Luxuriöse Dekoration oder das Grün der Zukunft?

Vertikale Gärten

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Vertikaler Garten für das Berliner Kulturkaufhaus Dussmann von Patrick Blanc, 2012. Foto: Alexander Dorn

Die legendären Hängenden Gärten der Semiramis zu Babylon gehören zu den sieben Weltwundern, auch wenn sie lediglich als terrassenförmige Gärten angelegt waren. Die Unmöglichkeit, die Schwerkraft zu überlisten und tatsächlich Gärten in der Vertikale anzulegen, ist erst seit dem 20. Jahrhundert möglich geworden.¹)

Betritt man das Berliner Kulturkaufhaus Dussmann, fällt die grüne Rückwand des Geschäfts ins Auge. Über sechs Etagen erstreckt sich eine 270 Quadratmeter große, üppig bepflanzte Wand: ein vertikaler Garten. Im Januar 2012 wurde der Garten mit weit mehr als 6600 ausschließlich tropischen Pflanzen aus 157 Arten eingeweiht. 15 Meter breit und 18 Meter hoch ragt er aus einem dekorativen Wasserbassin, das 16 200 Liter fasst und tropische Zierfische beherbergt. Im Untergeschoss des Gebäudes befindet sich ein Café, in dem das Pflanzenrelief aus nächster Nähe erlebt werden kann.

Sitzt man direkt am Garten, hört man das Plätschern der Bewässerung, die Luft ist angenehm feucht, es duftet intensiv nach Pflanzen. Der Blick wandert hinauf zu einem "Gemälde" aus unterschiedlichen Farben, Blattformen, Texturen und Blüten. Großflächig gezackte blaugrüne Blätter wechseln sich ab mit dunkelgrünen, weiß geäderten Begonienblättern. Weiße, orange und rosa Blüten bilden Farbtupfer auf den unterschiedlich grünen Farbfeldern. Zarte Farne hängen neben saftig grünem Moos. Sogar Bäume wachsen aus dem Filz. Das dezente Vogelgezwitscher aus versteckten Lautsprechern erzeugt eine beruhigende Geräuschkulisse und verstärkt den Eindruck einer ruhigen Oase inmitten der Stadt.

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Pflanzplan von Patrick Blanc für die mur végétal im Kulturkaufhaus Dussmann. Abb. Patrick Blanc
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Musée du Quai Branly in Paris von Jean Nouvel, vertikaler Garten von Patrick Blanc, 2005. Foto: Alexander Dorn
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Musée du Quai Branly in Paris von Jean Nouvel, vertikaler Garten von Patrick Blanc, 2005, Detail. Foto: Alexander Dorn
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Hotel Pershing Hall in Paris, vertikaler Garten von Patrick Blanc, 2001. Foto: Alexander Dorn
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„Vertikaler Garten“, wie er im tasmanischen Regenwald in der Natur vorkommt, Mount Field National Park Tasmanien. Foto: Alexander Dorn

Gestaltet hat die nicht bodengebundene und von einer Stahlkonstruktion getragene Begrünung Patrick Blanc. Der 1953 in Paris geborene Botaniker und Gartenkünstler gilt als Pionier der vertikalen Begrünung und ist mittlerweile ein gefeierter Star auf dem Gebiet.²) Sein Werdegang kursiert seit einigen Jahren in den Feuilletons.

Als Kind entwendete er seiner Mutter aus dem Wohnzimmer einen Philodendron für sein Aquarium und bemerkte, dass die Pflanze dort ohne Erdreich, allein im Wasser gedieh. Das war der Ursprung seiner Idee der vertikalen Gärten. Reisen in die Tropen folgten. Der junge Botaniker entdeckte neue tropische Pflanzen, die nach ihm benannt wurden und beobachtete, dass sie an den unwirtlichsten Orten prächtig gediehen. Er experimentierte mit den verschiedensten Pflanzen und unterschiedlichen Materialien, um das vertikale Wachsen, wie er es beispielsweise in Thailand beobachtete, nachzuempfinden.

