Der "Gärtner von Versailles" prägt bis heute unser Bild vom Barockgarten

Zum 400. Geburtstag von André Le Nôtre

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Die Gärten des Palais Luxembourg, für die auch Le Nôtre Entwürfe geliefert haben dürfte. Foto: Christian Hlavac, Oktober 2012

Der französische Romancier Érik Orsenna (Erik Arnoult) setzte dem "Gärtner von Versailles" André Le Nôtre (1613-1700) im Jahre 2000 mit seinem "Portrait eines glücklichen Menschen" ein literarisches Denkmal. Und hat damit die Tendenz verstärkt, Le Nôtre automatisch (nur) mit der großen Anlage westlich von Paris in Verbindung zu bringen. Dass dies dem Schaffen des "großen Repräsentanten der französischen Gartenkunst" - so Marie Louise Gothein 1913 in ihrem Werk "Geschichte der Gartenkunst" - nicht gerecht wird, soll anlässlich seines 400. Geburtstages am 12. März 2013 im Folgenden kurz dargelegt werden.

Die Gärtnerfamilie Le Nôtre

Schon Andrés Großvater Pierre Le Nostre (später Nôtre geschrieben) war für das französische Königshaus tätig. Er durfte an den Gartenanlagen der Tuilerien in Paris mitarbeiten; sein Sohn Jean (Jehan) folgte ihm nach. 1637 wird Ludwig XIII. dessen Sohn André zum Hofgärtner für die Tuileriengärten ernennen, aufgrund der lobenden Beurteilungen, die dem König vorgelegt wurden, sowie "im vollen Vertrauen auf seine unbestrittene Pflichttreue, Redlichkeit und Erfahrung im Gartenbau, seinen Fleiß und seine Zuverlässigkeit." Immerhin war André seit 1635 Gärtner beim königlichen Bruder Gaston d'Orleans. Seine beiden Schwestern heirateten Gärtner, die in den Tuilerien arbeiteten. Damals wohnten die Gärtnerfamilien in den Gärten, für die sie verantwortlich waren, oder in deren unmittelbarer Umgebung. Auch Andrés Pateneltern stammen aus Gärtnerkreisen: Seine Patin ist die Frau des königlichen Obergärtners Claude Mollet d. Ä., sein Pate der Garteninspektor André Berard de Maisoncelle.

Obwohl André Le Nôtre viele Jahre in den Tuilerien und in Fontainebleau arbeitet, ergibt sich ihm erst im Alter von 43 Jahren die Möglichkeit, sein Talent mit einem großen Entwurf zu zeigen. Der Kultur (lat. cultura, Pflege) der königlichen Gärten in Paris folgt nun für den französischen Finanzminister Nicolas Fouquet (Foucquet) in Vaux le Vicomte südöstlich von Paris die Kunst (das Können) des Entwerfens. Nach einem Ränkespiel und der Verhaftung Fouquets übernimmt König Ludwig XIV. sämtliche entwerfenden Künstler von Vaux le Vicomte für den Ausbau der seit Ludwig XIII. bestehenden Schlossanlage in Versailles: Louis Le Vau (Baumeister), Charles Le Brun (unter anderem als Maler tätig) und André Le Nôtre. Vergessen wurde in der Vergangenheit und wird noch heute, dass die zahlreichen Schlossanlagen samt Park und Gärten Gemeinschaftsleistungen von Künstlern waren. Ihre Qualität baute auf dem Zusammenspiel von Einzelleistungen auf, die zu einer Synergie führten.

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Die barockisierende Neuschöpfung des Parterres in Vaux le Vicomte aus 1923. Foto: Christian Hlavac, Oktober 2012

Le Nôtres Werk?!

Warum es der Geschichtsforschung so schwer fällt, ein genaues Bild des Menschen, Gärtners, Gartenkünstlers und Gartenarchitekten André Le Nôtre zu zeichnen, ist leicht erklärt: Er hinterließ kein Tagebuch, keine Memoiren, kein Privatarchiv und keine theoretischen Schriften. Die dinglichen Reste seiner Arbeit sind vor allem seine Gärten und seine Entwürfe. Über die Jahrhunderte wurden jedoch zahlreiche Gartenschöpfungen Le Nôtre zugeschrieben, in der Regel ohne Beweise vorzulegen. Die berühmtesten Anlagen - rund um Paris - lassen jedoch keinen Zweifel an seiner Urheberschaft, da die Archive, Autographen und zeitgenössischen Berichte seine Intervention bestätigen. Trotzdem ist es schwer, für jede Anlage seinen Anteil der konkreten Gestaltung von Brunnen, Statuen, Wasserspielen und dergleichen zu bestimmen. Erschwerend kommt hinzu: Keine seiner Garten- und Parkgestaltungen ist komplett erhalten geblieben.

