Zum Planungsverständnis urbaner Grün- und Freiräume

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Urbanes Grün Freiraumplanung
Bürgerpark Reutlingen: generationenübergreifender, vielfältig nutzbarer und multifunktionaler Stadtraum. Foto: Gerlinde Trinkhaus

Die Diskussion um das urbane Grün hat in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Beispiel für diese erfreuliche Entwicklung ist das Grünbuch "Grün in der Stadt - für eine lebenswerte Zukunft", welches einen breiten Dialog über die Bedeutung urbanen Grüns für die Stadtentwicklung in Gang setzte. Auch das Weißbuch "Grün in der Stadt - Handlungsfelder" wird öffentliche Wahrnehmung hervorrufen. Doch trotz aller ermutigenden Bekenntnisse für das Stadtgrün stellt sich für die Fachleute in den Kommunen dennoch die Frage der Implementierung in den Alltag. Denn vielerorts sind die organisatorischen Rahmenbedingungen im Grünbereich immer noch oder wieder unbefriedigend. Es kann deshalb nur gut sein, sich weiter in die Diskussionsprozesse auf Bundes- und Landesebene einzubringen.

Gleichzeitig gilt es, die politischen Akteure vor Ort noch stärker für die grünen Themen zu sensibilisieren und sich immer wieder mit der Bedeutung von urbanen Grün- und Freiräumen für die Stadtentwicklung auseinanderzusetzen. Innerhalb dieser Auseinandersetzung sollte das grundlegende und aktuell mitunter vergleichsweise eng gefasste Verständnis über urbane Grünräume hinterfragt, in einen stadthistorischen Kontext gesetzt und mit einem erweiterten urbanen Freiraumverständnis auf die heutigen Bedingungen ergänzt werden.

Warum die Diskussion über urbane Grün- und Freiräume notwendig ist

Die Entwicklung der historischen europäischen Stadt lässt sich nicht losgelöst von Landschaft und naturräumlichen Ressourcen betrachten. Städte entstanden dort, wo ausreichend Trink- und Brauchwasser zur Verfügung stand. Auch die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Baumaterialien wie Holz, die Möglichkeit wohnortnaher Nahrungsmittelproduktion und eine vor Naturkatastrophen geschützte Lage waren wichtige Aspekte. Das städtische Leben wurde durch das Zusammenspiel von Bebauungsstrukturen und Freiräumen geprägt, wobei den Freiräumen aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in der historischen Stadt eine hohe Bedeutung zukam. Öffentliches und privates Leben spielte sich stärker als heute draußen ab.

Dennoch konzentrierte sich die Planung der historischen Städte im Wesentlichen auf Bebauungsstrukturen. Was die Ausgestaltung der Freiräume anging, blieb sie ungeregelt. Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Siedlungen waren jedoch ohnehin keine grünen Städte. Stadtplätze waren - abgesehen von den Brunnen - ungestaltete und leere Flächen, die mehreren Funktionen dienten und durch eine Vielzahl sich überlagernder Nutzungen geprägt waren. Mit dem Barock bildeten sich erstmals monofunktional ausgerichtete Freiräume mit begrenzten Funktionen und Nutzungen heraus, beispielsweise Repräsentations- und Exerzierplätze. Das barocke Zeitalter bildete auch den Auftakt für urbane Grünraumgestaltung. In den folgenden Jahrzehnten entstanden begrünte Alleen und Ende des 18. Jahrhunderts die ersten öffentlichen Stadtgärten. Industrialisierung und extremes Bevölkerungswachstum führten im 19. Jahrhundert zu großflächigen Stadterweiterungen mit dicht bebauten Quartieren. Mit der Industrialisierung veränderten sich auch die sozialräumlichen Nutzungen grundlegend. Viele Tätigkeiten, die in früheren Zeiten selbstverständlich draußen stattfanden, verlagerten sich nach innen. Arbeit und privates Leben fanden zunehmend fern der Öffentlichkeit statt. Das erstarkende Bürgertum mit seinem Wunsch nach repräsentativen Freiräumen, genauso aber auch die schwierigen hygienischen Zustände und katastrophalen Lebensbedingungen in den dicht bebauten Quartieren machten im 19. Jahrhundert eine grundlegend neue Betrachtung der öffentlichen Freiräume notwendig. Die ersten gesamtstädtischen Grünsystemplanungen mit planvoll angelegten, begrünten Straßenzügen und Stadtplätzen, mit Volksparks und Grüngürteln auf ehemaligen Festungsanlagen fielen in diese Zeit. Damit einher ging die Gründung städtischer Gartenämter.

