Raketen und Satelliten faszinieren seit den 1950er Jahren

Zeitgeschichte auf dem Kinderspielplatz

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Klettergerüste Spielgeräte
Abb. 1: Die 2015 im The Calvert Journal veröffentlichten Fotos von Ivan Mikhaylov sind ein eindrückliches Dokument von der Verbreitung der Raketen als Klettergerüst auf Kinderspielplätzen in der Sowjetunion. Screenshot:www.calvertjournal.com/ tiles/show/ 3006/Ivan-Mikhailov-playgrounds-space-rockets-photography, 12.02.21

Klettergerüste in Form von Raketen sind mehr als ein abwechslungsreiches Spielangebot für Kinder. Sie erzählen einerseits von der zeitlosen Faszination des Weltraumes und seiner Erforschung und sie zeugen andererseits von den Moden auf dem Kinderspielplatz.

Es war ein Ereignis, das die ganze Welt beschäftigte: Am 12. April 1961 flog der Russe Juri Alexejewitsch Gagarin als erster Mensch im Weltraum in 108 Minuten einmal um die Erde.

Der Stolz der Russen zeigte sich nicht nur in der medialen Berichterstattung und bei öffentlichen Jubelfeiern. Er machte sich auch ganz markant auf dem Kinderspielplatz bemerkbar, wo landauf und landab Klettergerüste in Raketenform aufgestellt wurden. "Wir träumten eher davon, nach oben als in den Westen zu reisen", erinnert die russische Philosophin Svetlana Boym, die Ende der 1990er-Jahre auf den Spielplätzen in St. Petersburg zwischen rostigen Raketen - Relikte einer "euphorischen Ära" - umherging.

Gleichfalls träumte Ivan Mikhaylov als Kind davon, Astronaut zu werden. Der 1981 in Nowotscheboksarsk im Westen von Russland geborene Fotograf bewahrt mit seinen eindrücklichen Fotos die Spielplatzraketen seiner Stadt vor dem Vergessen.

Doch nicht nur in der Sowjetunion und ihren sozialistischen Bruderländern konnten und sollten Kinder Weltraumträume entwickeln. Auch in den Vereinigten Staaten transportierte die Rakete als Klettergerüst auf dem Spielplatz die Absicht, Kinder im gesamten Land auf Weltraumkurs zu bringen. Die Spielplatzraketen waren sichtbarer Ausdruck des so genannten "space race", das den Kalten Krieg begleitete.

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Während der russische Präsident Nikita Chruschtschow die Welt nach diesem Erfolg großzügig wissen ließ, dass das russische Volk bereit wäre, sein wissenschaftliches und technologisches Wissen mit all jenen zu teilen, die mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben wollten, zollte der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Russen wiederum ob dieser sehr beeindruckenden wissenschaftlichen Leistung zunächst Respekt. Schließlich bat Kennedy seine eigenen Landsleute um Verzeihung, dass die USA in diesem Weltraumwettlauf noch hinterherhinkten und versprach ihnen, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond gebracht zu haben.

Noch bevor die USA mit Neil Armstrong am 20. Juli 1969 diesen Plan erfüllten, konnten Kinder im gesamten Land diese Mission auf dem verbreiteten Spielplatzraketentyp "moon rocket" vorwegnehmen.

Dabei handelt es sich um eine senkrecht stehende, knapp 8 Meter hohe Ellipse aus Stahlrohren, deren drei Podeste durch eine Leiter im Inneren erreicht werden können. Durch eine Mittelstange oder über eine Rutsche vom ersten Podest geht es wieder nach unten. Die "moon rocket" konnte, wie es in einem zeitgenössischen Artikel von 1963 heißt, "35 angehende Astronauten aufnehmen" und sollte, so der Artikel, "viel mehr Spaß bieten als auf einem Baum zu klettern".

Dieser Typ der Spielplatzrakete hat nicht nur auf Wikipedia einen Eintrag als "cold war playground equipment" bekommen. Es scheint auch eine große Anhänglichkeit zu geben. So wurde 2013 in Kalifornien eine solche Mondrakete unter Denkmalschutz gestellt. Und in Australien, wo 38 solcher moon rockets in den 60er-Jahren aus den USA importiert worden waren, wurde 2015 im Muston Park in Sydney eine "moon rocket" wieder aufgebaut - nachdem sich Eltern, die einst selbst darauf spielten, dafür eingesetzt hatten.