Schon mit seiner späten Lebensphase beginnend wurden sie umgestaltet, in Größe und Ausstattung reduziert oder zerstört. Nachkommende Generationen haben viele seiner Schöpfungen - teils in guter Absicht - überformt. Erst mit Ende des 19. Jahrhunderts besann sich die Gesellschaft "seiner" Gartenschöpfungen. Die ab den 1970/1980er-Jahren etablierte Gartendenkmalpflege versucht den "erfinderischen" und "neuschöpfenden" Umgang mit Le Nôtres Anlagen in den Jahrzehnten davor zu revidieren. Erfreulich ist, dass es in den letzten Jahren zahlreichen Forschern und Autoren gelungen ist, die Arbeiten Le Nôtres an der jeweiligen Gesamtanlage genauer herauszuarbeiten und die Beiträge anderer Gestalter - vor allem Architekten wie Jules Hardouin-Mansart und Charles Le Brun - ebenfalls zu würdigen.

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Le Nôtres Spiel mit Proportionen und Linien. Parterre du Nord (Versailles). Foto: Christian Hlavac, Oktober 2012

Legendenbildung

André Le Nôtre ist - unfreiwillig - Teil der Legendenbildung Ludwigs XIV., die der König zu Lebzeiten selbst zu schreiben begann. Der Gärtner ist mehr als 300 Jahre nach seinem Tode noch immer Teil der königlichen Selbstdarstellung in Versailles. Nur dass heute kein Herrscher mehr das Goldene Zeitalter wiederauferstehen lassen will. Um Unsterblichkeit zu erreichen, braucht es heute keinen gigantischen Park mehr, um im Gedächtnis einer Gesellschaft zu überdauern, kein aufwändiges Kirchengrabmal. Apropos Legenden: Will man einer davon Glauben schenken, hat der Wunsch Le Nôtres nach einem ungewöhnlichen, weil bodenständigen Wappen anlässlich der Erhebung in den Adelsstand (1675) Lachen und Rührung in Paris und Versailles ausgelöst. Sein Gestaltungswunsch: Grundfarbe Schwarz, ein nach oben weisender goldener Sparren mit drei Weinbergschnecken ohne Haus.

Unser Bild vom barocken Garten

Wie bereits Michael Brix festgehalten hat, wird das einseitige Bild vom Gartenkünstler Le Nôtre in Versailles, das seit dem 19. Jahrhundert mit einem Klischee behaftet war, seit 1992 durch zahlreiche Rekonstruktionen korrigiert: "das Bild vom rabiaten Regisseur der unendlichen Perspektiven" (Brix). Wer sich Zeit nimmt und den Besuchermassen entflieht, kann in Versailles noch heute filigrane und intime Gartenräume finden, die so gar nicht zum tradierten Bild des barocken Künstlers passen. Und wenn wir schon beim Zurechtrücken sind: Le Nôtre konnte in Versailles seine Ideen nicht auf der sprichwörtlichen "grünen Wiese" umsetzen. Er musste und konnte auf das bestehende Parterre und das Jagdwaldgebiet mit seinen orthogonalen Alleen aufbauen. Seine Arbeit in Versailles, die 1662 begann, dauerte fast 30 Jahre. Langjährige Planungen waren mit Umbauten verbunden, wie das Beispiel Grand Canal zeigt. Ursprünglich war an eine Erweiterung der zentralen Allee, dem Rückgrat der symmetrischen Anlage, gedacht.

Nachdem jedoch die Ebene nicht trocken gelegt werden konnte, errichtete man über 13 Jahre hinweg den großen Kanal, der mit seinem unsymmetrischen (!) Querarm eine gestalterische Anbindung zur Anlage des Grand Trianon schafft. Was in diesem Zusammenhang gerne vergessen wird: Le Nôtre konnte auf (eigene) Vorbilder für große Kanäle (mit oder ohne Querarmen) zurückgreifen: Vaux le Vicomte und Chantilly (nördlich von Paris) sind hier zu nennen. Die Meisterleistung in Versailles liegt darin, dass es André Le Nôtre dem Besucher ermöglicht, mit den Augen den gesamten sichtbaren Raum zu erschließen, ohne dem menschlichen Empfinden von "richtigen", angepassten Proportionen entgegenzustehen. Bei ihm dominiert die Horizontale; er spielt mit Proportionen und arbeitet mit optischen Täuschungen und Überraschungsmomenten sowie "optischem Verschlucken" (Marguerite Charageat). Le Nôtre machte sich die Unvollkommenheit des menschlichen Auges zu Nutze. Dies zeigen auch seine nicht so bekannten (Entwurfs-)Arbeiten für die Anlagen Chantilly, Sceaux, Saint-German-en-Laye, Meudon, Fontainebleau oder Saint-Cloud.

