Fachtagung Gartenbau und Landschaftsarchitektur in Osnabrück

„Zukunft lebensraum Stadt“ und „urbane Agrikultur“

von:
Urban Gardening GaLaBau
Der Beitrag „Community Street“ auf der RHS Hampton Court Palace Flower Show 2015 in London zeigte Ideen für gemeinschaftliches Gärtnern und den Gemüseanbau in der Stadt unter Einbeziehung der Vorgärten. Foto: Anke Bührmann

Die Anziehungskraft von Städten und Ballungszentren nimmt immer weiter zu. Die Jahrtausendwende markierte dabei einen wichtigen Entwicklungsschritt, denn mittlerweile leben mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten. Das führt zu neuen Herausforderungen für die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln und für die Gestaltung eines städtischen Umfeldes, das gute Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten bietet.

Urbanes Gärtnern liegt im Trend und gewinnt immer mehr Anhänger. Die zunehmende Entfremdung von der Natur, das oft unbewusste Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und der Wunsch nach gesunder Ernährung sind Gründe für das steigende Interesse am Gärtnern in der Stadt. Es ist Freizeitgestaltung, ermöglicht den Austausch zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft, erlaubt das Lernen neuer Fertigkeiten und Kenntnisse und dient der Erzeugung von gesundem Obst und Gemüse. Diese Entwicklung verändert den Lebensraum Stadt und führt zu einem neuen Blick auf Freiräume und deren Potenzial.

Urban Farming, Urban Gardening und Urban Horticulture sind Begriffe, die im Zusammenhang mit dieser Entwicklung entstanden sind. Die Kontaktstudientage der Fachhochschule Osnabrück sind immer eine gute Gelegenheit, sich über aktuelle Entwicklungen und Perspektiven im Gartenbau und in der Stadtplanung auszutauschen. Auch wenn die Veranstaltung zum Thema der urbanen Agrikultur schon einige Zeit zurückliegt und Ende 2015 stattfand, bietet sie eine Fülle wertvoller und zukunftsweisender Informationen und Denkanstöße. Wir haben eine Auswahl der interessantesten Vorträge und Diskussionen zusammengestellt.

Die Fachtagung hatten der Alumni-Verein Freundeskreis Gartenbau und Landschaftsarchitektur e. V. sowie die Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur gemeinsam organisiert. 150 Teilnehmer informierten sich über gesellschaftliche und technische Entwicklungen in diesem Bereich und daraus resultierende neue Impulse für Gartenbau und Stadtplanung.

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Gemeinsame Forschung für den Lebensraum Stadt

An der Hochschule Osnabrück gibt es so genannte Binnenforschungsschwerpunkte (BFSP). Sie sollen das fächerübergreifende Arbeiten fördern. Außerdem können durch diese Zusammenführung von Kompetenzen Innovationsmöglichkeiten optimal genutzt und neue praxisnahe Aufgabenbereiche für Studenten und Nachwuchswissenschaftler geschaffen werden.

An der Fakultät befindet sich auch der Binnenforschungsschwerpunkt "Zukunft Lebensraum Stadt". In dieser Forschungsgruppe arbeiten elf Professoren und Professorinnen aus verschiedenen Fachbereichen zusammen, um ihre Kernkompetenzen gemeinsam für innovative Projekte zu nutzen. Die Gruppe bündelt ingenieurwissenschaftliches, ökologisches, ökonomisches, planerisch-gestalterisches, soziales, haushaltswissenschaftliches und pflanzenbauliches Fachwissen für neue und nachhaltige Entwicklungen urbaner Strukturen.

Während der Tagung wurden die unterschiedlichsten Fragestellungen angesprochen und mit Beteiligten aus dem Binnenforschungsprojekt diskutiert. Die technischen Möglichkeiten der Pflanzenproduktion entwickeln sich schnell weiter, hydroponische Kulturverfahren und energiesparende LEDs eröffnen auch die Möglichkeit, erdelos oder tageslichtunabhängig Gemüse zu erzeugen. Ergebnisse zu neuen Kulturverfahren wurden deshalb auf den Kontaktstudientagen vorgestellt.

Interessant waren auch die Diskussionen darüber, wie sich aus der zunehmenden Bedeutung des urbanen Gärtnerns neue Dienstleistungen und Produkte für den professionellen Gartenbau entwickeln lassen. Die Sicherung von Freiräumen, unterschiedliche Wege bürgerschaftlichen Engagements und neue Impulse für nachhaltigere Stadtgestaltung wurden ebenfalls in Vorträgen und Workshops angesprochen.