Bekannt wurde Blanc mit seiner mur végétal, wie er seine Kreationen nennt, auf dem Gartenfestival in Chaumont sur Loire. Nachdem er 2001 auf Geheiß der Designerin Andrée Putman eine 30 Meter hohe Wand im Innenhof des vornehmen Pariser Hotels Pershing Hall mit ausschweifendem Pflanzenwuchs schuf, wurde er wenig später vom Architekten Jean Nouvel beauftragt, die 800 Quadratmeter abmessende Fassade des Musée du Quai Branly zu bepflanzen.

Diese Projekte verschafften dem promovierten Wissenschaftler den Durchbruch und auch in Deutschland wurde man auf ihn aufmerksam. 2008 durfte Blanc das Signet des Berliner Kaufhauses Lafayette pflanzlich einrahmen, 2011 beauftragte die Dussmann Unternehmensgruppe den stets in floralen Motiven gekleideten Pariser mit grün gefärbten Haaren, den vertikalen Garten für das Berliner Kulturkaufhaus zu entwerfen.

Patrick Blanc war und ist die treibende Kraft für die Living Walls, wie das neue Grün auch gern genannt wird. Erst kürzlich wieder gab er eines seiner zahlreichen Interviews, diesmal in seinem eigenen Haus in Paris, das er mit aufwändigen vertikalen, fast urwaldähnlichen Gärten ausstattete.³) Er repräsentiert diese Entwicklung, lebt sie konsequent im eigenen Haus und gestaltet vertikale Gärten in der ganzen Welt.

Beweggründe für einen vertikalen Garten - Luxus und Exklusivität

Vertikale Gärten liegen im Trend. Unternehmen - ganz gleich, ob es sich um ein Kaufhaus, ein Hotel, eine Luxusimmobilie, ein Restaurant, eine Versicherung, ein Modegeschäft oder eine Fluglinie handelt - schmücken sich derzeit gern mit einem vertikalen Garten. Es gibt unterschiedliche Gründe, sich eine solche Begrünung zu leisten, nicht selten sind sie ein Ausdruck von Luxus oder dienen der Repräsentation.

Im vornehmen Pariser Hotel Pershing Hall etwa kommt nur derjenige in den Genuss von Patrick Blancs mur végétal, der es sich leisten kann, dort zu übernachten oder zu speisen.

Im Trio Building in Sydney werden luxuriöse Eigentumswohnungen durchschnittlich für eine Million Dollar verkauft. Patrick Blancs Pflanzenteppich an der Nordwand des Gebäudes wird zum Statussymbol.

Zur Living Wall, die er 2007 für die Qantas Lounge im Flughafen von Melbourne gestaltete, haben nur Passagiere mit einem gültigen First-Class-Ticket Zutritt. Nach einer Wanderung im tasmanischen Regenwald, wo das Prinzip des vertikalen Wachsens in der Natur zu beobachten ist und so das mögliche Vorbild für Blanc bildet, wächst die Neugier, die Gestaltung des umtriebigen Franzosen für das Museum of Modern and Old Art (MONA) in der Hauptstadt Tasmaniens zu sehen.

Auf der Suche nach dem vertikalen Garten wird der Besucher im Museum von David Walsh, der sich selbst als professionellen Glücksspieler bezeichnet, in theatralisch inszenierten Räumen an Gewalt- und Sodomie-verherrlichender Kunst entlang geführt. Allein der 2010 realisierte Garten ist nirgends zu entdecken. In einem Innenhof versteckt ist Patrick Blancs Werk auch hier nur auserwählten Gästen zu privaten Empfängen zugänglich. Sowohl im Museum of Old and New Art als auch bei der Qantas Lounge zeugt der vertikale Garten also von radikaler Exklusivität und ist nur den Wenigsten vorbehalten.

Der vertikale Garten als Ausdruck der Unternehmensphilosophie

Das börsennotierte Rückversicherungsunternehmen SCOR in Köln leistet sich einen vertikalen Garten, da der 2012 fertig gestellte Neubau, in dem sich die Direktion Deutschlands befindet, ein so genanntes "grünes" Haus ist.4)

Es wird auf Klimaanlagen verzichtet, Energie wird eingespart, CO2-Emissionen werden verringert, der ökologische Fußabdruck wird bewusst klein gehalten. Folglich passt zu einem "grünen" Haus gut eine "grüne" Wand. Der von der international tätigen Garten- und Landschaftsbaufirma Boymann angelegte, über 19 Quadratmeter große Garten ist gleichsam ein Aushängeschild, das beim Eintreten sofort und symbolhaft nicht nur auf die Klimaeffizienz des Hauses, sondern darüber hinaus auf die ökologische Haltung des Unternehmens verweist.

