Der Barockgarten von Schloss Neuhaus
von: Dr. Anne SteinmeisterDer heutige Schloss- und Auenpark Neuhaus entstand im Zuge der Landesgartenschau 1994. Mit einer Größe von insgesamt 42 Hektar erstreckt sich der Erholungs- und Freizeitpark von der ehemals fürstbischöflichen Residenz Schloss Neuhaus bis zur Innenstadt Paderborns. Mittelpunkt der Parkanlage ist der barocke Schlossgarten, der im 18. Jahrhundert angelegt und 1993/94 in Teilen rekonstruiert wurde. Er vermittelt heute wieder einen Eindruck von der ehemaligen Bedeutung der Schloss- und Gartenanlage, die sich vier Kilometer nordwestlich vor den Toren Paderborns befindet. Das vierflügelige Wasserschloss stellt zusammen mit dem Schlossgarten eine der bedeutendsten Barockanlagen Westfalens dar. Eine Besonderheit ist die Insellage des Residenzgartens, der auf einer natürlichen Halbinsel liegt, die durch den Zusammenfluss der drei Flüsse Alme, Lippe und Pader gebildet wird.
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Entwicklung der Residenz Schloss Neuhaus
Diese geschützte Lage war auch der Grund dafür, dass die Fürstbischöfe von Paderborn ihre Residenz 1370 nach Neuhaus verlegten, denn seit dem 13. Jahrhundert kam es zwischen den Bischöfen und der Bürgerschaft der Stadt Paderborn immer wieder zu gewalttätigen Konflikten. In Neuhaus wurden auf dem bischöflichen Haupthof1 zunächst eine Burg und dann ein dreistöckiger Wohnturm errichtet. Zwischen 1524 und 1526 entstand südlich ein erster Schlossbau im Renaissancestil,2 der die Front der Vierflügelanlage bildet, die 1597 durch den Nordflügel und vier Ecktürme vollendet wurde.3 Nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1638) begann man mit der Barockisierung des Schlosses und der Planung eines Barockgartens. Diesem waren allerdings durch die Insellage Grenzen gesetzt, denn das Gelände wurde im Nordosten durch die Lippe stark beschnitten. Als grundlegende Maßnahme wurde 1658 der Schlossgraben verlegt und parallel zu den Außenfronten des Schlosses in eine rechteckige Form gebracht. So konnte ein geometrischer Garten angelegt werden, der erste barocke Ansätze aufwies.4
Der entscheidende Ausbau zur Barockanlage fand unter der Regentschaft Clemens Augusts von Bayern (1700-1761) statt, der 1719 zum Fürstbischof von Paderborn und Münster gewählt wurde. Nach seinem Amtsantritt betraute er zunächst Johann Conrad Schlaun (1695-1773), der als Land-Ingenieur des Fürstbistums Paderborn schon im Dienste seines Vorgängers stand, mit dem Ausbau von Schloss und Garten. Im April 1719 inszenierte Schlaun im Schlossgarten ein großes Begrüßungsfeuerwerk für Clemens August und überreichte ihm als Antrittsgeschenk zwei Ansichten von Paderborn und Schloss Neuhaus mit Garten. Hierbei handelte es sich noch nicht um einen neuen Entwurf, sondern um eine Bestandsaufnahme der Anlage. Die erste große Baumaßnahme war 1722 die Verlegung des Ringgrabens,5 der im Norden den Ziergarten vom Obstgarten trennte und dann in die Lippe floss. Er wurde nun direkt in die westliche Schlossgräfte geleitet, so dass das Gelände begradigt und vergrößert werden konnte. Nachdem Clemens August 1723 zum Kurfürsten von Köln gewählt worden war, verlagerte sich sein Interesse von Schloss Neuhaus auf die Residenz Brühl bei Köln. Hier sah er die Möglichkeit, eine große repräsentative Barockanlage zu schaffen, die für die prachtvolle Hofhaltung eines absoluten Herrschers unabdingbar war. So wurde Schlaun nicht mehr in Neuhaus eingesetzt, sondern mit dem Neubau von Schloss Augustusburg in Brühl beauftragt.