Soziale Projekte mit Gemüseanbau

"Urbane AgriKultur" ist aus Sicht der Veranstalter nicht nur hochaktuell, sondern verbindet auch den Gartenbau mit der Landschaftsarchitektur. Sie umfasst Tätigkeiten, mit denen natürliche Rohstoffe in urbanen Räumen erzeugt werden, wie das beim Gemüseanbau in der Stadt oder bei der Gestaltung und Betreuung von Nutzgärten durch Nachbarschaftsinitiativen der Fall ist.

Soziale Aspekte und die Produktion von Gemüse waren das verbindende Element von zwei innovativen Start-ups, die vorgestellt wurden. Die Gemüsewerft in Bremen ist eine urbane Initiative, in der Menschen mit Behinderungen arbeiten und Gemüse anbauen. 19 Sorten wurden 2014 kultiviert, 2015 waren es schon 76.

Weil die Gemüsewerft ein soziales Projekt ist, erhält es Fördergelder. Es hat außerdem das Glück, dass die Kunden aus dem Restaurantbereich großes Entgegenkommen zeigen und hinsichtlich der gelieferten Mengen und Sorten flexibel sind. Das fehlende gärtnerische Wissen für den Anbau von Gemüse wurde durch fleißiges Googeln kompensiert - eine Information, die bei vielen Zuhörern nicht auf Begeisterung stieß.

Auch die ANNALINDE gGmbH in Leipzig ist eine soziale Initiative mit vielen Zielsetzungen und Angeboten. Sie widmet sich unter anderem der Jugend- und Altenhilfe, der Förderung von Kunst und Kultur, Berufsbildung, Naturschutz und bürgerschaftlichem Engagement.

Zu ANNALINDE gehören mehrere Projekte: ein Obstgarten, ein Gemeinschaftsgarten und eine Gärtnerei. Die Gärtnerei soll als historisches und städtebauliches Kulturgut erhalten und zu einem integrativen Gemüsebaubetrieb weiterentwickelt werden. Sie ist ökologisch ausgerichtet und dient als Vermittlerin zwischen Verbrauchern aus der Region und landwirtschaftlichen Erzeugern.

Firmengärten und Teamentwicklung

Firmengärten haben häufig eine repräsentative Funktion, doch sie können auch im Bereich des urbanen Gärtnerns Bedeutung erlangen. Darüber berichteten Dr. Andrea von Allwörden und Dr. Natalie Faßmann vom Berliner Unternehmen Profilarbeit. Als Projekt- und Prozessmoderatorinnen mit gartenbaulichem Hintergrund begleiten sie unter anderem die Entstehung und Weiterentwicklung von Firmengärten gemeinsam mit den jeweiligen Mitarbeitern. Diese Firmengärten dienen nicht nur dem Image, sondern auch der Motivation der Mitarbeiter, der Gesundheitsvorsorge und der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls.

Das Konzept der beiden Referentinnen zeichnet sich dadurch aus, dass es die kooperative Gestaltung von Firmengärten, unter bewusster Einbeziehung der Mitarbeiter, beinhaltet. Die gemeinsame Entwicklung eines Firmengartens zur Pflege der Organisationskultur ist ein neuer Ansatz, der diesen Gärten einen ganz anderen Wert gibt. Sie sind Treffpunkt, bieten Abwechslung zum Büroalltag und ermöglichen andere Bewegungsabläufe. Speziell für und mit den Mitarbeitern geplant können sie zur Teambildung beitragen.

Im Unterschied zum repräsentativen Firmengarten kommt es zu besonderen Herausforderungen, denn die Gartennutzer sind nicht die Flächeneigentümer. Außerdem bestimmt eine ganze Gruppe die Entwicklung des Gartens. Dadurch können Konflikte entstehen. Eine professionelle Unterstützung, die über die gartengestalterischen Aspekte hinausgeht und auch die Gruppenprozesse im Blick hat und steuern kann, ist dann sinnvoll. Auch aus anderen Gründen kann eine professionelle Begleitung, die sowohl die Garten- als auch die Teamentwicklung unterstützt, sinnvoll sein: Sie bietet zum Beispiel Knowhow und Hilfe bei Anbau und Pflege. Außerdem erkennt sie, wann der Einsatz externer Dienstleister bei schweren Arbeiten sinnvoll ist.

