Quartierblüten – Temporäre Blühereignisse in der Stadt

Die Poesie des Alltäglichen

von:
Gartengestaltung und Grünflächengestaltung

Gepflanzt nennen es die Menschen Sommerflor, werden die ähnlichen Pflanzen ausgesät sprechen manche von Sommerblumen, im Handel findet man Sie unter einjährige Pflanzen und Botaniker nach hort. phyt. Plant nennen diese Annuelle und nach RAMKIARschen System zählen Sie zu den Therophyten.

Bei der Bevölkerung kommen sie gut an. Bei den Pflanzenverwendern ist es ein Farbkasten, an dem man sich bedienen darf. Zwar ist das Endbild durch die Saat nicht bis ins letzte vorhersehbar, doch für schöne Überraschungen sorgen sie auf jeden Fall. Was entsteht ist eine wiesenartige Begrünung - Blüte an Blüte. Was ist nun das Besondere an diesen Sommerblumen? Was ist das Faszinierende an Ihnen?

Ist es diese unbändige Lust am Blühen? Dieses Feuerwerk an Farben? Auf jeden Fall scheint es, dass Sie in der kurzen Spanne in der sie blühen, alles geben. Sie tanzen einen Sommer lang durch die Gärten und lassen sich nieder wo Platz ist und wo sie nicht verdrängt werden von starkwüchsigeren Arten. Sie beschenken den Pflanzenfreund mit einer überreichen Blütenfülle. Gerade für Ungeduldige, die schnell den Erfolg sehen möchten, sind sie beliebt. Das Ende vom Lied jeden Sommerblumensommers ist schließlich, dass man sie, nachdem sie in Samen gegangen sind, entfernen muss und so die Fläche wieder bearbeiten kann. Die Flächen sind nach dem Verblühen - im Herbst - meist keine Augenweide mehr.

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Tramwendescheife am Zoo in Zürich im 1. Jahr. Fotos: Doris Tausendpfund
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Wipkinger Terrasse.
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Werdhölzli Auftakt mit einer Narzissenwiese.

Was ist bei der Verwendung zu beachten? Lichtbedürftig sind sie, aber ansonsten recht anspruchslos. Sie wachsen auf fast jedem Gartenboden. Es sei denn, es ist eine Versamung im zweiten Jahr auf der gleichen Fläche erwünscht, so werden sie auf einer reinen Sommerblumenfläche mit mehrjährigen Partnern um den Platz kämpfen, ein Kampf, den sie meist verlieren. Zahlreiche Sommerblumen können an Ort und Stelle gesät werden und das macht ihre Verwendung sehr einfach. Entweder wird die Gesamtfläche mit Sommerblumen bespielt oder sie werden bei einer neuen Staudenfläche dazwischen gesät, damit die Wachstumszeit der Stauden mit der Blüte der Annuellen überbrückt wird. Und sie werden als "Lebendmulch" eingesetzt. Sie besetzen mit ihrer Grün- und Wurzelmasse die freie Fläche, bilden einen dichten Teppich und lassen unerwünschtem Spontanaufwuchs kaum eine Chance. Durch gezieltes Jäten der Sommerblumen ist gewährleistet, das die mehrjährigen Pflanzen nicht von ihnen bedrängt werden. Sie steigern farblichen Wert und Textur im ersten Jahr. Zudem sind die Samen günstiger im Preis im Vergleich zu Sommerblumen in Töpfen. Samen sind auch leichter zu transportieren und einfacher und schneller auszubringen.

Wieso sollte man sie säen? Säen ist einfach in der Handhabung, es gibt immer wieder Überraschungen beim Ergebnis und dazu sind die Samen auch noch sehr schön. Man braucht Geduld, bis etwas zu sehen ist und muss sich dann häufig vom exakt Geplanten verabschieden. Beim Jäten fühlt man sich wie ein Spion: wie sehen die Blumen aus und wie entwickeln sie sich weiter?