Gartenstädte und die Siedlungen des Neuen Bauens in den 1920er- Jahren waren Vorboten für ein neues städtebauliches Leitbild. Anstelle dunkler, feuchter Mietskasernen sollten lebenswerte, egalitäre Wohnquartiere mit viel Licht, Luft und Sonne in einer begrünten Stadtlandschaft entstehen. Die 1933 verabschiedete Charta von Athen formulierte das städtebauliche Ziel der funktionalen Trennung von Wohnquartieren, Geschäftsvierteln und Industriegebieten. Damit verbunden waren leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen zur Bewältigung der immer größer werdenden Strecken zwischen Arbeit, Freizeit und Wohnen. In der Nachkriegszeit wurde das Prinzip der funktionalen Trennung intensiviert. Immer großflächigere Verkehrsinfrastrukturen für die autogerechte Stadt entstanden, dazu Großsiedlungen mit monofunktionalen Freiflächen als Abstandsgrün. Abgesehen vom Verlust urbaner Stadtstrukturen führten diese Entwicklungen zu räumlich getrennten und zerschnittenen Grünräumen. Insgesamt bewirkte das Prinzip der funktionsgetrennten Stadt ein Nebeneinander monofunktionaler Räume: Räume für Verkehrsinfrastrukturen mit Straßen, Parkplätzen und Parkhäusern, Abstandsräume für Bebauung, Räume für Versorgungsinfrastrukturen und Hochwasserschutz, monofunktionale Stadtplätze sowie Spielplätze und Sportplätze mit einer über den Tag meist zeitlich begrenzten Nutzung. Damit einher ging und geht ein hohes Maß an Flächenverbrauch.

In den letzten Jahren veränderten sich die städtebaulichen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen. Bereits 2007 formulierte die Charta von Leipzig das städtebauliche Leitbild der nachhaltigen europäischen und nutzungsgemischten Stadt. Insbesondere die Digitalisierung führte - entgegen aller Befürchtungen - zu einer Rückkehr urbanen Lebens in die Freiräume. Hochwasserschutz und Gewässerentwicklung werden mittlerweile integriert als Teil der Stadtentwicklung betrachtet. Im Zuge von Konversionen wurden neue Stadtquartiere mit urbanen Freiräumen realisiert. Ebenso bewirken Klimawandel und die damit verbundenen Klimaanpassungsmaßnahmen eine stärkere Betrachtung der Frei- und Grünräume. All das führt dazu, dass urbanes Grün in den Fokus der Stadtentwicklung rückt. Gleichzeitig haben Innenentwicklung und das starke Wachstum einiger Regionen und Städte zu einer Ressourcenverknappung an verfügbaren Flächen und zu einer Unterversorgung mit tatsächlich verfügbarem, hochwertigem Grün geführt, selbst wenn auf dem Papier ausreichend Flächen vorhanden sind.

All diese Entwicklungen bilden die Rahmenbedingungen für die aktuellen Diskussionen über urbane Frei- und Grünräume. Ein Schwerpunkt der Diskussion ist dabei das Thema Grün als Teil der städtischen Infrastrukturen - verbunden mit dem Wunsch, urbanes Grün stärker als Pflichtaufgabe städtischer Daseinsvorsorge zu verstehen.

