsflächen gerechnet werden. Der folgende Text stellt verschiedene Beispiele zum Umgang mit ehemaligen Friedhöfen vor.

In nahezu jeder deutschen Stadt oder Kommune finden sich ehemalige Friedhöfe. Deren Zustand ist jedoch sehr unterschiedlich. Viele wurden überbaut oder in öffentliche Grünflächen umgewandelt und sind nicht mehr oder lediglich in Ansätzen als Friedhöfe zu erkennen. Finden sich auf ihnen noch Grabmale, spezifische Wegeführung oder Einfriedungen, befinden sie sich häufig in einem schlechten Zustand. Für die Träger stellt der Erhalt der ehemaligen Friedhöfe ein großes Problem dar. Die finanziellen und personellen Ressourcen werden für die noch aktiven Friedhöfe und die "richtigen" Parkanlagen gebraucht, so dass die einst für Beisetzungen genutzten Flächen oft hinten anstehen. Bei vielen der Friedhöfe handelt es sich aber um kulturhistorisch bedeutsame Denkmale - ob unter Schutz gestellt oder nicht. Wie einige Beispiele zeigen, kann ein ehemaliger Friedhof als eine "etwas andere Grünfläche" eine Stadt oder Kommune durchaus bereichern.

Sie können sich durch ein Angebotskonglomerat aus ruhiger Erholung, Kultur, Natur und Geschichtserfahrung von den regulären Grün- und Parkanlagen absetzen und treten nicht in Konkurrenz zu anderen Freiräumen, sondern können das Angebot sinnvoll ergänzen. Ehemalige Friedhöfe wie auch viele aktive Friedhöfe vereinen zahlreiche Aspekte: Regional-, Lokal- und Kulturgeschichte sowie Biografien bekannter Persönlichkeiten, imposante Bausubstanz, Naturschutz, Gartenbau, Geologie und ihre Eignung als ruhige Oasen innerhalb dicht bebauter Städte. Diese Funktionen können zur Nutzung und Entwicklung von Friedhofsflächen aufgegriffen und sowohl den Friedhöfen als auch den Menschen dienlich sein. Aber selten werden die vorhandenen Potenziale in ihrem möglichen Umfang berücksichtigt.

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Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Mutter mit Kind rastet auf dem Rasen zwischen Grabmalen auf dem Alten Nördlichen Friedhof in München. Fotos: Niels Biewer

Belangloses Grün

Viele ehemalige Friedhöfe wurden in öffentliche Grünflächen oder Parkanlagen umgewandelt. Zumeist ging mit diesem Eingriff viel oder sogar die ganze Substanz verloren, die den Beisetzungsort ausmachte: Grabsteine wurden entfernt, Wegesysteme verändert, Umfassungsmauern zurückgebaut. Hierbei wurde selten Rücksicht auf den jeweiligen Charakter des Ortes genommen, der über lange Zeit gewachsen war. Aus kulturhistorischer Sicht sind wertvolle Bestandteile unwiederbringlich verschwunden. Die ehemals vielfältigen Eigenschaften des Friedhofs und der über Jahre durch Beisetzungen hinterbliebene und geformte Charakter des Ortes gehen bei diesem Prozess mit verloren: Der Ort des Gedenkens, der Trauer, der Erinnerung, der Ruhe, das offene Geschichtsbuch einer Stadt, einer Region, einer Zeitspanne. Das Zeugnis einer gestalterischen Absicht. Lediglich das Grün bleibt und soll der Bevölkerung als weiteres belangloses Grün zur freien Freizeitgestaltung zur Verfügung stehen. So ändert sich die Nutzung drastisch. Vielerorts werden Hunde ausgeführt, wird Bier getrunken und gegrillt. Vom eigentlichen Friedhof lassen sich nur noch Spuren finden wie beispielsweise auf dem ehemaligen Friedhof an der Banter Kirche und an der Gökerstraße in Wilhelmshaven, dem Hörster Friedhof in Münster, dem St.-Nikolai-Friedhof in Hannover und vielen weiteren.

