Ein Jahrhundert modernes Stadtgrün in China

Vom Volkspark zur Stadtlandschaft

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Gartengestaltung
Der Yanweizhou Park von turen scape in Jinhua City, China, gewann die internationale Auszeichnung „World Landscape Of The Year 2015, s.a. SUG 01-2016, S. 8. Foto: turenscape

Gongyuan - der öffentliche Stadtpark - galt in China im frühen 20. Jahrhundert als Symbol der neuen Zeit. Öffentliche Parks als allgemein zugängliche städtische Grünflächen sind spätestens seit der Song-Zeit (960-1279) eine wichtige Komponente chinesischer Städte. Wenn aber heute von öffentlichen Parks die Rede ist, sind jene gemeint, die seit dem frühen 19. Jahrhundert einen festen Bestandteil der zunehmend industriell geprägten Städte Europas und der USA bildeten. Mit einer Phasenverschiebung von nur wenigen Jahrzehnten entstanden sie auch in Chinas Städten. Als frühestes Beispiel gilt der Huangpu-Park in Shanghai, eröffnet 1868. Dieser kleine Schmuckplatz am Westufer des Huangpu-Flusses, gelegen in der britisch-amerikanischen International Settlement, erwarb weltweite Berühmtheit dank seiner damaligen Parkordnung, die Hunden und Chinesen den Zutritt untersagte.1

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Im ersten Jahrzehnt der Republik (der zweiten Dekade des 20. Jhs.) entstanden plötzlich Parks in so vielen Städten, dass man fast von einer Park-Bewegung sprechen kann. Die Initiatoren und Träger dieser neuen Raumgestaltungen waren die neuen Kommunalverwaltungen, welche die kaiserliche Zentralregierung in den letzten Jahren der Qing-Dynastie zuließ, um die früheren relativ informellen Arrangements von Landsmannschaften und Gilden als Organisatoren städtischer Projekte und Dienstleistungen abzulösen. Doch waren die steuerlichen Einnahmen dieser für China neuen Gebietskörperschaften begrenzt. Da sich die Investitionskosten für einen städtischen öffentlichen Park in Grenzen hielten, waren Parks unmittelbar nach dem Sturz der alten Ordnung das ideale Objekt, um mit relativ geringem Aufwand sinnlich erfahrbar Bürgersinn und Weltoffenheit zu demonstrieren. Dies gelang umso leichter, wenn es sich bei diesen Parks - und das war eher die Regel als die Ausnahme - um ehemalige Privatgärten von Nutznießern des alten Regimes oder frühere Tempelflächen handelte. Neben der öffentlichen Zugänglichkeit kennzeichnete sie eine ergänzende Ausstattung mit Unterhaltungs- und Bildungseinrichtungen. Die eigentliche Gestaltung jedoch blieb weitgehend erhalten als Vermächtnis der alten Gesellschaft.

Zur Faszination des Parks als Beleg für Modernität hatte auch der Begriff gong-yuan beigetragen, ein Akronym aus alten vertrauten Zeichen, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Japan übernommen worden war. Dort war der Begriff erst kurz zuvor, 1873, für den Ueno-Park in Tokyo verwendet worden, der im Kontext der Meiji-Restauration nach Londoner, New Yorker und Pariser Vorbildern entstanden war, wobei hier noch keine Stadtverwaltung sondern das Kaiserhaus als Bauherr fungierte. Ein derartiger gongyuan beschrieb für die chinesischen Intellektuellen, die damals zu Tausenden in Japan studierten, nicht nur etwas Modernes, er war auch eine antiimperialistische Geste und artikulierte das Engagement der neuen Staatsführung für die Belange des Volkes. Die politische Dimension des Begriffs wird auch deutlich, wenn man sich an die landesweit verbreitete Parole des Gründers der Republik, Sun Yatsen erinnert: Tianxia wei gong: (= "die Erde gehört allen" oder "alles für das Gemeinwohl").