Planung des Barockgartens durch Nagel (1736)
In Neuhaus setzte ab 1725 der Nachfolger Schlauns, der Paderborner Hofbaumeister Franz Christoph Nagel (1725-1764), die Arbeiten fort. Die Baumaßnahmen beschränkten sich auf die Barockisierung der Schlossanlage und den Neubau von Orangerie (1725), Marstall (1729) und Hauptwache (1733). Der Schwerpunkt des Ausbaus lag vor allem auf der Umgestaltung des Schlossgartens, der mit dem Residenzschloss zu einer einheitlichen barocken Gesamtanlage verbunden werden sollte. Deshalb wurde 1730 im Nordflügel ein Durchgang zum Garten mit Brücke über die Gräfte geschaffen. Dadurch konnte nun die Zentralachse, die durch einen vergoldeten Balkon über dem Durchgangsportal betont wurde, vom Schlosseingang durch den Garten hindurch geführt werden.
Der Entwurf Nagels wird in der Festschrift von 1736 zum 900. Libori-Jubiläum präsentiert. Die Vogelschau-Vedute stellt den ersten Plan der gesamten Barockanlage mit Schloss, Nebengebäuden und Garten dar. Fraglich ist aber, inwieweit diese Ansicht ein Bild vom realen Zustand des Schlossgartens um 1736 vermittelt, denn ihre Bezeichnung als 'Prospect' deutet darauf hin, dass es sich bei der Abbildung eher um ein Idealbild als um eine reale Darstellung handelt. Zur Beantwortung der Frage, was bis 1736 realisiert wurde, kann man die Beschreibung des Gartens in der Festschrift hinzuziehen. Somit ergibt sich folgendes Bild des Barockgartens um 1736: Der Hauptgarten wird durch die beiden Seitenwege umrahmt, die schon im alten Garten die Ost- und Westseite der Gräfte einfassten. Nun sind sie nach Norden weitergeführt und oben bogenförmig verbunden worden. Dafür musste der Verlauf der Lippe geändert werden, die nun weiter nördlich mit der Alme zusammengeführt wird. Die Seitenwege sind zu doppelten Alleen erweitert worden und enthalten in der Mitte einen durchgehenden Rasenläufer. Diese Gestaltung erinnert an Schleißheim, wo doppelreihige Alleen im Halbkreis um die Ringinsel von Lustheim herumgeführt werden.6 Auch wenn die Anlage in Schleißheim bedeutend größer als in Neuhaus ist, so ist doch die Inselsituation vergleichbar. Gegliedert wird der Neuhäuser Garten durch die dominante Längsachse, die in der Mitte durch eine gleichbreite Querachse durchteilt wird. Diese verbindet den Hauptgarten mit einem weiteren Garten im Westen und einem Obst- und Küchengarten (E.) im Osten jenseits der Lippe. Im Kreuzungspunkt der Achsen liegt als Mittelpunkt des Gartens ein großer Fontänenbrunnen, hinter dem sechzehn Arkaden im Halbkreis angeordnet sind. Sie bilden den Übergang von der Parterrezone zu den beiden Bosketts im unteren Gartenbereich, die je fünf Kabinette und Säle enthalten. Bei den Parterres, die vom Wiener Hofgärtner Carl Hatzel ausgeführt wurden, handelt es sich um Broderieparterres, die einem Musterbeispiel von Dezaillier d'Argenville entsprechen. Der Beschreibung nach waren die Parterres durch geschwungene Buchsbaumbänder in vielfältige Ornamente gegliedert und mit farbiger Erde ausgefüllt. Die umgebenden Blumenrabatten waren ebenfalls mit Buchsbaum eingefasst und wölbten sich nach Art eines Eselsrückens auf.