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Urbanes Grün Freiraumplanung
Freiräume vor den Toren der historischen Stadt: sparsame Gestaltung, vielfältige Nutzungen und Funktionen: Lucas von Valckenborch, Herbstlandschaft, 1585. Abb.: Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. 5684

Dennoch konzentrierte sich die Planung der historischen Städte im Wesentlichen auf Bebauungsstrukturen. Was die Ausgestaltung der Freiräume anging, blieb sie ungeregelt. Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Siedlungen waren jedoch ohnehin keine grünen Städte. Stadtplätze waren - abgesehen von den Brunnen - ungestaltete und leere Flächen, die mehreren Funktionen dienten und durch eine Vielzahl sich überlagernder Nutzungen geprägt waren. Mit dem Barock bildeten sich erstmals monofunktional ausgerichtete Freiräume mit begrenzten Funktionen und Nutzungen heraus, beispielsweise Repräsentations- und Exerzierplätze. Das barocke Zeitalter bildete auch den Auftakt für urbane Grünraumgestaltung. In den folgenden Jahrzehnten entstanden begrünte Alleen und Ende des 18. Jahrhunderts die ersten öffentlichen Stadtgärten. Industrialisierung und extremes Bevölkerungswachstum führten im 19. Jahrhundert zu großflächigen Stadterweiterungen mit dicht bebauten Quartieren. Mit der Industrialisierung veränderten sich auch die sozialräumlichen Nutzungen grundlegend. Viele Tätigkeiten, die in früheren Zeiten selbstverständlich draußen stattfanden, verlagerten sich nach innen. Arbeit und privates Leben fanden zunehmend fern der Öffentlichkeit statt. Das erstarkende Bürgertum mit seinem Wunsch nach repräsentativen Freiräumen, genauso aber auch die schwierigen hygienischen Zustände und katastrophalen Lebensbedingungen in den dicht bebauten Quartieren machten im 19. Jahrhundert eine grundlegend neue Betrachtung der öffentlichen Freiräume notwendig. Die ersten gesamtstädtischen Grünsystemplanungen mit planvoll angelegten, begrünten Straßenzügen und Stadtplätzen, mit Volksparks und Grüngürteln auf ehemaligen Festungsanlagen fielen in diese Zeit. Damit einher ging die Gründung städtischer Gartenämter.

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Licht, Luft, Sonne oder einfach nur Abstandsgrün – Siedlung Cracau in Magdeburg, 1929 bis 1933 errichtet. Foto: Katrin Korth
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Freiburger Rieselfeld: multicodierter Freiraum mit Regenwasserbewirtschaftung, Park, ökologischer Nische, Spielraum. Foto: Katrin Korth
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Geteilter Raum mit Straße als Spiel- und Bewegungsraum, Reutlingen Nürtingerhofstraße. Foto: Katrin Korth
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Promenade am Altrhein in Kehl: vielfältige Nutzungsangebote für generationenübergreifenden Aufenthalt, Naturerlebnis, Naherholung und Tourismus mit hoher ökologischer Qualität. Foto: Katrin Korth
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Gartenstädte und die Siedlungen des Neuen Bauens in den 1920er- Jahren waren Vorboten für ein neues städtebauliches Leitbild. Anstelle dunkler, feuchter Mietskasernen sollten lebenswerte, egalitäre Wohnquartiere mit viel Licht, Luft und Sonne in einer begrünten Stadtlandschaft entstehen. Die 1933 verabschiedete Charta von Athen formulierte das städtebauliche Ziel der funktionalen Trennung von Wohnquartieren, Geschäftsvierteln und Industriegebieten. Damit verbunden waren leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen zur Bewältigung der immer größer werdenden Strecken zwischen Arbeit, Freizeit und Wohnen. In der Nachkriegszeit wurde das Prinzip der funktionalen Trennung intensiviert. Immer großflächigere Verkehrsinfrastrukturen für die autogerechte Stadt entstanden, dazu Großsiedlungen mit monofunktionalen Freiflächen als Abstandsgrün. Abgesehen vom Verlust urbaner Stadtstrukturen führten diese Entwicklungen zu räumlich getrennten und zerschnittenen Grünräumen. Insgesamt bewirkte das Prinzip der funktionsgetrennten Stadt ein Nebeneinander monofunktionaler Räume: Räume für Verkehrsinfrastrukturen mit Straßen, Parkplätzen und Parkhäusern, Abstandsräume für Bebauung, Räume für Versorgungsinfrastrukturen und Hochwasserschutz, monofunktionale Stadtplätze sowie Spielplätze und Sportplätze mit einer über den Tag meist zeitlich begrenzten Nutzung. Damit einher ging und geht ein hohes Maß an Flächenverbrauch.

