Frisches Wasser und frischer Fisch vom Dach bis zum Fluss
Roof Water-Farm
von: Angela Million, Anja SteglichNicht sichtbare Wasserflüsse der Stadt stellen eine der größten Herausforderungen des Jahrhunderts dar. Die vorhandenen Wasserver- und -entsorgungssysteme stehen auf dem Prüfstand. Neben der großen Herausforderung einer Instandsetzung und Sanierung steht auch ein weitreichender Umbau von entsorgungsbasierten hin zu nutzungsorientierten, sektorübergreifenden Infrastrukturen an. Diese Umbauaktivitäten werden nicht nur sichtbar und erlebbar sein für städtische Bewohner. Sie bieten auch die Chance, die Potenziale von Abwässern mehr als bisher zu nutzen, indem sie unter anderem in qualitativ sicherer Weise mit der Produktion von Lebensmitteln verbunden werden. Was sich zunächst nach einer großen Innovation und reichlich Technologie anhört, wird bereits in den Nahrungsmittelproduktionspraktiken des globalen Südens (zum Beispiel jahrtausendealte Traditionen der integrierten Aquakultur-Farmwirtschaft in Asien und Südamerika) angewandt. Ob es erfolgreich und in angepasster Form auf europäische Ballungsräume übertragbar ist, soll das Verbundforschungsprojekt ROOF WATER-FARM zeigen.
Der sektorübergreifende Ansatz setzt eine transdisziplinäre Betrachtung voraus, die sich auch in der Zusammensetzung des Konsortiums des Verbundprojektes widerspiegelt:
- Stadtforschung (TU Berlin - Fachgebiet Städtebau und Siedlungsentwicklung des Instituts für Stadt- und Regionalplanung; ZEWK kubus - Kooperationsstelle für Umweltfragen),
- Technologieentwicklung (Fraunhofer Institut UMSICHT, Nolde & Partner),
- Wirtschaft (Terra Urbana Umlandentwicklungsgesellschaft mbH, inter 3 - Institut für Ressourcenmanagement GmbH) sowie
- der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz des Landes Berlin.
In der ROOF WATER-FARM werden frische Nahrungsmittel mittels Hydroponik (wasserbasierte Pflanzenkultivierung) und Aquaponik (kombinierte Fisch- und Pflanzenkultur) im Stadtraum produziert und mit innovativen Methoden der Siedlungswasserwirtschaft - konkret der Grau- und Schwarzwasseraufbereitung sowie der Regenwasserbewirtschaftung entsprechend gängiger Hygiene- und Qualitätsstandards - verbunden.
SUG-Stellenmarkt
Die Innovation des ROOF WATER-FARM Konzeptes ist somit der Ansatz einer multifunktionalen Infrastrukturentwicklung, die Wasserver- und -entsorgung sowie Farmwirtschaft dezentral kombiniert. Die gebäudeintegrierte Kombination von Wasseraufbereitung mit der Fisch- und Pflanzenproduktion ist eine flächen- und ressourcenschonende Stadtgestaltungsstrategie, die häusliche Wasserpotenziale zusammen mit dem Flächenpotenzial von Dächern nutzt und räumliche Teilhabe und Ernährungssicherheit unterstützt.
ROOF WATER-FARM sucht damit nach qualitativ sicheren Alternativen zur Verwendung von Trinkwasser und Kunstdünger und begegnet dem hohen Transport- und Ressourcenaufwand städtischer Nahrungsmittelproduktion und -versorgung mit der Entwicklung lokaler Kreislauftechnologien. Als blau-grüne Infrastrukturen im urbanen, verdichteten Kontext werden Wasserflüsse und Nahrungsproduktionsläufe in der Stadt nach Kreislaufprinzipien gestaltet, so dass frisches Wasser und frische Fische vom Dach bis zum Fließgewässer geerntet werden können.
