Die Wirkungskomponenten der Therapie sind noch nicht geklärt
"Gartentherapie" und nicht "Pflanzen streicheln" - eine Streitschrift
von: M. Sc. Nora Johanna HuxmannDass der Garten in der Gartentherapie eine wichtige Rolle einnimmt, scheint unbestritten. Dennoch wird er in deutschsprachigen Gartentherapiedefinitionen selten erwähnt und selbst wenn er Erwähnung findet, nicht als essentieller Bestandteil des Therapiesettings verortet (vgl. Schneiter-Ulmann 2010: 24).1 Dies verwundert besonders, da die Gartentherapie in Deutschland vor allem auch von gärtnerischer Seite "entdeckt" und gefördert wurde, die sich in Debatten zur Qualität aber in der Regel dem medizinischen Urteil weitgehend unterwirft, ohne dabei den eigenen Sachverstand ernst zu nehmen oder ernsthaft zu vertreten (vgl. beispielsweise Huxmann 2012:21 zu FLL 2011).
Entsprechend träge erscheint die selbsternannte Profession, wenn es um die Begründung therapeutischer Wirksamkeit des Gartens und der darin ausgeübten gärtnerischen Tätigkeit geht. Während vereinzelte Studien eine medizinische Wirksamkeit einer Gartentherapie für bestimmte Zielgruppen grundsätzlich zu belegen scheinen (vgl. Aeschlimann et al. 2012), kann die Frage nach den Wirkungskomponenten weiterhin nicht beantwortet werden. Man beruft sich an dieser Stelle gerne auf Theorien aus der Evolutionspsychologie - so die Biophiliehypothese nach Wilson/Kellert (1993) oder die Savannentheorie (Kanazawa 2004) - oder auf Kaplan und Kaplans Attention-Restoration-Theory (1989). Diese Konzepte, die sich auf eine generelle Naturaffinität des Menschen, auf die Präferenz bestimmter Landschaften und auf deren Erholungswirkung beziehen, können dabei jedoch scheinbar nicht sinnvoll auf den Garten übertragen werden.2 Dass einige der benannten Theorien dabei nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen, der sie entstammen (so Biophilie und bes. Savannentheorie, vgl. Trepl 2012), ist dabei nur ein Teil des Problems.3 Vielmehr geht der von einigen Autoren der Gartentherapieliteratur durchaus erkannte Wert des Gartens als Ort der Kultur verloren, in dem es also nicht um eine reine Naturbegegnung, sondern auch um eine Mediation dieser durch kulturelle Tätigkeit des Patienten im basalen Sinne einer Horti-Kultur geht (vgl. bspw. Niepel/Emmrich 2005: 13).
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Ansätze zur genaueren Erforschung des Gartens im Sinne eines "Evidence-based Design" aus dem US-amerikanischen Raum (vgl. Marcus/Sachs 2014) bleiben bei aller Ausführlichkeit tatsächliche Nachweise oft schuldig - benennen vielmehr in der Regel ebenso Einzelmeinungen und Beispielprojekte wie gartentherapeutisch engagierte Planer im deutschsprachigen Raum. Ähnliche Forschungsvorhaben aus Skandinavien, vor allem am Alnarp Campus der Swedish University of Agricultural Sciences (vgl. Stigsdotter 2005; Ivarsson 2011), bleiben Einzelfälle und somit als Untersuchungsergebnisse nicht repräsentativ.
Fest steht, dass der Garten als Setting der Gartentherapie funktionale Aspekte erfüllen muss, die ihn als Behandlungsraum qualifizieren. Diese sind je nach zu behandelnden Patienten unterschiedlich und müssen auf die Art der therapeutischen Nutzung abgestimmt sein. Der Bedeutungsgehalt des Gartens aber und damit seine psychologische Heilswirkung - wie durchweg von Autoren zur Gartentherapie angenommen - ist schwieriger zu quantifizieren und muss - dringend! - genauer untersucht werden, um belastbare Aussagen zu erhalten. Dem Garten dabei seinen Stellenwert im Setting abzuerkennen, indem eine Begrenzung auf die Natur an sich stattfindet, die in diesem Zusammenhang in jeder einzelnen Pflanze und damit auch im Innenraum zu finden scheint, ist dafür keine Lösung.
Existierende Therapiegärten, wie sie im Klinikalltag ihren Nutzen schon seit einiger Zeit bewiesen haben, müssen daher untersucht und verglichen werden, um verallgemeinerbare Daten zu therapeutischen Gärten - umfassend wie zielgruppenspezifisch - zu erhalten. Die Methoden müssen dabei interdisziplinär Zugänge aus verschiedenen Professionen abbilden, so der Planung (zur Abbildung räumlicher Qualitäten), der Pflanzensoziologie (zur Erfassung der Vegetation, ihrer Nutzung und Pflege) wie auch Psychologie und Sozialwissenschaften (zur Analyse der Wahrnehmung des Gartens von Patient und Therapeut). Im Abgleich mit Studien zur Wirksamkeit der Gartentherapie könnten so erste Ergebnisse erzielt werden, die der Gartentherapie im Wortsinn tatsächlich gerecht werden.
Anmerkungen
¹ In diesem Zusammenhang erscheint relevant, dass im englisch-amerikanischen Sprachraum grundsätzlich nicht von Gartentherapie, sondern von "Horticultural Therapy" (US) oder "Social and Therapeutic Horticulture" gesprochen wird - beides nimmt Bezug zu Gartenbau bzw. gärtnerischer Tätigkeit, nicht aber zum Garten, obwohl dieser i. d. R. zur Ausübung dieser Therapieform empfohlen wird (vgl. Hazen 2014: 250 f.).
² Auch das in diesem Zusammenhang oft bemühte Salutogenese-Model bietet keinen grundlegenden Erklärungsansatz, erläutert vielmehr ergänzend das der Intervention zugrundeliegende Verständnis von Gesundheit, ohne dabei jedoch verlässliche Aussagen über Ursachenzusammenhänge zu erlauben (vgl. Bengel/Strittmacher/Willmann 2001: 87).
³ Außerdem wird in diesem Zusammenhang oft übersehen, dass Studien zu Naturerholung häufig nicht in Natur oder Landschaft durchgeführt werden, sondern sich computergenerierter Bilder bedienen (vgl. Ziesenitz 2009: 32). Im Zusammenhang mit der in der Gartentherapie betonten vielfältigen sinnlichen Stimulation erscheint schon allein aus diesem Grunde ein Vergleich zum Garten als Setting der Therapie schwierig.