In den letzten Jahren veränderten sich die städtebaulichen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen. Bereits 2007 formulierte die Charta von Leipzig das städtebauliche Leitbild der nachhaltigen europäischen und nutzungsgemischten Stadt. Insbesondere die Digitalisierung führte - entgegen aller Befürchtungen - zu einer Rückkehr urbanen Lebens in die Freiräume. Hochwasserschutz und Gewässerentwicklung werden mittlerweile integriert als Teil der Stadtentwicklung betrachtet. Im Zuge von Konversionen wurden neue Stadtquartiere mit urbanen Freiräumen realisiert. Ebenso bewirken Klimawandel und die damit verbundenen Klimaanpassungsmaßnahmen eine stärkere Betrachtung der Frei- und Grünräume. All das führt dazu, dass urbanes Grün in den Fokus der Stadtentwicklung rückt. Gleichzeitig haben Innenentwicklung und das starke Wachstum einiger Regionen und Städte zu einer Ressourcenverknappung an verfügbaren Flächen und zu einer Unterversorgung mit tatsächlich verfügbarem, hochwertigem Grün geführt, selbst wenn auf dem Papier ausreichend Flächen vorhanden sind.

All diese Entwicklungen bilden die Rahmenbedingungen für die aktuellen Diskussionen über urbane Frei- und Grünräume. Ein Schwerpunkt der Diskussion ist dabei das Thema Grün als Teil der städtischen Infrastrukturen - verbunden mit dem Wunsch, urbanes Grün stärker als Pflichtaufgabe städtischer Daseinsvorsorge zu verstehen.

Das Konzept der Urbanen Grünen Infrastruktur

Grüne Infrastruktur im klassischen, engeren Sinn umfasst zunächst die klassischen städtischen Grünthemen - Parks und Grünflächen, Friedhöfe, Kinderspielplätze, Außenanlagen von Schulen und Kindergärten oder Bäume. Mancherorts liegt auch die Verantwortung für Naturschutz, Landschaftsplanung, Kleingärten und den Wald bei den Grünabteilungen. Das Konzept der Urbanen Grünen Infrastruktur hingegen bezieht sich auf die gesamten urbanen Freiräume in einer ressort- und regional übergreifenden Betrachtung. Urbane Grüne Infrastrukturen umfassen dabei natürliche, naturnahe und gestaltete oder versiegelte Freiflächen. Ihre Bedeutung für die Stadt ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Qualitäten: biologische Vielfalt, Nutzbarkeit, Überlagerung von Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten, Ästhetik und Baukultur.

Das Konzept der Urbanen Grünen Infrastruktur erweitert damit den Blick auf die grauen und technischen Infrastrukturen. So können Retentionsbecken Teil von Grünzügen sein, die ansonsten der Erholung dienen und ein hohes ökologisches Potenzial aufweisen. Straßen sind nicht nur Flächen für unterirdische Versorgungsinfrastrukturen und KFZ, sondern multifunktionale Stadträume für Bewegung und Kommunikation, aber auch ökologisch wertvoll durch ihren Baumbestand und könnten auch für Retention aktiviert werden. Stadtplätze und urbane Parks sind nicht nur ästhetisch gestaltete Räume, sondern Orte für das Miteinander der Stadtgesellschaft, die zudem technische und ökologische Funktionen erfüllen.

Aus diesem ressortübergreifenden Grundgedanken der Urbanen Grünen Infrastrukturen folgen ihre grundlegenden Planungsprinzipien.

