Stadtbrachen als multifunktionale Freiräume

Zwischen Naturschutz und Gestaltung

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Bundesamt für Naturschutz (BfN) Klimaschutz
Die Sinai-Wildnis im Sinai-Park in Frankfurt am Main ist teilweise von Pfaden durchzogen, teilweise ein unwegsames Dickicht. Foto: Rieke Hansen
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Das Schöneberger Südgelände gehört zu den bekanntesten Beispielen der Parks auf Brachflächen. Stege führen durch die störungsempfindlichen Flächen. Foto: Rieke Hansen
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Eine der Aktivitätsinseln im Park auf dem Nordbahnhof. Foto: Rieke Hansen

Unsere Städte sollen grüner und lebenswerter werden, gleichzeitig aber auch urbaner und kompakter. Die Nachnutzung von Stadtbrachen kann für beides eine Lösung sein, allerdings ist die Frage nach einer erneuten Nutzung insbesondere aus Sicht der Freiraumentwicklung und des Stadtnaturschutzes zwiespältig. Einerseits ist die kompakte Stadt und eine Vermeidung von zusätzlicher Flächeninanspruchnahme wünschenswert, andererseits gehen bei der Bebauung Freiräume verloren, die potenzielle Grünverbindungen oder Erholungsflächen, klimatische Ausgleichsräume oder Refugien für eine Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten darstellen können. Bei einer Entscheidung zugunsten einer öffentlichen Grünfläche können zudem neue, ungewöhnliche Freiräume entstehen. Der Landschaftspark Duisburg-Nord ist ein weltweit bekanntes Beispiel der Freiraum-Nachnutzung einer Industriebrache. Neben solchen Leuchtturmprojekten lassen sich in Deutschland viele kleinere und größere Beispiele finden, in denen Stadtbrachen in innovative, multifunktionale Freiräume umgewandelt wurden. Im Rahmen eines Gutachtens im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) wurden solch innovative Projekte gesucht. Ausgehend von diesem Gutachten zeigen wir in diesem Aufsatz anhand von sechs Beispielen Ansätze und Erfolgsfaktoren für die Schaffung von multifunktionalen Freiräumen auf Brachflächen auf. Dabei geht es insbesondere um urbane Wildnis als eine Bereicherung der Stadtnatur.

Integrierter Stadtnaturschutz mit Gestaltungsanspruch

Integrierter Naturschutz im städtischen Umfeld bedeutet nach unserem Verständnis Naturschutz mit und für den Menschen. Schutz und Entwicklung der biologischen Vielfalt bleibt freilich auch bei diesem umfassenden Verständnis eine tragende Säule des Stadtnaturschutzes. Stadtbrachen sind dabei nicht nur Lebensräume eingewanderter oder eingeschleppter Spezies und damit potenziell Ausbreitungsherde unerwünschter "Problemarten". Auch für heimische Tier- und Pflanzenarten, die in der landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft nur noch selten geeignete Lebensbedingungen finden, können Brachflächen wertvolle Ersatzlebensräume darstellen. Beispielsweise besiedeln in einigen Regionen Pionierarten wie Kreuzkröte oder Flussregenpfeifer junge Brachflächen mit ihren extremen Standortbedingungen.¹) Mit fortschreitender Sukzession der Vegetation verschwinden diese Lebensräume allerdings. Daher spielen Pflege- und Entwicklungskonzepte eine wichtige Rolle für den Schutz der biologischen Vielfalt auf Stadtbrachen.

Schutz und Entwicklung des Naturhaushalts gewinnen in Zeiten des Klimawandels insbesondere in Bezug auf die klimatischen Funktionen der Stadtnatur auch in der Stadt an Bedeutung. Stadtbrachen können je nach Beschaffenheit von Untergrund und Bewuchs ausgleichend auf das Lokalklima wirken und Niederschlag versickern. Durch Entsiegelung können Bodenfunktionen reaktiviert werden.

