Künstlerinnen und Planerinnen – im Gespräch

Freiräume frei denken – mit Standbein und Spielbein

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Für Landschaftsarchitekten ungewohnt: Das Ausloten der Mauergärten in Herrenhausen mit dem eigenen Körper. Foto: Polina Kozina

Im Mai arbeiteten Studierende der Landschaftsarchitektur und der Kunstwissenschaften in einem interdisziplinären Blockseminar zusammen. Die Fragestellung: Wie können halböffentliche Gärten und grüne Rückzugsorte in der Nähe der Universität behutsam geöffnet und konzeptionell miteinander verknüpft werden? Wie lässt sich dieses "Grüne Angebot" der Öffentlichkeit in einer Broschüre, einem Film oder Audiobeitrag präsentieren? - Eigentlich war diese Aufgabe aber eher Mittel zum Zweck. Im Kern ging es darum, zu erkennen, wie Künstlerinnen und Ingenieurinnen der Welt gegenüber "stehen" - und was sie von- und miteinander lernen können. Ein reflektierendes Gespräch.

Oppermann: Meine erste Frage: Was ist aus der spannenden Zusammenarbeit der Studierenden herausgekommen?

Thies: Die Frage nach dem Ergebnis bringt den Kern der Veranstaltung auf den Punkt - und natürlich stellt sie eine Ingenieurin. Wir denken zuerst ans Ergebnis: Was soll verbessert werden, was ist das Ziel? Und wie, also mit welchen Methoden, können wir das erreichen? Künstlerinnen fangen weiter vorne an, schauen sich den Gegenstand an, lassen ihn sprechen: "Es ist ein Prozess" . . . , aus dem sich dann irgendwann das Produkt herausschält. Die Studierenden haben sich in der gemeinsamen Woche mit den eingeübten Mustern ihrer Profession auseinandergesetzt, sich gegenseitig den Spiegel vorgehalten und inspiriert. Sie waren hin- und hergerissen zwischen prozesshaftem und produktorientiertem Arbeiten.

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Foto: Polina Kozina

Schrader: zu Beginn der Woche spazierten alle Teilnehmenden offenen Auges und mit wachen Sinnen durch Hannover, vom Königsworther Platz bis zu den Herrenhäuser Gärten. So wurde aus dem Sammeln von schriftlichem und visuellem Material zu den Räumen eine erste Spur zu den jeweiligen eigenen Wahrnehmungen der Orte gelegt.

Koethen: Wenn man von der Kunst als "ars" und "techné" ausgeht, ist Unentdecktes und Unbekanntes essenziell für das kreative Arbeiten. Die Wahrnehmungs-Tätigkeit ist eine Bewegung ins Offene, mit der die ganze lebensweltliche Vielfalt an Materialien in den Blick genommen wird. Für die Kunst liegt der Inspirationswert von Freiräumen, besonders von Brachen, in ihrer Unbestimmtheit. Bildende Künstler legen auf dem Wahrnehmungsspaziergang vor allem auf die Erscheinungsweise der Dinge, ihre Phänomenalität, Materialität und Medialität, wert. Wir verzichten darauf, als Ausgangspunkt eine Aufgabe oder ein Problem zu definieren. Problem und Lösung werden systematisch entkoppelt. Wir haben also keinen Zielpunkt vor Augen, dem wir uns Schritt für Schritt nähern. Wir sehen einen Horizont. Vor dieser gekrümmten Linie spannt sich ein weites Feld auf, das verschiedene Perspektiven erlaubt. Und dabei passiert etwas Spannendes: Wir erkennen Frag-Würdiges!

Schrader: Im scheinbar ziel- oder absichtslosen Sammeln werden die Phänomene wahrgenommen, für die es auch in der Person selbst eine "Antenne" gibt. Diese Materialien werden anschließend mit einem fiktiven fremden Blick reflektiert. Als Künstlerin versuche ich andere Perspektiven einzunehmen, herauszufinden, welche Potenziale oder Fragen in dem Material stecken, um dann normalerweise erneut Material zu sammeln. Die zweite Sammlung von Material ist zumeist sehr viel konzentrierter als die erste. Hier scheint unter Umständen bereits ein Thema oder eine Frage auf.

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Materialvielfalt sinnlich wahrnehmen und Fragen finden. Darum ging es in dem Blockseminar. Foto: Polina Kozina
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Foto: Polina Kozina

Das Wahrnehmungsinteresse fokussiert sich. Das künstlerische Arbeiten fußt sowohl auf dem Herstellen von konkreten anschaulichen Materialien als auch auf deren distanzierter Reflexion. Es erfordert somit einerseits ein gewisses Eintauchen und andererseits wieder eine Distanznahme. Individuelle und allgemeine Ebenen verweben sich. Als Erkenntnisform basiert Kunst auf permanenten Perspektivwechseln, also immer wieder anderen Sichtweisen auf die Dinge und auf mich selbst. Das Potenzial der Kunst beruht darauf, im Hinblick auf gesellschaftliche Phänomene andere Sichtweisen und Fragen aufzuwerfen. Lösungen werden nicht unbedingt entwickelt. Man kann darin eine gewisse Paradoxie sehen, denn aus dem wertfreien offenen künstlerischen Herangehen ergibt sich durch das Arbeiten am Material und die Verwobenheit von Subjektivem und Allgemeinem eine reflexive und kritische Qualität.

