Das Projekt „It´s Tool Time“ der Leibniz Universität Hannover

Werkzeuge für eine aktivierende Teilhabe entwerfen

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Stadtentwicklung
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In der Bevölkerung wird der Wunsch nach Mitsprache und Mitgestaltung an Stadtentwicklungsfragen immer größer. Das Durchführen und Umsetzen von Stadtentwicklungsprozessen ist ohne Beteiligung der Bevölkerung nicht mehr denkbar. Dementsprechend bildet das Entwerfen, Steuern und Moderieren von Prozessen aktivierender Teilhabe einen zusätzlichen Handlungsbereich für die Planungspraxis von Landschaftsarchitekten, Architekten und Stadtplanern. Auch die Universitäten sind gefordert, dieses Aufgabenfeld stärker in die Entwurfslehre der Studierenden einzubinden.

Im Entwurfsprojekt "It´s Tool Time - Entwurfswerkzeuge für eine aktivierende Teilhabe im Sahlkamp" wurden Studierende des Masterstudiengangs "Landschaftsarchitektur" der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit beteiligten Akteuren der Landeshauptstadt Hannover an das räumliche Entwerfen aktivierender Teilhabe herangeführt. Die Studierenden entwarfen Toolboxes, bestehend aus einem Set von drei Beteiligungswerkzeugen, mit denen die Freiraum-Bedürfnisse der Bewohner im Sahlkamp erforscht werden können.

Landschaftsarchitektur plus

Das Feld der Landschaftsarchitektur ist ohnehin ein weites. Nun also auch noch aktivierende Teilhabe entwerfen?

Der Wunsch der Bevölkerung nach Transparenz, Mitsprache und Mitgestaltung in städtebaulichen und freiraumplanerischen Projektentwicklungen nimmt mitunter bemerkenswerte Formen an. Hierbei werden etablierte Partizipationsmethoden durch neue Formate ergänzt. Immer mehr Kommunen und Städte schalten Stadtentwicklungsprozessen frühzeitige Beteiligungsformen voran, um dem Mitgestaltungswillen der Gesellschaft gerecht zu werden. Neben der begleitenden Funktion als Moderatoren runder Tische, Expertenrunden oder Fokusgruppen werden Landschaftsarchitekten zunehmend auch in ihrer Rolle des "Entwerfenden" gefordert. Die Formatvielfalt reicht dabei vom 1:1-Aktionsmodell über spielerische Interview-Settings bis hin zur kollektiven Entwicklung räumlicher Interventionen oder Szenarien.

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Bottom-Up Urbanismus als Formatvorlage

Prozess- und Bildhaftigkeit, das Kreieren von Atmosphären und das Vor-Ort-Sein spielen bei diesem Entwicklungstrend eine besondere Rolle. Phänomene des Bottom-Up-Urbanismus und temporäre Zwischennutzungen werden dabei oft zum Impuls- und Motivgeber für offizielle Stadtentwicklungsstrategien. Prägnantes Beispiel für dieses Nutzbarmachen von bürgerlichem Engagement ist die Umsetzung von "Pionierfeldern" auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Diese wechselnden Kleinprojekte vom Umweltbildungsangebot über Theaterprojekt bis hin zum Gardening-Kollektiv zeigten, wie Stadtbewohner und -besucher an räumlicher Entwicklung beteiligt werden können und implementierten räumlichen Gestaltungswillen und Do-it-yourself-Attitüde auf Berlins Freiflächen-Filetstück.

Von Bottom-Up-Initiativen kann man als Planender neben situativem Denken und Handeln vor allem lernen, wie in unserer Gesellschaft Menschen "mitgenommen" werden können, an denen Partizipationsbemühungen üblicherweise scheitern. Mit konventionellen Formen der Ansprache werden - wenn überhaupt - überwiegend die gebildeten und artikulierten Mittelklassen erreicht. Aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachbarrieren, Empfänger von Transferleistungen oder Jugendliche locken Beteiligungsangebote, die im Sinne eines niedrigschwelligen Hands-on-Ansatzes oder einer spielerischen Herangehensweise Teilhabe ermöglichen.

