Forschungsschwerpunkt städtische Freizeitgärten

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Kriegsveteranengarten bei Poznan. Foto: Yvonne Christ
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Feldbegehung in Dortmund im März 2013. Foto: Nazila Keshavarz

Forschende aus 30 europäischen Ländern untersuchen von Oktober 2012 bis Oktober 2016 erstmals gemeinsam die Relevanz und die Potenziale von europäischen Kleingärten aus verschiedenen Perspektiven. Der Artikel bietet Einblick in die laufende Arbeit.

Eine der ältesten Plattformen für europäische Forschungskooperation (COST - European Cooperation in Science and Technology) existiert seit 1971.1 Jährlich werden mehrere eingereichte Forschungs-Programme via COST finanziert, um den länderübergreifenden Wissensaustausch voranzutreiben. Eine Gruppe initiativer ForscherInnen aus dem Bereich Städteplanung und Gründflächenmanagement hat erfolgreich die COST-Action "TU1201 Urban Allotment Gardens in European Cities - Future, Challenges and Lessons Learned" eingereicht und arbeitet seither daran, ausgesuchte Freizeitgärten (vor allem Familien-, Klein- und Schrebergärten, aber auch Gemeinschafts- und Interkulturelle Gärten) nach wissenschaftlichen Kriterien zu untersuchen. Unter dem Vorsitz von Runrid Fox-Kamper (ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Dortmund) und ihrem Vize Prof. Simon Bell (Estonian University of Life Sciences Tartu) entwickelt sich eine rege europäische Kooperation.2

Mehrere Vernetzungs-Treffen der Forschenden fanden bisher statt. Zuerst in Dortmund, danach in Poznan, Riga und Lissabon stellten sich Forscherinnen und Forscher gegenseitig ihre national durchgeführten Arbeiten vor, und diskutieren über die Vorgehensweisen und die angestrebten Resultate. Ein besseres Verständnis für förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen rund um Freizeitgärten (Allotment Gardens) soll durch diese COST Aktion "TU1201" entstehen. Die kurzen gemeinsamen Zeitfenster der Treffen wurden zudem genutzt, um in vier Arbeitsgruppen die inhaltliche Planung eines Allotment-Garden-Handbuches3zu erarbeiten. Diese Publikation soll nach der Beendigung der COST-Aktion als Hilfestellung für Entscheidungstragende dienen, indem es Datengrundlagen zur Situation der verschiedenen Freizeitgärten liefert. Diese werden in der Forschungsperiode laufend erarbeitet. Weiter fließen Empfehlungen und Fallbeispiele aus den 30 beteiligten Ländern ein. Trotz ähnlicher Nutzung weisen Freizeitgärten vielfältige Charaktere auf, sowohl im lokalen wie auch im nationalen Vergleich. Dies macht sie im europäischen Kontext zu einem interessanten Forschungsgegenstand.

Großer Nutzen

Es ist schon lange bekannt, dass Gartenareale als wichtige Erholungs- und Anbauflächen für Jung und Alt dienen. Die Gemeinschaftsflächen tragen zur Gesundheit der Gartenbetreibenden und ihrer Nachbarschaft bei. Sie bereichern die Biodiversität in den Agglomerationen. Der grüne Freiraum leistet durch die Möglichkeit der Begegnung einen großen Beitrag zur Integration von Immigranten. Kinder erleben im Kleingarten die Natur hautnah und erlernen den respektvollen Umgang mit Tieren und Pflanzen. Kurz: das nichtkommerzielle Hobby Gärtnern deckt Bedürfnisse aus allen Generationen und aus vielen Bevölkerungsschichten ab. Umfangreiche Ökosystem-Leistungen ("ecosystem services"4) kommen der Allgemeinheit zu Gute. Die Flächen sollen darum in Zukunft sinnvoll in die Stadtplanung integriert werden können, denn ihr Beitrag an das Gemeinwohl ist groß.

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Das Logo des COST TU1202. Abb.: Mit freundlicher Genehmigung des OST TU1202
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Doktoranden-Meeting in Salzburg September 2014. Foto: Nazila Keshavarz

Multifunktionalität der Kleingärten

Der zunehmende Verdichtungsdruck in Ballungszentren bedroht langjährige Freizeitgärten in ihrer Existenz oder verdrängt sie an den Rand der Städte. Innerstädtische Brachflächen werden zeitgemäß als temporäre Freizeitgärten angenommen und mit Liebe gepflegt, bis der Bagger auffährt. Trotz der vielen Vorteile, die städtische nicht-private Gartenflächen mit sich bringen, wurden sie in der Forschung bisher eher stiefmütterlich behandelt.

