Ein neues Verständnis zum Umgang mit Wasser in der Stadt

Wassersensible Stadtentwicklung

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Västra Hamnen, Malmö (Schweden): Hier wird Regenwasser zur Gestaltung der Außenräume genutzt. Private Grundstücke haben Zugang zum Wasser, Spielplätze sind in die Wasserlandschaften eingebunden. Foto: J. Hoyer

Unsere Städte sind im Wettbewerb: um Einwohner, Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft. In diesem Zusammenhang wird der Aspekt der Lebenswertigkeit einer Stadt immer wichtiger. Die Spitzenplätze der von den großen Agenturen beauftragten Studien nehmen regelmäßig Städte ein, die neben einer guten Wirtschaftskraft und einer guten Arbeitsplatzsituation auch eine gute und gesunde Lebensumgebung bieten können. "Viel Kultur, wenig Verkehr, gute Schulen und viele Erholungsflächen" (Fischer 2011) sind die Aspekte, die eine Stadt zu einer lebenswerten Stadt machen. "So ist das Leben nicht unbedingt an den Orten am lebenswertesten, wo (nur) wirtschaftliche Werte geschaffen werden - sondern dort, wo man verdientes Geld und Freizeit am genussvollsten durchbringen kann" (Fischer 2011).

Ein Aspekt, der jedoch häufig übersehen wird, ist der Umgang mit städtischem Wasser. Jahrzehntelang verbannt in unterirdische Kanäle dringt nun langsam ein neues Verständnis durch. Städte werden nicht mehr als Maschinen gesehen, sondern als Organismus wahrgenommen, durch deren Lebensadern Wasser fließt. Wasser kehrt zurück an die Oberfläche, Regenwasser wird genutzt und die Wasserqualität verbessert. Dennoch, die gestalterischen Potentiale verbunden mit der Herstellung eines natürlichen Wasserkreislaufes sind weitläufig noch nicht ausreichend erkannt und genutzt. Wie sieht aber eine wassersensible Stadtentwicklung aus? Dieser Artikel gibt einen Überblick und verweist auf internationale Beispiele.

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Foto: J. Hoyer
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Sydney (Australien): Auf dem Campus der Universität Sydney ist ein kreisförmiges Biotop zur Rückhaltung und Reinigung von Regenwasser eingebracht und in die Gestaltung integriert. Foto: J. Hoyer

Bedeutung von Wasser in der Stadtentwicklung

Wasser prägt unsere Städte außerordentlich. Was wäre Hamburg ohne die Alster oder den Hafen, was Berlin ohne die Spree und den Wannsee, was Freiburg ohne seine Wasserläufe in der Innenstadt? Stadtentwicklung hat sich immer am Vorhandensein von Wasser orientiert. Erste Siedlungen wurden daher vor allem an Flussläufen entwickelt, um das Wasser als Transportweg, aber auch Ressource nutzen zu können. Eine Gestaltung mit und am Wasser hat positive Auswirkung auf die Lebensqualität. Deshalb sind Stadtquartiere in räumlicher Nähe zu Gewässern auch sehr beliebte und für die Immobilienbranche sehr lukrative Wohnlagen. Darüber hinaus hat Wasser in urbanen Gebieten eine positive Auswirkung auf das Stadtklima (weniger heiß und trocken), bietet Lebensraum für Pflanzen und Tiere und ermöglicht damit ein Erleben von Natur inmitten urbaner Gebiete (Hoyer 2012).

Mit dem Anwachsen der Städte seit der Zeit der Industrialisierung verschwanden jedoch mehr und mehr natürliche Gewässer und durch den Ausbau der Kanalsysteme wurde der natürliche Wasserkreislauf gestört. Städte sind daher trockener und heißer als naturgeprägte Landschaften, was sich negativ auf die Gesundheit der Bewohner auswirkt. Die Ableitung von Starkregenereignissen über das Kanalsystem führt zudem häufig zu örtlich auftretenden Überflutungen und Hochwasser. Gerade im Zuge der Auswirkungen des Klimawandels, die auch eine Zunahme der örtlichen Starkregenereignisse und Überschwemmungen prognostizieren, ist daher ein Umdenken im Umgang mit Wasser in der Stadt notwendig.

