Baumalterung
Methusalem-Bäume: Warum werden manche Arten 1000 Jahre alt?
Phasen der Baumalterung mit ihren Prozessen
Seit es Nationalerbe-Bäume gibt, ist eine häufig gestellte Frage: Wie schaffen diese Baumarten und Bäume das, gibt es womöglich ein "Rezept fürs Altwerden" dieser Methusalems?
Bäume altern auf ganz andere Weise als Menschen und die meisten Tiere. Dadurch, dass sie im Optimal- und Regelfall jedes Jahr neue Blätter, neue Triebe, neue Wurzeln und neue Jahrringe entwickeln, gibt es immer junge Gewebe, die noch nicht einmal ein Jahr alt sind. Diese ständige lokale Verjüngung an allen Organen ist der Grund dafür, dass selbst Bäume mit einem Alter von 1000 Jahren noch ganz junge einjährige Organe und Gewebe aufweisen müssen, die so lange weiterleben, sich teilen, wachsen und verjüngen, wie ihre Wasser-, Nährstoff- und Zuckerversorgung (bei Blättern auch ihre Belichtung) sichergestellt ist. Das kann schließlich auch nur noch bei einem Teil des ursprünglichen Baumes funktionieren, muss aber fortlaufend erfolgen mit einer maximalen Unterbrechung von ein bis zwei Jahren. Sonst sterben die betroffenen Stamm- oder Kronenteile, Triebe, Wurzeln und Zucker-Leitbahnen ab, oder Leitbahnen werden funktionslos.
Es gibt in Deutschland viele eindrucksvolle Geschichten zum Baumalter mit Aufrundungen auf durchaus 1000 Jahre von 700, 500 oder sogar von 400 Jahre alten Bäumen, besonders wenn es um den ältesten Baum Deutschlands geht, der noch einen einzelnen Stamm oder zumindest an der Basis noch miteinander verbundene originale Stammreste aufweist. Leider hat bei erfolgter Überprüfung dieser Altersangaben an sehr vielen "1000-jährigen" Eichen, Linden oder Eiben keiner tatsächlich belegbar ein solches Alter aufgewiesen, und es gibt daher hierzulande möglicherweise keinen glaubhaft belegten über 1000 Jahre alten Baum mehr (Roloff 2021).
Es geht in dieser Abhandlung im Folgenden um die sog. langlebigen Baumarten (Roloff/DDG 2022), und dabei speziell um die "Methusalem-Bäume" mit 400 bis 1000 Jahren Lebenserwartung: Neben den anfangs genannten auch beispielsweise Flatter-Ulme, Ginkgo, Platane, Riesenmammutbaum (im Gebirge auch Berg-Ahorn und Weiß-Tanne).
Die langlebigen Baumarten müssen über ein sehr ausgeprägtes und erfolgreiches Reaktions-, Überwallungs- und Kompartimentierungs-Vermögen verfügen (u .a. CODIT-Prinzip: Dujesiefken & Liese 2022), damit sie 1000 Jahre alt werden können. Zudem gehören spätestens ab einem Baumalter von 200–400 Jahren (Stadium V in Abb. 2) Absterbeprozesse mit zur Überlebensstrategie vieler Bäume, in deren Verlauf die Kronen meist sukzessive kleiner und somit die Transportwege für Wasser und Nährstoffe von den Wurzeln zu den Blättern und für die Zuckerlösung von den Blättern zu den Wurzeln verkürzt werden (Stadien V-IX). Nach dramatischen Ereignissen kann bei wieder günstigen nachfolgenden Bedingungen auch ein Neuaufbau einer Sekundärkrone weiter unten erfolgen (Abb. 3). Die Vielfalt der Abläufe ist enorm und lässt sich schwer schematisieren beziehungsweise festgelegten Teilschritten beschreiben.
Die ursprünglich lineare Verlaufsdarstellung wurde daher neu aktualisiert (Abb. 2) für ein mögliches Überspringen einzelner Stadien (zusätzliche orange Pfeile) oder eine Rückkehr zu früheren Stadien (zusätzliche grüne Pfeile).
Welche "Strategien" für das Erreichen eines hohen Alters gibt es?