Wer in St. Petersburg, wo die Philosophin Svetlana Boym noch Ende der 1990er-Jahre die Raketen vor sich hinrosten sah, heute nach diesen spezifischen Spielplatzelementen sucht, tut dies vergeblich. Und wer befreundete Russ*innen fragt, ob sie eventuell einst auf Spielplatzraketen gespielt hätten, muss sich für seine Frage fast entschuldigen. Die Betroffenheit der Befragten verdeutlicht den doppelten Wortsinn des Wortes Rakete. Einerseits das Symbol für Antrieb und Erneuerung, steckt in ihr aber auch die Bedeutung der Waffe, nicht zuletzt des Kalten Krieges.

Auch in Deutschland gibt es - weder in der damaligen DDR noch BRD - kaum Spuren von den nach 1961 zur Aufstellung gekommen Raketenklettergerüsten. So wie allgemein Spielplätze gerne zeitgemäß angepasst werden und die alten Geräte - meist als übersehene Zeugen der Kulturgeschichte - unwiederbringlich beseitigt werden.

In Haltern am See hatte sich 2012 eine Initiative vergeblich um die Erhaltung des so genannten "Raketenspielplatzes" bemüht. Bei der circa 3 Meter hohen, bunten Stahlrohr-Rakete kann es sich um den Typ "Rakete" gehandelt haben, den die Firma "Turnmeyer-Geräte" im Angebot hatte, deren bunten Stahlrohrgeräte in den 50er bis 70er-Jahren die bundesdeutschen Spielplätze prägten.

Während manch ein Stahlrohrgerät die eine oder andere Spielplatzmodewelle sowie die DIN- und EN-Norm-Überprüfungen bis weit in die 2010er-Jahre überlebte, so sind sie heute nur noch sehr selten anzutreffen.

Umso erfreulicher ist es, dass es in Dresden eine Stahlrohrrakete geschafft hat, auf dem so genannten "Retro"-Spielplatz in der Aachener Straße, auf den Wunsch von fitnessbegeisterten Jugendlichen hin, erhalten zu werden. Ute Eckardt, die seit 1980 in Dresden für Spielplätze zuständig ist, sagt, dass die Rakete als Klettergerüst zwar "ein allgemein bekanntes Ausstattungsstück der Spielplätze, aber in der DDR nicht übermäßig oft vertreten war". Vielmehr seien besonders häufig Hangelbögen, Reckstangen, Klettergerüste in Pilzform und Kletterwürfel eingesetzt worden. Außerdem hätte es das Thema "Weltall" auch in Form des "Sputniks" gegeben, der aus einer Kugel bestand, der auf so genannten Steuerungsflügeln gebaut wurde. Der "Sputnik" nahm Bezug auf den Anfangserfolg der Russen in der Weltraumerforschung. Am 4. Oktober 1957 hatte die Sowjetunion den ersten künstlichen Erdsatelliten - namens "Sputnik" - in die Erdumlaufbahn gebracht.

Wenn auch die Raketen und Sputniks meist von den heutigen Spielplätzen verschwunden sind, so hat sich immerhin die eine oder andere Ansicht erhalten, die deutlich den Stolz der damaligen Zeit transportiert.

Da sind die aufsteigenden Raketenrutschen im Pionierpalast Dresden und auf der Peißnitz-Insel in Halle an der Saale. Von der ersten gab es eine offizielle Postkarte, und an die zweite kann sich Gero Hirschelmann lebhaft erinnern. Der in Halle-Neustadt aufgewachsene Hallenser weiß, dass die Rakete ein "absoluter Anziehungspunkt für Kinder" war. Das große Ziel dabei war, so Hirschelmann, "ganz vorne im Cockpit mit seinem Steuerpult zu sitzen". Vor allem wenn Schulklassen und Kindergartengruppen dort auf dem Spielplatz zu Besuch waren, kein so leichtes Unterfangen. Es galt immer, so lange an den umliegenden Gerüsten herumzuklettern, bis der "aktuelle Kosmonaut genug hatte und seinen Sessel räumte".

Von den oben genannten Sputniks gibt es Ansichten, die die Formenvielfalt zeigen. So gab es den Sputnik - mit integrierter Rakete - in der Stahlrohrvariante, wie zum Beispiel in Dresden und in Eisenhüttenstadt.

