Von der Geschwätzigkeit und Flüchtigkeit der designerfüllten Landschaftsarchitektur

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Landschaftsarchitektur
Der Aufsteigende, "Man walking in the Sky" steht vor dem Hauptbahnhof Kassel und ist eine Arbeit des amerikanischen Künstlers Jonathan Borofsky. Foto: Jürgen Milchert

Wahrscheinlich gab es noch nie eine Zeit, wo soviel neue und wieder erneuerte Landschaftsarchitektur entstanden ist wie in der Gegenwart. Es ist durchaus zu befürchten, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Alles ist Form, Plakat und dreidimensionaler Bildschirm, was fehlt sind die Inhalte. Die Regie über heutige Parks und Gärten führt heutzutage oft das immer raffiniertere Zeichendesign der Rechner. Viele neue Landschaftsarchitektur stellt kaum etwas mehr dar als Bildschirm-designte Gestaltung im 1:1 Maßstab.

Der Mangel an "Content" hat dazu geführt, dass wir uns nach jedem neuen Modelüftchen begeistert sehnen und sei sie auch noch so altbekannt und abgelutscht. Beispielsweise könnte man heutzutage die zunehmend erbärmlichen Themengärten nennen, die trotzdem in jeder Gartenschau und in jedem Gartenevent zu sehen sind. Nachdem sie noch vor gut zwanzig Jahren Aufbruch und Frechheit signalisierten, sind sie heutzutage eigentlich nur noch peinlich. Ähnliches ist beispielsweise auch von der Gabionenkultur zu sagen. Anfangs war es eine kleine witzige Idee die Landschaftsbauelemente in die Städte und Gärten zu bringen, mittlerweile kann man sie kaum noch sehen.

Ähnliches scheint sich mir dem Thema "Urban Gardening" oder "Urban farming" zu geschehen. Nutzgärten stellen die Grundlage der Gartenkultur seit tausenden von Jahren dar und die Erfahrung lehrt, dass sich in Krisen- und Kriegszeiten Parks und Gärten schnell wieder zu Kartoffelackern und Gemüsebeeten zurückentwickeln. In jedem schönen Garten lauert auch der Nutzgarten und der steht historisch auch für Notzeit. Meine Großeltern waren froh, als sie sich in ihrem Mietergarten endlich ein Stückchen Rasen und ein paar Blumen leisten konnten: Man hatte die lange Zeit der Armut in Krieg und Mangelzeit geradezu zeichenhaft sichtbar überwunden und war stolz darauf, sich zum ersten Male ein Stück Ziergarten leisten zu können. Hühner, Gemüse, Kohl und Erdbeeren verblieben selbstverständlich, man liebte den Ernteerfolg, aber nicht die Schönheit. Unsere heutige Generation feiert stattdessen den Nutzgarten als große neue Innovation. Der Garten wurde vom Ort der Arbeit zum Ort der Freizeit und der Schönheit.

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Eigentlich geht gesellschaftlicher Fortschritt anders: Unsere Bauern sollen endlich gesundes Gemüse und Fleisch erzeugen und nicht den Schrott, den uns gegenwärtig die Landwirtschaftsindustrie zum subventionierten Fraße vorsetzt. Unsere Studierenden aber sind immer noch fasziniert von dieser angeblich neuen Tendenz zur essbaren Stadt. Vielleicht wäre es wichtiger, industrialisierte Massenställe abzureißen und Mais zu mähen, statt Samenbomben zu werfen.

