Die neue Wieseckaue in Gießen – Landesgartenschau 2014

Welt im Park entdecken

von:
Landesgartenschauen und Grünprojekte
Neue Gärten, neue Verbindungen, neue Ufer: Die Fortschreibung der Traditionen von Wissenschaft und Gärten und das Wasser in der Stadt sind Thema der Landesgartenschau Gießen 2014. Hier: Blick vom Neuen Teich im Wieseckauenpark auf die "Wissenschaftsachse". Fotos und Visualisierungen, soweit nichts anderes angegeben, geskes.hack

Wieseckaue - die nasse Wiese an der Ecke der Stadt? Oder der Orinoco in Hessens Universitätsstadt? Die Beziehung von Gärten und Forschung ist das Merkmal der Landesgartenschau Gießen 2014. Als Verbindung von Stadt und Landschaftsraum am Wasser entwickelten die Landschaftsarchitekten geskes.hack die Wieseckaue, einen bestehenden Park im Nordosten der Stadt Gießen, für die Hessische Landesgartenschau 2014 weiter zum Wissenschafts-Volkspark. Dieses Parkerlebnis knüpft an die elementaren Stärken Gießens an. Zugleich erzählen geskes.hack die Geschichte der Wissenschaftsstadt Gießen auf neue Weise - eine Geschichte im Park.

Gießen ist eine Bildungsstadt. In wohl keiner anderen mittelgroßen Stadt ist die Entwicklung so sehr mit der Gründung und dem raschen Wachstum einer Universität verbunden wie in Gießen. Zwischen 1800 und 1900 wuchs die Stadt von 4800 auf 25.000 Einwohner an - es war die Zeit, in der die weltweite Bedeutung der Universität Gießen begann. Justus Liebig und Wilhelm Conrad Röntgen lehrten im 19. Jahrhundert in Gießen. Im 20. Jahrhundert setzte sich diese Bedeutung Gießens als Wissenschaftsstadt fort.

Bis heute ist Gießen geprägt von der 1607 als Ludwigsuniversität gegründeten, seit 1945 nach Justus Liebig benannten Universität und der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Bei 76.000 Einwohnern beträgt die Zahl der Universitätsstudenten etwa 25.000, an der THM etwa 8000 - mit 37 Prozent ergibt dies die höchste Studierendendichte in Deutschland.

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Dieses kreative Potenzial der Wissenschaften wird in die aktuelle Stadtentwicklungsstrategie bewusst einbezogen: Wissenschaft wird in Gießen gemeinsam mit Kunst und Kultur als integrativer Motor für die Stadt begriffen.

Die Landschaftsarchitekten betonen ebenso die Tradition der Gartenkunst in Gießen. Die Stadt galt im 19. Jahrhundert als "Gartenstadt" mit zahlreichen privaten, öffentlichen und universitären Gartenanlagen. Schon 1609 entstand einer der ersten botanischen Gärten Deutschlands und Europas. Hinzu kam 1802 ein forstwissenschaftliches Arboretum. Wo es anfangs um Sammeln und Systematisieren ging, entwickelte sich bald das Interesse an Optimierungen. Die Naturwissenschaften wurden von der Sammlung zur Grundlagen- und dann zur "angewandten Forschung". Und zeitgenössische Forscher wie die Gebrüder Humboldt, Liebig und Röntgen beeinflussten jeder auf seine Art die Entwicklung der Welt.

geskes.hack haben sich in ihrem Entwurf dieser Geschichte gestellt, und diese sensibel in einen Park der 1960er-Jahre integriert. So kommt Gießen heute mit der Landesgartenschau zu einem Park, der die Welt der Entdeckungen, die Welt der Pflanzen in der starken Kulisse der Wieseckaue spielerisch inszeniert. Über die Forscher verbinden geskes.hack in der Wieseckaue das Abenteuer Wissenschaft mit dem Abenteuer der Expeditionen und der Neugierde. Und knüpfen damit an eine 50 Jahre alte Gestaltung Günther Grizmeks an.

Forschung und Gartenkunst

Nicht mehr - wie noch bei Grizmek - der Park als Freizeitraum für den Feierabend, sondern der Park als elementare Identität einer Stadt steht nun mit der Umsetzung der Landesgartenschau Gießen 2014 im Mittelpunkt. Dabei betonen die Landschaftsarchitekten Forschung und Wissenschaft nicht als nanomolekulare Reagenzglas-Anordnung aus Messreihen und elektronenmikroskopischen Wissensvermehrungsschritten, sondern als großes Abenteuer - im Park.