Diese Planungsprinzipien sind eigentlich nichts Neues und sollten selbstverständlich sein. Dennoch spiegeln sie den Alltag vieler Kommunen und Behörden mit ihren linearen Strukturen nicht wider. Ressortübergreifendes Arbeiten und vernetztes Stadtverständnis erfordert zudem das Verlassen gewohnter Pfade und Zuständigkeiten. Gleichwohl liegen in der integrierten Betrachtung der Freiräume, unabhängig von Eigentumsverhältnissen und unabhängig davon, ob es sich nun um klassische Grünräume handelt oder um Straßen und Stadtplätze, sowie in der Funktions- und Nutzungsüberlagerung die größten Potenziale für platzsparende und ökonomische Stadtentwicklung, die qualitative Ansprüche mit der Förderung von Ökosystemleistungen, Klimaanpassungsstrategien und hohen sozialräumlichen Qualitäten verbindet. Dabei ist insbesondere ein vertiefter Blick auf die Funktions- und Nutzungsüberlagerungen lohnenswert

Funktions- und Nutzungsüberlagerung

Funktions- und Nutzungsüberlagerungen oder auch multicodierte urbane Räume werden schon seit geraumer Zeit als Prinzip der Freiraumplanung benannt. Bisher ging es häufig um die Verknüpfung von Hochwasserschutz und Regenwasserretention mit Freiraumgestaltung in einem stark funktionalen Ansatz. Doch Funktions- und Nutzungsüberlagerung umfasst mehr und lässt sich durchaus als Schlüssel für erfolgreiche Freiraumgestaltung sehen. Dennoch gibt es bisher scheinbar wenige realisierte Beispiele. Warum? Der Rückblick auf die historischen urbanen Freiräume hilft nur bedingt, denn abgesehen von der nicht vergleichbaren sozialräumlichen Struktur war die historische Stadt eine Stadt der Fußgänger. Der mobilisierte Individualverkehr ist heute eines der größten Hindernisse für multicodierte, belebte urbane Freiräume. Öffentlichen Raum für Straßenschneisen und Parkraum vorzuhalten, ist Platzverschwendung und führt in der Konsequenz zu leeren, lebensfeindlichen Stadträumen. Die fußgänger- und radfahrfreundliche Stadt ist damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für Funktions- und Nutzungsüberlegungen, denn sie schafft Platz und fördert die Entstehung lebenswerter Stadträume.

Urbanes Grün Freiraumplanung
Alla Hopp Anlage in Bürstadt: Zusammenspiel von Bewegung, Spiel, Gesundheitsförderung und generationenübergreifendem Aufenthalt direkt im neuen Stadtpark unmittelbar am Rathaus. Foto: Dirk Schelhorn
Urbanes Grün Freiraumplanung
Mühlenviertel Tübingen: neue Freiräume für das unmittelbare Wohnumfeld mit Gemeinschaftsgärten. Foto: Katrin Korth

Im Bereich der Straßenräume gibt es mittlerweile einige Beispiele für nutzungsgemischte Freiräume. So funktioniert Shared Space als gleichberechtigt nutzbarer Stadtraum für mobilisierten und nicht mobilisierten Verkehr dann gut, wenn sich in diesen Räumen viele Menschen aufhalten und wohlfühlen. Das macht gestalterische Interventionen oder besondere Nutzungsangebote jenseits der klassischen Straßenraumgestaltung notwendig. Solche Interventionen können Cafés, Sitzgelegenheiten oder auch Spiel- und Bewegungsangebote sein. Gerade das Prinzip des Spielens auf der Straße erscheint heute, obwohl bis vor einigen Jahrzehnten üblich, eher ungewöhnlich. Dabei ist Stadtraum vielerorts mindestens zeitweise geeignet für Spiel und Bewegung. Damit sei an dieser Stelle ein weiterer Effekt solcher Interventionen genannt: attraktive, fußgängerfreundliche Stadträume mit interessanten Nutzungsangeboten animieren zur Aneignung und sind damit gesundheitsfördernd.