Die dritte Säule ist die Erholungsfunktion für den Menschen und die Bedeutung von Stadtnatur für die Lebensqualität insgesamt. Die Natur vor der Haustür ermöglicht es insbesondere Kindern, spielerisch Naturerfahrungen zu machen. In Bezug auf die Lebensqualität sind Stadtbrachen mit wildem Bewuchs durchaus ambivalent, da sie vielfach nicht den ästhetischen Vorstellungen der Stadtbewohner entsprechen und oft mit Verfall assoziiert werden. Andererseits gibt es auch Beispiele, bei denen sich die Anwohner für den Erhalt eben dieser Stadtnatur stark gemacht haben (zum Beispiel Schöneberger Südgelände oder Gleisdreieck in Berlin). Behutsame Gestaltung und Pflege können helfen, die Attraktivität zu erhöhen und dabei die entstandene Stadtwildnis zu erhalten.

Die unterschiedlichen Ziele des Stadtnaturschutzes lassen sich nicht immer vereinbaren. Auch zwischen freier Sukzession und Erhaltung bestimmter artenreicher Stadien muss im Einzelfall abgewogen werden. Flächen zur intensiven Freizeitnutzung können in der Regel nicht zugleich dem Schutz störungsempfindlicher Arten dienen. Räumliche Schwerpunktsetzungen sind einerseits erforderlich, andererseits müssen sich bei einer geschickten Gestaltung Erholungsangebote, Förderung der biologischen Vielfalt und die Sicherung von kleinklimatisch bedeutsamen Flächen nicht ausschließen. Um Synergien zu nutzen und multifunktionale Freiräume zu entwickeln, braucht es ökologisches Wissen und gestalterische Fähigkeiten, um etwa bestimmte Nutzungen in robuste Teilflächen zu lenken. Durch die Wegegestaltung wie den Steg durch das Schöneberger Südgelände ist sanfte Besucherlenkung möglich, die den Park gleichzeitig ästhetisch bereichert.

Übergeordnete Konzepte zur Stadtlandschaftsentwicklung sind erforderlich, damit Chancen für den integrierten Naturschutz zielgerichtet verfolgt werden können. Insbesondere ein hoher Anteil an Brachflächen macht eine Schwerpunktsetzung erforderlich. Im Ruhrgebiet gibt es beispielsweise Bestrebungen naturschutzfachlich besonders wertvolle Industriebrachen als "Hotspots der Biodiversität" zu erhalten.²) Auch Zielkonflikte mit der Innenentwicklung lassen sich lösen, wenn Stadtbrachen systematisch erfasst und naturschutzfachlich bewertet werden und die wertvollsten und erhaltenswerten Flächen somit frühzeitig bekannt sind.

Im Rahmen des BfN-Gutachtens wurde eine Methode zur Abschätzung der naturschutzfachlichen Bedeutung, getrennt nach biologischer Vielfalt, Naturhaushalt und Erholungsfunktion entwickelt. Das zweistufige Verfahren sieht eine Vorabschätzung auf Grundlage vorhandener oder einfach zu ermittelnder Daten für den Bestand an Stadtbrachen und eine vertiefende Untersuchung für potenziell wertvolle Brachflächen vor. Als wesentliche Kriterien für eine Vorabschätzung der biologischen Vielfalt können beispielsweise Strukturvielfalt und Anbindung an das Freiraumsystem gelten.

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Beim Stadtentwicklungsprojekt Zentrale Bahnflächen in München blieben Teilbereiche mit Bahnbiotopen und ein Korridor entlang der noch im Betrieb befindlichen Gleisanlagen erhalten. Foto: Stephan Pauleit
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Brachen bieten die Chance für ungewöhnliche Freiräume wie der Industriewald Rheinelbe in Gelsenkirchen, die Raum für spontane Naturentwicklung ermöglichen. Foto: Stephan Pauleit

