Flussbad Berlin erschließt die Stadtmitte vom Wasser aus

"Schinkel wäre ein potenzieller Sympathisant"

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Kanalbau Wasser in der Stadt
„1. Flussbad Pokal 2015“ an der Museumsinsel. Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz
Kanalbau Wasser in der Stadt
Barbara Schindler und Tim Edler vor Ort. Foto: Matthew Griffin

Die Idee, die von Schinkel geprägte Mitte Berlins vom Wasser aus zu betrachten und "aufzumischen", war Ende der 1990er-Jahre von den Künstler-Architekten Jan und Tim Edler (Realities:united) entwickelt worden. Sie lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit auf den vernachlässigten Spreekanal, der mit der Spree selbst eine Insel bildet, auf der nicht nur die repräsentativsten Museen, sondern auch das "Humboldt-Forum" und Wohnbauten beheimatet sind.

Mit anderen Gleichgesinnten gründeten die Initiatoren 2012 den gemeinnützigen Verein "Flussbad Berlin". Der 1,8 Kilometer lange Kanal, der aus einem alten Seitenarm hervorging, soll im Anschluss an ökologische Regenerations- und Filterzonen nicht nur zum Schwimmen vor historischer Kulisse hergerichtet werden, sondern die angrenzenden Räume und Freiflächen neu in Beziehung und Nutzbarkeit setzen.

"Flussbad Berlin" erhält bis Ende 2018 als "Nationales Projekt des Städtebaus" von Land und Bund Unterstützung; der gleichnamige Verein hofft auf baldige Entscheidungen in Politik und Verwaltung, um ab 2019 in die Realisierungsphase eintreten zu können.

Tim Edler(TE) und Barbara Schindler¹ (BS) von Flussbad Berlin e. V. im Gespräch mit Bernhard Wiens:

Das Projekt FLUSSBAD BERLIN hat eine hohe Faszinationskraft: starke Bilder, starke Symbolik durch das jährliche "Flussbad-Pokal-Schwimmen". Es hebt die städtebaulichen Friktionen im Zentrum Berlins ins Bewusstsein, und Vertreter eines kunstsinnigen Bildungsbürgertums der Stadt stellen sich hinter Ihr Projekt. Ist es eine klassische Architektur-Utopie: Einprägsam in der Idee, im Entwurf, aber nicht auf Realisierung angelegt?

TE: Das wird sich herausstellen. Als das Projekt in den Neunziger Jahren entstand, hätte die Beschreibung vielleicht darauf gepasst. Der damalige Baustadtrat sagte: Es ist hinreichend unrealistisch, so dass man unbefangen darüber reden kann. 2012 wurden wir mit dem "Holcim Award" ausgezeichnet, der auch eine finanzielle Spritze brachte. Der Blick von außen war der Schub, neu anzufangen nach dem Motto: Vielleicht ist etwas dran. Seither arbeiten wir definitiv auf die Realisierung hin.

Bereits 2015 hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich gegen das Projekt ausgesprochen. Die hohe Museumskunst werde durch das Flussschwimmen gestört. Wie gehen Sie damit um?

BS: Der Stein des Anstoßes war die Treppe am Lustgarten. Wir haben den Gesprächsaustausch mit Präsident Parzinger und den Direktoren auf der Museumsinsel gesucht. Es ist ein Aspekt unserer Arbeit, nicht einfach Bilder zu entwickeln, die dann 1:1 übernommen werden sollen, sondern natürlich zu sagen: "Ok, wenn nicht so, wie könnte es dann gehen?" Es kam seitdem zu einer Annäherung der Standpunkte und beispielsweise zu einer Adaption des Wasserzugangs.