Frisches Wasser und frische Fische
Ermöglicht werden soll dies durch die Kombination neuer modularer Technologien. Es werden flexible Komponenten blau-grüner Infrastruktur zur integrierten Wasser- und Farmwirtschaft entwickelt und erprobt. Diese Entwicklung von Einzelverfahren und Verfahrenskombinationen ermöglicht eine orts- und nutzerspezifische Anwendbarkeit und zeigt Möglichkeiten der räumlichen Übertragbarkeit auf verschiedene Gebäudetypen und in verschiedene Quartiere.
Im Frühjahr 2014 wurde eine Pilotanlage in Berlin-Kreuzberg realisiert und an die bestehende Anlage des sogenannten Block 6 angedockt.
Als "Integriertes Wasserkonzept im Block 6" wurde es einst als Projekt der Internationalen Bauausstellung 1987 entwickelt, als Modellvorhaben des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus mit Bundes- und Landesmitteln bis 1993 beforscht und 2006/2007 optimiert und umgestaltet. Das Wasser aus Badewannen, Duschen, Handwaschbecken und Küchen, das sogenannte "Grauwasser", wird hier bereits getrennt abgeleitet, zu hygienisch einwandfreiem Betriebswasser (EU-Badewasserqualität) aufbereitet und zur Toilettenspülung und Bewässerung der Mietergärten wiederverwendet. Regenwasser der angrenzenden Dächer wird in der ursprünglichen "Pflanzenkläranlage" verdunstet und trägt zur Verbesserung des innerstädtischen Mikroklimas bei.
Das Projekt ROOF WATER-FARM erweitert die bestehende Betriebswassernutzung und nutzt das gereinigte Grauwasser für die Produktion von Fischen und Pflanzen in dem vor Ort aufgebauten Gewächshaus. Neu ist zudem die Nutzung von Schwarzwasser (aus den Toiletten) und die hygienisch-sichere Umwandlung in einen Flüssigdünger. Die Weiterentwicklung der Technologien zur Wasseraufbereitung und Nahrungsmittelproduktion wird im Betriebswasserhaus und dem Wasserfarm-Gewächshaus sichtbar und erlebbar: Grauwasser wird zu Betriebswasser zur Bewässerung und Produktion von Fischen und Pflanzen (Aquaponik, Hydroponik), Schwarzwasser zu einem Flüssigdünger für den hydroponischen Gemüseanbau. Die hygienische Qualität wird untersucht, Bewässerungswasser, die Fische und die Pflanzen werden auf ausgewählte Mikroschadstoffe getestet. Die ROOF WATER-FARM Pilotanlage liefert auch verfahrenstechnische Daten für Kosten-/Nutzenbetrachtungen und Ökobilanzierungen, um Produktqualität und Produktivität der Technologie nachweisen zu können.
Der urbane Kontext verlangt jedoch auch nach flexiblen und baulich integrierten Lösungen, die Lebensqualität und imIdealfall neue lebenswerte Stadt-Räume schaffen. Die Übertragbarkeit des ROOF WATER-FARM Konzeptes wird über prozesstechnisches und architektonisch-entwerferisches Upscaling für verschiedene Gebäudetypen (Wohnen, Bildung, Gewerbe, Hotel, Sozial- und Kulturbau inklusive Industriebauten) und eine Simulation der stadträumlichen Diffusion in prototypischen Siedlungsräumen Berlins (Innenstadt, Transformationsraum, Stadtrand) geprüft. Die Machbarkeit, Aussagen zu Betrieb und Wartung, Wirtschaftlichkeit werden dargestellt und um Potenzial- und Risikoanalysen ergänzt. Die Projektpartner entwickeln Modelle für den kommerziellen und nicht-kommerziellen Betrieb und die Produktvermarktung und erarbeiten Vermittlungsformate, Entscheidungshilfen und Handlungsempfehlungen für verschiedene Zielgruppen und Anwender.
Von der Theorie in die Umsetzung
Das Forschungsprojekt ist seit Juli 2014 aktiv und kann erste Ergebnisse vorweisen und auch bereits Früchte ernten:
- Das Test-Gewächshaus mit Aquaponik-Anlage ist aufgebaut und beherbergt eine erste saisonale Produktpalette (Wels + Karpfen, Kopfsalat + Erdbeeren).