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Der große Kanal in Vaux le Vicomte wird „optisch verschluckt“. Foto: Christian Hlavac, Oktober 2012
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Ludwig II. kopierte mit Herrenchiemsee Versailles und somit auch Le Nôtres Arbeiten. Foto: Christian Hlavac, Juli 2010

Die Liste jener Anlagen, für die Le Nôtre beratend tätig war, zeigt, dass er - wie einige andere königliche Hofgärtner auch - für Privatpersonen Aufträge übernahm und mit diesen viel mehr verdiente als mit der Arbeit für den König. Seine Kunstgriffe und die ab den 1660er-Jahren zunehmende Dimension der Anlage in Versailles führten dazu, dass der Park und seine Einzelgärten seit dem Frühbarock zu den berühmtesten Anlagen Europas gehörten. Sie wurden zum (unerreichten) Vorbild für die Gärten und Parks zahlreicher Fürstenhöfe. Zahlreiche Herrscher - wie zum Beispiel Kaiser Leopold I. - versuchten vergeblich, die französische Schöpfung zu übertrumpfen. Andere liehen sich Gärtner aus Versailles oder anderen großen, berühmten französischen Gärten aus. Diese oberflächlich als "Schüler Le Nôtres" bezeichneten Gärtner lassen sich ab Ende des 17. Jahrhunderts in zahlreichen europäischen Ländern nachweisen.

Von den zahllosen Parterres de broderie, die André Le Nôtre im Verlauf seines langen Lebens geschaffen hat, ist kein einziges erhalten geblieben. Daher lebt unser Bild vom barocken Garten vor allem durch Rekonstruktionen "seiner" Parterres. Diese gelten - so kann man zu Recht behaupten - als das optisch dominante barocke Gartenelement schlechthin. Dass sich das Bild vom barocken Parterre in den letzten 40 Jahren massiv gewandelt hat, haben die zahlreichen Rekonstruktionen in Europa gezeigt: So ist die Farbenvielfalt zurückgekehrt.

Zusammenfassend lässt sich zum Einfluss Le Nôtres auf unser Bild vom Barockgarten festhalten: Wir haben ein doppelt "falsches" Bild von seinen Gärten. Weil erstens keine einzige Gartenanlage, die zu Recht mit Le Nôtre in Verbindung gebracht, in ihrer Gänze auf ihn zurückgeht. Und weil zweitens Teile der überkommenen Le Nôtre-Gärten im 20. Jahrhundert in einem neuschöpferischen Akt rekonstruiert wurden. So dürfen wir zum Beispiel nicht vergessen, dass der französische Gartenarchitekt Achille Duchêne 1910 die Parterres latéraux du château und 1923 die Parterres de broderie in Vaux le Vicomte neu gestaltete. Wir blicken noch heute vom Helmturm des Schlosses auf dessen Entwurf.

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Le Nôtres Ruhestätte

Heute erinnert eine von ihm selbst in Auftrag gegebene Büste (Bildhauer: Antoine Coysevox) und eine Inschriftentafel in der Pariser Kirche Saint-Roch an das Grab des berühmtesten Mitgliedes der französischen Gärtnerfamilie Le Nôtre. Als "Verantwortlicher für die Verschönerung der Gärten von Versailles und anderer königlicher Residenzen" - so die Inschrift - hat "nicht alleine Frankreich von seinem Fleiß profitiert", sondern "alle Fürsten Europas wollten Schüler von ihm haben." Die zahlreichen Gartenanlagen "im Stile Versailles" beziehungsweise "im Stile Le Nôtres" im restlichen Europa zeigen, dass diese Aussage - auch wenn er keine "Schule" im engeren Sinn begründete - einen wahren Kern enthält. Und wer weiß, vielleicht wird - wie einst Ludwig II. in Herrenchiemsee - ein leidenschaftlicher Verehrer die Gärten von Versailles kopieren und so auch die Gestaltung Le Nôtres neu in die Welt hinaus tragen.


Literatur

Brix, Michael (2009): Der absolute Garten. André Le Nôtre in Versailles. Arnoldsche Verlagsanstalt Stuttgart.

Gady, Alexandre (2011): Versailles. La fabrique d'un chef-d'oevre. Le Passage Editions Paris.

Jeannel, Bernard (1988): André Le Nôtre. Birkhäuser Verlag Basel.

Pérouse de Montclos, Jean-Marie (2012): Le chateau de Vaux le Vicomte. Nouvelles Editions Scala Paris.

Rostaing, Aurélia (2004): Gardens by Le Nôtre in Île-de-France. Editions du patrimoine Paris.

Dr.- Ing. Christian Hlavac
Autor

Gartenhistoriker und Gartentouristiker am Zentrum für Garten, Landschaft und Tourismus, Wien

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