Thies: Während Künstler sich auf Wahrnehmungsspaziergänge begeben, machen Ingenieure Bestandsaufnahmen. Allein die Begriffe deuten es an: Künstler sammeln Eindrücke, Ingenieure bilden Kategorien. Sie ordnen und bewerten, was sie sehen. Bei einer Bestandsaufnahme gehen wir davon aus, dass man eine Sache besser erfassen kann, wenn man einen gewissen Abstand zu ihr hat. Subjektivität wollen wir möglichst ausschalten oder zumindest transparent darstellen - dabei helfen vorab definierte Erfassungskriterien.

Koethen: Distanz benötigt man auch beim künstlerischen Vorgehen, allein um einen Überblick zu gewinnen. Denn das geschieht nicht beim involvierten Handeln, sondern indem man sich zum Betrachter seiner eigenen Arbeit macht, also Zwischenergebnisse und Wirkungszusammenhänge betrachtet. Das ist eine zweite, nämlich kritische Haltung, die sich von der inneren Motivation und Intention unterscheidet.

Oppermann: Die Skizze und die Zeichnung sind bis heute essentielle Hilfsmittel, mit denen man von außen auf einen Gegenstand blicken kann. Das fängt mit der Entwurfsskizze an, bei der das innere Auge ein Modell der Welt immer wieder umformt, bis man mit dem Ergebnis zufrieden ist. Mit Präsentationszeichnungen sollen Politiker und Geldgeber überzeugt werden. Und schließlich zeichnen wir die Bauanleitung in Form eines Ausführungsplans, damit die Handwerker genau das ausführen, was wir uns vorgestellt haben. Mit dieser Arbeitsweise baut man auf den Erfahrungen der Vorgänger auf. Und dabei entgeht uns natürlich einiges: Materialerfahrung und das Erlebnis des Hörens, Tastens und Fühlens kommen oft zu kurz.

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Für Künstler ungewohnt: Die Zweckhaftigkeit von Installationen im Freiraum ausprobieren, hier in der großen Allee in Herrenhausen. Entwurf: Julia Duschek
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Entwurf: Julia Duschek
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Entwurf: Julia Duschek

Koethen: Für uns ist das leibliche Wahrnehmen unverzichtbar. Deshalb lassen wir uns Zeit. Wir "verschwenden" uns und unsere Kreativität in diesem Prozess. Nur so kann das Produkt später Bestand haben. Und nur so kann man auch einer "strategischen" Kreativität entgehen, die immer wieder Neues industriegerecht produziert, damit es dann verbraucht werden kann. Statt die Material- und damit auch die Ressourcen-Verschwendung anzukurbeln, leisten wir uns den zeitlichen Luxus kreativer Offenheit. Diese Ergebnisoffenheit so genannter freier Kunst müssen wir allerdings immer wieder einfordern.

Thies: Hier scheint ein wirklicher Unterschied in der künstlerischen und ingenieurtechnischen Kreativität zu liegen. Beide können nicht erfolgreich sein, ohne kreativ zu sein. Aber bei uns wird die Kreativität anders eingesetzt: einmal wird Problem und Lösung oft als Paket angeboten und zum anderen geht es immer auch um Zeit und Aufwand sparende Lösungswege. Effektivität und Effizienz sind die Zauberworte der Zunft.

Koethen: Diese Effizienz ist für uns eher schwierig. Das Wort "Umsetzung" gebrauchen wir nicht gerne, weil es den Weg zum Ergebnis ausblendet: die Wechsel zwischen Eintauchen und Distanzname, zwischen Arbeit am konkreten Material und der distanzierten Reflexion negiert. Es geht also zu schnell und lässt nicht genug Offenheit. Wir arbeiten nicht nur ergebnisoffen, sondern auch methodenoffen, was für viele Studierende nicht leicht auszuhalten ist, und worin sie immer wieder unsere Unterstützung benötigen. Aber die Mühe lohnt sich und zeigt sich später oft in der Qualität der Arbeiten.

Das erkenntniskritische Unterlaufen der Subjekt-Objekt-Beziehung wird dann relevant und auch brisant, wenn das künstlerische Ergebnis über die subjektive Bedeutsamkeit hinausweist, indem es den zukünftigen Rezipienten eigene Spielräume eröffnet. Damit das gelingt, bedarf es einer sorgfältigen Durcharbeitung von Künstlerseite, der Anstrengung sogenannter Engführung. In dieser Phase will ich das, was mir in der Wahrnehmung begegnet ist, nicht nur als spannendes Phänomen und offenes Potenzial würdigen, sondern es bewusst auswählen, um es nun gezielt gestalterisch anzugehen. Auf dem Weg ergeben sich erfahrungsgemäß sinnvolle Abweichungen vom Erwarteten.