Es war der weltweit reisende Naturforscher Alexander von Humboldt, der 1824 auf den 21-jährigen Liebig aufmerksam wurde und ihn dem hessischen Großherzog empfahl, der ihn als Professor an die Universität Gießen berief. Mit Liebig als wichtigstem Chemiker des 19. Jahrhunderts nahmen die organische Chemie und die Revolution der Landwirtschaft durch den mineralischen Dünger von Gießen aus ihren Lauf.

Auch um dieses Werk zu würdigen, haben die Landschaftsarchitekten für die Landesgartenschau 2014 den weltweiten Zusammenhang aus Wissen und Wirkung zum Gegenstand ihrer Arbeit gemacht und sich dabei auf Liebigs Forschungen und auf die Reisen Alexander von Humboldts bezogen. Geschickt werden diese mit den im Park vorgefundenen gestalterischen Schichten verknüpft. So entstand ein Entwurf, in dem eine hohe Übereinstimmung zwischen Dauer- und Ausstellungsflächen erreicht wurde - im Sinne der Nachhaltigkeit zukunftsweisend.

Bestandsanalyse als Grundlage der Neugestaltung

Die Wieseckaue als Park war in den späten 1920er-Jahren von Heinrich Wiepking-Jürgensmann entworfen worden. Rund um einen neu angelegten Schwanenteich mit einer Regattastrecke entstand ein Volkspark, der schon die Gedanken von Sport, Kraft und Volksgesundheit in sich trug. 1965 überarbeitete Prof. Grzimek den Park, indem er die neuen Anforderungen der nach dem Wiederaufbau erneut stark wachsenden Stadt integrierte: eine großzügige Parklandschaft, entspannt und erholsam. Wie in jener Zeit üblich wurden Freizeitfunktionen wie Schwimmbad und Sportplätze an den Stadtrandparks konzentriert. Der Park selbst wurde gestärkt, aber zugleich vom Mittelpunkt der Erholung zum Umfeld der neuen Freizeitfunktionen - als Abstandsgrün geplant.

Mit der Neudefinition anlässlich der Landesgartenschau 2014 knüpfen geskes.hack respektvoll an die Planung von Grzimek an, definieren den Park in der Verknüpfung mit dem Wissenschafts-Thema in seiner Bedeutung aber zugleich neu. Aufbauend auf der starken räumlichen Grundstruktur wird der Park mit zeitgemäßen Zutaten ergänzt. Dafür überprüften die Landschaftsarchitekten im Detail jede einzelne Wegebreite, die räumliche Wirkung aus Licht und Schatten entlang der Spazierwege, die Anordnung aller Gehölze und damit die Gesamtwirkung des beliebten Parks. Der neue Entwurf verbindet Aspekte der Gartendenkmalpflege (auch wenn die Wieseckaue aus den 1960er-Jahren kein Gartendenkmal ist) mit Akzentuierungen der Landschaftsarchitektur der Gegenwart.

In dieser sensiblen Ausgestaltung als zeitgemäßer Volkspark unter Analyse, Einbeziehung und Fortschreibung der historischen Schichten lag aus Sicht der Wettbewerbsjury die besondere Stärke des Wettbewerbsbeitrages. Außerdem ist der Verbindung von Stadt und Park sowie den Grünverbindungen durch das Stadtgebiet bis zur im Westen gelegenen Lahn in diesem Entwurf besondere Beachtung geschenkt worden.

Struktur und Strategie

Der Park in der Wieseckaue ist einer von zwei Standorten für die Landesgartenschau Gießen 2014: der eintrittspflichtige Kernbereich mit Themengärten, Staudenschauen und intensiven Freizeitangeboten. Über drei Grünkorridore, die ebenfalls im Rahmen der Landesgartenschau realisiert wurden, wird der Park mit der Lahnaue im Westen der Stadt verknüpft. Die Uferbereiche an der Lahn waren über Jahrzehnte praktisch unzugänglich. Dort wird - langfristig - auf knapp 2,3 Kilometern ein grüner Korridor entlang der Ufer fast durch die ganze Stadt neu gestaltet.

Die Aufwertung der Ufer der Lahn wird zur Landesgartenschau begonnen mit dem Bau einer neuen Brücke, von Spazier- und Radwegen, Spielplätzen und repräsentativen Platz- und Promenadensituationen. Den Rahmenplan dieses eintrittsfreien Bereichs entwickelte das Berliner Büro a24_landschaft.