Bei SCOR ist auch die Positionierung interessant. Im Eingangsbereich vor Sitzgruppen und einem niedrigen Glastisch platziert, nimmt der vertikale Garten den Platz ein, den bislang das repräsentative zeitgenössische Gemälde innehatte, das Modernität und eine zeitgemäße Haltung demonstrieren sollte. In Zeiten des Klimawandels und der geforderten und mit dem zertifizierten Green Building eingelösten Nachhaltigkeit bei SCOR ist es nur konsequent, dieser Haltung mit einem Pflanzengemälde Ausdruck zu verleihen.

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SCOR Rückversicherung, Direktion Deutschland in Köln, vertikaler Garten von der Firma Boymann in einem als "Green Building" zertifizierten Gebäude, 2012. Foto: Alexander Dorn
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Gardens by the Bay in Singapur von der britischen Firma Grant Associates, 2012. Die so genannten Super Trees sind eine neue, da dreidimensionale Form der vertikalen Gärten. Foto: Tom Soper, CC BY 2.0

Vertikale Gärten für das City Marketing

Gezielte Imagepflege und erfolgreiches Marketing betrieb jüngst Singapur und zwar in gigantischem Ausmaß. Mit den mehr als 100 Hektar großen und von der britischen Firma Grant Associates entworfenen Gardens by the Bay folgt Singapur seiner Strategie, sich zu einer City in the Garden zu verwandeln. 625 Millionen Euro lässt sich der Stadtstaat diese Attraktion kosten: Das Grün wird hier zum Wirtschaftsfaktor. Der erste, im Juni 2012 fertig gestellte Teil des riesigen Botanischen Gartens liegt im Herzen des Finanzviertels und soll nicht nur Fachkräfte und Investoren anlocken. Man erhofft sich zugleich eine Wertsteigerung der umliegenden Grundstücke um zehn bis 30 Prozent.5)

Herzstück der Anlage bilden nicht nur die großen Gewächshäuser, sondern vor allem die jetzt schon ikonischen Super Trees. Die bis zu 50 Meter hohen, trichterförmigen Bäume bestehen aus Stahlgerüsten, an deren Stämmen vertikale Gärten ranken. In den "Kronen" dieser Bäume befinden sich Sonnenkollektoren, die Strom für die abendliche Beleuchtung, die "Light Show", liefern. Zwei dieser bewachsenen Super Trees sind mit einer Brücke verbunden. Gegen ein Entgelt in dem ansonsten eintrittsfreien Park kann dieser, von der Oversea China Banking Corporation gesponserte Wipfelpfad begangen werden, der deshalb werbeträchtig OCBC Skyway heißt. Die Super Trees sind sofort zum neuen Wahrzeichen Singapurs geworden und tragen damit wesentlich zum erfolgreichen Stadtmarketing bei. Die Zahlen sprechen für sich. Nur acht Wochen nach der Eröffnung hatten bereits mehr als eine Million Besucher die Gardens by the Bay aufgesucht.

Kosten, Technik und Instandhaltung

Vertikale Gärten sind allerdings nichts für den kleinen Geldbeutel. Während eine konventionelle Bepflanzung nur wenige Euro kostet, müssen für die Begrünung in der Vertikale mindestens 400 bis 1000 Euro pro Quadratmeter berechnet werden. Es können aber auch schnell über 4000 Euro und wesentlich mehr pro Quadratmeter werden.