Die biologische Vielfalt wird in diesem Ansatz besonders berücksichtigt, um potenzielle Planungskonflikte mit dem Arten- und Biotopschutz frühzeitig zu erkennen und nach verträglichen Lösungen suchen zu können. Dass gute Lösungen auch bei baulicher Entwicklung möglich sind, zeigt das Beispiel der zentralen Bahnflächen in München, bei dem es gelungen ist, Lebensräume von geschützten Eidechsen innerhalb des neuen Quartiers dauerhaft zu sichern, Ersatzlebensräume zu schaffen und den Biotopverbund zu stärken. Das Erstellen eines Habitate- und Freiraumkonzepts in einem sehr frühen Planungsstadium und Einbindung der Ergebnisse in allen Planungsphasen hat sich dabei als wichtiger Grundstein für die gute Kooperation zwischen allen Projektbeteiligten erwiesen.³)

Soll eine Stadtbrache der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sind freilich noch weitere Herausforderungen zu bewältigen. Diese können von der Regelung der Eigentumsverhältnisse, über die Bewältigung von Altlasten und Gefahrenstellen, Fragen der Verkehrssicherung bis hin zur sozialen Kontrolle und dem Sicherheitsempfinden der Nutzer reichen.

Projekte zwischen Erhaltung und Entwicklung von Stadtnatur

Ob es gelingt Stadtbrachen als Freiräume zu sichern, hängt nicht zuletzt von der Flächennachfrage und den Kosten für die Aufbereitung ab. Für Flächen in schrumpfenden Regionen stellt sich die Frage nach einer baulichen Nachnutzung oft nicht. So wurden zirka 85 Prozent der Rückbauflächen im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost überwiegend in Frei- und Grünflächen umgewandelt. Dabei wurden allerdings etwa zwei Drittel der Rückbauflächen lediglich mit einfachen und kostengünstigen Raseneinsaaten begrünt.4).

Im Rahmen des BfN-Gutachtens wurden Beispiele für die innovative Nachnutzung von Stadtbrachen als Freiraum gesucht. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie Stadtwildnis in die Freiraumnutzung integriert und Synergien zwischen verschiedenen Naturschutzzielen hergestellt wurden, um multifunktionale Freiräume zu schaffen. Dazu wurde veröffentlichtes Material zu sechs Projekten, bei denen Stadtbrachen als Freiräume erhalten oder zurückgewonnen wurden, ausgewertet und durch Gespräche mit Projektverantwortlichen ergänzt. Eine ausführliche Beschreibung mit Hinweisen seitens der Projektverantwortlichen findet sich bei Hansen et al. (2012).5)

Dort sind auch drei Projekte der doppelten Innenentwicklung aus Augsburg, Heidelberg und München beschrieben, bei denen spontane Stadtnatur in Teilen erhalten wurde.

Die biologische Vielfalt spielte bei allen Projekten eine Rolle, indem entweder die durch das Brachfallen spontan entstandene Stadtnatur zumindest auf Teilflächen erhalten blieb oder neue naturnahe Flächen angelegt wurden, wobei Übergänge zwischen beiden Ansätzen vorhanden sind. Die Bahnbrache Gleispark Frintrop in Essen wurde durch einen Rundweg mit Aussichtskanzeln behutsam erschlossen. Sie ist angebunden an einen Fuß- und Radweg und Teil der Route der Industriekultur durch das Ruhrgebiet. Die Wiesenflächen und Ruderalfluren werden durch spezielle Pflegemaßnahmen dauerhaft erhalten. Ein Parkpflegewerk bildet dafür die Grundlage. Neben einer allgemeinen Beschreibung von Standort, seiner Historie, Entwurfsabsichten und Potenzialen enthält das Pflegewerk für den Gleispark "allgemeine" und "besondere" Pflegetätigkeiten. In den besonderen Pflegetätigkeiten werden die Elemente beschrieben, die in ihrer Qualität unbedingt zu erhalten sind und umfassen beispielsweise besonders gestaltete Platzsituationen oder Maßnahmen für einzelne Vegetationsflächen.