Im Gegensatz zu den öffentlichen städtischen Grünflächen des kaiserlichen China2 lag der erste republikanische Park, der Zentralpark3 im Südwesten der Verbotenen Stadt von Beijing. Er war hervorgegangen aus dem Ming-zeitlichen grünen Ensemble des Altars des Bodens und des Getreides (Shejitan). Das zirka 20 Hektar große Gelände mit seinem alten platycladus orientalis - Bestand (cebai) diente ursprünglich als Rahmen für kaiserliche Riten. Nur wenige Monate nach Gründung der Stadtverwaltung von Beijing 1914 konnte es bereits als öffentlicher Park eingeweiht werden.4

So galt für viele der neuen Parks: Alter Wein in neuen Schläuchen, denn bei den neuen gongyuan handelte es sich vor allem um konvertierte private oder kaiserliche Gärten, die meist für die neue Nutzung nur geringfügig verändert wurden. Den ersten Volkspark im europäisch-amerikanischen Verständnis verdankt China Zhang Qian.

Zhang Jian und seine Modellstadt Nantong

Jede Industriegeschichte hat ihre prominenten Unternehmer und Reformer, deren Wirken weit über den eigenen Betrieb hinaus als Vorbild wirkte. In England denken wir an Pioniere wie Robert Owen oder Titus Salt, in Frankreich an André Godin oder Antoine Brutus Menier, in Deutschland an Robert Bosch oder Walter Rathenau und in Italien an Adriano Olivetti. Zu den großen Vater-Figuren der chinesischen Industrialisierung gehört Zhang Jian (1853-1926), der ein höchst vielfältiges Lebenswerk hinterließ, in dessen Mittelpunkt der Aufbau eines Baumwoll-Industrie-Komplexes stand, angesiedelt im Umfeld der damaligen Kreisstadt Nantong am Nordufer der Yangzi-Mündung. Er stammte aus einer bäuerlichen Familie und absolvierte bis zum 41. Lebensjahr - verbunden mit verschiedenen Tätigkeiten in der lokalen, Provinz- und nationalen Verwaltung - alle Prüfungen, die das traditionelle System für zukünftige Beamte vorsah. Schließlich erwarb er sogar noch die Auszeichnung eines Zhuang Yuan, womit ihm alle Türen für höchste politische Aufgaben geöffnet waren. Konfrontiert mit der reformunwilligen Staatsführung kehrte er nach der militärischen Niederlage Chinas im Krieg mit Japan 1895 von Beijing zurück nach Nantong, um hier in den Folgejahren seine Vorstellungen von einem neuen China auf der Ebene einer Stadt und ihrer Region zu verwirklichen. Eine seiner Kernaussagen lautete: Ohne Industrie keine Bildung, ohne Bildung keine Industrie. Mit seinem prominenten Status als hoher Beamten-Gelehrter konnte er lokales Kapital für den Aufbau von Baumwolle verarbeitenden Betrieben mobilisieren, die transportgünstig im Umland von Nantong entstanden. Landerschließungen an der Küste dienten der Erweiterung der Anbaufläche. Die Erträge der Betriebe bildeten die materielle Grundlage für eine umfassende Bildungsreform und den Ausbau der Infrastruktur. Bildung, Gesundheit und Kultur standen im Mittelpunkt. Dank der Einrichtung eines Lehrerseminars gelang in kurzer Zeit die Gründung mehrerer hundert Schulen in den Dörfern der Region. Das breite Spektrum sozialer und kultureller Neuerungen in der stolz proklamierten Modellstadt ist bereits gut untersucht5, sodass hier nur summarisch die grüne Dimension des Reformwerks erwähnt werden muss:

  • Aufforstung der Langshan Bergkette am Ufer des Yangzi;
  • Mehr als 200 Kilometer Straßen entstehen als Alleen;
  • Ein botanischer Garten dient der Schul- und Lehrerbildung;
  • Konversion ehemaliger (begrünter) Tempelgelände in Schulen;
  • Erholungs-, Sport- und Spielflächen bei Kindergärten neben den Textilbetrieben;
  • Die sogenannten "fünf Parks" als Volkspark.

