Nachbarrecht
Update zum Überwuchs
Im Herbst, wenn die Wuchsperiode der Bäume und Sträucher vorbei ist, steht der Rückschnitt an. Oft stellt sich die Frage, ob vom Nachbarn ein Rückschnitt verlangt werden kann, ob dieser selbst ausgeführt werden darf und ob in diesem Fall die Kosten vom Nachbarn zu erstatten sind. In diesem Zusammenhang soll auf einige Urteile des Jahres 2018 hingewiesen werden.
Mit Urteil vom 20.02.2018, Aktenzeichen 1 S 68/17, hat das Landgericht Krefeld entschieden, dass der Kläger durch herüberhängende Äste von Bäumen des Nachbargrundstücks beeinträchtigt war und daher den Rückschnitt vom Nachbarn verlangen konnte. Für die Frage einer Beeinträchtigung stellte das Landgericht darauf ab, dass die Äste teilweise die auf dem klägerischen Grundstück stehenden Pflanzen berührten und deren Wachstum behinderten. Gem. § 910 BGB seien keine wesentlichen Beeinträchtigungen zu verlangen, insofern würden geringere Anforderungen gestellt, als bei einem Anspruch aus § 906 Abs. 2 BGB.
Während der Anspruch auf Rückschnitt aus § 910 BGB nur solche Beeinträchtigungen umfasst, die unmittelbar von den Ästen ausgehen, werden mittelbare Beeinträchtigungen, wie etwa herunterfallendes Laub oder Früchte von § 906 Abs. 2 BGB erfasst. Dieser setzt im Gegensatz zu § 910 BGB allerdings eine Wesentlichkeit der Beeinträchtigung voraus. Eine Verjährung des Anspruchs aus § 910 BGB sah an das Landgericht Krefeld nicht, denn das Wachstum eines Baumes sei eine Dauerhandlung. Damit setzt sich das Landgericht Krefeld allerdings in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser nimmt in ständiger Rechtsprechung eine Verjährbarkeit an, billigt dem Nachbarn aber zu, auf eigene Kosten sein Selbstvornahmerecht aus § 906 BGB auszuüben.
In einem weiteren Urteil vom 15.02.2008 Aktenzeichen 6 S 92/17 hat das Landgericht Kleve einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Kostenerstattung für das Abschneiden herüberragender Zweige abgelehnt, da der Grundstückseigentümer dem Nachbarn zuvor keine Frist nach § 910 Abs. 1 Satz 2 BGB gesetzt hatte. Die Besonderheit in diesem Falle lag darin, dass der Kläger lediglich Mieter des Grundstücks war, auf das die Zweige überwuchsen, nicht jedoch Eigentümer. Möchte der Mieter einen Anspruch aus § 910 BGB ausüben, benötigt er eine Vollmacht des Grundstückeigentümers. Diese konnte er nicht nachweisen.
Mit Urteil vom 08.02.2018, Aktenzeichen 5 U 109/16 hat das OLG Brandenburg entschieden, dass bei der Ausübung des Selbsthilferechts aus § 910 BGB Vorsicht geboten ist. Es sei nicht mit der Beauftragung einer Fachfirma getan, sondern es sei auch zu ermitteln, ob der Rückschnitt mit dem Risiko einer erheblichen Beschädigung für ältere Bäume behaftet sei. Hierzu könne es erforderlich sein, sich eines Sachverständigen zu bedienen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn es um einen erheblichen Eingriff in die Baumkronen eines alten Baumbestandes gehe. Der Grundstückseigentümer, der sein Recht aus § 910 ausübe, müsse sich vergewissern, dass der Rückschnitt keine Beschädigung der Bäume hervorrufe.
Die zitierten Urteile zeigen, dass bei der Ausübung des Selbsthilferechts aus § 910 BGB über die Sicherstellung der tatbestandlichen Voraussetzungen hinaus Überlegungen anzustellen sind, denn Reichweite und Auswirkungen des Selbsthilferechts sind sorgfältig zu prüfen.
Dr. Normen Crass, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main.