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Ruderalfluren im Park auf dem Nordbahnhof sind gegenüber den Wegen mit einer "Reling" abgegrenzt. Foto: Rieke Hansen

Ein Pflegekonzept gibt es auch für die Wiesen und Ruderalvegetation im Park am Nordbahnhof in Berlin. Der mit dem Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis 2011 ausgezeichnete Park ist als naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche anerkannt. Durch ein differenziertes Pflegekonzept ist die Unterhaltung zwar einerseits extensiver als in klassischen Parkanlagen, aber fachlich anspruchsvoll. Der Park am Nordbahnhof ist gekennzeichnet durch einen Wechsel aus intensiv und extensiv genutzten Flächen und ermöglicht das Erleben urbaner Spontanvegetation. Die Flächen mit Spontanvegetation sind von Spiel- und Aufenthaltsbereichen räumlich abgegrenzt. Diese "Inseln" sind über Metallstege von den Hauptwegen aus zu erreichen. Von den Hauptwegen sind die Ruderalfluren im Park auf dem Nordbahnhof durch eine "Reling" abgegrenzt. Auch die Historie spielte bei der Parkgestaltung eine Rolle. Als Teil des früheren Grenzstreifens ist der Park in das Konzept zum Mauergedenken einbezogen. Relikte der Mauerzeit wie der ehemalige Mauerverlauf und die Hinterlandmauer blieben erhalten.

Beim Sinai-Park in Frankfurt am Main ist bemerkenswert, dass stadtklimatische Überlegungen bei der Entscheidung für die Parkentwicklung mitentscheidend waren. Bei der als Gartenbaubetrieb genutzten Fläche in Frankfurt wurde in den 1980er-Jahren nur ein kleiner Randbereich für Bebauung vorgesehen. Der Rest wurde entsiegelt und in einen Park als Teil des Freiraumsystems entwickelt, um den Freiraumbedarf der benachbarten Wohnviertel zu decken und den Luftaustausch zwischen Außenbereich und Innenstadt zu verbessern. Dementsprechend ist der Park weitgehend mit Wiesen und lockerem Baumbestand gestaltet.

Im südöstlichen Bereich werden zwei Wiesenflächen für Flora und Fauna extensiv gepflegt. Die in diesem Parkbereich gelegene Sinai-Wildnis ist ein Dickicht aus Gehölzen und Gebüschen, das weitgehend sich selbst überlassen bleibt. Vorkommen von 16 Brutvogelarten, Wildkaninchen und Haselmäusen sind bekannt. Die Fläche ist teilweise mit Trampelpfaden erschlossen. Da das Betreten erlaubt und erwünscht ist, ermöglicht die Sinai-Wildnis Naturerfahrungen und Entdeckungstouren, die im klassischen Park in dieser Form nicht möglich sind. Eine Bürgerinitiative kümmert sich um die Fläche und sammelt beispielsweise regelmäßig Müll. Gestalterisch eingebunden in die Umgebung wird die Sinai-Wildnis an den Außenrändern durch geschnittene Hecken.

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Abbrucharbeiten in Apolda. Foto: Hubert Müller
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Der Scherbelhaufen in Apolda aus aufgeschüttetem zerkleinerten Abbruchmaterial. Foto: Johannes Rehhausen

Naturnahe Biotope auf ehemaligen Plattenbaustandorten wurden in Chemnitz und Apolda angelegt. Nach dem Abbruch von Wohnblöcken in Chemnitz wurde im Rahmen des Stadtwiesenprojekts Saatgut von Naturschutzflächen aus der Region verwendet. Auf das Ausbringen von Humus wurde verzichtet. In Apolda wurde aus dem Abbruchmaterial ein hügeliges Gelände geformt und eine Saatgutmischung zertifizierter gebietseigener Herkunft in Anlehnung an regionale trockenwarme Magerrasen ausgebracht. Nach zwei Jahren wurden rund 100 Pflanzenarten sowie 25 Vogelarten, und zahlreiche Schmetterlings- und Wildbienenarten nachgewiesen. Auf einer Fläche der Chemnitzer Stadtwiesen wurden nach zwei Jahren 94 heimische Pflanzenarten gefunden, darunter auch seltene Wiesenarten wie Ackerwachtelweizen, Roter Zahntrost oder Kleiner Klappertopf. Um die Vegetationsvielfalt dauerhaft zu sichern ist auch hier fachgerechte Pflege notwendig. Insgesamt hat sich die Anlage extensiver Wiesen jedoch als kostengünstige Möglichkeit der Nachnutzung erwiesen.

