Renaissance und Erhalt von Stahlrohr-Raketen auf Spielplätzen

Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen“

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Klettergerüste Spielräume in der Stadt
Abb. 1: Martin Huth und Holger Krüger in der Kletterrakete von 1974, die sie beide einst mit erbaut haben. Die Beiden setzten ihre Idee, die Rakete nachzubauen, mit großer Freude in die Tat um. Foto: Sebastian Schultz

Im sächsischen Zeithain wurde eine Kletterrakete von 1974 nachgebaut und auch andere historische Spielplatzobjekte erfreuen sich zunehmender Beachtung. Bei der Recherche zu Kletterraketen auf Kinderspielplätzen tauchte dieses Beispiel aber noch nicht auf. Während in Stadt+Grün 5/21 beschrieben wurde, wie sich der erste bemannte Weltraumflug am 12. April 1961 unter anderem durch Kletterraketen auf Kinderspielplätzen bemerkbar machte, da machten sich Martin Huth und Holger Krüger aus Sachsen Gedanken, wie sie eine Kletterrakete von 1974 retten könnten.

Verlassen und doch eindrucksvoll stand die Rakete auf ihren schrägen Sprossenleitern, leicht nach oben gerichtet. Den Kindergarten, auf dessen Gelände die Rakete 1974 aufgestellt wurde, gibt es nicht mehr. Zurück geblieben war die in die Jahre gekommene Rakete. Immer, wenn Martin Huth an der Rakete vorbeikam, hat sich der 67-Jährige gefreut, dass sie da noch steht und es gleichzeitig bedauert, dass der Zahn der Zeit an ihr nagt. Sie müsste entrostet und neu lackiert werden, dachte Huth, der zu der Rakete ein ganz besonderes Verhältnis hat, weil er sie als Reparaturschlosser im Rohrwerk Zeithain selbst mit gebaut hatte. "Wir waren damals 30 Mitarbeiter", erinnert Huth und beschreibt, wie sie damals nach getaner Arbeit alle noch zusätzliche Zeit zum Bau der Rakete eingebracht hätten.

Mit dabei war auch Holger Krüger, 61, der im benachbarten Röderau eine Firma für Zentralheizungs- und Lüftungsbau betreibt. "Wir haben über die Rakete gesprochen und haben bedauert, dass sie da einfach vor sich hingammelt", sagt Krüger. Und im Gespräch entstand kurzerhand der Entschluss, die Rakete "einfach nachzubauen", schließlich seien sie doch im "Rohrleitungsbau groß geworden". Mit einem gründlichen Aufmaß und einem genauen Studium der TÜV-Anforderungen - keine Schraube darf hervorgucken, es darf keine Schlitze und Rohrabstände geben, entsprechender Fallschutz muss vorhanden sein - machten sich die beiden Männer an die Arbeit. Unterstützt wurden sie von lokalen Firmen, die Rohre spendeten, den Transport ermöglichten oder den Kies zur Verfügung stellten. Insgesamt hätte die 10 Meter lange und 2 Meter hohe Rakete 14.000 Euro gekostet, hätte man die Arbeitszeit und die Investitionen berechnet.

Diese Rakete aus Zeithain ist einerseits ein Beispiel von Raketen als Klettergerüst im Zuge der Weltraumeuphorie, die ganz besonders in den sozialistischen Ländern verbreitet war. Dass ein Russe der erste Mensch im All war, galt als untrügliches Zeichen dafür, dass der Sozialismus das bessere System wäre.

In Russland war der Kinderalltag - und damit auch der Kinderspielplatz - so von Kosmos-Objekten wie Sputniks und Raketen durchdrungen, dass sich russische Kinder sicher waren, "zuerst nach oben als in den Westen" zu reisen, wie dies die russisch-amerikanische Philosophin Svetlana Boym in ihrem Buch "The Future of Nostalgia" erinnert.

Ob in der ehemaligen DDR auch signifikant viele Raketen auf den Spielplätzen Aufstellung fanden, wurde nirgends dokumentiert und lässt sich nur Spur für Spur erforschen. Da ist einerseits die allgemeine Weltraumbegeisterung, die sich unter anderem nachweislich im Bau von "Kosmonauten-Zentren" bemerkbar machte. In selbst geschneiderten Raumanzügen und Raketen aus Pappe konnten Kinder hier den Weltraumflug nachahmen und davon träumen, zu den Sternen zu fliegen - so wie das die Leipziger Autorin Kathrin Aehnlich in ihrem Roman mit dem entsprechenden Titel "Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen" sehr schön beschreibt.