Der eigentliche Grund für die Gestaltungskrise in der heutigen Landschaftsarchitektur, wie sie in diesem Jahr in Reinkultur auf der igs in Hamburg zu besichtigen war, liegt aber wahrscheinlich im Fehlen von zündenden gesellschaftlichen Utopien für eine qualitätsvolle heutige Landschaftsarchitektur. Mit Peter Sloterdyk gesprochen gibt es in unserer Gesellschaft einen prägnanten "vertikaler" Spannungsverlust, also ein Fehlen von Sinnstiftungen aus dem traditionellen oder neuen gesellschaftlichen Überbau, also aus Religion, Kultur, Philosophie und Politik. Stattdessen besitzen wir ganz viel horizontalen Brei aus Konsum, Unterhaltungsindustrie und Freizeitvergnügungen. Dieses Bild kann man heutzutage geradezu musterhaft auf unsere neuen Gärten und Parks übertragen, jedenfalls dann, wenn sie öffentlich sind. In der heutigen Landschaftsarchitektur überwiegt die horizontale Ebene. Parks sind Puzzle aus Wiesen, Wegen, Wasser, Waldelementen und allerlei Möbelstücke zur Garnierung. Eine Vision, die zur diskutierten Utopie wird und sich anschließend landschaftsarchitektonisch materialisiert, gibt es nicht. Es gibt keine wirklich spannenden Visionen, wie sie historische Wirksamkeiten für das Geistesleben der Völker hatten, als sich beispielsweise der Barockpark zum Landschaftspark, der Brezelpark zum Volkspark oder das Teppichbeet zur sozialen Platzsituation wandelte. Selbst die sogenannte Tulpenmanie im Holland des 17. Jahrhundert ist ein Beispiel dafür, wie teuer über Pflanzenschönheit spekuliert wurde.

Stattdessen leben wir noch von der positiven gesellschaftlichen Begrifflichkeit rund um das Thema des Gartens und davon, dass unsere traditionellen Gestaltungselemente einfach auch so etwas wie Eigenschönheit besitzen. Eine Rose ist eine Rose. Man kann einen alten Baum kaum so verhunzen, dass er einfach eine Restausstrahlung von Schönheit und Authentizität verbreitet, es sei denn, man verpflanzt ihn für viel Geld und nimmt ihm seinen Ort. Im Folgenden möchte ich am Beispiel der christlichen Gartenkultur darlegen, wie es wäre, wenn man Gärten und Parks im traditionellen Bild der christlichen Kultur neu und zeitgenössisch neu interpretiert. Die illustrierenden Bilder einen neuen christlichen Gartens, stammen von dem vor etwas zwei Jahren nach vielen Überlegungen eröffneten zeitgenössischen Garten, der von dem Berliner Landschaftsarchitekturbüro "Relais" gestaltet wurde.

Von der uneingelösten christlichen Utopie des Gartens als Vorschein des Paradieses

Die jüdisch christliche Idee, mit einiger Berechtigung könnte man den Islam hinzurechnen, geht davon aus, dass am Anfang und am Ende der Zeiten ein Garten steht. Schon in der jüdischen Überlieferung steht der Garten für eine Idee, die weit vor der Erschaffung der Welt in der Absicht Jahwes lag. In diesem Sinne ist der "Garten" älter als die reale Welt. Die geordnete göttliche Ordnung ist ein Garten (Paradies), dazwischen gibt es das Chaos der Welt, das dann wieder in einen geordneten Zyklus (das himmlische Jerusalem) am Ende der Zeiten also wieder in einen Garten übergeht.

Betrachtet man das Leben des Jesus von Nazareth nach seinen bezeugten Wirkungsstätten im Evangelium, so findet man selten gebaute Versammlungsstätten als Orte der Verkündigung und der Wundertätigkeit, sondern landschaftliche Situationen wie Berge, Gärten, Flüsse, Seen und wohl auch - beispielsweise bezogen auf Jerusalem - öffentliche Räume, wie man sie in einem heutigen Vokabular nennen würde.

Landschaftsarchitektur
Foto: Jürgen Milchert
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Foto: Jürgen Milchert
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Das Paradies, also der Garten Gottes, wird als ein konkreter Ort angestrebt, wo sich Löwe und Lamm friedlich begegnen. In diesem Garten sind Prinzipien des Fressens und Gefressenwerdens ausgehebelt. Hier herrscht nicht derStärkere, sondern alles, ja gerade das Schwache und Zarte hat hier seinen Platz. Dieser christliche Garten gehört zu den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn. Foto: Jürgen Milchert

Das Leben und Wirken des Jesus von Nazareth fand weniger in Synagogen statt (dort eher in einer kritischen Gegenhaltung gegen die "Pharisäer"), sondern an öffentlichen, an landschaftlichen und an urbanen Orten. Das Christentum war eine Religion des Draußen und nicht des Drinnen. Jesus entschwand auf einem Berge, stieg in einer Wolke zum Himmel auf und man erwartete die Rückkunft in ähnlicherweise vom hellen Wolkenhimmel. Auch der Erlösungstopos des Christentums, das zentrale Auferstehungserlebnis als Kernversprechen des Glaubens, sucht die Sonnenseite der Existenz: Vom tristen hoffnungslosen Grab empor in den grünen Garten. Es ist mehr als Zufall, dass Maria von Magdala den auferstandenen Christus zunächst als Gärtner erkannte.

