Staatssekretär Stefan Tidow über grüne Infrastruktur

"Wir wollen das Berliner Stadtgrün sichern"

Weißbuch "Grün in der Stadt" Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz (GALK)
Der 50-Jährige Politologe Stefan Tidow ist seit 2016 Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz. Foto: Die Hoffotografen

Stefan Tidow, Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz empfing die Teilnehmer des Gemeinsamen Bundeskongresses Ende Juni zum abendlichen Gespräch im Schloss Biesdorf. Tidow positionierte sich auch zum Weißbuch "Grün in der Stadt". Fragen hierzu und zu weiteren Themen von Mechthild Klett.

Die GALK-Mitgliederversammlung sowie der Gemeinsame Bundeskongress der grünen Verbände fanden in diesem Jahr in Berlin auf dem Gelände der Internationalen Gartenausstellung Berlin 2017 (IGA) statt. In Marzahn-Hellersdorf hat man den Eindruck, es ist einer der grünsten Bezirke der Stadt. Aber in anderen Teilen der Stadt hat der Druck auf die Grünflächen durch den Wohnungsbau beziehungsweise durch den Wohnungsmangel erheblich zugenommen.

Ja, allein im letzten Jahr sind in Berlin rund 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner hinzugekommen. Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist enorm. Eine wichtige Aufgabe der rot-rot-grünen Regierungskoalition ist es, den Wohnungsbau voran zu bringen und damit geht natürlich eine Flächenkonkurrenz in der Stadt einher. Brachen und Baulücken, die den West- und Ostteil der Stadt seit Kriegsende geprägt haben, verschwinden. Kieze sind in Bewegung. Selbst jene Neuberliner, die erst seit wenigen Jahren in der Stadt sind, fühlen sich als Zeitzeugen eines rasanten Veränderungsprozesses.

Und natürlich steigt in der wachsenden Stadt auch der Druck auf die Grünflächen, auf Wälder, Parks, Friedhöfe und Kleingärten. Dies stellt Berlin vor große Herausforderungen, die wir mit vereinten Kräften angehen. Wir werden insbesondere das Berliner Stadtgrün soweit wie möglich sichern und versuchen, durch innovative Strategien die umweltgerechte und lebenswerte Stadt zu erhalten.

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren aufgrund der notwendigen Sparpolitik in Berlin große Einschnitte in der Grünflächenunterhaltung zu verzeichnen waren. Es wurden massive personelle und investive Defizite sicht- und spürbar. Das hat an vielen Stellen zu deutlichen Qualitätsverlusten geführt.

Wie reagieren Sie hierauf?

Berlin belegt zwar heute im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz, wenn es um seine Grünflächen geht und hat sehr gute Voraussetzungen: 44 Prozent der Stadtfläche bestehen aus Grün-, Wald- und Wasserflächen. Doch gerade in der inneren Stadt zeigt sich neben einer zunehmenden baulichen Verdichtung, dass wir aufgrund der Übernutzung einiger Grünflächen künftig die Anforderungen an die Parkgestaltung, insbesondere aber auch an das Management des Stadtgrüns weiter entwickeln müssen.

Ich werde mich dafür einsetzen, dass die bestehenden Grünflächen erhalten, vernetzt und weiter entwickelt werden. Denn lebenswerte Quartiere sind ohne Grün nicht denkbar!

Dazu haben wir in Berlin bereits eine gesamtstädtische Ausgleichskonzeption erarbeitet, damit der Anteil der Grünflächen nicht unter dem Bebauungsdruck leidet. Und damit das Bauen stadtverträglich gestaltet werden kann.

Besondere Anstrengungen sind zudem für eine qualitätsvolle Pflege der bestehenden Anlagen notwendig. Wie soll das gehen?

Eine qualifizierte Pflege zum nachhaltigen und dauerhaften Erhalt des Stadtgrüns ist unverzichtbar. Mit der Strategie Stadtlandschaft und der Berliner Strategie für die Biologische Vielfalt gibt es Leitlinien und Zielvorgaben für einen qualitätsvollen Umgang mit dem öffentlichen Grün, bei dem auch naturschutzfachliche Aspekte beachtet werden.

Ergänzend haben wir in einem "Handbuch Gute Pflege" ressortübergreifend Standards für eine qualitativ hochwertige gärtnerische Grünflächenpflege gesetzt. Diese Standards berücksichtigen die speziellen Anforderungen der Gartenkunst einschließlich der Bewahrung des gartenkulturellen Erbes und der Gartendenkmalpflege ebenso wie die Belange des Natur- und Artenschutzes.

Die Wertschätzung von Stadtgrün und die Qualifizierung der Freiräume in Berlin haben für uns eine hohe Priorität. Wir müssen daher Sorge tragen, dass mehr Ressourcen für eine wirklich qualifizierte Grünflächenpflege zur Verfügung stehen. Die bezirklichen Fachämter sollen in die Lage versetzt werden, das öffentliche Grün überall gut zu pflegen.

Zum Beispiel?

Derzeit werden die Grünflächenpflege und das dafür vorgesehene Budget der Bezirke durch die immer weiter zunehmende Aufgabe der Reinigung und Abfallbeseitigung im öffentlichen Grün belastet. In einem Pilotprojekt mit den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) wird daher geprüft, wie durch den im Straßenland bereits hoheitlich tätigen Dienstleister im Land Berlin eine bessere Sauberkeit der Grünanlagen erreicht werden kann.