TE: Inzwischen hat sich eine "Museumsrunde" etabliert. Hier ist die Befürchtung zu verspüren, dass der Lustgarten, der eine Kommunikationsachse zwischen dem Humboldt-Forum und der James-Simon-Galerie werden soll, überlastet wird. Das ist verständlich, denn die gesamte Ordnung des Bereichs wird seit Jahrzehnten bemängelt, ohne dass Entscheidendes geschehen ist. Die Betroffenen fürchten also: "Oh Gott, jetzt kommt da noch etwas hinzu. Bitte nicht." Wir sind aber einen Schritt weiter. Die Treppe genau an dieser Stelle wird weiterhin abgelehnt, aber das Schwimmen im Kanal ist inzwischen Konsens.

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Kanalbau Wasser in der Stadt
Spreekanal an der Friedrichsgracht. Visualisierung eines Pflanzen-/Kiesfilters. Visualisierung.: realities:united/Flussbad Berlin e.?V.
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Flussbad an der James-Simon-Galerie. Visualisierung: realities:united/Flussbad Berlin e.?V.

Steht Ihr Projekt in einem Spannungsfeld von einerseits einem liberalen, einer Emanzipationstradition verpflichteten Milieu und andererseits einem "gehobenen konservativen" Milieu, die bei der Museumsinsel aufeinandertreffen?

TE: Da fehlen mir noch eine Reihe anderer Milieus. Die Mitte war zu DDR-Zeiten auch an der Fischerinsel ein Ort mit Wohnhochhäusern und dem Anspruch, einen Bevölkerungsquerschnitt abzubilden. Allerdings hat sich das konservative Milieu seit der Wende mit starken Ideen positioniert, wie die Mitte aussehen sollte. Andere als die konservativen Projekte wurden - abgesehen vom Palast der Republik - schon gar nicht mehr diskutiert. Aber es geht nicht um den Kampf um die Deutungshoheit nach dem Motto: Palast schlägt Schloss, Schloss schlägt Palast. Unser Projekt ist kein Gegenmodell, sondern eine Ergänzung. Die Zwischenräume, und der Kanal ist ein solcher, erlauben es, andere Themen mit aufzurufen. Zum Nebeneinander der Ideen gehört die Wertschätzung der Kultur ebenso wie die der natürlichen Ressourcen.

BS: "Flussbad" reagiert auf eine Stadt, die jünger, internationaler geworden ist. Es öffnet in der Stadtmitte neue Perspektiven für Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit, öffentlicher Raum - und das hat für das konservative Umfeld, das die Dinge gern "abschließt", etwas Verstörendes.

Kanalbau Wasser in der Stadt
Die am Lustgarten vorgeschlagene Treppe eckt beim Denkmalschutz an. Alternativen sind möglich. Visualisierung: realities:united/Flussbad Berlin e.?V.

Es geht Ihnen also darum, nicht in eine Oppositionsstellung zu kommen, sondern mit allen Milieus zu arbeiten?

TE: Das ist der Anspruch. Wir schaffen aber auch einen konkreten Nutzraum. Denn Berlin bleibt nicht von dem verschont, was in London oder Paris passiert. Im Zentrum ist alles saniert, alles Denkmalschutz, da gehen die Touristen hin, da sind die teuren Wohnungen, während die angestammte Bevölkerung zunehmend um die Mitte herum zirkuliert. Dem versuchen wir mit einem starken Bild und auch mit einem konkreten und vielseitigen Nutzungsangebot entgegenzuwirken. Die Nutzung öffentlicher Stadträume sollte vorbehaltlos sein, sollte eine Einladung für verschiedenste Milieus sein.

Nach meiner Ansicht zeigt der Spreekanal "scharfe Kante". Sowohl die Ufer als auch diese monolithischen Blocks der Museen erinnern an Hobrechts harte Stadtgestalt. Am Beginn des Spreekanals planen Sie eine Abböschung mit Renaturierung. Modeln Sie da den Stadtraum nicht irgendwie lieblich um? Wird das eine Aufhübschung durch Natur? Wie verträgt sich das mit den Punkt-Hochhäusern aus DDR-Zeiten?