Und es gab den Sputnik auf Stelzen stehend. So zum Beispiel im Ostseebad Zinnowitz - eine Form, die an die bekannte, 1959 im Stromovka Park in Prag aufgestellte Sputnik-Skulptur des tschechischen Bildhauers Zden?k N?me?ek erinnert.

Was nun einerseits wie aus einer anderen Zeit gefallen wirkt, scheint neuerdings auf die Spielplätze zurückzukehren. Da ist beispielsweise die auf Stelzen stehende gelbe Kugel auf dem 2017 eröffneten Spielplatz im Kontumazgarten in Nürnberg, von der eine Rutsche abwärts führt.

Könnte es sich hierbei womöglich um eine Anspielung an den Sputnik handeln? "Nein", sagt Brigitte Jenkner von der Planungsabteilung der Stadt Nürnberg. "Die gelbe Kugel ist die Sonne." Denn die an der Planung beteiligten Kinder hätten sich einen Spielplatz mit einem Regenbogen gewünscht. Den es bekanntlich nur geben kann, wenn auch die Sonne scheint.

Planeten mitsamt Raketen gibt es auch auf dem 2018 eröffneten Weltraumspielplatz in Hamburg-Harburg und auf dem 2012 eingeweihten Spielplatz "Unterwegs zu den Sternen" in Düsseldorf. Während der Harburger Weltraumspielplatz die Nähe der Technischen Universität Hamburg-Harburg und damit den in der Luft liegenden Forschungsgeist verarbeitet, ist es in der Düsseldorfer Mecumstraße das Gelände selbst, das zum themenspezifischen Spielplatz inspiriert hat. So erschienen, wie dies Matthias Hänel vom Planungsbüro "freiraumplus" erklärt, die "vorhandenen Wege wie 'Umlaufbahnen' und die Spielbereiche wie Planeten im Weltall, die nur noch mit Leben gefüllt werden mussten."

Ob hierbei lediglich der Trend von individuellen, ortsbezogenen Themenspielplätzen bestätigt wird oder ob sich eine Renaissance des Weltraumes auf dem Kinderspielplatz angekündigt hat? Peter Kleeman vom US-amerikanischen Space Age Museum weiß, dass Raketen und Weltraumerforschung schon immer die Menschen gefesselt hätten. Kleeman bestätigt aber, dass das Interesse für die Weltraumerforschung im letzten Jahrzehnt einen immer wichtigeren Platz in unserem Alltag bekommen hätte - durch Weltraum bezogene Mode, durch Weltraumgeschichten oder durch die Omnipräsenz von Raketen als Symbol für Auftrieb und Neubeginn - gerne auch in Verbindung mit Kindern. Nicht zuletzt bekommt das Interesse am Weltraum aber auch immer wieder neue Nahrung, können wir doch nun mit Spannung verfolgen, welche Informationen das vor wenigen Monaten auf dem Mars gelandete Nasa-Gefährt "Perserverance" über das Leben auf dem Roten Planeten liefern kann.

Literatur und Quellen

  • Boym, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York 2001
  • Cold War playground equipment (23. Januar 2021). In: Wikipedia. Cold War playground equipment - Wikipedia.
  • Eigener Bericht: Außerirdische Welt: Auf dem Weg zu den Sternen. In: Stadt und Raum 2/2012, S. 86 - 87.
  • Eisenhüttenstadt Blog - Artikel mit Tag Spielplatz (huettenstadt.de); Zugriff am 26. Januar 2021.
  • Firinci, Turkan; Stankov, Georgi (2013-04-24). My Dream Playground Workshop: Involving Children in Participatory Design. ARCHHIST '13 - via Academia.edu; Zugriff am 28. Februar 2021.
  • benkaden.tumblr.com; Zugriff am 26. Januar 2021.
  • haskovoplaygrounds.blogspot.com/2012/09/collection-with-old-communistic-time.html; Zugriff 1. März 2021.
  • Kinchin, Juliet/O'Connor Aidan: Century oft he Child. Growing by Design 1900 - 2000. The Museum of Modern Art New York 2012.
  • Mangione, Giulia: Rockets away: the space race remade as child's play. In: The Calvert Journal. 10. September 2015: Rockets away: the space race remade as child's play - The Calvert Journal; Zugriff 2. Januar 2021.
  • "Playgrounds Take a Space-Age Spin". Life. March 15, 1963. P 97.
Dipl.-Ing. Darijana Hahn
Autorin

Kulturwissenschaftlerin

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