Dominique Boudet (Hg.)

Wohngenossenschaften in Zürich: Gartenstädte und neue Nachbarschaften

von:
Fachliteratur Stadtentwicklung

256 S., 394 farbige u. 281 sw. Abbildungen und Pläne, broschiert, Park Books, Zürich 2017, 68,00 Euro (DE), 69,00 CHF, ISBN 978-3-03860-041-1.

Der Band stellt in Wort und Bild sowie zahlreichen Plänen um die 50 Projekte genossenschaftlichen Bauens in Zürich vor, die zum Teil jüngst fertiggestellt worden, zum Teil noch in Arbeit sind. Die verschiedenen städtebaulichen und architektonischen Typologien dieser Wohnform werden unter Schlagworten wie Verdichtung, Parkstadt, Häuserblock und "neue Nachbarschaften" eingeordnet und mit groß- und kleinmaßstäblichen Grundrisszeichnungen belegt. Die Textbeiträge rahmen die Objektdarstellung. Sie gehen auf die Rolle der Genossenschaftsbauten im Stadtbild ein und bewerten deren Bedeutung vor dem Hintergrund der Geschichte dieser Bewegung, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus der Taufe gehoben wurde. Aus der Hausbesetzerszene stießen in den Neunziger Jahren neue Genossenschaften hinzu. Der Band ist übersichtlich gestaltet und gibt dem Fachpublikum Anschauungsmaterial an die Hand.

Akademisch ist der Band allein deswegen nicht, weil er in eine höchst aktuelle Debatte zum Thema "Nachverdichtung" eingreift. Welchen Beitrag können Wohnungsbaugenossenschaften leisten? Die Debatte mag in der Schweiz ein wenig weiter fortgeschritten sein als in Deutschland, weil die genossenschaftliche Tradition und auch der soziale Wohnungsbau nie ganz zum Erliegen gekommen sind. Was in Berlin langsam auf die Tagesordnung kommt - die Vergabe kommunaler Grundstücke an Genossenschaften in Erbpacht - ist in Zürich schon lange gang und gäbe. An diesem Punkt sind aber auch Parallelen zu beobachten. Die Stadt Zürich hat sich mit Grundstücken dieser Art bereits in der Vergangenheit verausgabt. Sowohl an der Limmat als auch an der Spree ist das Dilemma: Auf dem explodierenden freien Markt sind erst recht keine Grundstücke zu bekommen. Die Neubautätigkeit von Baugenossenschaften ist ausgebremst.

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Fachliteratur Stadtentwicklung
Quartier Mattenhof, erste Etappe 2016. Bachelard Wagner Architekten. Foto: Dominique Boudet

In Berlin verdichteten die genossenschaftlichen Unternehmen bisher nur auf eigenen Grundstücken nach. Das heißt: Lücken schließen, Dachgeschosse ausbauen, aufstocken usw. In Zürich schreckt man auch vor radikaleren Lösungen nicht zurück. Euphemistisch als Überbauung bezeichnet, handelt es sich um Abriss und Ersatzneubau auf demselben Grundstück. Auch klassische Gartenstädte wurden abgerissen. Mit ihren regelmäßigen Zeilen zwei bis dreigeschossiger Häuser mit Gärten und öffentlichen Grünzügen waren sie das städtebauliche Leitbild der genossenschaftlichen Bewegung gewesen, womit diese gegen das Wohnungselend anging. Härter noch traf die Abrissbirne die Siedlungen der Fünfziger und frühen Sechziger Jahre, die nicht nur in ihrem Erscheinungsbild, sondern auch in ihren Wohnungsgrundrissen monoton waren, während die nunmehr neu realisierten Projekte eine Vielfalt an Typologien aufweisen. Den Hintergrund bildet eine sozioökonomische Entwicklung von der Normung in der Industrie und der Normierung der arbeitenden Massen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum "Anything goes" des Neoliberalismus, wo sich jeder Bauherr Orte und Häuser "mit eigener Identität" schaffen kann.

Der Vorzug des Bandes besteht darin, wie ein Musterbuch die verschiedenen Projekte in häufig schwieriger Umgebung darzustellen, auf dass, wer genossenschaftlich bauen möchte, die Übertragbarkeit der Lösungen auf seinen eigenen Ort überprüfen kann. Dies hängt jedoch maßgeblich vom Freiraum ab, und da macht eine Aussage des Herausgebers stutzig: Er schlägt die "Parkstadt" als neuere Typologie vor, die bei der Verdichtung der Gartenstadt oder dem Ersatz durch Großformen zur Anwendung kommen sollte. "Was die Parkstadt konzeptionell von der Gartenstadt unterscheidet, ist der Stellenwert des Grünbereichs, ihre Beziehung zum bebauten Teil einer Siedlung. In der Gartenstadt hat dieser Grünanteil keinen spezifischen Charakter, bestenfalls den einer zwischen den Gebäuden fließenden Wiese ohne scharf gezogene Grenzen. Es entsteht keine spezielle Beziehung zu den Bauten. Bei der Parkstadt hat der Grünraum etwas Eigenständiges und ist eingegrenzt."

Das Gegenteil ist richtig. Die Parole, die die Moderne der Architektur einleitete, hieß: "Haus und Garten als engverschmolzenes Ganzes". Garten und Landschaft galten als Wohnraumerweiterung. Auch Mies van der Rohe, geschult an Gartenstädten, verlängerte die Perspektiven aus dem Haus nach draußen. Das expandierte zum "fließenden Raum". Die Landschaft zieht sich durch die Stadt, wie umgekehrt die Gebäude zum Schweben gebracht werden, sich zum Freiraum öffnen. Die Brücke zwischen dem privaten Inneren und dem öffentlichen Äußeren bilden halböffentliche Räume, etwa eine Durchwegung entlang der Hausgärten. Zu diesen Zwecken forderte Hermann Muthesius eine enge Zusammenarbeit des "Baukünstlers" mit dem Landschaftsgärtner.

Wenig von alledem scheint sich bei den neuen Projekten erhalten zu haben. Der Schwarzplan, den der Herausgeber zur Illustration seiner Aussage beigegeben hat, verzeichnet auch das Grün. Es sieht aus wie die berühmt-berüchtigte "Architektenpetersilie", ziemlich gehackt. Landschaftsarchitekten kommen nur im Kleingedruckten vor. Eine der neuen Parkstädte überformt die Freiraumgestaltung, die der große Zürcher Gartenarchitekt Gustav Ammann (1885-1955) vorgenommen hatte. Man würde gern mehr als nur aus einer Fußnote erfahren.

Eine in Zürich schon in der Vergangenheit gängige Form scheint durchbrochene Blockrandbebauung mit grünen Innenhöfen zu sein. Wenn bei den neueren Projekten diese Innenbereiche nicht durch großformatige Klötze vollgepfropft sind, kommt der neue Trend zum Tragen, diese Höfe nur für die eigene Siedlung zu konzipieren. Aus der Gartenstadt wird tendenziell eine Gated community.

Ist aus der "Gartenstadt" ein Etikettenschwindel zur besseren Vermarktung geworden? Der Band bietet auch ansprechende Beispiele wie die Siedlung Grünmatt - soweit das der Dokumentation zu entnehmen ist. Aber das reicht nicht. Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch wie zum Beginn der Moderne. Landschaftsarchitekten sind nicht nur zum Aufhübschen da.

Dr. Bernhard Wiens

Dr. Bernhard Wiens
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Beuth Hochschule

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