Die "fünf Parks" - Chinas erster Volkspark

Die Provinzen Zhejiang und Jiangsu am Unterlauf des Yangzi bilden seit Jahrhunderten ein Zentrum chinesischer Gartenkunst. Dabei ging es hier weniger um kaiserliche Gärten als vielmehr um die Privatgärten (huangjia yuan) der Beamten-Gelehrten und der mit ihnen liierten Landbesitzer und Kaufleute, stets angelegt innerhalb der Städte. Die Garten-Passion von Zhang Jian war insofern durchaus standesgemäß. Allerdings äußerte sie sich weniger in der Anlage eines weiteren Privatgartens als vielmehr eines öffentlichen Parks, der sich am Vorbild japanischer und US-amerikanischer Städte orientierte. Sein Name "fünf Parks" (wu gongyuan) ergibt sich aus seiner topographischen Lage und Komposition6: Nantong gehörte zu den relativ wenigen chinesischen Verwaltungszentren, die nicht nur von einer Stadtmauer sondern zusätzlich von einem Wassergraben umgeben waren. Im Falle Nantongs hat dieser die ungewöhnliche Breite von 50-200 Metern, denn er diente ursprünglich auch als Übungsgelände für die Marine im Kampf gegen japanische Seeräuber. Die Anlage eines Parks auf künstlichen Inseln in diesem Haohe-Gewässer vermied Konflikte beim Landerwerb. An der Südost-Ecke der Stadt, zwischen Stadtmauer Haohe, befand sich der Tempel für Kui Xing, jene Gottheit, die besorgte Eltern anriefen, um den Erfolg ihres Sohns bei Examina zu erbitten. Es war bezeichnenderweise dieser traditionsgeprägte Standort, den Zhang Jian zum Ausgangspunkt für seine fünf Parks erkor, die auf fünf Inseln entstehen sollten.

Der Aufbau des flächenmäßig eher kleinen Parks mit acht Hektar aus fünf Einzelräumen war bedacht, ist diese Zahl doch in der chinesischen Kultur positiv besetzt: "5" steht zum Beispiel für fünf Berge, fünf Elemente, fünf Segenswünsche, vor allem aber für die fünf Himmelsrichtungen, und so setzte sich auch dieser Park aus einem Nord-, Ost-, Süd- und Westpark sowie aus dem Park der Mitte zusammen. Für die Anlage im Wasser hatte Zhang Jian zwei berühmte Vorbilder: zum einen das naturnah gestaltete Ensemble von Beihai, Zhonghai, Nanhai (nördlicher, mittlerer und südlicher See) im Westen der streng axial-geometrischen Verbotenen Stadt in Beijing. Diese Gestaltung war das Ergebnis eines Süd-Nord-Transfers aus der Ming-Zeit, als die Reichshauptstadt von Nanjing nach Beijing verlegt wurde. Zum anderen bezog er sich auf den schon genannten West-See (Xihu) von Hangzhou, vor allem mit der Abfolge von Inseln, die durch Deiche und Brücken miteinander verbunden waren.

So entstand hier ein Park, der dank der profunden klassischen Bildung des hoch verehrten Reformers in seiner äußeren Gestalt, mit den vielfältigen Blickbeziehungen, dem Zitieren klassischer Gartenvorbilder, seiner Namensgebung, dem Bezug zum Tempel des Kui Xing und vor allem der omnipräsenten Kalligraphie7 von Zhang Jian der großen Tradition chinesischer Gartenkunst verpflichtet war. Doch gleichzeitig entsprach er - konsequenter als alle anderen zeitgenössischen öffentlichen Parks in China - mit in seiner klaren funktionalen Gliederung den Anforderungen eines modernen Volksparks: der Nordpark diente dem Rasensport (Fußball, Tennis, Bogenschießen); der Westpark mit Schaukeln, Rutschen unter anderem dem Kinderspiel, der Südpark großen gesellschaftlichen Veranstaltungen, der Westpark dem Wassersport und militärischen Übungen und der Park in der Mitte mit Restauration und Seminarräumen der Bildung und Erholung für alle. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung und Trägerschaft hatte der Park allerdings wie alle öffentlichen Parks dieser Generation einen hybriden Charakter: Einerseits sollte er die neue Kraft lokaler Selbstverwaltung (zizhi) dokumentieren, andererseits war die kommunale Macht noch nicht demokratisch legitimiert, wenngleich sie sich mit ihrer paternalistischen Haltung auf eine breite Akzeptanz stützen konnte.