19 Millionen Euro sind insgesamt für die Entwicklung aller Gartenschaubereiche inklusive der grünen Innenstadtkorridore aufgewendet worden. Mit diesen Investitionen wird eine nachhaltige Stadtentwicklung initiiert, die für einen erneuten Paradigmenwechsel steht: die "autogerechte" Stadtstruktur der Nachkriegszeit wird zugunsten der Tradition einer neuen "Gartenstadt" revidiert.

Schließlich sind nicht zuletzt die "weichen Standortfaktoren" im Exzellenzwettbewerb der internationalen Forschungs- und Wissenschaftsstandorte ausschlaggebend. Dies ist die Zukunftsbotschaft von Gießen, und sie hat ihre Basis schon im 19. Jahrhundert (Justus Liebig verließ Gießen 1852 in Richtung München, als man ihm dort den Bau eines eigenen Instituts inklusive Villa mit großem Garten anbot).

Wie bleibt man also für Wissenschafts-Bürger attraktiv? Für die spezielle Gießener Stadtgesellschaft fanden geskes.hack hier die neue Antwort: Die Stadt selbst verbindet sich mit dem Park, und dieser spielerisch mit den Wissenschaften.

geskes.hack haben bereits vier weitere Landesgartenschauen gestaltet. Dort allerdings ging es meist um die Konversion, die Wandlung von Flächen und Stadtarealen mittels neuer gartenkünstlerischer Interventionen. Der Park in der Wieseckaue Gießen ist dagegen eher eine Akzentuierung des Bestandes. Während die Landschaftsarchitekten bisher meist die Geschichte eines Ortes mittels der Gartenkunst neu erzählten, gestalten sie in Gießen die Geschichte zweier Jahrhunderte in einem bestehenden Park. Ihre Achtung vor dem Werk Grizmeks aus den 1960er-Jahren ist unverkennbar. Dennoch geht es geskes.hack heute darum, dem Landschaftspark der funktionsgetrennten Stadt nach nun fünfzig Jahren eine neue Schicht, eine neue Geschichte hinzuzufügen, ohne den Park von Grizmek zu konterkarieren.

Parkachsen zur neuen Verknüpfung mit der Stadt

Der 35 Hektar umfassende Park in der Wieseckaue neun Hektar davon sind Wasserflächen) wird durch drei "Parkfinger" mit den angrenzenden Stadtgebieten verzahnt. So entsteht eine nachhaltige Verbesserung der gesamtstädtischen Grünstruktur. Die Achsen werden als markante "Park-Foyers" intensiv ausgestaltet.

Die repräsentative "Wissenschafts-Achse" bildet als Verbindung zur Innenstadt den Auftakt zur Landesgartenschau. Sieben dauerhaft angelegte Themengärten, die "Wissenschafts-Gärten", überraschen mit der räumlich-gestalterischen Inszenierung wissenschaftsdidaktischer Ideen. Die Gärten entstanden in Zusammenarbeit mit den Hochschulfakultäten in einem studentischen Ideenwettbewerb, sie greifen das grundlegende Thema der wesentlichen Forschungen Justus von Liebigs auf: die "Leistungen" der Pflanzen und natürlichen Lebewesen für das System Erde. So entstanden ein Garten der Kulturlandschaft, ein Garten der Biodiversität, ein Paradiesgarten oder ein Grüner Hörsaal. Eingefasst von hohen Hecken, gliedern die acht mal acht Meter großen Gärten als "grüne Séparées" die Wissenschafts-Achse. Die Achse mündet am Neuen Teich in eine neu gebaute Brücke, die den Besucher in das Gartenschaugelände hineinführt.

Aus dem nördlichen Stadtgebiet läuft der "Quellgarten" durch eine Kleingartenanlage bis in den Park hinein. Gestaltet als Senkgarten mit Trittsteinen entlang eines kleinen Bachlaufes, gespeist aus einer natürlichen Quelle, besticht er atmosphärisch durch die besondere Pflanzenauswahl. Beginnend mit Geophyten wie Narzissen, folgen im Verlauf des Sommers Iris, Blutweiderich und Goldrute, ergänzt von Gräsern, weiteren Stauden und Sträuchern, überkrönt von Silberweiden - ein naturnahes, dennoch gärtnerisches Feuchtbiotop. Die Topografie nutzend, betont der Quellgarten gleichzeitig den Ausblick auf den Neuen Teich.