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Aktivierende Teilhabe entwerfen lernen

Um die Masterstudierenden des Studiengangs Landschaftsarchitektur an der Leibniz Universität Hannover auf den skizzierten Aufgabenbereich vorzubereiten, wurde das institutsübergreifende Projekt "It´s Tool Time! Entwurfswerkzeuge für eine aktivierende Teilhabe im Sahlkamp" am Lehrstuhl Entwerfen urbaner Landschaften von Prof. Dr. Martin Prominski, Institut für Freiraumentwicklung und am Lehrstuhl Landschaftsarchitektur und Entwerfen, Prof. Christian Werthmann, Institut für Landschaftsarchitektur konzipiert.

Unter der Leitung von Marion Klaus (ILA) und Christiane Kania (IF) entwickelten 16 Studierende über raumbezogenes, forschendes Entwerfen zielgruppenorientierte, aktivierende und ortsspezifische Toolboxes, um gemeinsam mit den Menschen aus dem hannoverschen Stadtteil Sahlkamp Ideen für die örtlichen Freiflächen zu entwickeln. Die direkte Zusammenarbeit der Studierenden mit Stadtteilakteuren und Bürger vor Ort und ein Pretest der entwickelten Tools waren zentraler Bestandteil der Projektarbeit.

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Testfeld Hannover Sahlkamp

Im räumlichen Fokus stand das Sanierungsgebiet Sahlkamp-Mitte, im Stadtteil Hannover-Sahlkamp gelegen, das seit Dezember 2009 als Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf in das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" aufgenommen wurde. Das Gebiet mit einer Größe von rund 39 Hektar und fast 5000 Einwohnern ist geprägt durch den Geschosswohnungsbau der 1970er-Jahre mit teils erheblichen baulichen Mängeln sowie Defiziten in der Nutzungs- und Aufenthaltsqualität des Wohnumfeldes. Aus der hohen Wohndichte, der Sozial- und Altersstruktur und der vielfältigen ethnischen Herkunft der Bewohner resultieren ebenso hohe und vielseitige Anforderungen an die Freiflächen. (Freiraumentwicklungskonzept Hannover 2013)

Vor diesem Hintergrund galt es für die Studierenden, folgende Fragen zu klären: Was sind Anforderungen an die Freiflächen im Sahlkamp? Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse der Bewohner? Und wie bekommt man eigentlich heraus, was die "Sahlkämper" sich für die Freiräume in ihrem Quartier wünschen? Wie lässt sich eine "Aktivierende Teilhabe" mit landschaftsarchitektonischen Mitteln entwerfen, um Strategien für die aktuelle Stadtteilentwicklung in Sahlkamp-Mitte zu finden? Welche Entwurfswerkzeuge gibt es oder müssen erst noch entworfen werden?

Um die Studierenden realitätsnah an das Projektthema heranzuführen, wurde der Austausch mit Mitarbeitern der Landeshauptstadt Hannover gesucht. Das Projekt wurde mit großem Interesse aufgenommen. In Hinblick auf einen bevorstehenden Beteiligungsprozess zur Umgestaltung des Stadtteilparks im Sahlkamp wurde das Masterprojekt als möglicher Katalysator für neue Formate der Bürgerbeteiligung unterstützt.

Während einer Exkursion vor Ort wurden den Studierenden unterschiedliche Stadtteilakteure vorgestellt. Anja Gerhardt, Mitarbeiterin des Quartiersmanagements, und Stephan Lehman, Projektleiter des Freiraumentwicklungskonzeptes für das Sanierungsgebiet, informierten die Studierenden über das Sanierungsgebiet, seine Bewohner und den laufenden Planungsprozess mit bereits durchgeführten Beteiligungsaktionen und Freiraum-Umgestaltungen.

Ein besonderes Augenmerk galt dem Thema Beteiligungsermüdung und der Frage, wie man insbesondere Jugendliche und Migranten im Sanierungsgebiet besser erreichen kann. Der Besuch der Interkulturellen Gärten auf einem ehemaligen Parkhaus zeigte beispielhaft, wie ein niedrigschwelliges Angebot für Migranten erfolgreich umgesetzt wird.