Kriegsjahre und Neuanfang

Der Eröffnung der fünf Parks als erstem modernem Volkspark 1917 folgte während des anti-japanischen Krieges und des Bürgerkrieges nur wenig Vergleichbares. Erst ab 1950 avancierte der Begriff "Volk" in Anlehnung an das sowjetische Vorbild zur Standard-Vokabel der Politsprache, damit auch der "Volkspark"(renmin gongyuan), oder - wie im Fall von Shanghai - der "Volksplatz" (renmin guangchang). Dieser entstand als Umnutzung des früheren Pferderennplatzes der halbkolonialen Gesellschaft des "alten" Shanghai. Von nun an fehlten Volksparks und -plätze in keiner chinesischen Stadt. Sie boten den Rahmen für die neuen Feste (1. Mai, 1. Juni/Weltkindertag, 1. Oktober/Nationalfeiertag), bildeten im Übrigen wichtige Kompensationsräume für die äußerst knapp bemessenen städtischen Wohnflächen. In ihrer Gestaltung und Pflanzenauswahl entsprachen sie den herkömmlichen volkstümlichen ästhetischen Normen. Sie waren ausgelegt als Räume für die intensive sportliche und künstlerische Nutzung durch Kleingruppen und für den kleinen Spaziergang, weniger für den Massensport. Ökologische Gesichtspunkte standen nicht im Vordergrund.

Als sich mit Beginn der Reformpolitik seit den 1980er-Jahren das Schwergewicht der wirtschaftlichen Entwicklung endgültig auf die Städte verlagerte und sich mit der Marktorientierung und Öffnungspolitik ein zunächst bescheidener Wohlstand andeutete, wandelten sich die städtischen Grün- und Freiflächen zu Vorzeigeobjekten einer city beautiful-Bewegung8. Stadt-Verschönerung wurde ein großes Thema als Dokument obrigkeitlicher Fürsorge aber auch als Beiwerk für den boomenden Immobilienmarkt. Dekorative und kostspielige Außenraumgestaltungen dienten nun als Versprechen einer vermeintlich besseren (Um-)Welt, die de facto durch die Dynamik der Industrialisierung immer mehr gefährdet war.

Der neue Ansatz von Yu Kongjian

Entstand der Volkspark bei Zhang Jian als eine Art "Nebenprodukt" bei seiner Suche nach einer bildungsorientierten chinesischen Industriegesellschaft, so wurde seit den späten 90er-Jahren die Kritik an der Verlogenheit des zeitgenössischen Stadtgrüns von einem Fachvertreter vorgetragen: Yu Kongjian, geboren 19639 und auch er auf dem Land zu Hause, erhielt seine Grundausbildung als Landschaftsplaner an der angesehenen Forst-Universität von Beijing und absolvierte ein Aufbaustudium und die Promotion an der Harvard School for Landscape Design bei Carl Steinitz. 1997 kehrte er nach China zurück, doch weder an seine alma mater noch an die renommierte Architektur-Fakultät der Qinghua Universität. Stattdessen wagte er die Einrichtung eines Grund- und (später) Aufbaustudiengangs Landschaftsplanung an der Peking Universität, die bis dahin überhaupt keine Entwurfs-orientierten Studiengänge anbot. Die Beida ging mit dieser Entscheidung kein großes Risiko ein, da Yu sich anbot, die anfallenden Kosten, soweit sie nicht durch die Studiengebühren abgedeckt waren, durch sein Entwurfsbüro "turen" zu erwirtschaften. Dieses hatte er innerhalb weniger Jahre gemeinsam mit dem Ökologen Li Dihua zu einer landesweit agierenden Firma mit mehreren hundert Mitarbeitern aufgebaut. Die Wahl gerade dieser Universität, die so eng verbunden ist mit der politischen Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert, war genau so provokant wie der Firmenname, denn turen bedeutet wörtlich "Landmann". Dabei ist aber zu bedenken, dass der Begriff "tu" von Stadtbewohnern meist abfällig gebraucht wird im Sinne von "unkultiviert", "bäuerlich".