- Beseitigung durch Menschen beispielsweise wegen Verkehrssicherungspflicht, Belästigungen, Kosten oder Sorgen;
- zu extremer Wasser-, Zucker- oder Lichtmangel-Situationen;
- tödlicher Schädlinge oder Krankheiten;
- extremer Witterungsereignisse (bspw. wiederholt Eisanhang, Stürme);
- zu schnellen Wachstums (dies kann prinzipiell nicht 500 Jahre und länger anhalten);
- zu krasser Standortsprobleme: beispielsweise Felsen, Versiegelung, Verdichtung, Erosion, Vernässung;
- Baumaßnahmen, Beschädigung;
- geringer Fähigkeit zur Kompartimentierung (Abschottung);
- falscher oder zu viel beziehungsweise nicht fachgerechter Baumpflege;
- unterbliebener Sicherungsmaßnahmen, so dass der Baum auseinanderbricht.
Für das Erreichen eines hohen Alters sind zunächst die Gründe interessant, warum viele (sogar die allermeisten) Bäume kein Alter von 500 Jahren erreichen – nämlich irgendwann bereits im Laufe der ersten Jahrzehnte oder Jahrhunderte absterben infolge:
Voraussetzung für ein hohes Lebensalter sog. langlebiger Baumarten ist zunächst eine ununterbrochen ausreichende Pilz-, Schädlings- und Problem-Hemmung, -Beseitigung und -Bekämpfung, vor allem durch eine gute beziehungsweise effektive Kompartimentierung (Dujesiefken & Liese 2022).
Ein kühler Standort kann vorteilhaft sein (bspw. im Gebirge oder in einem schattigen Tal), ebenso ein langsames Wachstum (bei Eiben und Wacholder immer gegeben, im Gebirge über 800 m Höhenlage auch bei Lärche, Berg-Ahorn, Weiß-Tanne, Zirbe).
Zudem gibt es einige entscheidende anthropogene förderliche Ursachen für ein langes Baumleben – beispielsweise Standorte auf Friedhöfen direkt an Kirchen, auf Dorfplätzen oder Gerichts-/Thingstätten (Abb. 4), in Parkanlagen und großen Gärten sowie als Grenzbäume.
Es fällt auf, dass von den genannten etwa zehn langlebigen Baumarten ungefähr die Hälfte Nacktsamer/Nadelbäume sind, mit ihrer speziell auf Sicherheit getrimmten Holzanatomie (insbesondere Eibe, Binder 2023) und an Trockenstress angepasster Blattanatomie.
Nach umfangeichen eigenen Untersuchungen an und Recherchen zu Uraltbäumen konnten nun folgende bedeutsame "Strategien" für das Erreichen eines hohen Lebensalters herausgefiltert werden:
- Pilzhemmung durch Kernholz (z. B. Lärche), "Austricksen" von Schädlingen/Schäden durch Johannistriebe (z. B. bei Eiche) oder immergrüne Nadeln (z. B. Eibe);
- enormes Reaktionspotenzial durch Reparieren, Austreiben (Reiterationen), Anbauen und Innenwurzeln: beispielsweise bei Berg-Ahorn, Ess-Kastanie, Linden (Abb. 5); durch Absprünge: bei Eichen;
- sehr gute Kompartimentierung: beispielsweise bei Eibe, Eichen, Linden, Platane;
- Bildung möglichst dicker Borke als Schutz vor Beschädigung und Überhitzung der lebenden Stammgewebe (besonders ausgeprägt zum Beispiel bei Riesenmammutbaum und Lärche);
- Embolieresistenz oder -toleranz (Verhinderung und/oder Reparatur von Lufteintritt in Wasserleitbahnen): bei Nadelbäumen und zerstreutporigen Laubbäumen;
- dominanter Wipfel mit Vorwüchsigkeit, um den Anschluss ans Licht zu halten: beispielsweise bei Lärche, Tanne, Riesenmammutbaum (dadurch Kronenrückzug allerdings schwieriger), oder gerade umgekehrt hohe Schattentoleranz möglichst bis ins Alter, beispielsweise bei Eibe, Linde;
- Pfahlwurzelpotenzial bis in höheres Alter zur besseren Verankerung und Wasserversorgung: beispielsweise Eichen, Ginkgo, Lärche;
- langsames Wachstum: damit weniger Ressourcenverbrauch und weniger Probleme mit einer großen Baumhöhe: besonders ausgeprägt bei Eibe;
- hohe Holzdichte für höhere Festigkeit, beispielsweise bei Eiche.
Solche Strategie-Merkmale sollen in nachfolgender Übersichtstabelle 1 detailliert dargestellt und bewertet werden (für Baumarten der gemäßigten Zone, bei denen ausreichend umfangreiche Erfahrungen, Untersuchungen und Erfassungen vorliegen).