Erst in Zeiten der Bedrohung und Verfolgung scheint das Christentum das Topos gewechselt zu haben. Man verbarg sich vor den Häschern, feierte die Messe in privaten Häusern, ja entdeckte den unterirdischen Raum, also die Katakomben, notgedrungen als neuen spirituellen Topos. Das Unten wurde gleichzeitig zum Topos der Hölle, wie ihn im Mittelalter so kenntnisreich Dante beschreibt. Demgegenüber wurde der Himmel als Ort immer komfortabler aber auch immer entfernter, ein gewaltiges Reich mit Heerscharen von Engeln und Heiligen.

Als im vierten Jahrhunderts nach dem Konzil von Niccea die ersten realen Kirchbauten entstanden, gelangte wieder der Lebensgedanke, eine angestrebte Heilslandschaft stärker ins kirchliche Bewusstsein. Das Christentum wurde zur römischen Staatsreligion und bekam offizielle Hierarchien und Räumlichkeiten. Nachdem Jesus nicht - wie anfangs erhofft und erwartet - sein himmlisches Reich rasch verwirklichte, gewann die Zukunft als irdische Kategorie an Bedeutung und in diesem Zusammenhang auch die irdische Schöpfung: Sie wurde zunehmend nicht nur als eine Art Transitraum, als notwendiges Jammertal wahrgenommen, sondern als Vorschein des Paradieses wie es mittelalterliche Visionäre interpretierten. Dies ist gut in der Ikonografie der Galla Placidia in Ravenna (frühes 5. Jahrhundert) zu sehen. Das irdische Leben gewann einen starken Eigenwert und das Christentum wurde zu einer Religion, die das Leben und die Schöpfung in all ihren Aspekten feiert. Dieser Prozess hin zum Leben dauert an. Die Kirchenräume wurden geostet, ausgerichtet auf die aufgehende Sonne als Metapher für die gewaltige Kraft des Erlösers. Das ideale Topos war nun nicht mehr die Grabeshöhle, sondern die Pracht des himmlischen Jerusalems. Der Erlösungsmodus visualisierte einen vollkommenen irdischen Raum, zunächst als Stadt und mit der Gotik zunehmend auch als Architektur des steinernen Waldes unter einer weiten Himmelskuppel. Dies wurde zum spirituellen Bauprogramm der gotischen und neugotischen Kirchen.

Merkwürdigerweise verblieb die Ästhetik des Christentums bis heute eher eine verhäuslichte, eine Winterästhetik, die den Kerzenschein und nicht das Sonnenlicht des Himmels sucht. Die "Kirche" - Organisation und Versammlungsort sind interessanterweise identisch - spielt in sich abgeschotteten Räumen ab, belegt mit zahlreichen Gräbern. In Form der Krypta, die unter dem Altarraum liegt, ist ein regelrechtes In-Den-Boden-Gehen spürbar. Diese dunkle geheimnisvolle Seite der christlichen Ästhetik in all seiner Vererdigung besitzt als Gegenstück im gotischen Wald mit seinen Sonnenstrahlen eine Art lichten Gegenraum, in dem sich durch die Glasfenster das Sonnenlicht eine Art himmlisches Jerusalem wie eine strahlend bunte Waldlichtung bildet. Trotzdem scheint ein echtes sich auspendelndes Gleichgewicht zwischen beiden Kraftebenen noch nicht erreicht. Das typische Licht der Kirche ist immer noch Kerzenlicht und kein Sonnenlicht, obwohl in der österlichen Symbolik der erste Lichtstrahl als Symbolik der Auferstehung gefeiert wird. Dieser Lichtstrahl besteht aber auch aus Kerzenlicht. Ein Gleichgewicht zwischen der dunklen und der lichten Seite ist aber anzustreben, weil es zugleich auch eine Art spirituelle Harmonie in religiöser wie ganz individueller Weise bedeuten kann. Das Dunkle, Erdhafte, also das Todesverliebte wiegt zwar noch unverändert schwerer als das Leichte und Lichtvolle: Aber dies lässt sich ändern, zumal in einer Religion, die das Leben als zentrale Kategorie feiert. Dazu können Gartenträume beitragen.