Die Gruppe um Yu Kongjian nahm ihre Arbeit zu einem Zeitpunkt auf, als nach einem halben Jahrhundert massiver Industrialisierung der Umgang mit ihren Folgen zum landesweiten Thema wurde. Die buchstäbliche Sanierung industriell verbrauchter Restflächen bildete von Anfang an einen Arbeitsschwerpunkt des Turen-Büros. Anregungen bot auch die IBA Emscherpark (1989-99). Bereits eines der ersten Projekte (2000-2002) signalisierte den Bruch mit den bisherigen Konzepten grüner Stadtgestaltung und ihren ästhetischen Idealen: Es war - symbolträchtiger konnte es kaum sein - angesiedelt in Zhong Shan/Guangdong, dem Heimatort von Sun Yatsen. Hier erhielt Yu Kongjian den Auftrag zur Konversion eines ehemaligen Werftgeländes in einen Volkspark. Mit einem minimalistischen Einsatz - Beibehaltung der vorgegebenen Land-Wasser-Verteilung - gelang ein großer Wurf, der sowohl gewässerökologische wie auch industriedenkmalpflegerische Gesichtspunkte berücksichtigte. Damit, aber auch mit neuen Blickbeziehungen, einem neuen Wegenetz und neuen Baustoffen grenzte er sich deutlich ab von der bisherigen Einfallslosigkeit. Ähnliche, international gewürdigte Projekte folgten:

  • Um der Naturvergessenheit der chinesischen Großstadtbevölkerung offensiv zu begegnen, erhielt der Turen-Entwurf (2003) für den Campus der Hochschule für Bauwesen in Shenyang (Liaoning) die bisherige Art der Landnutzung als bewässerte Reisfelder, die nun lediglich durch feste Wege, Bäume als Schattenspender und kleine Flächen zum Aufenthalt im Freien unterbrochen sind. Die Hochschulangehörigen können so den jährlichen landwirtschaftlichen Zyklus vor ihrer Haustür miterleben.
  • Für die Weltausstellung in Shanghai 2010 entstand auf den Altlastflächen eines ehemaligen Werftgeländes am Huang Pu der Houtan Park, eine ausgedehnte Pflanzenkläranlage, die gleichzeitig einen attraktiven Park bildet.
  • In Harbin, der Hauptstadt der Provinz Heilongjiang in der nördlichen Mandschurei, konnte Turen 2011 das naturnah erhaltene Qunli-Feuchtgebiet so in einen Stadtpark verwandeln, dass die Funktion eines Wasserrückhaltebeckens voll gewahrt blieb.

Während Zhang Jian über drei Jahrzehnte mit einem zwar nicht ausformulierten, aber dennoch holistischen Ansatz die Transformation einer Stadt und ihres Umlands verfolgte, war die Arbeit von Yu Kongjian notwendigerweise stets Projekt-orientiert, umfasste aber genauso alle Maßstabsebenen, realisiert in allen Teilen des Landes. Yu verstand diese Projekte stets als Komponenten einer Stadt-Landschaft (chengshi jingguan).

Wie bei Zhang Jian gibt es auch für das Turen-Kollegium einen Bildungsauftrag, dem einfallsreich entsprochen wird: Für die Bürgermeister, Planungs- und Bauexperten chinesischer Städte bietet Turen fachliche Exkursionen und Weiterbildungsveranstaltungen in Beijing an, um die nachhaltige und kostengünstige Vorgehensweise des Büros zu erläutern. Da - was nicht überrascht - Dienstreisen in die Landeshauptstadt populär sind, erfreuen sich diese Programme großer Beliebtheit und vermitteln ganz beiläufig neue Aufträge.

Der Appell Jan McHarg's "Design with Nature" (1969) ist die Grundlage für die Kritik des Turen-Teams an der heutigen chinesischen Urbanisierung: die mangelnde Berücksichtigung der natürlichen und historisch-kulturellen Qualitäten des Standorts. Sie erhielt Rückendeckung durch die sich häufenden sommerlichen Flutereignisse in Chinas Städten, die immer wieder Todesopfer und verheerende Sachschäden fordern. So ist die Zentralregierung inzwischen auf die Kritik, Forderungen und Vorschläge von Yu Kongjian und Li Dihua eingegangen, indem sie Ende 2014 landesweit einen Modellversuch Haimian chengshi (die Stadt als Schwamm) mit 14 Städten auflegte, um deren Wasserrückhalte-Kapazität, eine Verminderung von Flutschäden und eine Verbesserung der Grundwasserneubildung langfristig zu fördern. Für den Zeitraum von drei Jahren werden Investitionsmittel in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro für dieses Programm bereitgestellt.¹0 2016 ist das Projekt um weitere 16 Städte erweitert worden¹¹. Niemals zuvor hatte ein privates Büro für Landschaftsplanung mit seinen neuen Ideen einen so großen Einfluss auf die Stadtentwicklungspolitik eines Landes.