Vergessen

Beispiele wie der Alte Neustädter Friedhof in Celle zeigen ein anderes Schicksal. Aus Mangel an finanziellen Mitteln oder Interesse wurden mancherorts Friedhöfe nach ihrer Schließung schlichtweg vergessen. Grabmale und Einfriedungen verfallen, Grabbepflanzungen überwuchern ganze Bereiche, Wege verschwinden unter der Grasnarbe. Auch wenn dieser Verfall eines Friedhofs auf ästhetisch sehr eindrucksvolle Art die Vergänglichkeit darstellt, gehen hier doch ein großes Stück Geschichte und ein möglicher sinngeladener Freiraum verloren.

Nutzungskonflikte

Oft gibt es unterschiedliche Ansichten, welche Nutzungen mit dem Respekt vor den dort Beigesetzten zu vereinbaren ist. Der Alte Südliche Friedhof und der Alte Nördliche Friedhof in München waren schon oft Anschauungsobjekte in diversen Pressebeiträgen zu diesem Konflikt: Darf es auf dem Friedhof - auch wenn er aktuell nicht mehr für Beisetzungen genutzt wird - Nutzungen wie Joggen, Grillen, Sonnenbaden und dergleichen geben? Diese Frage stellt sich bei vielen ehemaligen Friedhöfen, die noch als solche erkennbar sind, auf denen es noch Grabmalsubstanz gibt. In der Regel haben sich solche Nutzungen jedoch über Jahre hinweg von selbst etabliert, da es zum einen in der Nähe keine entsprechende Grünflächen als Alternative gibt oder weil der Träger des jeweiligen Friedhofs nach der Schließung keinen gangbaren Weg parat hatte, der die selbständige Etablierung von Freizeitaktivitäten und "normaler" Parknutzung unterbunden oder uninteressant gemacht hätte.
Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Grabmale in direkter Nähe zur Straße auf dem Alten St. Nikolai Friedhof in Hannover. Fotos: Niels Biewer
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Grabmale in hohem Gras auf dem Alten Neustädter Friedhof in Celle. Fotos: Niels Biewer

Überspielt

Einen ganz anderen Umgang mit einem ehemaligen Friedhof findet sich in Wiesbaden. Nachdem der Friedhof an der Platter-Chaussee in den 1970er-Jahren entwidmet wurde, gestaltete man ihn zum Freizeitpark um. Der heutige Freizeitpark Alter Friedhof beherbergt Spielplätze mit Seilbahn, Rutschen und Schaukeln, einen Fußballplatz, Grillstellen und großzügige Bereiche mit Bänken, Tischen und Unterständen sowie einen Skatepark und eine Kletterlandschaft. Es befinden sich lediglich noch 128 Grabsteine auf der Fläche, die sich größtenteils am Rand des Areals befinden. Von der Struktur des ehemaligen Friedhofs hat fast nichts den Wandel überstanden. Der einst mit Andenken und Geschichte(n) aufgeladene Ort mit seinen Potenzialen wurde nicht berücksichtigt. Auch Hinweise auf die geschichtliche Bedeutung, die hier "ruhenden" Personen oder das damalige Aussehen des Friedhofs finden sich nicht. Auch wenn es durchaus positiv zu bewerten ist, dass dieser ehemalige Friedhof eine von vielen Menschen gut angenommene neue Funktion bekommen hat, ist es doch schade, dass von dem "Alten Friedhof" nur noch sehr wenig übrig ist und dieses Wenige nicht in die neue Nutzung integriert wurde.