Der grausame Stachel der Schöpfung und der Gegenentwurf des Gartens

Nicht erst seit der Erkenntnis des Evolutionsprinzips als Treibsatz der irdischen Entwicklung verzweifeln viele Menschen an der mechanistischen Grausamkeit einer Schöpfung, deren offensichtlicher Antrieb im Fressen und Gefressenwerden zu liegen scheint. Hierin liegt das große Desaster des christlichen Glaubens: Gottes Schöpfung ist gleichzeitig ein Fest der Schönheit, beim näheren Hinsehen scheint der Triebfeder dieser Schönheit ein grausames allumfassendes Prinzip zu sein, das in einer Art seelenlosem Automatismus des Fressen- und Gefressenwerden abläuft. Hierdurch verlieren viele Christen ihren Glauben und es sind gerade die Sensiblen, die Aufmerksamen und Nachdenklichen, Menschen, auf die es in der Gesellschaft und in den Kirchen besonders ankäme.

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Straßenkünstler mit christlichem Motiv. Foto: Jürgen Milchert

Auf der anderen Seite gilt im Christentum eine tief verankerte Utopie: Das Paradies also der Garten Gottes wird als ein konkreter Ort angestrebt, wo sich Löwe und Lamm friedlich begegnen. In diesem Garten sind Prinzipien des Fressens und Gefressenwerdens ausgehebelt. Hier herrscht nicht der Stärkere, sondern alles, ja gerade das Schwache und Zarte hat hier seinen Platz. Vor allem in der Kultur des Gartens mit seinen bewussten nach Schönheit, Nutzen und Seltenheit zusammengestellten Pflanzenzusammenstellungen scheint es schon eine Art Vorschein einer friedlicheren Welt zu geben. Wahrscheinlich liegt in diesen Möglichkeiten eines der oft unbewussten Hauptmotive vieler Gartenfreunde. Der gut bestellte Garten ist ein machbares Gleichnis des Paradieses, eine sichtbar verwirklichte kleine irdische Utopie, die auch im Alltagsleben des Gartens umsetzbar ist.

Impulse eines christlich motivierten Landschaftsbildes

Bevor der Garten für große Teile der Gartenfreunde zum Ort der Schönheit wurde, war und blieb er ein Ort der Nützlichkeit, das aber wohl immer auch ein Moment der Schönheit in sich birgt. In Europa waren es vor allem die Benediktiner und Zisterzienser, die im Großen wie im Kleinen den Menschen den "Garten" und auch die Kulturlandschaften brachten. Die Klöster wurden zu Zentren der Gartenkultur, was gesellschaftlich, kulturell und wissenschaftlich viel zu wenig gewürdigt wird! Sie wirkten dabei direkt und indirekt. Zum einen waren sie "Schaugärten" des Nützlichen und Gesunden, denn hier wurden Obst, Gemüse und Arzneipflanzen kultiviert und erklärt. Es waren Mönche, wie beispielsweise Walefried Strabo oder Hildegard von Bingen, die als Botaniker, Gärtner und Ärzte das Wissen der Zeit systematisierten, eigene Forschungen vorantrieben und Sämereien, Ableger und Getreidesorten verbreiteten. Über Wandermönche fand das gärtnerische und landwirtschaftliche Wissen zudem Verbreitung in Stadt und Land. Mit einiger Berechtigung kann man sagen, dass die im Mittelalter entstandene kleinteilige mitteleuropäische Kulturlandschaft, zum großen Teil ein Ergebnis mönchischen Wirkens war. Diese Landschaft, man würde sie heute als nachhaltig und nützlich bezeichnen, war artenreich und schön. Sie war auch nicht nur ein Ort der Produktion, sondern Bestandteil der religiösen, durchzogen von Pilger- und Prozessionswegen und religiös motivierten Erinnerungsstätten. Erst klimatische Veränderungen (kleine Eiszeit im 13. Jahrhundert), Kriege (beispielsweise der 30-jährige Krieg), vor allem aber die industrielle Revolution und die Industrialisierung der Landwirtschaft führten zu den heutigen landschaftlichen Defiziten. Angesichts der sich weltweit abzeichnenden Nahrungsmittelknappheit, der neuen Lust am Säen und Ernten, der Rückkehr zum Einfachen ist es an der Zeit, die vorhandenen Landschaften zu Orten zu machen, wo Produktivität, bäuerlicher und forstwirtschaftlicher Nutzen, Schönheit, Gesundheit, Spiritualität und Ökologie ein neues Landschaftsbild ergeben, wo doch so viel alte Erfahrung im positiven Sinne "aufgehoben" ist.