Die Entscheidung darüber, wie wir diese Aufgabe zukünftig lösen wollen, steht noch aus. Dabei wird unter anderem entscheidend sein, unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten eine bessere Reinigungsqualität erzielt wird und wie viel Sauberkeit sich Berlin durch Mehraufwand bei der Reinigung leisten will. Verbesserte Sauberkeit im Grün durch mehr Reinigung darf selbstverständlich nicht zu Lasten der Grünflächenpflege gehen.

Sparzwang einerseits und höherer Nutzungsdruck durch Wohnungsbau und Zuzug - welche Funktionen wird Grün in der Stadt künftig haben?

Stadtnatur und Stadtgrün haben vielfältige Aufgaben und Funktionen. Sie werden zu einem immer wichtigeren Teil der öffentlichen Infrastruktur, etwa um die Stadt gegen negative Folgen des Klimawandels zu wappnen - mit Frischluftschneisen für die wachsende Stadt, als Feuchtigkeitsspeicher, als Entstehungsgebiete für Kaltluft und zur Verringerung von CO2 im Klimawandel. Darüber hinaus sind Grünflächen Orte der biologischen Vielfalt, eine Ressource für den Natur- und Artenschutz, für die Gesundheit und Naturerfahrung in der Stadt. Sie sind Orte der Kontemplation und der Erholung. Wir brauchen sie zum Auftanken und Durchatmen. Wichtig ist aber auch ihre soziale Funktion: Parks und Grünflächen sind Orte der öffentlichen Begegnung, etwa für die soziale Integration. Grün ist aber auch ein Raum der "Hochkultur" wie der Gartenkunst.

Hingegen haben die klassischen Institutionen, die gemeinschaftsstiftend waren, ihre Funktion zum Teil verloren, wie Theater oder Bibliotheken. Heute trifft man sich im Schwimmbad und im Park.

Wenn Parks und Gärten eine immer größere gesellschaftliche Rolle spielen und in einigen Berliner Parks ein immer höherer Nutzungsdruck entsteht, wie können die Parks dennoch pfleglich erhalten bleiben?

Ich weiß natürlich, dass das Grillen im öffentlichen Grün bei den Gartenamtsleiterinnen und Gartenamtsleitern sehr kritisch gesehen wird. Denn in der Regel werden erhebliche Mengen Abfall hinterlassen, andere Nutzer fühlen sich häufig beeinträchtigt. Und doch: Ich bitte dieses Bedürfnis, diese Funktion nicht zu unterschätzen. Das ist kein Plädoyer, Grünflächen in Grillstätten umzuwandeln. Aber das Stadtgrün erhält derzeit eine zusätzliche gesellschaftspolitische und demokratiepolitische Funktion und ist insofern eine Ressource für das öffentliche Leben in der Stadt. Meine These ist, dass dieser Bedeutungszuwachs einen Bedeutungswandel spiegelt.

Dieser Wandel wird nicht ohne Konflikte von statten gehen?

Ja, öffentliche Freiräume und Plätze werden in einer wachsenden Stadt zu umkämpften Gestaltungs- und Verhandlungsräumen. Nicht immer, aber manchmal hoch politisiert - weil sich damit eben auch Fragen von individuellen städtischen Lebensentwürfen verbinden.

Die skizzierten Funktionen sind alle wichtig. Die Sehnsucht nach der Ruhe Oase ebenso wie das Begehren nach Event. Von natur- und artenschutzrechtlichen Fragen und Aspekten ganz zu schweigen. Deshalb stellt sich für mich die Frage. Welches Grün brauchen wir? Und wovon wie viel? Und welche Rolle haben die Gartenamtsleiterinnen und Gartenamtsleiter in diesem "Spiel" - welche sollten sie haben?

Und wie würden Sie diese Frage beantworten?

Wir haben hier keine einfachen Antworten - aber es sind sehr zentrale und hochpolitische Fragen. Und wir können sie allein als Verwaltung nicht beantworten. Das kann nur die Gesellschaft selbst. Angesichts dieser Herausforderungen der wachsenden Stadt und des Bedeutungswandels des Grüns brauchen wir eine neue stadtgesellschaftliche Selbstverständigung und Selbstvergewisserung über unser Stadtgrün.

Diese Debatte wollen wir vor allem im kommenden Jahr in die Stadt tragen und eine Charta für das Berliner Stadtgrün aufstellen.

Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben, weil es darum geht, die vielen guten vorhandenen Planwerke und Ansätze, die es gibt, zusammenzubinden und schlüssig aufeinander zu beziehen. Zugleich gilt es, den neuen Bedeutungen und Bedarfen Rechnung zu tragen und so etwas Neues und Eigenes herauszudestillieren.

Das Weißbuch hat hierzu ja schon einige Grundlinien aufgezeigt.

Ja, mit dem vorliegenden Weißbuch "Grün in der Stadt" und der entsprechenden Positionierung des Bundes erhalten wir Unterstützung, die wir ausdrücklich begrüßen.

Herr Tidow, vielen Dank für dieses Gespräch.

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