Konstruktion und Technik, die ein vertikaler Garten benötigt, sind kostenintensiv. Wie also erfolgt die Umsetzung dieser neuen Hängenden Gärten? Wie wird der Garten in die Vertikale gekippt? In einem Radiointerview erläutert Patrick Blanc seine Konstruktion augenzwinkernd: "Da wird sozusagen ein Putzlappen in einem Plastikrahmen aufgehangen. Ganz oben, aus einem gelöcherten Gartenschlauch, läuft Wasser die Wand herunter. Getragen wird das Ganze von einem Metallrahmen, der zur Belüftung des Mauerwerks mit einem gewissen Abstand auf die Gebäudewand montiert wird."6)

An anderer Stelle erklärt er: "Die Pflanzen werden von einer Schicht aus synthetischem Filz gehalten. Diese ist drei Millimeter dick und alle zehn Zentimeter mit kleinen ... Löchern versehen. Das Wasser fließt von oben herab und die Pflanzen nehmen sich die Menge an Wasser, die sie benötigen. Der Unterschied zu herkömmlichen Pflanzkübeln liegt darin, dass das Wasser nicht stehen bleibt, sondern in Bewegung ist. Die Wurzeln sind die ganze Zeit über im Kontakt mit der Luft und nicht von der Erde umgeben. Das ist entscheidend. Auf diese Weise können auch Pflanzen, die sehr viel Wasser brauchen, neben anderen wachsen, die sehr wenig Wasser benötigen, ohne dass es zu Problemen kommt."7)

Blanc entwickelte eine Anbringung, die auf Erdreich verzichten kann.8) Als Substrat wählt er synthetischen, also nicht verrottenden, mehrlagigen Filz aus Polyamid, in den die Pflanzen gesteckt werden und ausreichenden Halt finden. Hinter dem Filz befindet sich eine PVC-Platte zur Abdichtung, so dass die Wand oder im Außenraum die Fassade keinen Schaden nimmt. Der Rahmen, in denen PVC und Filz eingespannt werden, besteht aus einer Stahlkonstruktion.

Die Begrünung ohne Erdreich hat ihre Vorteile: sie ist leichter, das Gewicht liegt bei weniger als 30 Kilogramm pro Quadratmeter. Bei einer Füllung mit Erdreich wird die Konstruktion schwerer, und das Wasser, das sich den Weg zu den Wurzeln erst einmal suchen muss, beschwert die Wand zusätzlich. Bei dem System von Patrick Blanc fließt das mit Nährstoffen angereicherte Wasser direkt zur Wurzel, wodurch die Wasserersparnis erheblich ist. Schaumplatten gelten als alternatives Substrat. Steinwolle erweist sich als langfristig ungeeignet wegen ihrer ungleichmäßigen Verdichtung, wodurch es entweder zu Fäulnisbildung oder Verdorrung kommt.

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Trio Building von Fraser Properties, vertikaler Garten von Patrick Blanc, 2009. In Sydneys beschaulichem Viertel Camperdown mit seinen kleinen Einfamilienhäusern und liebevoll angelegten Vorgärten ragt ein monumentaler, zwölf Stockwerke hoher Gebäudekomplex heraus. Die Eigentumswohnungen in dem 2009 fertig gestellten Trio Building werden durchschnittlich für mehr als eine Million Dollar verkauft. An der Nordseite des Gebäudekomplexes umspannt der vertikale Garten von Patrick Blanc elf Stockwerke. Der Pflanzenteppich ist 33 Meter lang, 5 Meter breit und besteht aus 4500 Pflanzen. Foto: Alexander Dorn
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Schadstellen am floralen Teppich des Trio Building in Sydney. Foto: Alexander Dorn
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Vandalismus an der mur végétal des Musée du Quai Branly. Foto: Alexander Dorn

Die Vorteile von Blancs Konstruktion zur konventionellen direkten Fassadenbegrünung liegen auf der Hand: die Fassade nimmt keinen Schaden. Efeu kann tief in die Mauerwand eingreifen und sie zerstören. Bei den vertikalen Gärten verhindert der Abstand zwischen Fassade und Stahlkonstruktion eine mögliche Beschädigung. Auch muss nicht die Fassade die Last der Begrünung tragen, sondern die Stahlkonstruktion. Die vorgehängten und hinterlüfteten Systemwände können sowohl im Innen- als auch im Außenraum Verwendung finden.