Und da sind andererseits immer wieder eindrucksvolle Bilder von Raketen auf Spielplätzen zu finden (siehe Stadt+Grün 5/2021). Da ist beispielsweise die Raketenrutsche im Pionierpalast in Dresden, von der es sogar eine offizielle Postkarte gab. Da ist das Raketenklettergerüst in Halle an der Saale, das vor allem bei Ausflügen auf die Peißnitzinsel sehr beliebt war. "Die Rakete war ein absoluter Anziehungspunkt für Kinder", erinnert Gero Hirschelmann aus Halle aus eigener Erfahrung. Das große Ziel sei es gewesen, "ganz vorne im Cockpit mit seinem Steuerpult zu sitzen". Vor allem wenn Schulklassen und Kindergartengruppen auf dem Spielplatz zu Besuch waren, kein so leichtes Unterfangen. Es galt immer, so lange an den umliegenden Gerüsten herumzuklettern, bis der "aktuelle Kosmonaut genug hatte und seinen Sessel räumte".

Und da ist eben die Rakete in Zeithain. Holger Krüger weiß aus Gesprächen mit der ehemaligen Leiterin des Kindergartens, Waltraut Hohmann, dass sie die Idee zu dieser Rakete hatte. Sie war, so Krüger, 1972 im Urlaub am Stausee in Kelbra unterhalb des Kyffhäusers, wo eine Kletterrakete stand. Hohmann war von diesem Spielgerät so begeistert, dass sie ihren Mann Oskar Hohmann bat, eine Zeichnung mit den dazugehörigen Vermaßungen anzufertigen. Diese Skizze wurde in die Projektierung im Rohrwerk III gereicht. Am Kindertag, am 1. Juni 1974, konnte dann die 10 Meter lange Rakete den Kindern des Kindergartens übergeben werden.


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Abb. 2: Mit der Unterstützung von über zehn Firmen aus Zeithain und der Umgebung konnte die Rakete Wirklichkeit werden. Bevor sie am Kindertag, am 1. Juni 2022, ganz feierlich den Kindern übergeben wurde, wurde sie vom Enkel des Bauherrn Holger Krüger (ganz re.) und dem Bürgermeister von Zeithain, Mirko Pollmer (Mitte), in Augenschein genommen. Foto: Sebastian Schultz

Während der Nachbau auch am Kindertag 2022 feierlich zum Spielen frei gegeben wurde, bekam die alte Rakete einen Ehrenplatz: Nur wenige 100 Meter von der Schwesterrakete entfernt darf sie auf einem Sockel stehen - so, dass sie noch bestaunt, aber auf keinen Fall bespielt werden kann. Dass über seine Idee des Raketennachbaus berichtet wurde, als die Weltraumflugpremiere 60-jähriges Jubiläum feierte, bringt Krüger zum Schmunzeln. Für ihn selbst hat diese Tatsache bei seiner Idee keine Rolle gespielt. Und in Anbetracht der aktuellen Ereignisse des Ukraine-Kriegs ist er froh, dass er der nachgebauten Rakete nicht etwa einen Namen aus der sozialistischen Raumfahrtsgeschichte wie Vostok 1 oder Sojus 31 gegeben hat. Anstatt dessen bekam die Rakete zu Ehren von Mitbauer Martin Huth dessen Spitznamen "Mütze".

Die Rakete aus Zeithain ist nachweisbar die zweite Rakete, die aus Begeisterung eigens nachgebaut wurde. Die andere Rakete steht im Muston Park in Sydney, wo sich Eltern, die einst selbst darauf gespielt hatten, erfolgreich für einen Nachbau eingesetzt haben. Die Rakete in Australien entspricht dem Typ "moon rocket", der erstmals in den USA 1963 aufgestellt und von dort nach down under exportiert wurde. Es handelt sich dabei um eine senkrecht stehende, knapp 8 Meter hohe Ellipse aus Stahlrohren, deren drei Podeste durch eine Leiter im Inneren erreicht werden können. Durch eine Mittelstange oder über eine Rutsche vom ersten Podest geht es wieder nach unten. In den USA gibt es zu dieser Rakete nicht nur einen Eintrag auf Wikipedia, es gibt auch Bemühungen, eine stehen gebliebene Rakete in Kalifornien unter Denkmalschutz zu stellen.

Während sich eine Initiative im nordrhein-westfälischen Haltern am See 2012 vergeblich bemüht hatte, die dortige bunte Stahlrohrrakete zu erhalten, konnte in Dresden immerhin eine Rakete aus den 70er Jahren TÜV-gerecht angepasst werden - als Klettergerüst für fitnessbegeisterte Jugendliche.

