Verkehrssicherungspflicht

Wer haftet nach Verlassen der ungesicherten Baustelle?

Kommt es auf Baustellen zu einer Verletzung von Menschen, etwa durch einen Sturz in die Baugrube, schieben sich die Verantwortlichen für die Absicherung der Baustelle die Schuld regelmäßig gegenseitig zu. Bauherr, Architekt und Bauunternehmer sowie gegebenenfalls eingesetzte Nachunternehmer verweisen jeweils auf die vermeintliche Verantwortung der anderen Beteiligten.

In einem vom OLG Braunschweig mit Urteil vom 28.08.2014, Az.: 8 U 179/12 entschiedenen Fall hat sich das Gericht zur Übertragung von Verkehrssicherungspflichten unter verschiedenen Beteiligten geäußert und klargestellt, dass derjenige, der eine Baustelle im nicht verkehrssicheren Zustand verlässt, so lange verkehrssicherungspflichtig bleibt, bis ein anderer die Sicherung der Gefahrenquelle tatsächlich und ausreichend übernimmt. Gehe von einer Sache eine Gefahr aus, habe jeder, der die Sachherrschaft ausübe, also in der Lage sei, über die Sache zur verfügen, die drohenden Gefahren für andere durch geeignete Maßnahmen abzuwenden, soweit ihm dies zumutbar sei und durch billige Rücksichtnahme auf das Integritätsinteresse Dritter geboten sei.

Im vorliegenden Fall handelte es sich um den bereits zweiten Prozess über die Folgen eines Unfalls, bei dem der Geschädigte in eine nicht gesicherte Baugrube gestürzt war. Im ersten Prozess war der Bauunternehmer, der vom Bauherrn mit Bauarbeiten beauftragt wurde und dem die Verkehrssicherungspflichten für die Baustelle vertraglich übertragen waren, zur Leistung von Schadensersatz an den Geschädigten verurteilt worden. In dem vom OLG Braunschweig entschiedenen Verfahren verlangte der Bauunternehmer von einem Nachunternehmer im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs einen Teil des von ihm an den Geschädigten aufgrund des ersten Verfahrens geleisteten Schadensersatzes zurück.

Der Nachunternehmer war neben dem Bauunternehmer auf der Baustelle tätig. Nachdem aufgrund eines für die Entscheidung des Falls nicht relevanten Grundes die Bauarbeiten auf der Baustelle eingestellt werden mussten, verließ der Bauunternehmer die Baustelle, ohne die Baugrube ordnungsgemäß abzusichern. Genau so verhielt sich der verklagte Nachunternehmer, der zeitlich nach dem klagenden Bauunternehmer die Baustelle verließ, ebenfalls ohne die Baugrube ordnungsgemäß abzusichern.

Das OLG Braunschweig verurteilte den beklagten Nachunternehmer dazu, den klagenden Bauunternehmer zu einem Drittel von Schadensersatzansprüchen des Geschädigten freizustellen. Nach Ansicht des OLG Braunschweig waren sowohl der Bauunternehmer als auch der Nachunternehmer nebeneinander zur Absicherung der Baugrube verpflichtet. Dem Bauunternehmer traf diese Pflicht bereits wegen seiner vertraglichen Vereinbarungen mit dem Bauherren. Dem Nachunternehmer oblagen Verkehrssicherungspflichten, weil er der letzte war, der die Baustelle vor dem Unfall verlassen hatte und daher der letzte war, der die tatsächliche Sachherrschaft über die ungesicherte Baugrube und damit über die Gefahrenquelle innehatte.

Hinsichtlich der Erfüllung dieser Verkehrssicherungspflichten sah das Gericht den Bauunternehmer und den Nachunternehmer als Gesamtschuldner an, ohne dass es darauf ankommt, ob Verkehrssicherungspflichten eine vertragliche oder - wie hier bei dem Nachunternehmer - eine deliktische Grundlage haben, also eine unerlaubte Handlung vorliegt.

Der Nachunternehmer konnte vor Gericht nicht erfolgreich argumentieren, der Bauunternehmer hätte wie üblich die Baugrube sichern müssen, da im vorliegenden Fall die Bauarbeiten außerplanmäßig eingestellt worden waren und der Bauunternehmer die Baustelle vorzeitig verlassen hatte. Der Nachunternehmer war aufgrund seiner tatsächlichen Sachherrschaft über die Baugrube verpflichtet, drohende Gefahren für andere durch geeignete Maßnahmen abzuwenden. Dies wäre auch tatsächlich möglich und ihm zumutbar gewesen.

Im Außenverhältnis zum Geschädigten hätten somit der Bauunternehmer und der Nachunternehmer zu 100 Prozent gehaftet. In vom OLG Braunschweig entschiedenen Fall zur Verteilung der Haftung im Innenverhältnis wurde entschieden, dass der Nachunternehmer gegenüber dem Bauunternehmer nur zu einem Drittel ersatzpflichtig ist. Der Bauunternehmer bleibt zu zwei Dritteln in der Verantwortung, da vom Gericht die vertraglichen Pflichten zur Übernahme der Verkehrssicherungspflicht höher angesetzt wurden, als die rein tatsächlichen Pflichten des Nachunternehmers, die sich spontan wegen der außerplanmäßigen Baueinstellung ergeben hatten.

Dennoch sind Verkehrssicherungspflichten, die sich unerwartet aus der tatsächlichen Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben - zum Beispiel, weil man der letzte auf einer Baustelle ist - ernst zu nehmen und können zu erheblichen Haftungsrisiken führen.

Dr. Normen Crass, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main.

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