TE: Das weiß ich auch nicht genau. Die Idee einer Auflösung der Uferkante bezieht sich auf den ersten Abschnitt des Spreekanals an der Fischerinsel, der die ökologische Regenerationszone umfasst und nicht schwimmbar sein wird. Einerseits gibt es historische Rudimente, zum Beispiel der alten Stadtmauer. Andererseits ist die Fischerinsel in ihrer Jetztform durch die DDR-Moderne geprägt, als ein Versuch, durch aufgelockerte Bebauung eine offene "Stadtlandschaft" herzustellen. Hinzu kommt heute die europäische Vorgabe, die die Länder verpflichtet, ihre Flüsse in einen "guten Zustand" zu versetzen. Die sogenannte Strukturqualität der Spree, das ist die ökologische und biologische Güte, ist sehr dürftig. Also: Wenn wir schon eine offene Stadtlandschaft haben und zugleich geboten ist, die Flüsse schrittweise der ursprünglichen Form anzunähern, wäre das ein interessanter Laborort für eine Verbindung beider Konzepte. Dafür könnte man auch einen Teil der aus den 1970er-Jahren stammenden Ufermauer herausnehmen.

Die Landschaft, die im Sinne der Moderne ja auch durch bebaute Räume hindurchfließen soll und jetzt so nicht mehr funktioniert, weil sie durch Parkplätze oder Zäune verstellt ist, könnte durch Abböschungen und Flachwasserzonen "weich" an das Wasser angeschlossen werden. Die Möglichkeit einer Korrespondenz zwischen Spreekanal und Uferbereichen gilt auch für die anderen Abschnitte. Etliche Räume, so der Garten am ehemaligen Staatsratsgebäude, sind durch die heutige Funktionslosigkeit des Kanals in einen Dämmerzustand versetzt worden. Sie sind zusammenhangslos. Wenn der Kanal wiederbelebt wird, wäre zu fragen: Was tut er denn mit den Räumen rechts und links?

Im Zeitalter der Industrialisierung wurden neue Kanäle gebaut. Die Gewässer waren die wichtigsten Verkehrsadern. Die Industriebauten riegelten die Flüsse von der Stadtgesellschaft ab. Ist Ihr Projekt auch ein Impuls dafür, die Gewässer im Sinne einer Freizeitkultur zugänglich zu machen?

TE: Ja klar. Aber wir treiben die Wiederannäherung noch einen Schritt weiter, indem wir über den rein ästhetischen Aspekt, auf dem Wasser zu fahren oder es aus dem Loft heraus anzuschauen, hinausgehen. Wir bringen die Leute ins Wasser, weil wir davon ausgehen, dass dann die Sorgfalt, mit der es behandelt wird, insgesamt steigt. Das Wasser soll nicht nur gut aussehen, es muss auch gut sein.

Kanalbau Wasser in der Stadt
Axonometrie des Projektgebiets, Stand 2017. Abb.: realities:united/Flussbad Berlin e.?V.

Die Frage wird vom Nachwuchs ganz offen gestellt: Wem gehört die Stadt? Und daran anknüpfend: Wem gehört das Wasser? Die Reklamation von Uferzonen als Gemeingut wird aber durch den Gegentrend privater Abriegelungen unterlaufen, wofür es in und um Berlin etliche Beispiele gibt, so "Mediaspree". Positioniert sich Ihr Projekt in diesem Konflikt?