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Abb. 3: Trotz Bürgerinitiative zum Erhalt der Rakete 2012 konnte das tradtionsreiche Spielgerät in Haltern am See nicht gerettet werden. Foto: Archiv Darijana Hahn

Auch wenn Ute Eckardt, Vorsitzende des GALK-Arbeitskreises Spielen in der Stadt, daraus noch keinen Trend zum historischen Spielgerät erkennen kann, so finden sich doch weitere Beispiele, die ein zunehmendes Bewusstsein für den Wert von historischen Spielplatzobjekten illustrieren.

So hat eine Bürgerinitiative in Eisenach erfolgreich dafür gekämpft, dass der Beton-Elefant aus den 70er Jahren in einem Wohngebiet stehen blieb und eine Sanierung erfuhr. Dieser Elefant ist ein Beispiel für ostdeutsche Spielskulpturen der 70er und 80er Jahre, denen der Landschaftsarchitekt Peter Fibich aus Bad Lausick auf "spielplatztreff.de" einen Beitrag widmet.

Fibich freut sich, dass sich vielerorts die Denkmalpflege der Spielskulpturen angenommen und sie als Einzelobjekte in den Denkmallisten erfasst hat. Für Fibich sind die Skulpturen "Relikte der Alltagskultur der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts und vermögen viel über die ästhetischen und pädagogischen Auffassungen dieser Zeit zu berichten".

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Abb. 4: Als René Langner aus Halle an der Saale Klettergerüste mit Kletterausrüstung bestieg, wie hier an der Rakete von 1974 in Zeithain, fand er so großen Gefallen an den Gerüsten, dass er begann, sie künstlerisch zu verarbeiten. Foto: René Langner

Fasziniert von alten Spielgeräten ist auch René Langner. Dem Kultur- und Medienpädagoge aus Halle haben es vor allem die bunten Stahlrohrgeräte angetan. Um die Vielfalt der Formen zu würdigen - von der Rakete über den Quader bis zum Elefant - zeichnet Langner die Geräte nach und fügt sie zu einer wachsenden Sammlung "Gerüste der Republik" zusammen. Langner wünscht sich sehr, dass mehr von seinen Fundstücken erhalten bleiben. Denn für Langner sind die sehr vielfältigen Spielgeräte aus Stahlrohr " kleine Metallkunstwerke".

Diese Faszination kann Holger Krüger sehr gut nachvollziehen. Mit seinem Raketennachbau ist der Rohrfachmann auf den Geschmack gekommen. Das soll nicht sein letztes Spielgerät gewesen sein. Was er als nächstes nachbauen will, möchte er noch nicht verraten.

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Abb. 5: Die Vielfalt der Stahlrohrklettergerüste auf einen Blick: Fasziniert von den vielen unterschiedlichen, noch vereinzelt zu findenden Stahlrohrklettergerüsten begann René Langner, die Gerüste nachzuzeichnen, um ihre Wirkung vor einfarbigem Hintergrund noch zu verstärken. Zu finden sind Langners Werke auf Instagram @gerueste_der_republik. Abb.: René Langner
Literatur und Quellen
  • Aehnlich, Kathrin: Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen. München 2009.
  • Boym, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York 2001.
  • Cold War playground equipment (23. Januar 2021). In: Wikipedia. Cold War playground equipment - Wikipedia.
  • Fibich, Peter: Ostmoderne Spielskulpturen - Robuste Spielobjekte aus vergangener Zeit. Auf: http: Spielplatztreff | BLOG; Zugriff am 10.05.2022.
  • Hahn, Darijana: Zeitgeschichte auf dem Kinderspielplatz. Raketen und Satelliten faszinieren seit den 1950er Jahren. In: Stadt + Grün 5/2021, S.13-17.
  • Schilling, Bettina: "Für mich sind das so kleine Metallkunstwerke". Auf: http: Spielplatztreff | BLOG; Zugriff am 10.05.2022.
  • Richter, Jörg: Handwerker baut DDR-Kletterrakete neu. Auf: Riesa: Handwerker baut DDR-Kletter-Rakete neu | Sächsische.de (saechsische.de); Zugriff am 18.07.2021.
  • Richter, Jörg: Zeithainer Kletterrakete ist gelandet. Auf: Riesa: Zeithainer Kletterrakete ist gelandet | Sächsische.de (saechsische.de); Zugriff am 31.01.2022.
  • ichbinder.kulturagitator.de/gerueste-der-republik; Zugriff am 10.05.2022.
Dipl.-Ing. Darijana Hahn
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