Anschaulich stellten die Referentinnen ihre Erfahrungen dar. "Es kann sogar zu so etwas wie einer Erntetrauer kommen, wenn es im Garten einen leeren Platz gibt", berichtet Andrea von Allwörden. Sie gab den Zuhörern auch einige Tipps: Ein Teamgarten dürfe nicht zu groß sein, denn sonst sei die Fläche für die Mitarbeiter nicht mehr beherrschbar. Außerdem müsse es einen hochmotivierten Hauptverantwortlichen geben und die Geschäftsführung sollte gartenaffin sein. Wichtig sind außerdem Kommunikation, Organisation und klare Regeln sowie Offenheit, Toleranz und eine gute Portion Realismus.

Neue Anforderungen ans Sortiment

Der städtische Raum ist oft ein Extremstandort, meistens mit sehr begrenztem Wurzelraum. Temperatur, Luftfeuchtigkeit sowie die Wasser- und Lichtverhältnisse sind für viele Pflanzen aus dem normalen Sortiment ungünstig und setzen sie unter Stress, so dass sie visuellen Qualitätsansprüchen nicht genügen. Prof. Dr. Heiko Mibus-Schoppe von der Hochschule Geisenheim ging in seinem sehr praxisorientierten Vortrag "Strategien zur Anpassung von Zierpflanzen und Ziergehölzen auf eine urbane Umwelt" auf diese veränderten Standortfaktoren ein.

Sowohl atmosphärische als auch terrestrische Wirkkomplexe können die Entwicklung, Wachstum, Gesundheit und das äußere Erscheinungsbild von Pflanzen im urbanen Raum beeinträchtigen. Dies erfordert eine entsprechende Sortimentsanpassung, die auf unterschiedliche Weise erreicht werden kann - durch veränderte Selektions- und Züchtungskriterien, durch Änderungen bei den Kulturbedingungen und durch Anpassungen im urbanen Habitat.

Veränderte Selektionskriterien und die Analyse von Habitat-Analogien sind wichtige Aspekte der Sortimentsanpassung: Die Auswahl kann zum Beispiel entsprechend beeinflusst werden, indem man Pflanzen von Standorten auswählt, die den extremen Einflussfaktoren in der Stadt stark ähneln.

Die Züchtung bietet ebenfalls Chancen. Neben der Pathogen- und Hitzeresistenz können Staunässeresistenz, Salztoleranz, Trockenstresstoleranz und Strahlungsresistenz Züchtungsziele sein. "Es gibt einiges an Potenzial bei neuen Zierpflanzenarten", so Heiko Mibus-Schoppe. Heutzutage würden ganz andere Ziele als früher verfolgt, wenn es um die Auswahl von Pflanzen geht. Im Bereich der Züchtung sollte deshalb mehr auf Wildarten zurückgegriffen werden, die früher uninteressant waren, weil andere Faktoren bei Kreuzungen wichtig waren.

Bei der Pflanzenanzucht sind ebenfalls Anpassungen an die neuen Bedürfnisse möglich. So wurden pflanzenbauliche Faktoren wie Temperatur, Licht und Dünger in den letzten Jahren auf schnelles Wachstum optimiert. Dabei kann die innere Qualität auf der Strecke bleiben, so dass die Pflanzen Stress durch extreme Standortbedingungen schlechter verkraften.

Beim urbanen Habitat lassen sich einige Probleme durch bauliche und planerische Maßnahmen vermeiden. Hilfreich ist auch der Blick auf Faktoren, die den Pflanzen am Naturstandort helfen. Mykorrhiza kann die Funktion, das Anwachsen und die Vitalität von Gehölzen auch in der Stadt fördern, weil sie die Stresstoleranz verbessert. Es gibt unterschiedliche Mykorrhiza-Stämme, die in verschiedenen Klimaregionen vorkommen. Weil dieses "World Wood Web" im städtischen Umfeld fehlt, kann dort eine Beimpfung mit Mykorrhiza hilfreich sein, wie ein Versuch mit Rosen der Sorte 'New Dawn' zeigte. Beimpfte Rosen litten weniger unter Wasserstress.

Fachwissen nutzen

Jörg Freimuth vom Bayerischen Gärtnerei-Verband e. V. zeigte in seinem Vortrag "Handlungsfelder für den Gartenbau in der urbanen Agrikultur" neue Perspektiven für Fachbetriebe.