Wasser im Wandel

Die in den letzten Jahren in Deutschland entwickelten Techniken zur dezentralen Bewirtschaftung von Regenwasser bieten einen guten Ansatz, um den Wasserhaushalt in Siedlungsgebieten wieder an einen natürlichen Wasserhaushalt heranzuführen. Wenn ansprechend genutzt, können sie einen sehr guten Beitrag zur Schaffung lebenswerter Städte leisten. Trotz vieler Potenziale ist die Umsetzung jedoch noch sehr zurückhaltend und das Thema in Planungsbüros und Verwaltungen insgesamt noch zu wenig bekannt und akzeptiert.

Die Ursachen dafür könnten vor allem in der stark technisch orientierten Herangehensweise liegen, denn häufig stehen die Bewirtschaftungszwecke im Vordergrund. Werden jedoch von Beginn neben ökologischen und technischen Aspekten auch soziale, ökonomische und gestalterische Aspekte berücksichtigt und findet der Planungsprozess integrativ statt, kann Stadt- und damit Lebensqualität geschaffen werden (vgl. Hoyer et al. 2011).

Wassersensible Stadtentwicklung

Der australische Planungsansatz Water Sensitive Urban Design (WSUD) setzt an dieser Stelle an und stellt eine integrierte Stadtentwicklung hin zur Schaffung wassersensibler Städte in den Mittelpunkt. Übergeordnetes Ziel ist es, die Maßnahmen des dezentralen Regenwassermanagements in die Stadtgestalt zu integrieren und damit funktionale, aber auch durch die Bevölkerung nutzbare, attraktive Freiräume zu entwickeln (Hoyer et al. 2011,S. 18 ff.).

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Docklands Park, Melbourne (Australien): Ein neuer Stadtpark im zentrumsnahen Stadtteil Docklands beherbergt ein Feuchtgebiet, in dem das in der Umgebung aufgefangene Regenwasser gereinigt wird, bevor es in unterirdischen Zisternen gespeichert wird. Das gespeicherte Wasser kann für die Bewässerung der Parkanlage in Trockenzeiten genutzt werden. Foto: J. Hoyer
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Straßenbaumpflanzungen in St. Kilda, Melbourne (Australien): Die Pflanzflächen der Straßenbäume sind so gestaltet, dass Regenwasser der angrenzenden Verkehrsflächen gesammelt und den Bäumen zur Bewässerung zugeführt wird. Foto: J. Hoyer
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Portland, Oregon (USA): Im Innenhof der 10th@Hoyt Apartments läuft das Regenwasser über offene Rinnen in kiesgefüllte Betonbecken und wird von dort in eine unterirdische Zisterne geleitet. Der Innenhof erhält durch die Gestaltung eine hohe Aufenthaltsqualität. Nachts gibt es eine beeindruckende Beleuchtung. Foto: J. Hoyer

Der Planungsansatz zielt dabei nicht nur auf einen ökologischeren Umgang mit Regenwasser, sondern setzt urbanes Wasser ins Zentrum zukünftiger städtischer Entwicklungen.

Eine wassersensible Stadtentwicklung ist geprägt durch (vgl. Hoyer et al., S. 34 ff.):

Naturnähe: Wasser sollte möglichst naturnah bewirtschaftet werden, Wasserkreisläufe soweit wie möglich geschlossen und ortsnahe Lösungen genutzt werden. Die Wiederherstellung oder Erhaltung der örtlichen Wasserbilanz ist dabei von wichtiger Bedeutung. Darüber hinaus sollte eine gute Wasserqualität sichergestellt werden.

Funktionalität: Zur Bewirtschaftung des Wassers werden Maßnahmen und Techniken benutzt, die eine Anpassung an unvorhergesehene zukünftige Änderungen ermöglichen (wie Schrumpfung oder Wachstum, Klimawandel). Dazu müssen die Systeme möglichst flexibel sein. Um eine lang anhaltende Funktionalität der Systeme sicherzustellen, ist für eine dauerhafte Pflege und Unterhaltung zu sorgen.

Gestaltung und Nutzbarkeit: Wasser wird zurück an die Oberfläche gebracht und ermöglicht ein Interagieren der Stadtbewohner mit dem Medium Wasser. Durch eine stärkere Präsenz im Alltag wird das Bewusstsein der Bevölkerung für die Wasserbewirtschaftung gestärkt und ein eigener umweltgerechterer Umgang mit der Ressource Wasser initiiert (zum Beispiel Einsparung von Trinkwasser in den Haushalten). Eine Nutzung der gestalterischen Potenziale von Regenwasserbewirtschaftungssystemen führt zur Aufwertung von Stadtquartieren und einem Entgegenwirken von negativen Auswirkungen des Stadtklimas (zum Beispiel Wärmeinseleffekt).