TE: Wir versuchen eine Nutzung ins Spiel zu bringen, die mit den Flussbadeanstalten bestand, bis die letzte 1925 abgeräumt worden ist. Daneben war das Wasser Energie- und Nahrungslieferant. Das alte Thema "Gemeingebrauch" ist wieder stärker ins Spiel zu bringen. Der Bund als Verwalter der "Wasserstraßen" hält bis heute an der Konvention des Transportwegs fest. Man kann es sogar mit einer Autobahn vergleichen. In Berlin ist nicht-motorisierter Verkehr auf der Spree in der Stadtmitte verboten. Unser Projekt ist mit seinen Maßnahmen darauf angelegt, für die konkurrierenden, heute nicht erfüllten Bedürfnisse wie das Schwimmen eine Infrastruktur zu schaffen - damit die bisher weitgehend verbotene Wasserfläche mehr Menschen zugänglich wird. Das ist ein öffentlicher Raum, in dem sich verschiedene Bevölkerungsgruppen mischen. Wir entwerfen ein Bild für eine emanzipatorische gesellschaftliche Idee.

BS: Auch ein ungenutzter Kanal verschlingt viel Geld. Der Unterhalt kostet, die Spundwände müssen alle 60/80 Jahre erneuert, die Wehre gewartet werden. Auf die Idee, einen Raum anders zu nutzen als vorgeschrieben ist, darauf kommt die Verwaltung nicht. Die guten Ideen kommen von den Bürgern der Stadt.

Sind manche europäische Städte nicht weiter als Berlin? Gerade in der Schweiz gibt es eine Tradition, die nicht abgebrochen ist.

TE: Ja, die Schweizer sind eindeutig weiter. Sensationell finde ich zum Beispiel Basel. Man lässt sich oben in den Rhein und treibt hinunter entlang der Altstadt - bei laufendem Verkehr der Berufsschifffahrt. Das Rheinschwimmen wurde zu einer Massenbewegung in Reaktion auf die Giftkatastrophe von 1986. Die Bürger trotzten, indem sie sagten: Das ist ein Fluss für uns alle. In Kopenhagen ist das Stadtschwimmen neuerdings ein großes Thema geworden. Man kann zusammenfassend sagen, dass heute die wohlhabenden und weiter entwickelten Gesellschaften in Europa diejenigen sind, die verstehen, dass Wasser Kultur- und Gemeingut ist, dass man es sauber hält und den Zugang auch wieder erlaubt.

Was glauben Sie: Wenn Schinkel heute noch lebte: Würde er das Projekt Flussbad Berlin gut finden und empfehlen?

BS: (lacht): Selbstverständlich.

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7 Eduard Gaertner: Ansicht der Rückfront der Häuser an der Schlossfreiheit, 1855. Abb.: Gemeinfrei

TE: Bei Schinkel muss die Antwort ambivalent ausfallen. Es wäre falsch zu behaupten, Schinkel würde das so tun. Ich denke, die Interessen des 19. Jahrhunderts und der Jetztzeit kann man nicht übereinander schieben. Die Begeisterung für das Naturerleben in der Stadt war damals anders als heute. Schinkel hätte darüber gelacht, mit welchen Bedenken der Abwägung wir uns hier eigentlich aufhalten. Er war so unglaublich radikal in seinen Vorstellungen. Er hat unter anderem das Alte Museum auf einem Kanal gebaut. Er sagte: Ich schütte den zu, da muss jetzt mein Museum hin. Das Wasser darf woanders entlang fließen. Wer mit derartig radikalen Vorschlägen zur Neuordnung heute ankäme, dem würde der Denkmalschutz antworten: Um Gottes willen, das geht nicht, und wenn er Schinkel heißt. Die Größenordnung, die Radikalität der Bejahung des öffentlichen Raumes, die war bei ihm schon extrem hoch. Ich würde sagen, ich schätze ihn als potenziellen Sympathisanten dieses Projektes.

Anmerkungen

Tim Edler ist Projektautor und für die weitere Planung von Flussbad Berlin zuständig; Barbara Schindler verantwortet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

¹ Vgl. Barbara Schindler: Flussbad Berlin. Zur Rückgewinnung des innerstädtischen Spreekanals als Lebensraum, in: Stadt+Grün, Heft 7/2017, S. 50-53.

Dr. Bernhard Wiens
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