Aber auch die Instandhaltung ist aufwändig. Vertikale Gärten müssen immer künstlich bewässert werden. Das erhöht die Unterhaltskosten zusätzlich und macht sie anfällig für Schäden. Fällt der Strom für die automatisierte Bewässerung aus, bekommen die Pflanzen keine Nahrung. Auch sind die Gärten wartungsintensiv, sie müssen alle drei bis sechs Wochen kontrolliert werden. Bei SCOR jätet, beschneidet und pflegt ein Gärtner der Firma Boymann einmal im Monat die Pflanzen - zusätzlich zur Fernwartung, die über Schadstellen, Strom- und Wasserausfälle sowie mangelnde Nährstoffzufuhr informiert.

Am Trio Building in Sydney, wo sich der florale Teppich über zwölf Etagen erstreckt und die Pflege entsprechend schwierig ist, sind deshalb zahlreiche Schadstellen auszumachen. Etliche Pflanzen sind vertrocknet und müssten ausgetauscht werden. Blancs mur végétal befindet sich an der Nordseite des Trio Building und ist nicht nur der sengenden Hitze Australiens, sondern auch starken Winden ausgesetzt. Grundlegend für einen vertikalen Garten - abgesehen von einer funktionierenden Bewässerung - ist daher auch die Auswahl der Pflanzen: sie müssen dem Klima entsprechen und den meteorologischen Bedingungen gewachsen sein. Aber auch Vandalismus kann ein kostspieliges Problem sein. An der Fassade des Pariser Musée du Quai Branly wurden einige der 150.000 verwendeten Pflanzen, die sich in Bodennähe bis Griffhöhe befanden, schlicht entwendet.

Utopie und Realität

Vertikale Gärten als klimabegünstigende Anlagen in Ballungszentren bleiben deshalb aus Kostengründen derzeit noch eine Utopie. Das ist bedauerlich, denn großflächige Begrünung ist in der Lage, das Klima zu verbessern. Damit würden vertikale Gärten global relevant.9) Bedenkt man, dass vor allem Ballungszentren Klimaerwärmung mitverschulden, ist es wichtig, im urbanen Raum gegen die destruktive Erwärmung anzugehen. Durch dichte Bebauung entstehen problematische Hitzeinseln. Vertikale Gärten können hier Abhilfe schaffen. Großflächige Wandbepflanzungen vermögen es, die Bildung von Hitzeinseln zu reduzieren und zwar auf kleinstem Raum, da sie in die Höhe gehen. Vertikale Gärten sind folglich für Stadträume ideal, in denen Platzmangel herrscht und Grund und Boden oft zu teuer sind für konventionelle Grünflächen.

Ferner können vertikale Gärten wesentlich zur Verbesserung der Luftqualität auch im Außenraum beitragen. Pflanzen können Stickstoffdioxid von Autoabgasen ebenso wie den schädlichen Feinstaub binden und andere Schadstoffe aus der Luft filtern. Die Luftverschmutzung könnte auf diese Art und Weise um 30 Prozent reduziert werden, die insbesondere in Schwellen-ländern ein zuweilen gravierendes Gesundheitsproblem darstellt.10)

Vertikale Gärten können ferner dazu beitragen, Energie einzusparen. Sie bilden nicht nur einen Windschutz, sondern auch eine Wärmedämmung beziehungsweise Isolation gegen Kälte, beides spart Energie. Ähnlich wie im Innenraum tragen sie auch draußen erheblich zur Schallabsorption und damit zur Lärmverminderung bei.¹¹)

Ganz wesentlich: vertikale Gärten schaffen Biotope für Fauna und Flora. Sie ziehen Vögel und Insekten an und bieten ihnen Lebensraum. Das erfolgt in einem konventionellen Garten zwar ebenfalls. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Wirkung sofort erfolgt. Studien belegen, dass die positiven Auswirkungen bei horizontaler Bepflanzung erst nach einem Zeitraum von circa drei Jahren sichtbar und messbar werden.¹²)

Ausblick - Vertikale Gärten als Dienstleistung

Vertikale Gärten werden vorerst nicht Massenware sein. Dazu sind sie zu kostspielig. Aber sie müssen auch keine exklusiven Luxusobjekte sein, die nur den Allerwenigsten vergönnt sind. Vielmehr können sie als eine Art Dienstleistung verstanden werden. Nicht nur das Kulturkaufhaus Dussmann leistet sich die teure Vertikale und lässt seine Kunden und Mitarbeiter an dem unkonventionellen Gartenerlebnis teilhaben. Auch die Berliner Zahnarztpraxis KU 64 hat vor allem ihre Patienten im Blick.