Das Prinzip des gut bestellten Gartens

Aber was sind die konkreten Prinzipien des schönen und heilen Gartens? Was ist das Geheimnis respektvollen Gärtnerns? Der gut bestellte Garten ist ein Garten der versucht, die Hauptgesetze der Evolution und Sukzession für einen begrenzten Raum und eine begrenzte Zeit außer Kraft zu setzen. Stattdessen wird eine andere Kraftlinie der Evolution gefeiert, nämlich das Nischenprinzip: Möglichst viele Arten finden sich zu Biotopen also Lebensgemeinschaften zusammen, die ökologisch gesehen vielfältig und stark sind und ästhetisch gesehen wunderschön. Dieses Prinzip herrscht etwa in gekonnten Staudengärten, die zudem noch einen Gang durch den Garten zum Gang durch die Vielfalt erdweiter Vegetation und Klimazonen machen. Ein Gang durch den Garten wird ein Gang durch Gottes vielfältige Welt.

Es scheint vor allem zwei "Feinde" des Gärtners zu geben. Einerseits sind es die Schädlinge, vor allem die Schnecken und andererseits einige Unkräuter, hier ist die Quecke unausrottbar. Selbstverständlich kann man mit Chemie den Garten schützen, spannender und "ethischer" scheint es aber nicht so sehr den Kampf gegen die Schädlinge, sondern den Einsatz für die schwachen und besonderen Pflanzen in den Vordergrund zu stellen. Man stützt die gewünschte Vegetation, nimmt dankbar Elemente sich selbst aussäender Wildstauden an, beispielsweise den wunderschön blühenden Fingerhut und geht in seinem Tun nicht radikal vor, sondern korrigiert durch tägliches Zupfen den Lauf des Gartens. Es geht um das intelligente Zulassen und nicht um das Ausmerzen. So lernt man, im Laufe der Jahre eine wirkliche Gartenkultur zu entwickeln, die die Gartenarbeit zu einer Art dialogischen Meditation mit den Kräften der Natur werden lässt.

Die hohe Kunst dieser Gartenkultur liegt darin, den Gartenraum als eine Art vielfältiges Buch zu lesen und zu interpretieren. In diesem lebendigen Buch Garten spiegeln sich die verschiedenen Prinzipien der Natur. In einem solchen Garten ist der Gärtner nicht der Besitzer, sondern ein treusorgender Gast, der sich an nachhaltigem Wirken orientiert.

Landschaftsarchitektur
Foto: Jürgen Milchert
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Der gut bestellte Garten ist ein Garten der versucht, die Hauptgesetze der Evolution und Sukzession für einen begrenzten Raum und eine begrenzte Zeit außer Kraft zu setzen. Stattdessen wird eine andere Kraftlinie der Evolution gefeiert, nämlich das Nischenprinzip: Möglichst viele Arten finden sich zu Biotopen zusammen, die ökologisch gesehen vielfältig sind und ästhetisch gesehen wunderschön. Foto: Jürgen Milchert

Vom Bewahren der Schöpfung zur Bereicherung der Erde

Seit wenigen Jahrzehnten ist endlich das "Macht Euch die Erde untertan" aus der christlich motivierten Ethik verschwunden. Stattdessen ist nun von der Bewahrung der Schöpfung die Rede. Gottes Schöpfung soll erhalten und für die nachfolgenden Generationen und in immer stärkerem Maße auch als Selbstzweck gefeiert werden. Pflanzen und Tiere leben aus eigenem Recht, sie werden zum gottgewollten Subjekt statt zur Zierde der Schöpfung oder dem Spiel und Nutzen der Menschen. Andererseits wohnt diesem ausschließlichen Bewahren ein starkes Moment des Kreislaufgedankens inne, das dem Christentum als teleologische Erlösungsreligion eigentlich fremd ist.