Das gärtnerische Fachwissen kann demnach zu einem verbindenden Element zwischen dem professionellen Gartenbau und dem urbanen Anbau werden. Gärtner können beratend tätig sein, denn sie haben das Wissen zur Pflanzenverwendung und zum Einfluss der Standortfaktoren. Sie kennen technische Lösungen und Qualitätsstandards, sowohl bei den Produkten selber als auch bei der Gestaltung und Pflege von Grünflächen. Eine Einbindung des Profigartenbaus als Wissenslieferant und Ansprechpartner oder Organisator ist daher sehr gut denkbar. Dies kann auch die Entstehung von "Parallelgesellschaften" verhindern - die getrennte Entwicklung von urbaner Agrikultur und professionellem Gartenbau.

Eine andere Möglichkeit, um an der zunehmenden Bedeutung und Wertschätzung der urbanen Pflanzenproduktion teilzuhaben, ist das Herausstellen der Regionalität bei pflanzlichen Produkten, sowohl bei Obst und Gemüse als auch bei Zierpflanzen. Stadtnahe Gartenbaubetriebe oder Fachunternehmen in Ballungszentren können regionale Netzwerke nutzen oder selber entwickeln, sie können ihr Sortiment erweitern, ein besonderes Einkaufserlebnis ermöglichen oder auch Dienstleistungen anbieten. Außerdem können sie Flächen zur Verfügung stellen oder verschiedene Serviceaufgaben übernehmen, beispielsweise "das entpflichtete Gärtnern", indem Bewässerung oder Urlaubsvertretung sichergestellt werden.

Lebhafte Diskussionen und viele Erkenntnisse

Einige der Vorträge führten zu angeregten Diskussionen, wenn auch vieles beim Thema urbane Agrikultur schwer zu fassen ist. Das liegt auch daran, dass die Vorstellungen und damit verbundenen Erwartungen unterschiedlich sind, viele Begriffe bisher nicht eindeutig definiert sind und verschiedene Weltanschauungen aufeinander treffen. Dazwischen existiert eine große Bandbreite an Möglichkeiten: Das Spektrum der Akteure reicht von sozialen Projekten, die auf bürgerschaftliches Engagement und staatliche Förderungen bauen können, bis hin zu Unternehmen, in denen knallharte wirtschaftliche Faktoren über die Zukunft entscheiden. Auch die Frage, ob urbane Agrikultur die Ernährung sichern kann, wurde diskutiert. Eine Umfrage zur Meinung der Zuhörer dazu ergab ein gemischtes Bild von 50:50.

Aus Sicht von Experten wird die Sicherung der Ernährung durch den Gartenbau im urbanen Raum eher nicht der Fall sein, jedoch kann sie einen deutlichen Beitrag zur Versorgung mit frischen Lebensmitteln bieten, wie es zum Teil auch schon in alten Hochkulturen der Fall war. Außerdem kann die urbane Agrikultur wertvolle Inspirationen und Impulse bieten.

Es wurden auch Ideen zur Gemüseproduktion in der Zukunft vorgestellt, die auf dem Papier neue Perspektiven bieten. An der Frage, wie wirtschaftlich relevant und realistisch sie sein können, schieden sich allerdings die Geister. Deutlich wurde auch, dass die soziale Komponente eher Geld einbringt als die gärtnerische Leistung. Eine spannende Frage für die Zuhörer war deshalb, wie viele der eher sozial ausgerichteten Projekte überdauern werden, wenn die Anschubfinanzierung wegfällt.

Die Erkenntnis, dass sich Akteure aus sozialen Gemüsebauprojekten mittels Google über gartenbauliche Grundlagen informieren und somit das Internet Berufserfahrung und Fachkompetenz ersetzt, wurde ebenfalls lebhaft kommentiert. Gartenbauliches Fachwissen ist hochkomplex und umfasst sowohl naturwissenschaftliches als auch produktionstechnisches Knowhow. Mit diesem speziellen Wissen eröffnen sich Fachkräften aus dem professionellen Gartenbau neue Möglichkeiten und es lassen sich bisher nicht genutzte Einnahmequellen erschließen. Hier könnte sich der Gartenbau in Projekte der urbanen Agrikultur einbringen und zum Nutzen aller Beteiligten an dieser neuen Entwicklung partizipieren.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die urbane Agrikultur, so wie sie in Osnabrück angesprochen wurde, viel Potenzial für Fachbetriebe bietet. Wichtig sind dabei ein verstärkter Austausch zwischen Profis und interessierten und engagierten Laien, die Entwicklung klarer Definitionen und das verstärkte Sich-Einbringen des Gartenbaus in das große und weite Feld der urbanen Agrikultur.

Links

www.zukunft-lebensraum-stadt.de

www.gib-bremen.info/urban_gardening_farming_gemuesewerft.php

annalinde-leipzig.de

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