Die Vedute zeigt westlich des Hauptgartens eine weitere Boskettzone mit zwei Quartieren aus beschnittenen Linden, an die sich nördlich ein Berceau mit drei Treillagen-Pavillons und Brunnen anschließt; gegenüber liegt ein aufwendiges Broderieparterre.7 Gegliedert wird der westliche Garten durch eine große Wasserachse, die parallel zur Hauptachse auf einen Wasserturm (D.) zuläuft. Zwischen dem Kanal und dem Wasserturm ist ein Boulingrin eingezeichnet, in dem ein geschwungener Wassergraben mit Fontänen das kurfürstliche, aus Broderien gebildete Monogramm von Clemens August mit dem Kurhut umgibt. Ob dieses kunstvolle Broderieparterre überhaupt realisiert wurde, ist nicht sicher. Ebenso wie das Feuerwerk, das zum Abschluss der Libori-Feierlichkeiten veranstaltet wurde und mit den "sprechenden Zungen"8 ein Herrscherlob ("Clemens horans") für Clemens August enthielt, diente die Darstellung des kurfürstlichen Monogramms der Herrschaftsrepräsentation. Auch das Medium der Festschrift mit den idealisierenden Darstellungen der Barockanlage und des Feuerwerks, die sicher wie üblich an andere Herrscher versandt wurde, hatte repräsentative Funktion.9 Nach dem Libori-Jubiläum stagnierten die Arbeiten an der Neuhäuser Anlage, denn Clemens August war seit seiner Wahl zum Kurfürsten mit größeren Bauvorhaben, vor allem mit Schloss Augustusburg in Brühl, beschäftigt. Hier beauftragte er Dominique Girard, den Schöpfer von Schleißheim und Nymphenburg, 1727/28 mit der Anlage eines großen Barockgartens, von dem dann offensichtlich Impulse auch auf Neuhaus ausgingen. Dort begann erst um 1750 eine neue Bauperiode. Im Südflügel wurde im 'piano nobile' eine durchgehende Raumfolge geschaffen, so dass die zentrale Blickachse durch sämtliche Räume geführt wurde.10 Außerdem wurde 1751 vom Schlosseingang her die Zentralachse nach Süden weitergeführt und die Fürstenallee bis nach Paderborn angelegt. 1752 wurden der Zusammenfluss von Pader und Lippe weiter flussabwärts verlegt und eine neue steinerne Lippebrücke gebaut. Hier wurde 1758 die neue Wasserkunst errichtet, deren Vollendung Clemens August nicht mehr erlebte, da er am Siebenjährigen Krieg teilnahm und 1761 starb. In der Kriegszeit (1756-1763) entstanden durch ständig wechselnde Einquartierungen im Schloss und auch im Garten große Schäden.11
Der Schlossgarten um 1790 (nach dem Plan von Sauer)
Die Wiederherstellung des Schlossgartens erfolgte unter dem Nachfolger Clemens Augusts, Wilhelm Anton von der Asseburg. Während seiner Regentschaft (1763-1782) erhielt der Garten seine letztgültige Gestalt, so wie sie auf einem Plan von Philiep Sauer aufgezeichnet ist. Sauer - seit 1790 Hofgärtner in Neuhaus - hat zu Beginn seiner Tätigkeit eine genaue Bestandsaufnahme des Gartens erstellt und das wiedergegeben, was in den Jahren davor angelegt wurde.