Vielleicht liegt es aber auch im wohlverstandenen christlichen Evolutionsgedanken der Erde als Gottes Impuls, dass der Mensch nicht nur Bewahrer und Nutzer der Schöpfung sein soll, sondern sich in immer stärkeren Maße zu einem "Verbesserer", "Versteher" und "Verschönerer" der Welt macht. In diesem Sinne gerät das "Macht Euch die Erde untertan" zu einer Verpflichtung: Es gibt ja eine uralte Menschheitsutopie, dass der Mensch seine Umgebung zu einem gesunden, nützlichen, schönen - und heute müsste man ökologisch intakten Ort - hinzufügen. Schon die Erde wird so zu einem Stückchen Himmel.

Dazu kann man an den Kirchen auch in ganz praktischer Hinsicht die meist angrenzenden Platz- und Gartensituationen nutzen. Vielerorts igelt man sich in den Kirchenraum ein, der zudem auch noch meist verschlossen ist. Dabei könnte der öffentliche Raum rund um die Kirchen stärker zum Bekenntnis und zur Inszenierung von christlicher Gartenästhetik genutzt werden. Schon eine weiße oder rote Kletterrose, die bewusst den Bezug zur christlichen Symbolik herstellt, macht den Außenraum schöner und eigenständiger gegen die profane Umgebung. Dies gilt insbesondere auch für noch vorhandene Kirchengrundstücke, die meist eingezäunt ein kümmerliches und menschenabwesendes Dasein fristen. Diese könnten zu christlichen Gärten nach dem Muster der Bibelgärten, zu Pastoren- und Gemeindegärten oder in noch anspruchsvollere Weise als heutige zugängliche Orte christlicher Symbolik und christlichen Pfarrlebens entwickelt werden. So wie über viele Jahrhunderte die Kirchhöfe öffentliche Räume waren, so können heutzutage die offenen Räume rund um viele Kirchen öffentliche Räume werden. Der finanzielle Aufwand hierzu ist gering, man kann in der Unterhaltung der Gärten auch ein Stück Gemeindezusammenhalt organisieren, vor allem aber ist es auch ein offensives Zeichen an die Umgebung: Hier feiert sich die Kirche als Lebensreligion, hier stellt man sich der urbanen und ländlichen Öffentlichkeit als Religion des Lebens dar. In den evangelischen Kirchen, in katholischen Klöstern und nach der Wahl des Reformpapstes "Franziskus I" dürfte dies auch für weitere Kirchenbereiche gelten.

Die liebevolle Beschäftigung mit der Schöpfung in Form aktiver und meditativer Gartenarbeit stellt eine echte Gewinnsituation in vielerlei Hinsicht dar: Für die Kirchen selber kann die liebevolle Zuwendung zur Schöpfung ein Hinzugewinn an spiritueller Energie und auch an christlich bestimmter Aktualität bedeuten. Dies hat auch etwas mit den heutigen Veränderungen der Raumwahrnehmung zu tun. Die bebauten und virtualisierten Räume werden immer profaner, während die Parks, Gärten und Landschaften an Sakralität gewinnen. Vielleicht können manche Gärten damit zu Orten werden, wo sich "Himmel und Erde" berühren.

Vielleicht deutet sich im Gartenbegriff, der die "Welt als Garten" begreift und untrennbar mit dem christlichen Paradiesbegriff verbunden ist, in geradezu zeichenhafter Weise eine christliche Sichtweise an. Was ja für jeden einzelnen ein Ziel sein sollte, nämlich die Erde etwas schöner zu verlassen, kann auch für eine christlich motivierte Gesellschaft von allgemeinem ethischen Interesse sein. Diese Betrachtungsweise hat noch eine weitere interessante Pointe: Die aktuellen und zukünftigen ökologischen Probleme der Erde (Klimakatastrophe, Übervölkerung, Artenschwund) besitzen ein gewaltiges Ausmaß: Vielleicht reicht hier die rationale Einsicht nicht allein zur Umkehr hin zu einer nachhaltigen Nutzung aus, vielleicht bedarf es der Mobilisierung emotionaler, also auch spiritueller und religiöser Motivationen!