Literatur

Gao Lei & Woudstra, Jan (2011): From landscape of gods to landscape of man: Imperial Altars in Beijing; Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes: An International Quarterly, 31:4, 231-268.

Saunders, William S. (Ed.)(2012): Designed Ecologies, The Landscape Architecture of Kongjian Yu, Basel: Birkhäuser.

Shao Qin (2004): Culturing Modernity: the Nantong Model, 1890-1930. Redwood City, CA: Stanford University Press.

Shao Yaohui (2012) Der grüne Beitrag zum Gesamtkunstwerk Nantong: Zhang Jian und die Anfänge der modernen Landschaftsgestaltung in China; Berlin: TUB, Materialien zur Geschichte der Gartenkunst Bd. 9.

Shi Mingzheng (1998): From Imperial Gardens to Public Parks, The Transformation of Urban Space in Early Twentieth-Century Beijing, in: Modern China, vol. 24, 3, July 1998, 219-254.

Warner, Torsten (1994): Deutsche Architektur in China, Architekturtransfer; Berlin: Ernst und Sohn.

Zhang Xuwu (2004) Zhang Jian; Beijing: All China Federation of Industry & Commerce Press.

Anmerkungen

1 www.oai.de/de/51-ostasienlexikon/fff/ 1281-fuer-chinesen-und-hunde-verboten.html, 01.10.2016

2 Berühmte Beispiele sind das Gelände um den Westsee/Xi Hu in Hangzhou oder die parkähnlich gestalteten Berge im Westen von Beijing (Xiangshan). Was diese ausgedehnten Landschaftsgärten von modernen Stadtparks unterschied, waren die fehlende Betonung der Multifunktionalität sowie ihre Distanz zum Stadtzentrum, die sie für einen Großteil der Stadtbevölkerung schwer erreichbar machten.

3 Zhongyang gongyuan, ab 1926 umbenannt in Zhongshan Gongyuan, nach Sun Yatsen (1866-1925), dem "Vater" der Republik.

4 Shi MingZheng 1998, 234; Gao Lei & Woudstra 2011, 244-247. Treibende Kraft war Zhu Qiqian (1872-1964) in seiner Doppelfunktion als Vorsitzender der Stadtverwaltung und als Innen- und Verkehrsminister, dem Beijing etliche bauliche Innovationen verdankt, unter anderem den ersten Durchbruch durch die mächtige Stadtmauer beiderseits der südlichen Stadttore (Warner 1994, 30-33).

5 Shao Qin(2004); Shao Yaohui (2012)

6 Shao Yaohui 212, 160-170 u. Abb. im Anhang

7 Anspielungsreiche Namen für Gebäude, Wege, Plätze und Ausblicke, verfasst und geschrieben in der anspruchsvollen Kalligraphie des Auftraggebers bilden einen unverzichtbaren Bestandteil der Gärten.

8 Der Begriff entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich in den USA viele Großstädte darum bemühten, soziale Konflikte durch eine bauliche Verschönerung der alltäglichen Umwelt ihrer Zentren zu erreichen. Auf den Surrogat-Charakter dieser Maßnahmen auch im China der 1990er Jahre ist immer wieder hingewiesen worden. Eine amtliche Parole jener Jahre lautete einfach: (Macht etwas) für eine gute Begrünung und Verschönerung! Gaohao lühua, meihua!

9 Seine vita ist detailreich vorgestellt bei Saunders (2012, 60-66)

10worldlandscapearchitect.com/flooding-china-pushes-forward-sponge-city-construction-programs/21.10.2016

11 www.mof.gov.cn/zhengwuxinxi/zhengcefabu/201510/t20151016_1507043.htm 06 01 2017

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