Beim Stadtwiesenprojekt in Chemnitz spielten Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung eine besondere Rolle. Hierzu gehören Exkursionen und stadtökologische Führungen. Die Öffentlichkeitsarbeit wird von den Beteiligten als wichtiger Erfolgsfaktor gesehen. Um die Akzeptanz für die ungewöhnlichen Wiesen zu fördern und ein schnell sichtbares Ergebnis zu haben, wurden im ersten Jahr einjährige Blühpflanzen gesät. Ein Saatgutgarten gehört ebenfalls zu dem Projekt. In einem sozial-ökologischen Projekt wird autochthones Saatgut produziert, der in dem sozialschwachen Stadtteil mit hohem Leerstand gemeinschaftliche Aktionen und Umweltbildungsangebote ermöglicht. Bei anderen Projekten wurde die Bevölkerung ebenfalls eingebunden. Im Apolda halfen beispielsweise Schülergruppen bei der Mahd im ersten Jahr.

Auch bei der Naturspielfläche Schuchgelände in Eckernförde, einer ehemaligen Gewerbefläche, die entsiegelt wurde, halfen Schülerinnen und Schüler bei der Anlage des Heckenlabyrinths. Die Fläche bietet neben dem Heckenlabyrinth mit Bolzplatz, Wasserspielplatz und Klettergarten vielfältige Spielmöglichkeiten. Bei den Kindern und Jugendlichen, die aktiv in die Anlage der Naturspielfläche eingebunden waren, entstand eine hohe Identifikation mit der Fläche. Ein Teil der Fläche kann sich über Sukzession frei entwickeln und bieten den Nutzern des Spielplatzes Möglichkeiten zur Naturerfahrung. Ein spezieller Landschaftspflegetrupp der Stadt ist für diese Flächen zuständig.

Fazit

Brachen bieten vielfältige Chancen für die Verbesserung der Freiraumversorgung und die Erhöhung der biologischen Vielfalt in Städten. Im Zeichen des Klimawandels wird auch ihre Bedeutung zur Klimaanpassung durch Verringerung des Wärmeinseleffekts und Versickerung von Niederschlägen gerade in Stadtquartieren, die historisch mit Grünflächen unterversorgt waren, weiter zunehmen. Die Entscheidung zwischen baulicher Wiedernutzung, sofern diese überhaupt zur Diskussion steht, und ihrer Sicherung als naturnahe Freiräume sollte daher sorgfältig vorgenommen werden.

Die systematische naturschutzfachliche Erhebung und Bewertung von Stadtbrachen ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Eine gesamtstädtische Betrachtung von Brachen hilft nicht nur, Möglichkeiten zur Folgenutzung für einzelne Flächen abzuwägen, sie kann auch genutzt werden, um den Freiraumverbund durch die Integration von Brachflächen zu stärken.

Integrative Ansätze für die Freiraumentwicklung von Brachen helfen, Synergien zwischen verschiedenen Freiraumfunktionen, etwa Biodiversitätsschutz und Erholung zu entwickeln. Die Fallbeispiele zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, den Schutz von Flora und Fauna mit Angeboten zum Naturerleben zu verbinden. Zonierungskonzepte, Besucherlenkung sowie Pflege- und Entwicklungspläne sind dafür eine wichtige Grundlage, denn Stadtnatur ist dynamisch und verlangt sorgfältige Pflege und Gestaltung, um als attraktiv wahrgenommen zu werden. Beispiele hierfür gibt es nicht nur in Regionen mit einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung, auch in prosperierenden Städten und Regionen gibt es Ansätze, Stadtwildnis trotz baulicher Widernutzung zu erhalten, wie beim 170 Hektar großen Stadtentwicklungsprojekt Zentrale Bahnflächen München.