Wir müssen unser Gestaltungsleben ändern

Die Aufnahme sinnhafter und sinnstiftender Elemente der Gartenkunst kann aber über den Bereich der christlichen Religionen hinaus bedeutsam sein. In der Einleitung wurde verdeutlicht, dass die heutige Landschaftsarchitektur in einer Krise steht. Sie ist - jedenfalls was die Ebene des öffentlichen Grüns betrifft, konservativistisch verarmt. In vielen neuen Parks ist nur noch das nackte Skelett einer ehemals großen ästhetischen und sozialen Idee spürbar, aber kaum noch Aufbruch mit einer sich materialisierten neuen Idee von lebendigem Aufbruch. Die Landschaftsarchitektur war selten so langeilig und kurzlebig wie heute.

Gute Landschaftsarchitektur kann selbstverständlich auch völlig unabhängig sein von unserer christlichen Ideenwelt oder unserer eigenen Kultur. Andere Religionen, humanistische Gedankenwelten, neue Religionen, Gärten als Ausdruck von Philosophien und Menschheitsträumen, geomantischer Spürsinn, soziales Engagement, romantische Ideale, historische Relikte oder andere Denkschulen können ebenfalls dazu führen, dass interessante Gestaltungen ja manchmal auch noch wirklich grandiose Gärten und Parks entstehen können. Die passenden Ideen zu den richtigen Orten müssen stimmen, von der Notwendigkeit der Aufspürung des Genius Loci möchte ich erst gar nicht reden. Vielleicht kann man sagen, dass es keine Garantie gibt, dass so eine wirklich spannende professionelle authentische Gartenkultur entsteht. Allerdings kann man sagen, das auch die prächtigsten virtuellen Zeichensysteme keine interessanten Gärten entstehen lassem. Hier ist eher das Gegenteil anzunehmen: Die Inflation der bunten und plakativen Zeichenprogramme begünstigt die Leere der Köpfe und Herzen. Vielleicht sollte man in den Gestaltungsbüros Dunkeltage einführen, mindestens an jedem dritten Tag sollte der Bildschirm grau bleiben.

Ich möchte schließen mit einem kritischen Qualitätsgedanken der sich aus einem Gedicht Rainer Maria Rilkes ableitet. Nach einem Besuch im Pariser Louvre vor gut 100 Jahren rührte ihn die Ausstrahlung eines antiken Torsos des Apollon zu folgenden Zeilen:

Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, darin die Augäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte sich der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurzunter den Schultern durchsichtigem Sturzund flimmerte nicht so wie Raubtierfelle und bräche nicht aus allen seinen Rändernaus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.

Das Ziel heutiger Landschaftsarchitektur müsste sein, Gärten und Parks zu schaffen, die im Sinne der beiden letzten Gedichtzeilen Besucher zu berühren vermögen und sie weiser machen. Setzt man anstelle des Torsos den Garten, so wird auch das Dialogische deutlich und ich behaupte einmal, dies ist in grandiosen Gartengestaltungen noch spürbarer als in einer alten Plastik. Eine derartige Wirkung auf die Garten- oder Parkbesucher, wäre ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für anzustrebende Gartenwirkung.

Man könnte als Landschaftsarchitekt heutzutage dieses Poem auch so deuten: Angesichts der Verflachung, Vermüllung und Aufheizung der Erde müssen wir Werke schaffen und pflegen, die dialogische Ausstrahlung besitzen. Glücklicherweise sind wir Teil der großartigen Erzählung der Gartenkunst, wir haben ein begieriges Publikum und immer mehr Mitleser. Leider fehlen uns die Kritiker und die Raupenfahrer, die erst einmal 80 Prozent der heutigen Gärten und Parks planieren. Wir haben aber begierige Mitwirkende aus der Pflanzen-, Tier und Steinwelt, vor allem aber auch die Erde als ein Planet des Lebendigen, in dem die Anmutung der Ahnung von Schönheit überall vorhanden ist. Darüber hinaus gibt es ein gutes Spektrum an handwerklichen Leistungen und viele potenzielle Besucher als Schauspieler, nicht zu vergessen den Trost des bestirnten Nachthimmels, der sich in Stadt Land immer mehr in der Lichterflut verflüchtigt.

Prof. Dr. Jürgen Milchert
Autor

Hochschule Osnabrück

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