Bei einer vertieften Betrachtung lassen sich also eine Reihe von Optionen für Funktions- und Nutzungsüberlagerungen finden. Die einfachste Form räumlicher und zeitlicher Funktionsüberlagerungen ist das Öffnen von Spielplätzen an Schulen und Kindergärten außerhalb der Betreuungszeiten. Neben den schon beschriebenen funktionalen Überlagerungen zwischen Grünzügen und Retentionsräumen, verbunden zumeist mit ökologischen und stadtklimatischen Vorteilen, gibt es sozialräumliche Funktions- und Nutzungsüberlagerungen. Anstatt einzelnen Akteursgruppen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren) getrennte Freiraumangebote zu machen, lassen sich diese Angebote auch generationenübergreifend zusammenfassen. Dies führt zum einen zu einem Miteinander im Stadtraum, integriert bestimmte - und durchaus problematisch bewertete Gruppen - gezielt anstatt sie auszugrenzen und ermöglicht zudem ganzjährige Nutzungsmöglichkeiten. Hier verbinden sich sozialräumliche mit gesundheitlichen Aspekten. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung lassen sich zusätzlich weitere Funktionen unterbringen.

Planungsprozesse sind nicht selten stark auf ästhetische Aspekte fokussiert. Der Blick auf Nutzungen, und hier insbesondere die alltägliche Nutzbarkeit, gerät dabei manchmal in den Hintergrund, obwohl Freiräume vor allem dann gut angenommen werden, wenn sie mehrere Funktionen überlagern und vielfältige Nutzungsangebote machen. So kann eine Ufergestaltung ökologische mit Naherholungs- und touristischen Aspekten verbinden und zudem durch die Ausgestaltung generationenübergreifend interessant sein. Erfolgreiche Freiraumgestaltung braucht Funktionsüberlagerungen und vielfältige Nutzungsangebote. Allein ein Rendering eines geplanten Freiraums, das Menschen in einem irgendwie gestalteten Raum zeigt, ist kein Garant für tatsächliche Funktionsüberlagerung und Aneignung. Eine freie, versiegelte Fläche bietet in den meisten Fällen keine Funktionsüberlagerung, weder ökologisch noch technisch noch stadtklimatisch. Aneignung entsteht nicht von allein, sondern braucht Angebote jenseits von Möblieren und Zustellen öffentlicher Freiräume.

Notwendig ist also eine intensive Auseinandersetzung mit den alltäglichen Nutzungsmöglichkeiten, möglichen Funktionsüberlagerungen und gewünschten Nutzungsangeboten während des Planungsprozesses. Gerade die versiegelten Stadträume, aber auch die Grünräume, bieten hier gute Voraussetzungen. Funktions- und Nutzungsüberlagerungen lassen sich hierbei auch als Chance verstehen, attraktive Freiräume zu schaffen und daneben den Fokus auf Pflegebelange zu richten. So bietet beispielsweise das Abstandsgrün in den Siedlungen der 1950er bis 1970-Jahre ein großes Potenzial für neue Funktionen und Nutzungen, beispielsweise für Haus- und Gemeinschaftsgärten. Das Festhalten am Prinzip funktionsgetrennter Frei- und Grünräume führt nicht zwangsläufig zu mehr Qualität beim Stadtgrün. Damit der Freiraum tatsächlich die Qualität der Stadt bestimmt, ist ein gesamtstädtisches Freiraumverständnis notwendig, welches Grünräume genauso wie Plätze und Straßen als auch private Freiräume umfasst. Planerisches Ziel bei der Ausformung dieser Freiräume sollten möglichst vielfältige Nutzungs- und Funktionsüberlagerungen sein. Ästhetische Gestaltung ist in diesem Sinne nicht nachrangig, aber eben auch nicht ursächlich für eine hohe Freiraumqualität.

Dr.-Ing. Katrin Korth
Autorin

Freiraum- und Verkehrsplanerin

KORTH StadtRaumStrategien

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