Aktuell arbeiten die vier Arbeitsgruppen (AG Stadtentwicklung, AG Soziologie, AG Ökologie, AG Stadtplanung) im Rahmen ihrer laufenden Projekte und darüber hinaus auch auf das nächste Treffen hin, das im Frühjahr 2015 auf Zypern stattfinden wird (19.-21.3. in Nicosia). Die Aufteilung in vier thematische Schwerpunkte (sie entsprechen den Arbeitsgruppen) wurde durch die Komplexität des Themas nötig und hat sich gut bewährt. In einem Zeitraum von mehreren Jahren gibt es zwar personelle Wechsel; das Kernteam (Management Komitee) steuert aber einen bewundernswert stabilen Kurs durch die vielschichtige Thematik.

Thematische Schwerpunkte

Die Arbeitsgruppe 1 der COST-Action "TU1201 AG Policy and Urban Development" widmet sich der übergeordneten Perspektive auf die Freizeitgärten. Sie arbeitet als steuernde Planungsgruppe und koordiniert die Aktivitäten. Die beteiligten Forschenden streichen zudem Konfliktpotenziale und Herausforderungen für die Gärten heraus, die sich wiederholt im planerischen Kontext ausgewirkt haben und sich voraussichtlich auch in Zukunft auswirken werden. Ein erster Einblick in die rechtliche Situation der Freizeitgärten in Europa zeigt sehr unterschiedliche Regelungen:5

Während in England erste Gesetzestexte schon früh erwähnt (Allotments Acts 1922) und laufend angepasst wurden, gibt es in neueren Staaten wie Kroatien, Serbien, oder den baltischen Staaten Estland und Lettland keine solchen Grundlagen. Aktuell existieren in Litauen seit 2003, in Polen und in einzelnen Landesregionen (zum Beispiel Kanton Basel/Schweiz) seit 2012 neue Gesetze. Weitere Schweizer Kantone und größere Schweizer Städte erließen eigene Regelwerke. In Malta entstand der erste Kleingarten im Jahr 2011 unter dem Patronat des Umweltministeriums.6 Jedermann konnte sich via Internet dafür bewerben, nach dem Motto: "first come - first served!" Für die ausgeschriebenen 50 Parzellen gibt es (noch) keine spezifischen rechtlichen Vorgaben.

Deutschland mit einer etablierten Betriebskultur unterscheidet differenziert: Kleingärten (meist aus Schrebergärten entstandene Flächen) unterstehen dem Bundeskleingartengesetz. Für verschiedenste Formen von Gemeinschaftsgärten (Internationale-, Interkulturelle-, Generationen- und Nachbarschafts- sowie Kiez-Gärten werden dagegen keine allgemein gültigen Regelungen aufgeführt. Diese Gärten werden zum Beispiel im "Baurecht auf Zeit", durch städtebauliche Verträge oder privatrechtliche Miete oder Pacht ermöglicht. Auch Pflegeverträge oder Patenschaften für Gartenflächen sind üblich.

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Gemüseanbau im Kriegsveteranengarten bei Pozna?. Foto: Yvonne Christ
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Urban Gardening in Pozna?. Foto: Yvonne Christ

Nahrungsmittelproduktion

Das Thema der Nahrungsmittelproduktion zieht sich wie ein roter Faden durch alle nationalen Regelwerke. Meist sind weitere Freizeitnutzungen neben der klassischen Gemüseproduktion auf den Flächen erlaubt, oder jedenfalls nicht explizit verboten. Trotzdem liegt die produktive Verwendung der Flächen auf der Hand, wenn es um Allotment Gardens geht. Länder, welche schon seit vielen Jahrzehnten Gärten betreiben, stellten die Flächen früher wirtschaftlich schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen zur Verfügung, damit sich diese besser ernähren konnten. Auch heute ist ein ökonomisch-produktiver Fokus wichtig: In Spanien und Portugal werden Kleingärten vielerorts aus wirtschaftlicher Not betrieben. In anderen südlichen Gebieten wie zum Beispiel Griechenland haben offene Pflanzflächen in der jüngsten Geschichte eine ganz neue Dimension und Wichtigkeit für das (Über-)Leben von Familien und Alleinstehenden erhalten. Die Gärten sichern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Zugang zu Grundnahrungsmitteln.