Ökonomie: Durch die Nutzung von Synergieeffekten und eine frühzeitige Integration in den Planungsprozess für Neubau- und Umbaumaßnahmen werden die Kosten zur Nutzung von neuen, dezentralen Systemen reduziert. Durch eine weitere Verbreitung der Techniken und dadurch zunehmende Erfahrungen mit den Systemen können zusätzliche Effizienzeffekte erreicht werden.

Öffentliche Wahrnehmung/Akzeptanz: Durch Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen wird die Akzeptanz von Maßnahmen im öffentlichen Raum verbessert. Informationsveranstaltungen, Drucksachen und Veröffentlichungen in den Tageszeitungen sowie Weiterbildungen erhöhen das Verständnis für die Probleme und Möglichkeiten von Maßnahmen und neuen Ansätzen zur Wasserbewirtschaftung in der Bevölkerung. Durch die Bereitstellung von fachlicher und finanzieller Unterstützung wird die Eigeninitiative der Bevölkerung gefördert. Gut umgesetzte Pilotprojekte sowie Weiterbildungen in den Verwaltungen erhöhen die Wahrnehmung der neuen Techniken in den Fachkreisen und damit auch die Umsetzung in der Stadt.

Integrative Planung: Die Planung von Maßnahmen zur Wasserbewirtschaftung wird als integrativer Prozess durchgeführt. In dem Prozess werden alle funktionalen, ökologischen, ökonomischen, sozialen sowie gestalterischen Ansprüche berücksichtigt und integriert. Am Planungsprozess sind Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Stadtplanung und der Wasserwirtschaft sowie die jeweils betroffenen privaten und öffentlichen Akteure beteiligt.

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Zehn Jahre Erfahrung in Australien

In Sachen Water Sensitive Urban Design blickt Australien nunmehr auf eine mehr als zehnjährige Erfahrung zurück, in denen sich der Umgang mit Wasser erheblich geändert hat. Während vor einigen Jahren Trinkwasser etwa von Kommunen noch kostenfrei zur Bewässerung von Grünflächen genutzt werden konnte, gibt es heutzutage in den Sommermonaten regelmäßig Restriktionen, die eine Nutzung des kostbaren Trinkwassers zur Bewässerung von Grünflächen grundsätzlich untersagen. Durch fehlende Bewässerung in den Sommern der vergangenen Jahre weisen viele Grünflächen, aber auch viele Stadtbäume heute erhebliche Schäden auf. Bei allen Folgeplanungen wird nun die Bepflanzung der öffentlichen Parkanlagen an die Wasserverfügbarkeit angepasst und/oder Maßnahmen zur Nutzung von Regenwasser für die Bewässerung entwickelt.

Die australischen Entwicklungen liegen vor allem in dem sehr harschen Klima des Kontinents begründet. Im Sommer sind Temperaturen über 40 Grad keine Seltenheit, genauso wie heftig auftretende Regenfälle, die Straßen und Gehsteige innerhalb von wenigen Minuten in Rinnsale verwandeln können. Das vergangene Jahrzehnt war vor allem geprägt durch Trockenheit, die die Trinkwasserreserven vielerorts auf einen besorgniserregenden Niedrigstand hat fallen lassen. In der Region um Melbourne sanken die Trinkwasserreserven in dieser Zeit beispielsweise um etwa 20 Prozent. Im Sommer 2010/11 wurde die Dürreperiode dann von intensiven Niederschlagsperioden abgelöst, die vor allem in den Bundesstaaten Queensland und New South Wales zu heftigen Überschwemmungen geführt haben.

In Australien ist Klimawandel nicht nur eine Prognose, sondern bereits Realität. Daraus ergab sich ein intensiver Handlungsbedarf, der die Herausbildung des Planungsansatzes WSUD beförderte. Australische Stadtentwicklung orientiert sich deshalb am Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Wasser. Viele Städte, wie Brisbane und Melbourne, haben übergeordnete Wassermanagementpläne entwickelt, die Leitziele für zukünftige Entwicklungen stecken und stadtplanerische Aspekte einbeziehen. Projekte werden hinsichtlich ihrer Wassersensibilität untersucht und notwendige Maßnahmen getroffen.