Musealisiert

Annähernd jeder Friedhof kann als musealer Ort betrachtet werden. Sei es durch die kulturhistorische Bedeutung als Gesamtensemble oder durch Persönlichkeiten, die hier beigesetzt wurden. Häufig kann man von einer musealen Nutzung sprechen - wenn auch zumeist nur sekundär. Oft finden sich Hinweisschilder, Flyer mit Rundwegen sowie hin und wieder QR-Codes, Audioguides oder ähnliches, um die Besucher über die Geschichte des jeweiligen Friedhofs, die Besonderheiten und die beigesetzten Personen zu informieren. Auch Führungen sind an dieser Stelle zu nennen, die durch die vielen Fördervereine oder die Träger der Friedhöfe angeboten werden und themenbezogen (Persönlichkeiten, Natur, Geologie) oder allgemein über den jeweiligen Ort informieren. Neben diesen Angeboten und der Präsentation von Grabmalen auf separaten Bereichen von Friedhöfen in Form von Lapidarien wie auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf oder dem Vareler Friedhof gibt es auch ganze Friedhöfe, die museal aufgearbeitet wurden. So zum Beispiel das "Freilichtmuseum" historischer Friedhof in Schenklengsfeld: Dieser im 17. Jahrhundert eröffnete Friedhof wurde intensiv museal aufgearbeitet. Die heute noch erhaltenen 275 Grabsteine aus dem 17. bis 19. Jahrhundert wurden in 21 Reihen aufgestellt, so dass ein geschichtlicher Überblick von mehr als 200 Jahren Dorfgemeinschaft entstanden ist. Ähnliches findet sich zum Beispiel in Bergisch Gladbach auf dem Alten Friedhof an der Gnadenkirche.

Bespielt

Neben der Nutzung als Informations- und Bildungsorte finden in den letzten Jahren vermehrt kulturelle Veranstaltungen auf Friedhofsflächen statt. Mitunter werden hierfür Anlässe wie zum Beispiel der Tag des Friedhofs oder der Tag des offenen Denkmals genutzt. Darüber hinaus finden etwa auf dem Alten Südlichen Friedhof in München, der bereits 1944 als Begräbnisort geschlossen wurde, größere Veranstaltungen statt. 2008 zum 850. Stadtgeburtstag und 2013 zum 450-jährigen Bestehen des Friedhofs wurde er unter den Titeln "Großer Geister Stunde" und "Geschichten Großer Geister" mit Theaterszenen über dort beigesetzte Persönlichkeiten, Tanz- und Musikperformances, Bildcollagen, Führungen oder Lichtinstallationen bespielt. In Osnabrück gibt es seit 2012 die Veranstaltungsreihe "Neues Leben zwischen alten Gräbern". In einem jährlich neu erscheinenden Programm werden die seit 1996 nicht mehr für Beisetzungen genutzten Friedhöfe Hase- und Johannisfriedhof mit einer Mischung aus Vorträgen und Führungen aber auch Konzerten, Theater, Märchen oder Filmvorführungen in Szene gesetzt. In Osnabrück wie auch in München ist das Ziel der Veranstaltungen, den Menschen diese Denkmale mit ihren vielen Facetten näher zu bringen, ihren Wert herauszustellen und das Wissen über sie zu bewahren, um sie so in das kulturelle Leben der Stadt einzubeziehen. Ähnliche Beispiele finden sich in anderen Städten wie Berlin, Hamburg, Freiburg oder Rostock.

Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Spielgeräte des Freizeitparks Alter Friedhof in Wiesbaden, im Hintergrund Grabmale entlang der Mauer. Fotos: Niels Biewer
Öffentlicher Raum und urbanes Grün
In Reihen aufgestellte Grabmale im Freilichtmuseum Alter Friedhof in Schenklengsfeld. Fotos: Niels Biewer
Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Konzert unter freiem Himmel auf dem Hasefriedhof in Osnabrück. Fotos: Niels Biewer
Öffentlicher Raum und urbanes Grün
Neue Bestattungsmöglichkeit auf dem Alten Friedhof in Bad Arolsen. Fotos: Niels Biewer