Im Norden Europas geht es dagegen bei innerstädtischen Initiativen oft um den Garten als Begegnungs- und Erfahrungsraum, das heißt, die Flächen dienen als sozio-ökologisch animierte Plattform. Eine Abgrenzung zu Urban Gardening machen zu wollen, ist hier weder nötig noch sinnvoll. Die Grenzen sind fließend, ebenso verschieben sich die Begrifflichkeiten und beteiligten Akteure laufend. So hat eine eigentliche Gartenbewegung in den Städten in den letzten Jahren überraschende Seitenableger gebildet. Ehemalige "Hippster"7 zelebrieren heute mit ihren Familien die Kunst des Gärtnerns (oder was sie dafür halten). Gärtnern ist plötzlich ein neuer Luxus: erfolgreiche, gut situierte Berufstätige finden Raum und Zeit, sich dem eigenen Gemüse zu widmen! Beweggründe sind dabei nicht ökonomische Überlegungen. Vielleicht kehren hier Städter zu ihren Wurzeln zurück? Studien zeigen, dass das Interesse am Garten bei Personen, die früh in der Jugend Kontakt zu Naturerfahrungen hatten, größer ist als bei Personen, die keinen oder kaum Kontakt mit Naturräumen erlebten.8

Die zweite Arbeitsgruppe (AG Sociology) widmet sich vor allem sozialen Aspekten. Dementsprechend untersuchen Soziologen, Städteplaner, Landschaftsarchitekten und Geographen Gründe und Hindernisse für den Erhalt von Gartenarealen. Interessant scheint dabei die Frage nach der Wichtigkeit der Gärten für persönliche und lokale Identität. Der "ethnologisch-kulturelle Blickwinkel für den sozialen (Zusatz-)Nutzen" von Kleingärten verlangt nach interdisziplinärer Kooperation. Der Freizeitgarten ist ein Ort, in dem Generationen, ihre Werthaltungen und Einstellungen aufeinander treffen. Zum Beispiel in der Schweiz steht innerhalb der Verbands- und Vereinsvorstände ein großer Umbruch bevor. Viele der engagierten Personen haben das Pensionsalter schon länger überschritten. Ihre Vorstellungen davon, was in einem Freizeitgarten geschehen soll oder nicht, decken sich nur beschränkt mit den nachfolgenden, oft zwei Generationen jüngeren Garten-Pachtenden. Es könnte eine große Chance sein, einen solchen Generationensprung im Familiengartenwesen konstruktiv und aktiv anzugehen. Gleichzeitig birgt der große personelle Wechsel heute die Gefahr, dass sich zu wenig neue Personen für die größtenteils ehrenamtliche Arbeit engagieren. Hier gilt es, zeitgemäße Verbandsstrukturen aufzubauen, die neue Medienkanäle genauso selbstverständlich einbeziehen, wie sie alle anderen Teile des Lebens mittlerweile durchdringen. In der Schweiz steckt der interkulturelle Einbezug von zahlenmäßig stark vertretenen Immigranten für die Verbandsarbeit noch in den Kinderschuhen.

Die Werte und Verbindlichkeiten werden sich weiter entwickeln, und damit auch die Ziele von Freizeitgärten. Klar ist, dass auch in der Verbandsarbeit zunehmend professionelles Wissen nötig ist, um angestrebte Ziele effizient weiter verfolgen und kommunizieren zu können.

Ökologische Aspekte sind der gemeinsame Nenner der dritten Arbeitsgruppe (AG Ecology). Einerseits ähneln sich auf allen Gartenflächen das systemische Zusammenspiel etwa von Bodenbeschaffenheit, Niederschlagsmengen, Düngereintrag oder Saatgutqualität als generelles Modell, andererseits können sich spezifische lokale Gegebenheiten erheblich unterscheiden. Das macht allgemein gültige Aussagen schwierig. Mit Fallstudien soll dieser Komplexität begegnet werden. Besonderes Interesse besteht für biologisch kultivierte Flächen aufgrund der Ressourcen-extensiven und Biodiversität fördernden Anbauformen (einige Stichworte: gezielte Bewässerung mit teilweise geschlossenen Wasserkreisläufen, Retentions- und Sickerflächen, Gründüngung, Mulchwirtschaft, Nützlingszucht, schonende Bodenbearbeitung, Saatgut-Tauschbörsen, Art-Erhaltungs-Programme und wegfallende Transportwege).

