Rainer Guldin

Politische Landschaften - Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität

Bücher Landschaftsplanung
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Caspar David Friedrich: Klosterruine Eldena bei Greifswald, ca. 1825 Public Domain/Foto: zeno.org

Wären Nationen nichts als imaginierte Gemeinschaften, würden sie im Wolkenkuckucksheim des Idealismus verdampfen. Durch die Projektion auf ein Territorium vergegenständlichen sie sich innerhalb von Grenzen. Sie werden sichtbar. Was im Zeitalter von Nationalismus und Imperialismus nach außen bedrohlich auftreten kann, soll nach innen befriedend wirken. Das Territorium wird zur landschaftlichen Topographie, und die Landschaft wird zu einer Typologie, die sich mit nationaler Politik metaphorisch vermengt. Sie wird zur Apotheose kollektiver Erinnerungen und Selbstzuschreibungen. Landschaft kann dies leisten, weil sie kulturelle Praxis ist, weil sie als szenischer Rahmen zur Kongruenz mit der territorialen Grenze gebracht werden kann. "Landschaften sind Kultur, bevor sie Natur sind", schreibt Simon Schama ("Der Traum von der Wildnis"), den sich Rainer Guldin zum Vorbild genommen hat.

Guldin, Dozent für Deutsche Sprache und Kultur an der Universität von Lugano, knüpft an die Werke von Benedict Anderson ("Zur Erfindung der Nation"), von Kenneth R. Olwig und von Francois Walter an, um den kognitiven Zyklen vom Körper des Königs über den Volkskörper, den Staat und die Nation bis zur Landschaft nachzuspüren. Von Schama jedoch, der in seinem Hauptwerk den Naturmythos an Hand von Materien wie Stein, Holz und Wasser entwickelt, übernimmt Guldin die Methode. Er geht in seiner Kapitelfolge vom Harten und Festen zum Flüssigen, Ephemeren vor, von Gebirgen und Felsen über Wälder und Flüsse hin zu boden- und wurzellosen Luftgebilden.

Längere Abschnitte widmet Guldin der Alpenlandschaft, genauer deren emblematischer Umformung. Erhalten die Berge der Schweiz Geltung als Schutzwall, so stellen die großen Flüsse eine Zirkulation mit den verschiedenen Ethnien und Sprachen Europas her. Helvetia verkörpert - auch in heraldischer Umsetzung - Einheit und Freiheit. Hinzu kommen Körpermetaphern vom Gotthard als Herzstück, den Alpen als Wirbelsäule und den Flüssen als Adern. Anders in Österreich, der aus einem Patchwork kollagierten übernationalen Landschaft. Die Donau ist gleichsam das verbindende Narrativ. Erstaunlicherweise war für Franz Werfel wie für Robert Musil "Kakanien" am Vorabend des ersten Weltkriegs eine Experimentallandschaft oder ein Möglichkeitsraum, um sich vom Instinkt des eigenen Blutes, von Identifizierungen zu lösen. Ungarn wiederum wählte die Puszta, um sich von der österreichischen Hegemonie allegorisch abzusetzen.

Blut- und Bodenmetaphern waren von der Politischen Geographie eines Wilhelm Heinrich Riehl und eines Friedrich Ratzel angebahnt worden. Den Tiefpunkt dieser Ideologien markierten Pflanzensoziologen der Nazi-Zeit mit biologistischen Analogien zwischen der steppenhaften Primitivität von Pflanzen- und Menschengesellschaften. Im Umkehrschluss ist der Wald das Erhabene, und das aus ihm stammende und in ihm Schutz suchende Volk duldet festverwurzelt kein anderes neben sich. Übersehen wird, dass überhaupt erst durch Rodung Raum für Sesshaftigkeit entsteht. Im Kontrast zum Wald als "stehendem Heer" tauchten aber schon im Ersten Weltkrieg Metaphern vom "verletzten" oder "gemordeten" Wald auf.

Guldin holt weit aus zur Gegenüberstellung und zum Vergleich von Landschaften (Kapitel zum Silvanismus/Saharismus/Limes) und berücksichtigt auch subtilere Schriftsteller wie Willy Hellpach (Geopsyche). Doch ist es gerade der Methode geschuldet, dass er sich unter den wechselnden Kriterien der Sache nach häufig wiederholt. Das betrifft auch die Analyse. Als böten die Symbol- und Zeichenlehre nicht genug differenzierte Begriffe zum Prozess der Versinnbildlichung nationaler Mythen, setzt der Sprachwissenschaftler geradezu inflationär die Begriffe "metaphorisch" und mehr noch "metonymisch" zur Bezeichnung politischer Landschaften ein. Einfacher wäre es, wie Aby Warburg, von "Schlagbildern" zu sprechen.

Gegen Ende entfaltet Guldin noch eine dichotomische Logik von Boden und Luft, Wurzel und Entwurzelung. "Luftmenschen" oder "Federmenschen" waren im ausgehenden 19. Jahrhundert selbstironische Umschreibungen des jüdischen "Lebens im Text", der Zugehörigkeit zur Schrift. Bezogen auf den parzellierten Boden ist der Nomade, ist der Emigrant ein "an einen falschen Ort verpflanzter Baum", schreibt Vilém Flusser in "Die Zeder im Park". Sie ist die Fremde, durch die der Rest sich erst einheimisch fühlt - bis auch die Mehrheit sich fragt: Sind wir nicht alle Teilverwurzelte am falschen Ort?

Kann aber aus der modernen Erfahrung der Fremde noch ein aktuelles Landschaftsbild entwickelt werden? Guldin versucht es, indem er die "transnationale Konstruktion imaginärer Landschaften" auf das digitale Netzwerk und die Virtualität bezieht. Ein neuer globaler Datenraum ist entstanden, der "Space of flows". An dieser Stelle, wo man genauer wissen möchte, wie sich die Landschaftswahrnehmung und -gestaltung durch die Kodierung der neuen Medien verändert, wie die Visualisierungstechniken die Projektionsfläche unserer Phantasie verändern, bricht Guldin jedoch ab und fällt in seine zu langatmige kulturgeschichtliche Betrachtung zurück. Als Überblick über vorhandene und Anregung zu künftigen Forschungen ist sie gut nutzbar.

Dr. Bernhard Wiens

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