Als Gärtner hat er besonders sorgfältig die Pflanzen, zum Beispiel Blumen als farbige Punkte, dargestellt. Auch Laub- und Nadelbäume, Rasenflächen und Heckenbosketts lassen sich erkennen. Im Vergleich zur Vedute Nagels ergeben sich einige Abweichungen im westlichen Garten und in Bezug auf die Hauptachse. Das geplante Lustschlösschen am Ende der Achse wurde offenbar nicht gebaut - vielleicht weil es die Sicht in die Landschaft hinein unterbrochen hätte. Stattdessen wird nun die Mittelallee über eine Brücke aus dem Garten hinaus geleitet, wo sie dann nach Nordosten abknickt und wahrscheinlich weiter zum Tiergarten 'Wilhelmsberg' führt.12
Von den Arkaden am Fontänenbrunnen wurden vierzehn realisiert, in denen nachweislich zwölf Skulpturen standen.13 Statt des geplanten Wasserturms im westlichen Garten wurde die 'neue Wasserkunst' (h) östlich vom Schloss gebaut. Dagegen wurde der Kanal (s) im westlichen Garten nach Norden verlängert, wo er in einem runden Fontänenbecken endet. Ob diese Veränderungen ein Indiz dafür sind, dass das kunstvolle Wasserparterre nicht ausgeführt wurde, ist nicht sicher. Es könnte auch sein, dass diese Teile des Gartens durch den Siebenjährigen Krieg zerstört wurden und danach mit einfachen Mitteln wiederhergestellt wurden. Erhalten sind die Lindenquartiere mit einem Brunnen östlich des großen Kanals, während das kunstvolle Broderieparterre auf der westlichen Seite durch einen Gemüsegarten, den 'Hollendischen Garten' (R), ersetzt ist. Das Oranienhaus (m), das auch schon bei Nagel eingezeichnet war, befindet sich inmitten der Wirtschaftsgebäude und hatte demnach keine repräsentative Funktion.14
Der Marstall in Hufeisenform (b), der durch die dreidimensionale Darstellung bei Nagel eine dominante Stellung einnimmt, ist bei Sauer nur skizziert, dafür hat er den Reitplatz im Hof des Marstalls, der nun mit Linden eingefasst ist, sehr detailliert gezeichnet.
Zum ersten Mal wird auch der 'Garten vor dem Schloss' (h), der Kabinetts-Garten,15 dargestellt. Er ist in vier Rasenkompartimente - mit Fontänenbrunnen - gegliedert. Die wichtigste Veränderung, die im Schlossgarten vorgenommen wurde, war die Umgestaltung des Broderieparterres in ein Parterre à l'angloise.16 Grund für die Umgestaltung war neben den Zerstörungen durch den Siebenjährigen Krieg wohl auch der neue Geschmack, der sich Mitte des 18. Jahrhunderts vom französischen Broderieparterre zum englischen Rasenparterre verlagert hatte. Im Vergleich zum älteren Broderieparterre erscheint bei dem Parterre à l'angloise die ornamentale Gestaltung klarer und großflächiger: Statt vorher fünf Fontänen besitzt jedes Parterrefeld nur noch eine Mittelfontäne.
In die großen Rasenflächen, die nicht mehr durch Zierwege, sondern durch weißen Sand gegliedert sind, greifen von den Längsseiten 'agraffenartige' Broderien aus Buchs hinein. An den Schmalseiten befinden sich große Rasenmuscheln, die von Buchs eingefasst und mit Ziegelsplitt rot konturiert sind. Die Form und die Farbgebung der Muschelornamente gehen wie das Parterre in Brühl offenbar auf einen Entwurf von Dezailler d'Argenville zurück.17 Die umgebenden Blumenrabatten wurden vom ehemaligen Parterre fast unverändert übernommen. Was die Bepflanzung anbetrifft, ergeben sich dazu Aufschlüsse aus dem Pflanzenverzeichnis, das der damalige Hofgärtner Anton Protz 1783 für die Inventarliste von Schloss Neuhaus erstellte.18
Gartendenkmalpflegerische Rekonstruktion des Barockgartens
Infolge der Säkularisierung und Auflösung des Fürstbistums Paderborn (1803) verlor die Anlage Schloss Neuhaus ihre Funktion als Residenz und erfuhr danach verschiedene Nutzungen. Fast 200 Jahre lang wurde das gesamte Gelände militärisch genutzt und in großen Teilen überbaut, so dass die Strukturen des Barockgartens weitestgehend zerstört wurden. Nach dem Abzug der Britischen Rheinarmee übernahm die Gemeinde 1964 das Schloss, in dem sie eine Schule einrichtete, und das untere Gelände mit der Schlosshalle. Ab 1979 erwarb die Stadt Paderborn das restliche Schlossgelände, um es für die Öffentlichkeit zu nutzen.19 Dabei gab es schon Überlegungen, den ehemaligen Barockgarten zu rekonstruieren.