Haben aus der Nutzung gefallene Flächen aktuell keinen besonderen Wert für den Naturschutz, ist es möglich, naturnahe Flächen zu schaffen. Positiv auf den Naturhaushalt wirkt sich insbesondere die Entsiegelung aus. Die entsiegelten Flächen können im Laufe der Zeit wieder Bodenfunktionen übernehmen und Regenwasser versickern. Der Verzicht auf Humus bei der Begrünung spart nicht nur Kosten, sondern schafft auch Magerstandorte für seltene regionale Pflanzenarten und hilft somit die biologische Vielfalt zu fördern.

Die sich spontan entwickelnde Stadtwildnis als eigenständigen Freiraumtyp6) mit spezifischen Qualitäten erlebbar zu machen und unter der Berücksichtigung von Naturschutz-Aspekten zu entwickeln, erfordert ökologische und gestalterische Expertise. Stadtbrachen sind keine Freiräume zum Nulltarif, sondern Orte für eine kreative Zusammenarbeit von Landschaftsarchitekten mit Stadtökologen und Landschaftsplanern. Gelingt die Integration von Naturschutzzielen in die Freiraumentwicklung, ist beispielsweise eine Finanzierung im Rahmen der Eingriffsregelung denkbar. Die Gestaltung kann dabei potenzielle Nutzungskonflikte mindern.

Nicht zuletzt ist die Kommunikation mit und Einbindung der Bevölkerung entscheidend für die Wertschätzung von Stadtwildnis. Dass diese Wertschätzung teilweise bereits vorhanden ist, zeigt der jahrelange Einsatz von Bürgerinitiativen für die Erhaltung von Stadtbrachen wie dem Gleisdreieck in Berlin. Es ist wünschenswert, dass sich kooperative Planungsverfahren etablieren, die nicht nur unterschiedliche Expertisen innerhalb der Verwaltung sondern auch die betroffene Nachbarschaft sowie engagierte Bürgergruppen frühzeitig in Entscheidungsverfahren einbinden. So lassen sich neue Modelle für die Gestaltung von Freiräumen entwickeln und umsetzen, die Stadtnatur erlebbar machen und Nutzungsoptionen eröffnen, die im klassischen Park keinen Platz finden.

Literatur

ANMERKUNGEN

¹) Für das Ruhrgebiet siehe Hamann, Michael (1998): Tierökologische Aspekte beim Brachenmanagement. - In: NUA-Seminarbericht Band 2: S. 35-43.

²) Siehe Wettbewerb Idee.Natur (www.idee-natur.de).

³) Bräu, Markus & Sacher, Astrid (2009): Fachliche Interpretation der rechtlichen Vorgaben im Kontext räumlicher Planung in Städten. - Laufener Spezialbeiträge 1/09: 93-103. Siehe auch: Hansen et al. (2012).

4) BMVBS & BBR (Hrsg., 2007): 5 Jahre Stadtumbau Ost - eine Zwischenbilanz: Zweiter Statusbericht der Bundestransferstelle. - Berlin: 117 S.

5) Hansen, Rieke; Heidebach, Martin; Kuchler, Ferdinand; Pauleit, Stephan (2012): "Brachflächen im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und (baulicher) Wiedernutzung". BfN-Skript 324. Bonn - Bad Godesberg. Die Broschüre "Stadtbrachen als Chance - Perspektive für mehr Grün in den Städten" ist eine Kurzfassung des Gutachtens. Zu beziehen sind die Veröffentlichungen unter www.bfn.de bzw. www.kommunen-fuer-biologische-vielfalt.de.

6) Siehe dazu auch Rößler, Stefanie (2010): Freiräume in schrumpfenden Städten. Chancen und Grenzen der Freiraumplanung im Stadtumbau. - In: IÖR Schriften Band 50: 478 S.; sowie Dettmar, Jörg (2005b): Naturbestimmte Stadtentwicklung? - In: Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 2. - Ostfildern-Ruit: S. 144-150.

Prof. Dr. Stephan Pauleit
Autor

Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung

Technische Universität München, School of Life Sciences
Dipl.-Ing. Rieke Hansen
Autorin

Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur RWTH Aachen University

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