Das Planen mit Sommerblumen hat seine Eigenart, vor allem, weil sie nicht von Dauer sind. Aber die Sommerblumen helfen, den Ort zu erkunden und den Boden kennenzulernen. Sie zeigen die Unterschiede in der Bodenverdichtung und geben Auskünfte für spätere längerfristige Bepflanzungsoptionen. Sie geben Auskünfte über den Boden, wie man den Boden verbessern könnte. Und sie wandern durch die Gärten. Wieso sollte man nicht das Pflanzen von Blumenzwiebeln mit der Saat verbinden? Funktioniert dies überhaupt? Und was bedeutet dies für die Pflege?

Die Thematik der temporären Nutzungen und temporären Räume in der Stadt gewinnt in den letzten Jahren stetig an Bedeutung. Ideen werden unkompliziert und direkt umgesetzt. Eine Art spielerischer Erkundung und Entdeckung des Ortes mit seinen Bewohnern. Aber welche Rolle spielen Pflanzen dabei und welchen Beitrag leisten sie? Zu diesem Thema arbeitet die Forschungsgruppe Pflanzenverwendung am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW.

Das Wesen der jeweiligen Pflanze wird als dynamischer Baustoff genutzt, damit verschiedene Orte eine veränderte Aufmerksamkeit erfahren. Das Unerwartete der Inszenierung bringt eine Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen Bedingungen. Die daraus entstehenden Überraschungen tragen zur Poesie des Alltäglichen bei. Gerade Sommerblumen machen den Charakter des Temporären am besten sichtbar. Welche Abläufe ergeben sich daraus? Wie kann die Erfahrung aus dem Temporären für die Weiterentwicklung von Dauerhaftem genutzt werden?

Zusammen mit dem Tiefbauamt der Stadt Zürich (Gestaltung Stadträume) führt die Forschungsgruppe Pflanzenverwendung zum Thema "Quartierblüten Zürich" verschiedene Projekte durch. An Orten, die sich auf Grund von Bauprojekten verändern werden, werden Blumenmischungen angesät, um als eine Art der Zwischennutzung eine Aufwertung für die Bevölkerung zu schaffen. Auch auf ungenutzten Flächen soll durch die Ansaat von speziell für den jeweiligen Ort kreierten Blumenmischungen eine neue Raumwirksamkeit erreicht werden. Es wird für den jeweiligen Ort eine spezifische Blumensamenzusammensetzung kreiert und ausgesät! Gerade für temporäre Blühereignisse im öffentlichen Grün bietet die Aussaat eine kostengünstige Alternative. Wiesenartige, ästhetisch überaus wirksame Begrünungen entstehen durch sie. Das Erscheinungsbild weicht stark von einer konventionellen Bepflanzung ab. Es wirkt locker und ungeplant, der visuelle Eindruck erinnert an eine Wiese. Die Dynamik innerhalb der Fläche ist beeindruckend. Viele Aspekte treten in fließender Abfolge auf. Vergleicht man den visuellen Eindruck von Pflanzung und Saat, so fallen grundlegende Unterschiede ins Auge: Die Pflanzung folgt einem Ordnungsprinzip, bei der Saat ist das Restrisiko für den Entwerfer ungleich höher, da das tatsächliche Bild nicht bis ins Detail vorhersehbar und planbar ist. Saatflächen bestechen durch ihre Fülle, die schiere Menge der Einzelpflanzen, die dicht an dicht stehen und sich ungezwungen durchmischen.

Gartengestaltung und Grünflächengestaltung
Werdhölzli - gärtnerische Tätigkeiten.
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Tramwendeschleife Zoo mit Frühjahrsaspekt.

Das Geheimnis der Pflanzenkomposition in den folgenden Projekten ist, dass der Betrachter von weitem die Fläche als homogenes Ganzes wahrnimmt und beim Näherkommen eine überraschende Pflanzenvielfalt erkennt. Somit erreicht man im öffentlichen Grün den flüchtigen (Auto-/Tramfahrer) und den verweilenden Betrachter (Fußgänger).