Die Wiederherstellung des Schlossgartens fand im Kontext der Landesgartenschau 1994 statt. Entscheidende Voraussetzung für die Vergabe der Gartenschau nach Paderborn war für das Land NRW die denkmalpflegerische Rekonstruktion des Barockgartens, die zum Hauptthema der Gartenschau wurde. Dabei durften keine historisierenden Maßnahmen vorgenommen werden, sondern die "Grundstrukturen"20 des Barockgartens sollten streng nach authentischen Grundlagen rekonstruiert werden. Allerdings ließen die vorhanden Bauten im Schlosspark eine vollständige Wiederherstellung des Barockgartens nicht zu, so dass nur einige Gartenelemente - Gräfte, Lindenalleen und Parterre à l'angloise - authentisch rekonstruiert werden konnten. Als Grundlage der Baumaßnahmen diente der Bestandsplan von Philiep Sauer (um 1790) unter Hinzuziehung des historischen Fußmaßes.21
So konnte die Gräfte in ihren historischen Ausmaßen wiederhergestellt werden, wobei der alte Baumbestand weitestgehend erhalten wurde. Die Rasenböschung wurde durch eine Taxushecke eingefasst, die den Verlauf der alten Gräfte markiert. Die doppelten Lindenalleen mit dem Rasenläufer konnten nicht vollständig rekonstruiert werden, da sie zum Teil überbaut sind und sich am Ende des Gartens, wo sie ursprünglich bogenförmig zusammenliefen, nun ein Geophytenwäldchen befindet.
Die authentische Rekonstruktion des Parterres à l'angloise gestaltete sich ebenfalls schwierig, weil sie vor dem Bürgerhaus (Schlosshalle) in Höhe der ehemaligen Querachse abgebrochen werden musste. Da es nicht möglich war, die ursprünglichen Proportionen des Parterres wiederherzustellen, erhielten die fehlenden Ausläufer der Rabatten eine Nachbildung durch Basaltpflaster. Für die exakte Rekonstruktion der großen Ziermuschel wurden historische Muschelvergleiche, zum Beispiel von Dezailler d'Argenville, herangezogen, wobei man die Bestandteile und Materialien aus dem kolorierten Plan Sauers entnehmen konnte. Auch für die authentische Bepflanzung der Rabatten wurde neben der Pflanzenliste von 1783 auf historische Musterbücher zurückgegriffen.
Wegen der Bebauung im hinteren Teil des Schlossparks konnten die Bosketts nicht rekonstruiert werden. Die Mittelachse endet nun am Kreuzpunkt der Hauptachse, wo sich ehemals der Fontänenbrunnen befand. An seiner Stelle errichtete man ein modernes 'Brunnentheater' - hinter einer Spiegelwand mit Becken, in dem fünf kleine Fontänen plätschern. Die Spiegelwand, an der Wasser hinunterläuft, soll durch die Widerspiegelung der Parterres die ehemalige Größe des Gartens simulieren. Da jedoch aus Vogelschutzgründen die Spiegelfläche sehr matt gehalten ist, vermittelt sie nur ein diffuses Bild. Hinter dem Brunnentheater sind vor den Seitenflügeln des Bürgerhauses die Skulpturen22 aufgestellt worden, die in den Arkaden halbkreisförmig hinter dem Barockbrunnen standen.