Die in einem Sonnenblumengelb gehaltene Praxis wurde 2005 von den GRAFT Architekten entworfen, deren künstlerische Handschrift die Auflösung des rechten Winkels vorsieht und abgerundete, freundlich anmutende Schrägen und Schwünge bevorzugt. Die großzügige Praxis ist lichtdurchflutet. Ein Wartezimmer im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Die Patienten warten in einer Lounge mit gemütlichen Sesseln, bequemen Liegen und einem frei hängenden Kamin. Auf der Empfangstheke stehen frisches Minz- und Mangowasser bereit.

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a) Zahnarztpraxis KU 64 in Berlin, vertikale Gärten von der Firma Green Fortune, 2010. Foto: Alexander Dorn
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b) Zahnarztpraxis KU 64 in Berlin, vertikale Gärten von der Firma Green Fortune, 2010. Foto: Alexander Dorn
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c) Zahnarztpraxis KU 64 in Berlin, vertikale Gärten von der Firma Green Fortune, 2010. Foto: Alexander Dorn

Die Patienten vergessen fast, dass sie sich in einer Zahnarztpraxis befinden. Das ist auch das Ziel der wohldurchdachten und bis ins Detail auf das Wohlbefinden der Patienten ausgerichteten Praxis. Dazu tragen die drei großflächigen, von der schwedischen Firma Green Fortune 2010 angelegten vertikalen Gärten in hohem Maße bei. Sie bilden nicht nur einen farblichen Kontrapunkt zur gelben Innenausstattung. Ihre wesentliche Funktion besteht vielmehr darin, den für eine Zahnarztpraxis typischen und oftmals mit Angst assoziierten Geruch zu neutralisieren.

Die Praxis ist sich der positiven Auswirkung, die vertikale Gärten für die Raumklimatisierung besitzen, durchaus bewusst. Pflanzen regulieren die Temperatur und bilden eine natürliche Klimaanlage, so dass auf eine kostenintensive Kühlung der Räume verzichtet werden kann.¹³) Außerdem bindet die Begrünung Staubpartikel, neutralisiert schädliche Dämpfe und Umweltgifte im Innenraum und verbessert so als Luftfilter die Raumluft. Pflanzen erzeugen auch eine hohe Luftfeuchtigkeit und sind somit hygienische Luftbefeuchter. Ferner vermögen Pflanzen durch Schallabsorption Geräusche zu mildern und für eine bessere Akustik zu sorgen. Pflanzen tragen zur Beruhigung bei - was auch für Patienten von großer Relevanz ist - und bilden im stressigen Arbeitsumfeld einen wohltuenden Ausgleich.14)

Noch steckt der vertikale Garten in den Kinderschuhen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Markt in Zukunft expandieren wird. Gerade im Bereich von Arztpraxen, Hotels und Restaurants werden sich vermehrt vertikale Gärten finden. Unangefochtener Marktführer unter den Anbietern in Europa ist Patrick Blanc. In Deutschland ist das vertikale Grün vor allem ein Hype in den Medien und wird dort oft und viel besprochen.

Faktisch gibt es hier bislang aber nur sehr wenige Anbieter (Indoorlandscaping, Art Aqua, Garten- und Landschaftsbaufirma Boymann, KDB-Fassaden) und bei ihnen spielt im breiten Spektrum dessen, was sie an garten- und (landschafts)architektonischen Leistungen offerieren, der vertikale Garten zuweilen nur eine untergeordnete Rolle. Das liegt unter anderem daran, dass die Technik noch lange nicht ausgereift ist und auch die Nachhaltigkeit der Gartenanlagen sich noch unter Beweis stellen muss. Da manche Systeme mitunter recht störungsanfällig sind, wird nun im Rahmen der erprobten technischen Möglichkeiten daran gearbeitet, stabilere und preisgünstigere Techniken zu entwickeln. Der Markt kann gerade im Segment der Arzthäuser, Hotels und Restaurants sowie mittleren Unternehmen eher erobert werden, wenn die Errichtung von vertikalen Gärten kostengünstiger wird und Stabilität sowie Nachhaltigkeit gewährleistet sind.