Daraus ergibt sich tatsächlich eine recht schlüssige Herleitung des Potenzials zunehmender Lebenserwartung: Wie man in der Tabelle in den beiden unteren Zeilen erkennt, stimmen hohe "Punktzahlen" (Summe +++) sehr gut mit höherer Lebenserwartung überein. Allerdings zeigt diese Übersicht auch eindrucksvoll, dass sich die hohe Lebenserwartung nicht mit nur wenigen einzelnen, zwingend notwendigen Eigenschaften erklären lässt, die erfüllt sein müssen, sondern im Gegenteil dies nur durch eine Kombination möglichst vieler der in der Tabelle genannten Eigenschaften möglich wird. Diese Erkenntnis ist neu und schließt sehr gut nachvollziehbar bestehende Kenntnislücken beim Verständnis der Baumalterung. So sind danach ein ausgeprägtes Kompartimentierungs- und Reiterations-Potenzial Zwangsvoraussetzungen für ein hohes Alter, können aber definitiv nicht alleine eine hohe Lebenserwartung erklären.
Sehr faszinierend an der Tabelle ist: Die drei ältesten Baumarten sind eine ringporige (Eiche), eine zerstreutporige (Linde) und ein Nadelholz (Eibe), und diese drei Holztypen sind auch insgesamt mit jeweils mehreren langlebigen Baumarten unter den zehn Kandidaten vertreten: vier Nadelhölzer, drei Zerstreutporer und drei Ringporige. Es gibt also bei der Holzanatomie keinen Favoriten, was sicher verbreiteten Erwartungen widerspricht und zeigt, dass das Ziel Langlebigkeit prinzipiell mit jeder Holzanatomie erreichbar ist. Und diese "Ersetzbarkeit" gilt auch für viele der anderen genannten Eigenschaften. Umgekehrt können aber auch viele dieser Eigenschaften gegeben sein, und trotzdem erreicht eine Baumart hier wegen eines Ausschlussfaktors kein hohes Alter: So würde der Olivenbaum (Olea europaea) danach 16(!) Punkte erreichen, hat aber in Mitteleuropa nicht die nötige Winterhärte.
Und etliche einheimische Baumarten haben ebenfalls viele der genannten Eigenschaften (z. B. Rot-Buche), aber ihnen fehlt für das Erreichen der hohen Lebenserwartung eine dicke Borke als Schutz. Diese ist bei allen sehr alt werdenden Baumarten gegeben und daher in der Tabelle nicht aufgeführt. Es gibt natürlich auch noch weitere, beispielsweise physiologische Eigenschaften, die sich nicht so einfach erfassen und bewerten lassen wie die genannten Parameter in der Tabelle und in der Auflistung der "Strategien" davor.
Resümee
Nach den dargelegten Ausführungen ist hierzulande durchaus erheblich mehr Ehrfurcht gegenüber Baumveteranen angebracht und wünschenswert. Beispielsweise kann ggf. dafür auch die lokale Verlegung einer Straße sinnvoll werden, um einen herausragenden Altbaum in Würde schützen zu können und ihn nicht für die Herstellung der Verkehrssicherungspflicht in und an technischen Konstruktionen einzwängen und aufhängen zu müssen, welches die Baumwirkung und seine Alterswürde erheblich beeinträchtigen oder sogar zunichtemachen kann (Abb.6).
Die meisten Baumarten benötigen zum Erreichen eines höheren Lebensalters dann schließlich eine freie, unbeschattete Krone. Dies ist bei Solitären auf Dorf- und Thingplätzen, Friedhöfen oder in Parks/Gärten sowie bei früheren Grenzbäumen meist automatisch gegeben, im Wald dagegen eher selten und erfordert dort den weiten Blick in die Zukunft bei vielen Förstergenerationen – der ja eigentlich bei Forstpraktikerinnen und Frostpraktikern sowieso vorhanden ist (Abb. 7). Aber dies über mehrere Jahrhunderte zu beachten, ist natürlich eine große Herausforderung.