Statt der fehlenden Arkaden, die ursprünglich zum Boskettbereich überleiteten, soll nun die Brunnenplastik unter dem Motto "Abschied vom Barock"23 einen modernen Übergang zwischen Gartenparterre und Bürgerhaus schaffen. Doch wirkt dieser überdimensionierte Bau, der viel ausladender als der barocke Fontänenbrunnen ist, wie eine Sperrmauer. Sicherlich erfüllt er seinen Zweck als Aussichtsplattform und Veranstaltungsort, doch würde eine "barocke Mittelfontäne [...] mit begrünten Arkaden",24 für die es konkrete Vorlagen bei Nagel und Sauer gibt, sich an dieser Stelle harmonischer in den Schlosspark einfügen. Dann könnten auch die Barockskulpturen ihren ursprünglichen Platz in den Arkaden wieder einnehmen, statt vor dem Bürgerhaus zu stehen, zu dem sie keinen Bezug haben. Insgesamt könnte eine rekonstruierte elegante Mittelfontäne viel eher eine Vorstellung vom Aussehen und Charakter des ehemaligen Barockgartens vermitteln als die moderne Brunnenplastik.
Gelungene Beispiele für frei rekonstruierte Gartenbereiche sind dagegen der Kabinetts-Garten und der Marstall-Innenhof, der in der alten Form und Größe heute durch eine Rasenfläche angedeutet wird. Der Kabinetts-Garten vor dem Schloss wurde nicht wieder als Rasenparterre angelegt, sondern die vier Quartiere wurden mit einer Wechselbepflanzung versehen, und der ursprüngliche Brunnen wurde durch eine Sonnenuhr ersetzt.
Insgesamt konnten durch die Teilrekonstruktion die Grundstrukturen des ehemaligen Barockgartens wieder sichtbar gemacht werden. Dabei stellt die Wegeführung des Schlossgartens nicht nur einen Bezug zu den historischen Gebäuden, sondern auch zu den späteren Bauten wie Reithalle, Bürgerhaus und Schulzentrum her. Durch die authentische Rekonstruktion von Gräfte, Lindenalleen und Parterre konnte wieder eine Verbindung zwischen dem Garten und dem Schloss hergestellt werden, so dass diese wieder als barocke Gesamtanlage erscheinen. Dazu trägt in erster Linie die originalgetreue Rekonstruktion des Parterre à l'angloise von 1765/70 bei, das mit den großen Ziermuscheln und Broderieagraffen als eines der kunstvollsten und aufwendigsten Rasenparterres in Mitteleuropa gilt. Insofern stellt die Teilrekonstruktion des Neuhäuser Barockgartens einen bedeutenden Beitrag zur Gartendenkmalpflege dar. Zur Erhaltung des historischen Gartens trägt ein vorbildliches Parkpflegewerk bei.
Der Besuch des Schlossgartens bietet sowohl Touristen als auch den Bürgern der Stadt Paderborn ein kulturelles Erlebnis. Mit den verschiedenen Museen in den historischen Gebäuden (Marstall, Reithalle, Schloss) und Veranstaltungen im Schlosspark (Gartenfestivals, Konzerte, Feste) wird ihnen ein vielseitiges Kultur- und Unterhaltungsprogramm geboten. Trotz der Insellage wirkt der Schlossgarten nicht isoliert, da er sich westlich zum Auenpark öffnet, der durch ein weitläufiges Fuß- und Fahrradwegenetz mit der Stadt Paderborn und der umgebenden Auen- und Seenlandschaft verbunden ist.
Diese wurde im Rahmen der Landesgartenschau zu einem Erholungs- und Freizeitpark umgestaltet, der von allen Generationen gern und viel genutzt wird. Mit zahlreichen Spiel- und Sportmöglichkeiten sowie Naturerlebnissen bietet der moderne Auenpark eine attraktive Ergänzung zu dem historischen Garten von Schloss Neuhaus.