Diese Art von Bepflanzung liefert Gesprächsstoff im Quartier: einerseits optisch durch die Pflanzenauswahl und andererseits weil die Direktsaat von Sommerblumen nicht in gewohnte Muster einzuordnen ist. Auf jeden Fall irritiert sie! Für pflanzenbegeisterte Laien stellt sie klar eine Blumenwiese dar, was sie wissenschaftlich gesehen definitiv nicht ist. Die Forschungsgruppe dokumentiert durch teilnehmende Beobachtung die Reaktionen, die die Flächen hervorrufen. Welche Gespräche finden auf Grund der Pflanzung statt? Bemerkenswert ist, dass einige Betrachter von sich aus den Zusammenhang der verschiedenen Flächen erkennen, obwohl sich deren Zusammensetzungen an Pflanzen durchaus gravierend voneinander unterscheiden. Die gärtnerischen und sozialen Prozesse verflechten sich auf derartigen Flächen. Unterhaltsmaßnahmen werden hier besonders gerne von Passanten kommentiert. So ergibt ein Wort das nächste; eine Blütenreise durch die Stadt Zürich nimmt ihren Lauf. Verschiedene Orte werden mit Pflanzen bespielt - ein Prozess startet.

Das erste Projekt dieser Art wurde 2010 unter dem Titel "Intermezzo-Quartierblüten" verwirklicht. Auf einer 1000 Quadratmeter großen Fläche in Oerlikon wurde eine regelrechte Blütenpracht entfesselt. Es ist ein Umsteigeort für Tramreisende, ein Ort des Wartens, gleichzeitig Installationsfläche und Zwischenlager für Baumaterial. Ein Ort im Umbruch. Unweit des Bahnhofs Oerlikon gelegen hatten auch Durchreisende Richtung Winterthur Ausblick auf das Dreieck. Was geschah an diesem Ort im Jahr 2010?

Es spielte sich ein ungewöhnliches Duell ab zwischen einigen schweren Baumaschinen, die sich bei Bedarf unaufhaltsam in die Grünflächen fraßen und den Abertausenden von ausgestreuten Samenkörnern, die keine Gelegenheit ausließen, blitzschnell zu keimen und trotzig ihre Blüten emporzurecken!

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Tramwendeschleife Werdhölzli im 2. Jahr.
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Quartierblüten unterhalb der Hardbrücke.

Die Nutzung war fließend, der Baustellencharakter sollte jederzeit ablesbar sein, kein Kaschieren und auch bewusst keine Visualisierung der Idee waren geplant. Es wurde kein neues Material angefahren, sondern mit dem vorhandenen (ob Oberboden oder Bauschutt) gearbeitet. Es erwies sich als große Herausforderung für klassisch geschulte Maschinisten, frei und "kreativ" zu arbeiten. Ohne übertriebene Unterhaltsmaßnahmen sollte eine fesselnde Wirkung realisiert werden. Es wurde nur einmal gejätet, nie gewässert und der Rückschnitt entfiel. Auf die Fläche wurden drei Bänke gestellt, die weder verankert noch durch definierte Wege erreichbar waren.