- Das seit 2006 bestehende Betriebswasserhaus mit Grauwasseraufbereitung für die Bereitstellung von Bewässerungswasser (Badewasserqualität) ist an das Test-Gewächshaus angeschlossen, Messreihen zur Qualität des Bewässerungswassers, zur Produktivität und Produktqualität sind angelaufen.
- Die Test-Anlage zur NPK-Flüssigdüngerproduktion aus Schwarzwasser ist in Entwicklung, Messreihen und Prototypuntersuchungen auf Labormaßstabsebene sind abgeschlossen.
- Qualitätsanforderungen für Bewässerungswasser aus Regen- und Grauwasser, die Nutzung von Flüssigdünger in der Hydroponik sind definiert und werden laufend in der Pilotanlage geprüft und weiterentwickelt.
- Erste Zwischenergebnisse zu Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Ökobilanzierung liegen vor.
- Erste Betrachtungen zu Potenzialen und Risiken (Multikriterienanalyse) liegen vor und werden weiterentwickelt.
- Berlinweite Potenzialanalyse für Dachgewächshäuser (quantitativ) liegt vor.
- Erste Design- und Fallstudien für Gebäudetypen und ausgewählte Quartiere (qualitativ-szenarisch) sind in Entwicklung.
- Kommunikationsplattform für breites Zielgruppenspektrum ist aufgebaut und wird entwickelt (www.roofwaterfarm.com).
- Kommunikationsmedien für Planer, Entwickler (Gebäudepässe, Gebäudestudien, Netzwerkpläne) sowie zur Bevölkerungsbeteiligung (narrative Szenarien) sind in Entwicklung.
Vom Dach zum Nutzer
Die Durchsetzung des ROOF WATER-FARM Konzeptes setzt jedoch nicht nur eine funktionierende Technologie voraus, sondern muss auch die Akzeptanz und die Bedarfe der potenziellen Betreiber, Nutzer oder auch Abnehmer (Stadtentwicklung, Investoren, Hauseigentümer, Siedlungswasserwirtschaft, Urbane Farmer, Bewohner) treffen. Es zeigt sich, dass es fruchtbar ist, angewandte Forschung von Anfang an transparent und kontinuierlich zu kommunizieren.
Nicht nur die prozessbegleitende Einbindung von städtischen Akteuren, Entscheidungsträgern und Interessengruppen in das Projekt wird somit ermöglicht, sondern Studierende und Schüler, Akademiker und Praktiker aber auch sonstige Interessengruppen (wie etwa Urban Gardener) diskutieren medienübergreifend und visionieren Anwendungsmöglichkeiten.
Konkret haben Studierende des MA Urban Design und des MA Stadt- und Regionalplanung im WS 2013/2014 für ein selbstgewähltes Gebäude die Anwendung von ROOF WATER-FARM Konzepten erkundet und stadtgestalterische und nutzungsbezogene Veränderungen dargestellt. Dabei ging es darum, sich mit gebäudespezifischen Wasserflüssen auseinanderzusetzen, täglichen und saisonalen Produkt- und Ressourcenflüsse zu befassen und die Verknüpfung der verschiedenen Lebensräume und Lebenswelten im Sinne eines Co-Housings und Co-Workings von Mensch, Fisch, Pflanze zu visualisieren. Vom Gebäude ausgehend sollte das Konzept dann in die Umgebung - in den Block, das Stadtquartier, den Fluss - weitergestrickt werden.
Zu guter Letzt galt es Strategien der Vermittlung, Kommunikation und Beteiligung verschiedenster städtischer Akteure zu entwickeln, die eine Umsetzung und Bewirtschaftung von blau-grünen Infrastrukturen auf Gebäude- und Quartiersebene ermöglichen könnten.
Die erfrischend provokativen Ideen der Studierenden liefern dabei reichlich Ansätze für ernsthafte Diskussionen um mittelfristige Umsetzungswege. Gleichzeitig gibt es bereits reale Planungen und Ankündigungen, in Berlin Dachgewächshäuser im städtischen Kontext zu realisieren, wenn auch bisher noch ohne die Nutzung von Gebäudeabwässern. Das wäre dann der nächste Schritt.