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Annäherung an das Feld der aktivierenden Teilhabe

Nach dem Projektstart vor Ort untersuchten die Studierenden in der ersten Übung "Docu Illustre" anhand von Good-Practice-Beispielen Formate und Prozesse aktivierender Teilhabe. Unter anderem wurden die Projekte "Young Energies" und "Labor Schützenmatte" des Berliner Landschaftsarchitekturbüros UCstudio, das Studienprojekt "Agenten und Komplizen" der TU Berlin unter der Leitung von Prof. Susanne Hofmann, "Emmas Hoftour" von raumlabor und das Planungsspiel "The Making of..." des Kulturschaffenden Hans Venhuizen analysiert. Projekte der Künstlerinnen Jeanne von Heeswijk (The Dinner) und Katerina Séda (Mirror Hill) wurden als Beispiele aus dem Bereich der Konzeptkunst gewählt, um weitere "Involvierungsstrategien" ins Feld zu führen.

Die Projektauswahl zeigte den Studierenden, wie Landschaftsarchitekten und Stadtplaner mit ihrer Expertise Teilhabeprozesse gestalten und Menschen dazu aktivieren können, Räume neu zu denken. Dieser Input "impfte" die Studierenden mit alternativen Methoden, die später als Inspirationsquelle für den Fall Sahlkamp genutzt werden konnten.

Annäherung an den Projektraum Sahlkamp-Mitte

In einem zweiten Schritt wurden die Besonderheiten des Projektraumes Hannover-Sahlkamp erforscht. Für die Entwurfsübung "Infomania" recherchierten die Studierenden harte Zahlen und Fakten zu unterschiedlichen Sahlkamp-Themen wie "Lass dich leiten - Orientierung, Wegeführung, Image des Stadtteils" oder "Sahlkampculture - Temporäre Nutzungen, Aneignungsformen und Versteckte Anzeichen für Nutzungen im Stadtteil". Anschließend entwarfen sie genaue Spielregeln für eine Erkundung und überprüften ihre Datenrecherche vor Ort. Im Kopf die Frage: Werden die recherchierten Fakten bestätigt oder zeigt sich vor Ort ein ganz anderes Bild?

Diese kreative "Datenpoesie" überlagerte die recherchierte Faktenlage mit tatsächlich beobachteten Phänomenen.

Kombinationsspiel als Ideenschleuder

Als entscheidende Stellschraube des Masterprojektes wurde von den Lehrenden der Workshop "Kombiniere, kombiniere" konzipiert, der die Studierenden spielerisch an die Entwicklung von aktivierenden Toolboxes für den Sahlkamp heranführen sollte.

Hierfür entwarfen die Studierenden in Kleingruppen Spielkarten zu den Kategorien "Besondere Orte", "Akteure vor Ort", "Beteiligungs-Methoden", "Zukunftsthemen" und "Fragestellungen" des Sahlkamps. In mehreren zehnminütigen Spielrunden wurden nun nach dem Zufallsprinzip Karten der unterschiedlichen Kategorien aufgedeckt und von den Studierenden skizzenhaft zu situativen Beteiligungsentwürfen verknüpft.

So entstanden im Eilverfahren zahlreiche, teilweise skurrile Kombinationen, die auf den zweiten Blick aber durchaus Innova-tionspotenzial für Beteiligungsszenarien ergaben.

Entwurfsverlauf: Toolboxes entwerfen, testen, modifizieren

Die Spielkarten und Ergebnisse des Workshops "Kombiniere, kombiniere" konnten als Grundlage zur Ideenfindung für den Entwurf der Toolboxes genutzt werden. Denn nun galt es, die gewonnenen Erkenntnisse aus der gesamten Annäherungsphase des Projektes in praktikable Werkzeuge für eine aktivierende Teilhabe im Sahlkamp zu übersetzen.

Dabei war es den Studierenden überlassen, ob sie Tools für ein spezifisches Thema, eine spezifische Zielgruppe oder für mehrere Themenfelder und unterschiedliche Akteursgruppen entwerfen wollten, so lange sie dafür eine schlüssige Argumentation liefern konnten.