Erhalten

Wird ein Friedhof nicht mehr für Beisetzungen genutzt, ist aber kulturhistorisch von Bedeutung und steht gegebenenfalls unter Denkmalschutz, ist der Erhalt dieser Flächen oft dringlich, aber ein schwieriges Unterfangen: Die knappen finanziellen und personellen Ressourcen der Träger kommen meist den aktiven Friedhöfen und "richtigen" Parkanlagen zugute. Doch vielen Menschen ist der Erhalt ein großes Anliegen und die Bewahrung als Geschichtszeugnis auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Seit den 1980er-Jahren, als Friedhöfe auch vom Denkmalschutz stärker wahrgenommen wurden, hat sich die allgemeine Wertschätzung für diese Gründenkmale erhöht. Auch die Dringlichkeit ihres Erhalts wurde nach und nach anerkannt. Die vielen Initiativen wie zum Beispiel Förderkreise zeigen dies eindrücklich. Doch hat sich auch immer wieder gezeigt, dass der Erhalt der Denkmale ohne eine Folgenutzung, die von Menschen wahrgenommen wird, langfristig kaum möglich ist. Die Friedhöfe müssen öffentlich wertgeschätzt werden und Menschen müssen diese geschichtsträchtigen Orte besuchen, damit die zuständigen Politiker und die Träger der Friedhöfe die Notwendigkeit des Schutzes und der Entwicklung erkennen und diese trotz ihrer finanziellen Engpässe unterstützen. Ein sinnvoller Weg zur Steigerung der Wertschätzung scheint die vielfältige Nutzung zu sein - hierbei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Nutzung den Charakter des Ortes nicht überspielt, sondern die Potenziale aufnimmt und sinnstiftend bespielt. Dabei kann eine Brücke geschlagen werden zwischen Kultur, Natur, Erholung und Bildung.

Reaktiviert

Die wohl beste Nutzung eines Friedhofs und die sinnvollste für den Erhalt sind Beisetzungen. Einige Beispiele belegen, dass sich die Wiedereinführung der Beisetzung auf ehemaligen Friedhöfen positiv auswirken kann. Mittels der Vergabe von Patenschaften für alte Grabmalsubstanz in Verbindung mit dem Recht der Beisetzung an diesem Ort kann dem finanziellen Engpass - zumindest ein wenig - begegnet werden. Zudem können auf diesem Wege die "soziale Kontrolle" durch die Hinterbliebenen gewährleistet und unerwünschte Nutzungen wie Hundeauslauf besser unterbunden werden. Beispiele wie der Tübinger Stadtfriedhof, der Alte Friedhof in Bad Arolsen oder der Friedhof Unter den Linden in Reutlingen zeigen, dass sich die Reaktivierung auf einem zeitweise geschlossenen Friedhof positiv auf die Fläche und den Erhalt auswirken kann. Jedoch kann dieser Weg nicht der allgemeingültige für alle ehemaligen Friedhöfe sein, da es in Deutschland bereits einen beachtlichen Überhang an aktiven Friedhofsflächen gibt.

Chancen

Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit schon mehr als ein Drittel der Friedhofsfläche in Deutschland ungenutzt ist. Durch das veränderte Bestattungsverhalten, etwa durch geringeren Platzbedarf wegen vermehrter Urnenbeisetzungen oder wegen der Konkurrenz der Friedwälder zum "normalen" Friedhof werden in den nächsten Jahren mehr und mehr der ca. 33.000 Friedhöfe oder Friedhofsteile geschlossen werden müssen. Auch die hohen Kosten für die Grabnutzungsrechte aufgrund des Pflegeaufwands legen diesen Schritt nahe. Es bietet sich die Chance, die neuen Grünflächen der Bevölkerung als Orte für Kultur, Natur, Erholung oder Geschichtserfahrungen zur Verfügung stellen. Einige - aber noch zu wenige - Beispiele zeigen, dass dies gelingen kann. Die Träger der Fläche werden durch das Weniger an aktiver Friedhofsfläche entlastet und können den Bürgern und Besuchern eine "etwas andere" Grünfläche präsentieren.

 Niels Biewer
Autor

Landschaftsarchitekt

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