Literatur
1 1016 zuerst erwähnt, in: Vita Meinwerci (Lebensbeschreibung des Bischofs Meinwerk, um 975-1036). - Aus dem Hofverband entwickelte sich die Ortschaft Neuhaus (seit 1957: "Schloss Neuhaus"). Börste, Norbert/Santel, Gregor G., Schloss Neuhaus bei Paderborn, hg. im Auftrag des Heimatvereins Schloss Neuhaus 1909 e. V., Berlin/München 2015, S. 11 ff.
2 Haus Braunschweig - wie alle Flügel nach dem jeweiligen fürstbischöflichen Bauherrn benannt - wurde vom schwäbischen Baumeister Jörg Unkair, der auch das Detmolder Residenzschloss baute, geplant. Börste, Norbert/Santel, Gregor G., 2015, S. 17 ff.
3 Siehe Kupferstich von 1592, auf dem Dietrich von Fürstenberg mit Schloss und Garten dargestellt ist, bei: Hansmann, Wolfgang, Der Neuhäuser Schlossgarten (1585-1994), in: Studien und Quellen zur Geschichte von Stadt und Schloss Neuhaus, hg. von Michael Pavlicic im Auftrag des Heimatvereins Schloss Neuhaus, Bd. 2, Bad Lippspringe 2009, S. 115-160, S. 116, Abb. 3.
4 Vgl. Pläne bei: Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 119-121, Abb. 6-8.
5 Der Ringgraben umgab den Ort Neuhaus statt einer Stadtmauer. Siehe: Plan (1675) und Zeichnung Schlauns (1719), die den Garten vor der Verlegung von Alme und Lippe zeigt, in: Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 119-121, Abb. 6-8.
6 Vgl. Plan bei: Hansmann, Wilfried, Gartenkunst der Renaissance und des Barock, Köln 1983, S. 237 ff., Abb. 135. Die Anlage Schleißheim bei München wurde von dem französischen Gartenkünstler Dominique Girard (um 1680-1738) im Auftrag des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel (1662-1738), des Vaters von Clemens August, zwischen 1715 und 1717 entworfen.
7 Vgl. Musterentwürfe bei: Hansmann, Wilfried, 1983, S. 176 ff., Abb. 90-92, S. 244, Abb. 138.
8 Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 130 f., Abb. 13: Kupferstich (nach Schlaun) mit Beschreibung: "In dem Hertzen nun dieses Lust=Gartens nemlich bei der grossen Fontaine waren das Kunst=und Feuerwerk zugerichtet, wodurch [...] so viel des H. Libori Lob=sprechende Zungen in die Höhe geschicket ..." Siehe Schriftzug auf der Abbildung.
9 Dafür spricht auch die Art der Darstellung aus der Vogelschauperspektive, die starke Ähnlichkeit zur Vogelschauvedute ('Prospect') von Schloss Belvedere (um 1731) in Wien aufweist. Durch diese Präsentation wollte Clemens August offenbar sich und seine Schlossanlage in eine Reihe mit Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736) und dessen Schloss Belvedere stellen. Low-von Schopf, Regine, Renaissance- und Barockgärten in Ostwestfalen-Lippe, in: Schöne, Anja (Hg.), Querbeet durch die historischen Gärten in Ostwestfalen-Lippe, Bielefeld 2000, S. 83-109, S. 97 ff. (mit Abbildungen).
10 Zur Ausstattung der Räume: Börste, Norbert/Santel, Gregor G., 2015, S. 38 f., S. 52 ff., Abb. 54-56.
11 Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 131 ff.
12Der Wilhelmsberg (nach Wilhelm A. von der Asseburg benannt), ein Tier- bzw. Fasanengarten, der zeitweilig auch als Weinberg genutzt wurde, wird schon in der Neuhäuser Chronik von 1797 erwähnt, ist aber erstmals auf einem Lageplan von 1803 verzeichnet. Börste, Norbert/Santel, Gregor G., 2015, S. 80 f., Abb. 79.