Das Altwerden von langlebigen Baumarten kann entscheidend durch Maßnahmen der Konkurrenzsteuerung und Baumpflege befördert oder gehemmt werden, hierbei sind also Baumverantwortliche und -fachleute gefordert:
- rechtzeitige (vorsichtige) Freistellung beziehungsweise Zurücknahme von Lichtkonkurrenten (Abb. 7),
- behutsame Einkürzung "kopflastiger" Äste und Kronenteile (nach FLL 2017; s.a. Unger 2022, Weiß 2019a),
- Begleitung des natürlichen Kronenrückzugs ("Retrenchment pruning"), angemessene Reduktion der Baumhöhe (nach FLL 2017, Dujesiefken 2016, Farjon 2017, Fay 2015, Klug 2021, Stobbe et al. 2020),
- Ständervereinzelung nach Kroneneinkürzungen (Weiß 2019a),
- behutsamer Einbau von Kronensicherungen auf dem Stand des Wissens/der Technik und unter Beachtung der Ästhetik von Uraltbäumen (Klug 2021, Weiß 2019b).
Alle diese Kenntnisse und Maßnahmen werden beim Ernennen von Nationalerbe-Bäumen umgesetzt, um die ausgewählten Veteranen langfristig als Kultur- und Naturerbe zu bewahren und ihnen ein Altern in Würde zu ermöglichen. Dabei kann dann irgendwann (ggf. auch plötzlich und unerwartet) trotzdem ein Absterben mit zum Lebenszyklus gehören, und dieser wird evtl. durch ein erneutes Austreiben aus dem Stock fortgesetzt. Dann sind allerdings diese Wiederaustriebe nicht bereits 1000 Jahre alt …
LITERATUR ZUM THEMA
- Bartels, H. (1993): Gehölzkunde. Ulmer, Stuttgart: 336 S.
- Binder, M. (2023): Ökophysiologische Untersuchungen an Gemeiner Eine (Taxus baccata L.) und Stechpalme (Ilex aquifolium L.) und daraus folgende Bewertung waldbaulicher Förderungs- und Erhaltungsmaßnahmen. Diss. Forstbotanik, TU Dresden: 178 S.
- Dujesiefken, D. (2016): Maintenance of mature trees. In: D. Dujesiefken, N. Fay, J.-W. de Groot, N. de Berker: Trees – a Lifespan Approach. Fundacja EkoRozwoju, Wroclaw (PL): 83–102.
- Dujesiefken, D., Liese (2022): Das CODIT-Prinzip – Baumbiologie und Baumpflege. Haymarket Media, Braunschweig: 224 S.
- Farjon, A. (2017): Ancient Oaks in the English Landscape. Royal Botanic Gardens Kew, Surrey (UK): 348 S.
- Fay, N. (2015): Der richtige Umgang mit uralten Bäumen – Archebäume und Baumveteranen. Jahrbuch Baumpflege 2015: 181–197.
- FLL (Hrsg.) (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Baumpflege, „ZTV-Baumpflege“. Forschungsgesellschaft Landschaftsent- wicklung Landschaftsbau e. V., Bonn: 82 S.
- Klug, P. (2021): Praxis Baumpflege – Kronenschnitt an Bäumen. Arbus, Gam- melshausen: 236 S.
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- Roloff, A. (2021): Baumveteranen – Die Frage des Alter(n)s. BaumZtg. 01: 36– 39.
- Roloff, A., DDG (2022): Nationalerbe-Bäume. Eigenverlag Forstbotanik TU Dres- den, Tharandt. [kostenloser Download unter www.nationaerbe-baeume.de]. Roloff, A.; Weisgerber, H.; Lang, U.; Stimm, B. (2021): Enzyklopädie der Holz- gewächse. Wiley VCH, Weinheim: 5.445 S.
- Stobbe, H.; Kowol, T.; Jaskula, P.; Wilstermann, D.; Düsterdick, S.; Wilm, P.; Vogel, T.; Dujesiefken, D. (2020): Verkehrssicherheit und Baumkontrolle. Haymarket Media, Braunschweig: 198 S.
- Unger, J. (2022): Pflege des ersten Nationalerbe-Baumes Heeder Linde. Forst- wiss. Beitr. Tharandt Beiheft 23: 112–122.
- Wagenführ, R. (2007): Holzatlas. Fachbuchverlag Leipzig: 816 S.
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- Weiß, H. 2019b: Fachgerechte Sicherung bruchgefährdeter Bäume und Baumteile. In: A. Roloff (Hrsg.): Baumpflege. 3. Aufl. E. Ulmer, Stuttgart: 233–250. www.nationalerbe-baeume.de: Nationalerbe-Bäume Deutschlands. [Zugriff 15.05.2023].