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Das Buch zum Thema. Jacqueline Hoyer, Wolfgang Dickhaut, Lukas Kronawitter, Björn Weber: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future. Jovis Verlag, Berlin, 2011. 144 Seiten, div. Abb., 19 x 23 cm,

Aufgrund gesetzlicher Regelungen müssen sogar alle Neubaumaßnahmen als wassersensible Siedlungen ausgeführt werden. In der Praxis zeigt sich eine Vielzahl von Maßnahmen verschiedener Skalen, vom Straßengrün bis hin zur Quartiers- und Freiraumentwicklung (siehe Abbildungen).

Auch Singapur, Rotterdam, die Stadt Portland in den USA (Oregon) sowie das schwedische Malmö haben eine wassersensible Entwicklung zum Ziel. In Deutschland hingegen spielt Wasser in der Stadtplanung bisher nur eine untergeordnete Rolle. Häufig ist es lediglich ein dekoratives Element oder ein Entsorgungs- und Managementproblem. Regenwasser in der Stadt könnte aber viel mehr, wenn es besser in die Planung integriert werden würde.

Schlussfolgerungen

Die Auswirkungen des Klimawandels sind hierzulande noch nicht so extrem wahrnehmbar wie in Australien. Dennoch sind die Zunahme von Starkregen sowie das vermehrte Auftreten von Trockenperioden für die Zukunft vorausgesagt. Auch die Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre an Elbe, Rhein und Oder lehren uns einen veränderten Umgang mit Wasser. Neben dem Klimawandel ergeben sich die Herausforderungen zukünftiger Stadtentwicklung vor allem aus demografischen Veränderungen (Wachstum/Schrumpfung) sowie dem steigenden Wettbewerb und den Anforderungen an die von Städten gebotene Lebensqualität. Gerade für diese Herausforderungen bietet Water Sensitive Urban Design gute Antworten, da mit flexiblen, jeweils an den Ort angepassten Lösungen gearbeitet wird, die eine bessere Anpassung an zukünftige Veränderungen ermöglichen, öffentliche Räume multifunktional nutzen und damit die Lebensqualität von Städten und Quartieren erheblich verbessern können.

Diese Potentiale zu nutzen, liegt nun in der Aufgabe der Planer, Ingenieure und Kommunen. Wichtige Hilfestellungen zum Planungsprozess sowie zu guten internationalen Beispielen zeigt die im Rahmen des Forschungsprojektes Switch (www.switchurbanwater.eu) entstandene Publikation "Water Sensitive Urban Design - Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future". Einzelne Lichtblicke gibt es bereits. Bleibt abzuwarten, was in der Zukunft passiert.

Literatur

Fischer, Konrad: Lebenswerte Städte - Immer ein Grünstreifen in Reichweite. In: Wirtschaftswoche vom 09.12.2011. Verfügbar: www.wiwo.de/politik/konjunktur/lebenswerte-staedte-immer-ein-gruenstreifen-in-reichweite/5934076.html

Hoyer, Jacqueline; Dickhaut, Wolfgang; Kronawitter, Lukas; Weber, Björn (2011): Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future. Jovis, Berlin.

Hoyer, Jacqueline (2012): Envisioning Water Sensitive Cities - Case Studies from Europe and the USA. Presentation, Water Sensitive Urban Design Conference, 21.-24. Februar 2012; Melbourne, Australien.

Victorian Stormwater Committee (1999). The Urban Stormwater Best Practice Environmental Management Guidelines (BPEMG). Published by Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO). Verfügbar: www.knox.vic.gov.au/files/CityDev/Urban_Stormwater_-_Best_Practice_Environmental_Management_Guidelines_CSIRO_2006.pdf (21. März 2011).

Melbourne Water. Water Sensitive Urban Design. www.wsud.melbournewater.com.au (18. März 2011).

Jacqueline Hoyer, Wolfgang Dickhaut, Lukas Kronawitter, Björn Weber: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future. Jovis Verlag, Berlin, 2011. 144 Seiten, div. Abb., 19 x 23 cm, Englisch. ISBN 978-3-86859-106-4.

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