Interaktionen zwischen allen Beteiligten standen im Zentrum. Beobachtet wurden insbesondere Kommentare und spontanes Feedback von Passanten. Die Idee dahinter: Planung ohne Ziel - der Prozess steht im Mittelpunkt. Ein soziales Experiment mit Rückschlüssen für Pflanz- und Stadtplaner. Im Rückblick überwiegen eindeutig die positiven Kommentare, meist bezüglich der Blütenfülle. Trampelpfade waren kaum auszumachen, die Bänke blieben weitgehend unbenutzt, wurden aber auch nicht entwendet. Lediglich Kinder wurden beim zwanglosen Toben und Blumenpflücken in der Saatfläche beobachtet. Erwachsene begegneten der Begrünung trotz ihres improvisierten Charakters mit viel Respekt und Anerkennung, manchmal auch gab es Irritation wegen der schwer interpretierbaren Art und Weise der Zwischenbegrünung. Eine Schulklasse hat auf Grund der Fläche in Oerlikon den Wunsch und die Bereitschaft geäußert, bei Folgeprojekten mitzuwirken. Dies wurde aufgenommen und auf der Wipkinger Terrasse im Jahr 2011 umgesetzt. Eingebaut in den Unterricht legten Jugendliche im Alter von elf bis zwölf Jahren der Schule in Gruppen vier Schülerbeete mit einer Größe von jeweils neun Quadratmeter an. Diese Schülerbeete verteilten sich auf der Gesamtfläche. Die gärtnerischen Tätigkeiten und das aktive Arbeiten standen im Vordergrund. Es wurde ausgesät, gepflanzt, gejätet und die Ernte verarbeitet und damit ein Apero für die Nachbarschaftskinder vom Hort kreiert. Die Pflanzenauswahl hatte in diesem Projekt noch eine zusätzliche Eigenschaft; es handelte sich um essbare Blüten: Boretsch, Koriander, Dill, Ringelblumen wurden gesät und Schnittlauch und Sonnenblumen gepflanzt. Eine essbare, wiesenartige Pflanzenkomposition entstand. Die Wipkinger Terrasse stellt eine Art vergessenen Ort mitten in der Stadt Zürich dar. Steht man oben und blickt über die Brüstung, hat man das Gefühl, man sei mitten im Geschehen, dreht man sich um - kann einem fast mulmig werden, so einsam ist es gelegen. Dabei wäre es ein geschützter Ort, ein Ort an dem man einen Garten anlegen könnte - von zufälligem Passantenverkehr ziemlich ausgeschlossen. Hauptsächlich wird der Ort abends von Jugendlichen als Treffpunkt genutzt. Im Rahmen eines temporären Projektes soll die Wipkinger Terrasse besser in das Bewusstsein der Bewohner gerückt werden. Gezeigt hat sich, dass eine Beobachtung der Teilnehmenden sehr viel schwieriger ist als in Oerlikon. Die Personen suchen nicht das Gespräch auf der Terrasse. Es fungiert eher als Rückzugsort. Das Resümee als Planer ist: strebt man den Prozess an, dann muss man sich Zeit nehmen und Durchhaltevermögen zeigen und sich immer wieder daran erinnern, das die kleinen Umsetzungsschritte das Ziel sind und nicht eine Totalneugestaltung der Fläche. Als Planer wünscht man sich das von zeit zu Zeit, da man vorrankommen möchte. Doch in diesem Fall ist der Weg das Ziel!

Weitere Projekte dieser Art entstanden in Zürich an der Tramwendeschleife Zoo, Tramwendeschleife Werdhölzli und an der Hardbrücke. Alle Projekte folgen der gleichen Vision, die getroffenen Maßnahmen sind individuell auf den jeweiligen Ort abgestimmt. Die sozialen Prozesse werden gefördert, jedoch nicht erzwungen. Sich auf einen Prozess einzulassen und sich treiben lassen öffnet neue Türen. Dafür benötigt es Mut, Ausdauer und die Bereitschaft, seinen eigenen Standpunkt immer wieder zu reflektieren und das Gespräch mit anderen zuzulassen. Die einjährigen Pflanzen weisen eine Dynamik auf, die erfrischend wirkt. Diese Frische in das Stadtleben einzubringen, lohnt sich. Planen mit offenem Ziel - mit einer Vision. Die jedoch nicht bis ins Detail ausformuliert ist. Dies benötigt Flexibilität bei den Planern. Welchen Beitrag leisten die Pflanzen? Eins ist sicher: Sie wecken Emotionen bei den allermeisten Menschen. Die Bandbreite ist gewaltig und spannend zugleich. Oftmals treffen unterschiedliche Werte, Standpunkte und Prägungen aufeinander - jede Menge Gesprächsstoff.

Dipl. Ing. Doris Tausendpfund
Autorin

Landschaftsarchitektin, Dozentin ZHAW

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