Es mussten pro Entwurfsteam mindestens drei verschiedene aktivierende Werkzeugtypen entwickelt werden, mit denen die Bedürfnislage in Bezug auf die Freiräume im Sahlkamp erforscht werden kann. Hierbei war zu beachten, dass die Werkzeuge durch einen gemeinsamen Rahmen gut aufeinander abgestimmt sein sollten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war der Entwurf eines Prozessdesigns, das sowohl die bereits laufenden partizipativen Prozesse im Stadtteil als auch die zeitliche Taktung des entworfenen Werkzeugeinsatzes berücksichtigt.

Nach der Präsentation ihrer Toolboxes vor Gastkritikern und Vertretern der Stadt Hannover wurde von den Entwurfsteams mindestens ein Werkzeugtyp ausgewählt, der in einem Pretest im Sahlkamp erprobt werden sollte. Dafür wurde ein genauer Versuchsplan aufgestellt: Wo wollen wir unser Werkzeug testen? Wann ist eine gute Zeit für den Test? Wie lange benötigen wir für die Durchführung? Was ist in Bezug auf Material zu beachten? Benötigen wir Helfer für den Aufbau und die Durchführung? Wie machen wir auf unsere Aktion aufmerksam? Wie dokumentieren wir unseren Prozess? Gibt es einen Plan B, wenn zu wenig oder zu viele Menschen erreicht werden oder es stürmt und regnet?

Der Pretest zeigte mitunter die Hürden des Alltages, Ungereimtheiten in der Methodik und forderte Improvisationsfähigkeit und situatives Umdenken. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass gerade im Umgang mit Jugendlichen und Migrant, die einen Großteil der Sahlkamp-Bevölkerung ausmachen, Methoden besonders gut funktionierten, die das Bildhafte und Nonverbale in den Fokus stellten.

Als letzten Schritt reflektierten die Entwurfsteams ihre Pretest-Erfahrungen, erweiterten ihr Toolbox-Konzept und leiteten mitunter räumliche Handlungsempfehlungen ab.

Zusammenfassung

Wenn Prozesse aktivierender Teilhabe zunehmend Teil der Planungspraxis werden und gefestigte Beteiligungsstrukturen von der Bevölkerung hinterfragt werden, sind neue Strategien und Methoden mehr denn je gefragt. Auch an den Universitäten gilt es, Studierende beteiligter Fachdisziplinen auf Herausforderungen vorzubereiten, für die entwerferische, situative und kommunikative Fähigkeiten gefragt sind.

Ob eine Fotowerkstatt für Kinder, eine interaktive Karte als nonverbales Freiraumanalysewerkzeug, der Modellbau mit Obst und Gemüse während eines gemeinsamen Essens an einer Tafel oder die Freiraumbewertung eines Stadtgebiets mit farbigen Puzzleteilen - hinter all diesen studentischen Entwurfsvorschlägen für Beteiligungswerkzeuge steht der Ansatz, die Freiraumbedürfnisse der Anwohner eines Stadtgebiets zu erforschen und gleichzeitig neue Wege der Beteiligungskultur zu erproben. Das Masterprojekt hat gezeigt, dass das Engagement der Studierenden, die entworfenen Werkzeuge vor Ort zu testen, zu Neugier, Erkundungsbereitschaft und Gestaltungsfreude bei den Bewohnern geführt hat.

Literatur und Quellen

Landeshauptstadt Hannover, Baudezernat.

Fachbereich Planen und Stadtentwicklung (Hrsg.) 2013: Freiraumentwicklungskonzept. Hannover Sanierungsgebiet "Soziale Stadt" Sahlkamp-Mitte.

(als Download verfügbar unter www.hannover.de/Media/01-DATA-Neu/Downloads/Landeshauptstadt-Hannover/Planen%2C-Bauen%2C-Wohnen/Stadterneuerung/Sahlkamp-Mitte/Freiraumentwicklungskonzept, Stand 27.04.2015)

Dipl.-Ing. Christiane Kania
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Leibniz Universität Hannover
Dipl.-Ing. Marion Klaus
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Leibniz Universität Hannover

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