Anmerkungen

1) Mein herzlicher Dank gilt Dr. Alexander Dorn und Dieter Wulf. Des Weiteren danke ich Bianca Krömer für das Gespräch über den vertikalen Garten bei Dussmann, Brigitta Poggel für Informationen zur Living Wall bei SCOR, Petros Prontis und Jan Fischer zu den 3 vertikalen Gärten bei KU 64, Dr. Eckhard Kluth sowie Jens Boymann von der Garten- und Landschaftsbaufirma Boymann für Informationen rund um vertikale Gärten.

2) Patrick Blanc, Le mur végétal: De la nature à la ville, Michel Lafon Verlag 2011. Die jüngst erschienene englische Ausgabe The Vertical Garden: From Nature to City, Norton 2012. In den Printmedien sind viele Interviews mit Patrick Blanc zu lesen.

3) Zuletzt Birgit Ochs, Im Dschungel des Paradiesvogels, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.02.2013. Für den Hinweis auf diesen Artikel danke ich Frau Mechthild Klett.

4) Für den Hinweis auf den vertikalen Garten bei SCOR danke ich Manfred Kreische.

5) Informativ dazu Christoph Hein, Der Tropenübungsplatz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.06.2012.

6) Patrick Blanc, interviewt von Suzanne Krause für den Deutschlandfunk am 1.7.2010.

7) Patrick Blanc im Gespräch mit Norman Kietzmann, in: Designline Living, 4.8.2009.

8) Informativ, gerade was unterschiedliche Techniken und Konstruktionen angeht ist der Artikel von Frank Kaltenbach, Lebende Wände, vertikale Gärten - vom Blumentopf zur grünen Systemfassade, In: Detail 12, 2008, S. 1454-1466, zu Blanc insbesondere S. 1456-1458.

9) Grundlegend zum Thema Fassadenbegrünung und Auswirkungen auf das Klima sind die Publikationen von Prof. Dr. Manfred Köhler, der seit vielen Jahren darüber forscht. Jüngst Manfred Köhler (Hrsg.), Handbuch Bauwerksbegrünung. Planung - Konstruktion - Ausführung, Rudolf Müller Verlag Köln 2012. Exemplarisch führt Köhler ein in Planung befindliches Hamburger Gebäude des Klimaarchitekten Florian Betzler an, Köhler 2012, S. 31-33. Des Weiteren Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung: Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung: Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. Projektbearbeitung: Claus Steffan, Marco Schmidt, Manfred Köhler, Berlin 2010. Ferner Manfred Köhler, Marco Schmidt, Hof-, Fassaden- und Dachbegrünung: zentraler Baustein der Stadtökologie; zwölfjährige Erfahrungen mit einer Begrünungsutopie, Berlin 1997. Informativ auch Frank Kaltenbach, Lebende Wände, vertikale Gärten - vom Blumentopf zur grünen Systemfassade, in: Detail 12, 2008, S. 1454-1466. Ferner "Vertikale Gärten" sorgen für saubere Stadtluft, in: National Geographic vom 23.08.2012.

10) Studie in "Environmental Science and Technology", hier zitiert aus National Geographic vom 23.08.2012. Bislang sind Studien davon ausgegangen, dass lediglich 1 bis 2 Prozent der Schadstoffe durch Pflanzen verarbeitet werden können.

11) Kaltenbach 2008 (siehe Anmerkung 9), S. 1454.

12) Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V., Grüne Innovation Fassadenbegrünung, Projektgruppe Fassadenbegrünung, Dipl.-Ing. Nicole Pfoser, S. 4-5, 09/2011. www.fbb.de.

13) Manfred Köhler (Hrsg.), Handbuch Bauwerksbegrünung. Planung - Konstruktion - Ausführung, Rudolf Müller Verlag, Köln 2012, S. 31, S. 234.

14) Bringslimark 2009, hier zitiert nach Köhler 2012, S.16. Bringslimark, T; Hartwig, T.; Patil, G.G.: The Psychological Benefits of Indoor Plants. A Critical Review of The Experimental Literature, in: Journal of Environmental Psychology (2009), Nr. 29, S. 422-433.

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