Thies: Wir schützen uns mit unseren Standards davor, im "Subjektiven" zu versinken. Es besteht aber natürlich das Risiko, dass man sich zu wenig gegen Vorgaben und Normen wehrt. Deshalb müssen wir uns intensiv mit dem Funktionieren von Freiräumen beschäftigen: Wie spielen Kinder? In welcher Haltung - sitzend, liegend, laufend - nehmen wir eine bestimmte Atmosphäre im Freiraum wahr? Unter welchen Umständen sind die Menschen bereit, sich einen Ort zu eigen zu machen? Wenn man den Freiraum nur "einrichtet", also einen Platz mit dekorativen Möbeln bestückt, statt wirkliche Raumerlebnisse zu bieten, es meistens schief.

Schrader: Auch ein Kunstwerk muss am Ende verstanden werden können, nicht a priori, aber a posteriori. Die Betrachter eines Kunstwerks können durchaus das Gefühl haben, dass sie das Werk nicht verstehen. Vielleicht kommt das Verständnis erst später, vielleicht waren die Künstler ihrer Zeit voraus. Die bildnerische Auseinandersetzung mit den gefundenen und angeeigneten Materialien ist in der Kunst eine Auseinandersetzung mit der individuellen Wahrnehmung und mit den gestalteten Räumen. Diesen Raum wollen wir nicht belehrend oder paternalistisch für andere verändern, aber wir üben doch Kritik und vielleicht haben wir die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf ihren Lebensraum verändert.

Oppermann: Um etwas zu verbessern und sogar zu optimieren, müssen wir erst einmal wissen, wo es hingehen soll. Solche Ziele machen den politischen Gehalt des Fachs aus, denn sie sind naturgemäß umstritten. Es reicht nicht, mitzuteilen wo es hingehen soll und dafür die kühnsten Konstruktionen anzubieten. "Dem Ingenieur fällt das sprechen schwör", dieser Spruch zeigt, dass wir mühsam lernen müssen, unsere Werte, Methoden und Ergebnisse zu erklären und zu vermitteln. Natürlich sind die Brücke über den Fehmarnbelt, der neue Gotthardtunnel in den Tessin oder der Landschaftspark Duisburg Nord ambitionierte Werke. Ohne ein Abwägen der Vor- und Nachteile geht es aber nicht. Stuttgart21 hat gezeigt, dass die Menschen nicht mehr alles akzeptieren, was ihnen vorgeschlagen wird. Immer mehr Landschaftsarchitekten und Umweltplaner müssen ihre Angebote in Bürgerversammlungen erklären und dafür argumentieren. Das ist anstrengende und kommunikative Schwerstarbeit mit politischer Relevanz.

Koethen: Kommen wir noch einmal zum Bild des Stand- und Spielbeins zurück, das man als eine Verkörperung des Verhältnisses von Ergebnisorientierung zum experimentellen frei Denken auffassen kann. In einer lebendigen Gesellschaft brauchen wir beides: Wenn beide Beine immer auf der Erde stehen, kommen wir nicht voran und stehen wie angewurzelt dort, wo wir nun mal hineingewachsen sind. Wenn die Beine immer in der Luft herumwirbeln, sind wir ohne Standhaftigkeit und bringen nichts zu Stande, was durchaus ein gefährliches Spiel ist. Das wache Balancieren im Zusammenspiel beider Haltungen ergibt eine inspirierende Choreographie.

Literatur

Ferguson, Eugene S. (1993): Das innere Auge, Von der Kunst des Ingenieurs, Birkhäuser Verlag, Berlin.

Haist, Marketa (1999): gemeinsam einsam, über die Nichtbeantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Landschaftsarchitektur und Kunst in jüngster Vergangenheit, anthos Zeitschrift für Landschaftsarchitektur, Heft 2, Zürich.

Koethen, Eva (2012): Das Experiment des Findens als Verfahrensweise der Kunst, in: Kreuzer, Stefanie (Hrsg.) Experimente in den Künsten, Transmediale Erkundungen in Literatur, Theater, Film, Musik und bildender Kunst, Transcript Verlag, Bielefeld, S. 337-366.

Schrader, Gertrud (2013): Streifzüge - Kunst als Erkenntnisform, in: Rohes Ei im Vorbeiflug, Ambulanz - Kunstvermittlungen, Eine Methode zur gemeinsamen Überraschung, Kunstraum Tosterglope (Hrsg.), S. 142-147.

Autorin

Institut für Gestaltungspraxis und Kunstwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover, Institutsleiterin

Prof. Dr.-Ing. Bettina Oppermann
Autorin

Landespflegerin, Professorin am Institut für Freiraumentwicklung an der Leibniz Universität Hannover

Autorin

Institut für Gestaltungspraxis und Kunstwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover

Dipl.-Ing. Mareike Thies
Autorin

Freiraumplanerin und Bewegungstrainerin

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