Inszenierung und Naturschutz

Das Zentrum der Grzimek'schen Parkgestaltung ebenso wie der Landesgartenschau 2014 bildet der sechs Hektar große Neue Teich, der durch eine Halbinsel kleinteilig in separate Bereiche mit wechselnden Uferszenerien untergliedert ist. Auf die Anlage der Wege wurde in der Planung sowohl in Bezug auf die Wege- und Blickführung wie auf die Dimensionierung große Sorgfalt gelegt. Ein blühend gesäumter Rundweg entlang des Wassers, angelegt nach dem Prinzip des Beltwalks im Englischen Landschaftsgarten, bildet das Rückgrat der Gartenschau. Er nimmt die organische Planung von Grzimek auf und ergänzt diese um einige neue Wege. Diese Parkpromenade führt die Besucher - erwartet werden zwischen April und Oktober 700.000 Neugierige - durch abwechslungsreiche Landschaftsbilder, inszeniert durch neu geschaffene Blickbezüge quer über den See: Offene, sonnige Wiesen und Staudenpflanzungen wechseln mit dichten, schattigen Gehölzgruppen und schilfreichen Uferpartien. Der Rundweg erschließt - ebenfalls nach dem Vorbild des englischen Landschaftsgartens - alle wesentlichen Attraktionen der Gartenschau, wie das "Bistro am Neuen Teich" am besonnten Nordufer, intime Aufenthaltsplätze am Wasser, Spiellandschaften und Sportmöglichkeiten.

Beim Spaziergang über das Gelände fallen dem Besucher nicht nur das neue Bistro und die großzügigen Liegewiesen im (ausgelichteten) Zentrum der Halbinsel auf, sondern ebenso der lauschige Rhododendron-Hain oder die großzügigen Flächen für Sport und Spiel. Eingestreut in die weiten Wiesen liegen auch vier außergewöhnlich gestaltete Abenteuerspielplätze, die als "Spiellabore" die Forschungen in der Tradition von Alexander von Humboldt zum Thema machen - sie heißen Orinoco oder Chimborazo.

Mit farbenfrohen, zeltähnlichen Holzelementen und hölzernen Spielskulpturen wie einem Schiff, Schatztruhen oder einem riesigen Kletter-Ei vermitteln die Landschaftsarchitekten den Spaß am Entdecken und Ausprobieren. Und mit dem neuen Skate-Park haben geskes.hack, die schon mehrfach die Skater-Szene mit anspruchsvollen Bowls und Ramps erfreuten, eine neue Attraktion geschaffen.

Ein besonderes Augenmerk bei der Weiterentwicklung des Entwurfes im Nachgang des Wettbewerbs lag auf der Vereinbarkeit von Naturschutz und Erholungsnutzung. Ein Teil der Wieseckaue ist als Natura 2000-Gebiet ausgewiesen, dieses befindet sich außerhalb des Landesgartenschaugeländes.

Der Schutz sensibler Uferbereiche auf dem Gelände, die dennoch visuell erlebbar bleiben, gelang durch die Besucherführung über den Rundweg. Die Schilf- und Röhrichtzonen werden so abgeschirmt, der vorhandene Baumbestand wurde behutsam zur Herstellung von Blickachsen ausgelichtet. Der Neue Teich dient als Kulisse der Gartenschau, eine intensive Nutzung des Wassers selbst ist nicht vorgesehen.

Der Schwanenteich bildet den gestalterischen Schwerpunkt der Gartenschau im Süden des Kerngeländes. Neben der ökologischen Sanierung des künstlich angelegten Gewässers erfolgte auch der Neubau einer Brücke, die den Zugang aus dem südlichen Stadtgebiet zur Wieseckaue aufwertet und das Wasser neu erlebbar macht. Diese Brücke ist ein weiterer Baustein einer neuen Strategie der Vernetzung von Stadt und Park.

Angrenzend an das Gelände der THM wird der lang gestreckte See als Gelenk zwischen Innenstadt und freier Landschaft interpretiert. Am Hochschulcampus ist eine urbane Uferkante mit einer großzügigen, platzartigen Terrasse entstanden. Das gegenüberliegende Nordufer ist als Rasenhang mit integrierten Sitzblöcken angelegt und leitet in die extensive Wiesenlandschaft der Wieseckaue über.

Dipl.-Ing. Vera Hertlein-Rieder
Autorin

Dipl.-Ing. Landschaftsplanung bei der SINAI Gesellschaft von Landschaftsarchitekten

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