In der AG Ökologie wird weiter der Aspekt der Vermittlung von Umweltwissen bei den FreizeitgärtnerInnen thematisiert. Ihr Wissen und Können übt großen Einfluss auf die Anbaupraxis aus. Das Angebot an zielgruppenspezifischer Umweltbildung zu ökologischen Zusammenhängen ist in den beteiligten Ländern sehr unterschiedlich ausgebaut. Sie wird in einigen Ländern unkoordiniert bearbeitet (etwa in der Schweiz). In einigen Teilen Deutschlands gibt es Bemühungen der zahlreichen Familiengartenvereine, umfangreiche und niederschwellig erreichbare Angebote zu schaffen. Finanziert werden die Veranstaltungen über Teilnahmebeiträge, aber auch indirekt über die Einnahmen aus den Flächen (unter anderem Miete/Pacht) oder über Stiftungsgelder. Weiter gibt es kostenlose oder durch Behörden finanzierte Trägerschaften von Veranstaltungsreihen und Kursen.

Die vierte Arbeitsgruppe (AG Urban design) misst Verbreitung und Flächenbelegung der Allotment Gardens und untersucht deren Wirkungen auf den Stadtkörper. Vielerorts waren bisher quantitative Daten noch kaum vorhanden.

Der Zufall (oder war es der Zeitgeist?) will es, dass eine weitere COST-Aktion im selben Zeitraum den Schwerpunkt auf städtische Landwirtschaft legt. 120 Forschende von 61 Universitäten aus 21 Ländern arbeiten in der COST-Aktion "TD1106 Urban Agriculture in Europe".9 Sie befassen sich mit ihrem Fokus mit teilweise überlappenden Flächen wie "TD1201". Bald nach dem Beginn der beiden Forschungsprogramme wurden darum intensive Gespräche aufgenommen, um die Ressourcen gewinnbringend zu koordinieren. Es wurde versucht, Terminologien zu vereinheitlichen, um die weiteren Resultate vergleichbar(er) zu gestalten. Um die Kooperation und Koordination weiter voranzutreiben, fand im Sommer eine "Sommerschool" in Salzburg10 statt und 21.-24. Oktober 2014 folgte die zweite "Training School" mit Nachwuchsforschenden aus beiden Programmen. Die jeweils sehr interdisziplinären Gruppen setzen sich vorwiegend zusammen aus Fachleuten aus Architektur, Städteplanung, Ökonomie, Chemie, Psychologie, Soziologie sowie Fachpersonen aus Umweltberufen, Politik und dem Familiengarten-Verbandswesen.

Die laufende Arbeit wird bei beiden COST-Aktionen auf den Homepages dokumentiert. Durch politische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen verändern sich auch die Freizeitgärtenflächen langsam aber stetig, man kann also auf kommende Entwicklung im urbanen Europa gespannt sein.

Die Webseite des Projektes lautet www.urbanallotments.eu/index.php

Anmerkungen

1 www.cost.eu/participate download 16.10.2014

2 www.urbanallotments.eu/action-in-detail. html download 16.10.2014

3 Arbeitstitel: Urban Gardening in Europe (geplante Erscheinung 2016) Earthscan/Routledge Verlag

4 www.tobewell.eu/costactionoverview/generalbackground/ (download 16.10.2014)

5 Draft COST Action ,TU1201' WG 1 Policy and Urban Development/working document (2014)

6 www.timesofmalta.com/articles/view/ 20110420/local/try-your-hand-at-farming.361507 download 20.10.2014

7 de.wikipedia.org/wiki/Hipster_(21._Jahrhundert) download 20.10.2014

8 Gill, T. (2011): Children and Nature: a quasi-systematic review of the empirical evidence, Publisher London Sustainable Development Commission

9 www.urbanagricultureeurope.la.rwth-aachen.de/download 20.10.2014

10 Bericht einsehbar unter www.urbanallotments.eu/fileadmin/uag/media/Summer_School/COST_report_Salzburg_SumSchool_sept2014.pdf

Dipl.-Ing. (FH) Yvonne Christ
Autorin

Forschungsgruppe Grün und Gesundheit, Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen

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