13 Die Skulpturen sind im Plan nicht zu erkennen, doch sind die Sandsteinbüsten, die auf Sockeln aufgestellt waren, erhalten. Es handelt sich um Allegorien der zwölf Monate, die sich stilistisch dem Paderborner Bildhauer Johann Theodor Axer (1700-1764) zuschreiben lassen, der auch die Wappenarbeiten am Marstall (1729) und an der Wache (1732) ausführte. Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 127.
14 Die beheizte Orangerie (1725), in der es mehrere hundert Pflanzen gab, war ein gemauertes rechteckiges Gebäude (von ca. 31 m Länge und ca. 10 m Breite) mit Fachwerkanbau, worin Zeugkammer und Zimmer für die Gärtnergesellen waren. An das Komödien- bzw. 'Kumigerantenhaus' (l) waren noch zwei Treibhäuser (n) angebaut. Börste, Norbert/Santel, Gregor G., 2005, S. 97 ff.
15 Der Garten, der wegen des Ausblicks vom fürstbischöflichen Kabinett im südöstlichen Turm so genannt wird, wurde wahrscheinlich schon zwischen 1683 und 1718 angelegt und wäre damit der älteste Gartenteil von Neuhaus. Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 66, Abb. 69, S. 139 ff.
16 Der Planer des Parterres ist nicht bekannt. Es könne vielleicht der Nachfolger Nagels, Josef Simon Sertürner (seit 1767 Hofbaumeister in Neuhaus), gewesen sein. Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 147.
17 In dem Musterentwurf für ein "Grand Parterre de Compartiment" finden sich entsprechende Muschelornamente. Vgl. Hansmann, Wilfried, 1983, S. 166, Abb. 86.
18 Daraus ergibt sich, dass das Parterre mit Tulpen, Narzissen, Lilien und anderen ,stehenden Blumen' bepflanzt war. Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 142 ff., S. 147.
19 Schloss Neuhaus wurde 1975 in die Stadt Paderborn eingemeindet. Nach Erwerb der Schlosshalle gründete sich 1985 der Bürgerhausverein Schloss Neuhaus, der die Halle für verschiede Vereinsaktivitäten (z. B. Schützenfest) nutzte. 1994 wurde die Schlosshalle im Rahmen der Landesgartenschau zum "Bürgerhaus" und zur Stadtteilbibliothek umgebaut.- Hansmann, Wolfgang/Pavlicic, Michael, 2009, S. 151 ff.
20 Näher: Ehrig, Christhard, Die Geschichte der Rekonstruktion des Barockgartens von Paderborn-Schloss Neuhaus, in: Landesdenkmalamt Berlin und DGGL e.V. (Hg.), Botschaften zur Gartendenkmalpflege. Festschrift für Klaus-Henning von Krosigk, Berlin 2011, S. 83-85, S. 83. Der Bielefelder Landschaftsarchitekt Ehrig wurde nach dem Wettbewerbsgewinn 1986 im Jahr 1989 mit der Gesamtplanung der Landesgartenschau beauftragt.
21 Ehrig, Christhard, 2011, S. 84; Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 156 ff.
22 Die Skulpturen galten als verschollen, wurden aber in Schloss Augustusburg wiedergefunden und kehrten zur Landesgartenschau 1994 als offizielle Dauerleihgabe des Landes NRW in den Schlosspark zurück. Börste, Norbert/Santel, Gregor G., 2015, S. 74.
23 Dies war der Arbeitstitel der Stahlskulptur "Brunnentheater", die der Paderborner Architektur-Professor Hubert Krahwinkel entwarf. Hofrichter, Hartmut, "Abschied vom Barock" oder alles nur Brunnentheater?, in: Burgen und Schlösser. Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege 1993/1, S. 40.
24 So: Hansmann, Wolfgang, 2009, S. 158 f.