Gärtner und Verwalter suchen Antworten auf aktuelle Probleme
von: M. A. Sibylle EßerEin Friedhof muss heute mehr als nur Beisetzungsstätte für Menschen sein. Er sollte Aufenthaltsqualität haben, als Platz der Begegnung dienen und gleichzeitig ein Ort der Kultur und der Würde sein. Was auf der einen Seite wie die Quadratur des Kreises klingt, wird von immer mehr Friedhofsverwaltungen und ihren Kooperationspartnern wie Bestattern, Steinmetzen und Friedhofsgärtnern inzwischen ideenreich umgesetzt. Die aktuelle Entwicklung nahm ihren Ausgang in den 1970er Jahren. Im Norden Deutschlands begann ein Trend, der sich bis heute in der gesamten Bundesrepublik ausgeweitet hat: Nach dem Vorbild der skandinavischen Rasenfriedhöfe wollten sich immer mehr Menschen entweder in einfachen Rasengräbern mit Gedenkplatte oder gleich namenlos beisetzen lassen. Bis zur Jahrtausendwende war dieser Trend auch im Süden und speziell auf kleinen Friedhöfen bei uns angekommen. Mitte der 1990er Jahre galt es als modern, sich "auf der grünen Wiese" beisetzen zu lassen. Viele Angehörige stellten sich die Beisetzung in dieser Form sehr romantisch und naturnah vor, doch beim aktuellen Trauerfall fehlte das Grab als der Ort zum Gedenken. Die Hintergründe für diese Abwendung von der traditionellen Bestattungskultur in Deutschland waren durchaus vielfältig.
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Experten nennen unter anderem die zunehmende Säkularisierung in den letzten 50 bis 60 Jahren. Im Zuge dieser Säkularisierung gab beispielsweise die katholische Kirche den Zwang zur Erdbeisetzung auf. Erst die Feuerbestattung ermöglichte kleinere Gräber und die heute bekannten Alternativen zum klassischen Friedhof. Ein anderer Grund sind schlicht und einfach die Kosten für eine traditionelle Beisetzung: Sarg, Trauerfeier, Blumenschmuck, der Ankauf einer Grabstätte, ihre Bepflanzung und Pflege kosten viel Geld, das für viele Menschen heute nicht mehr aufzubringen ist oder für diesen Zweck nicht mehr ausgegeben werden soll. Mit dem Wegfall des Sterbegeldes, das 2004 von den gesetzlichen Krankenkassen endgültig gestrichen wurde, verschärfte sich die Situation. Dabei stellen Friedhöfe für Städte eine wichtige Einnahmequelle dar, wie ein Beispiel aus Köln beweist: Die Kosten für den Erwerb und die Grablege in einer Doppelgrabstelle für 25 Jahre belaufen sich auf dem Friedhof Melaten aktuell auf rund 3888 Euro. Bucht man die Grabpflege über die örtliche Friedhofsgenossenschaft auf 25 Jahre hinzu, fallen weitere 10.000 Euro an.
Die Alternative: Bestattungswälder
Viele Menschen empfinden heute traditionelle Friedhöfe, in denen Gräber in Reih und Glied zu finden sind, oft als eintönig, langweilig, wenig individuell und nicht mehr zeitgemäß. Zudem fällt (älteren) Angehörigen in einer immer älter werdenden Gesellschaft die Pflege der Gräber schwer. Kein Wunder also, das sich ab der Jahrtausendwende Alternativen wie die "Ruheforsten" oder "Friedwälder" entwickelt haben. Heute gibt es in Deutschland rund 50 Bestattungswälder, in denen aber nach aktuellen Zahlen lediglich ein bis drei Prozent der Menschen beigesetzt wurden.
Auf ähnlich geringe Zahlen, aber immer auf ein großes Echo in den Medien, stoßen andere "Bestattungsformen" wie die Weltraumbeisetzung, das virtuelle Begräbnis, die Verwandlung der Totenasche in einen Diamanten oder das Verstreuen der Asche in der freien Natur - Letzteres ist in Deutschland nicht zugelassen.
Die Folgen der allgemeinen Entwicklung sind vor allem auf den großen Friedhöfen augenscheinlich. Es gibt immer mehr Freiflächen, weil Gräber kleiner werden und aufgelassene Grabstellen nicht neu belegt werden. Wo es möglich ist, versuchen die Friedhofsträger diese Flächen anders zu nutzen. Waren sie nie Beisetzungsfläche und liegen sie in Randbereichen, kann man sie entwidmen und anderen Zwecken zuführen. Denn aus Sicht der Verwaltung verursachen sie Kosten, weil sie gepflegt werden müssen, aber mangels Nachfrage keine Gebühren einbringen. Über kurz oder lang steigen so die Beiträge für alle Nutzer, was dazu führt, dass sich immer mehr Menschen für kleinere Gräber entscheiden, was wiederum zu mehr Freiflächen auf Friedhöfen führt. Wie ist diese Abwärtsspirale zu durchbrechen?
Sind Kolumbarien eine Lösung?
Mittlerweile haben die ersten Gemeinden dieses Problem erkannt. Sie bieten die klassischen Wahlgräber zum Beispiel mit günstigeren Gebühren an als kleine Urnengräber oder Rasengräber. Die namenlose Beisetzung, die landläufig auch als "anonym" bezeichnet wird, weil am Ort kein individuelles Grab und kein Zeichen auf den Verstorbenen hinweisen, scheint vom Trend her nun gebrochen. Die Alternative zur namenlosen Beisetzung sind heute die vielfach vorhandenen Kolumbarien. Als Bauwerke müssen sie bestimmten gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Doch bedeuten sie für den Friedhofsträger eine große Investition, die in der Regel erst nach mehreren Belegungen erwirtschaftet werden kann. Zudem müssen Urnen aus Kolumbarien nach Ablauf der Ruhefrist in der Erde nachbestattet werden, das ist hierzulande immer noch gesetzlich festgeschrieben. Vor diesem Problem stehen auch die Betreiber von Indoor-Kolumbarien wie zum Beispiel die verschiedenen Grabeskirchen. 2000 wurde mit der St. Josef Kirche in Aachen eines der ersten aufgelassenen Gotteshäuser für diesen Zweck eröffnet. Heute wird teilweise auch in Kirchen beigesetzt, die noch von einer aktiven Gemeinde besucht werden. Viele Menschen empfinden die Indoor-Kolumbarien als bequeme Stätten für die Trauer. Der Individualität sind hier aber oft Grenzen gesetzt. Diese Grenzen wurden von vielen Menschen auch auf den Friedhöfen moniert. Die Verwaltungen haben die Probleme verstanden. In den letzten Jahren ist in den neuen Satzungen eine deutliche Liberalisierung zu finden.
Landschaftlich gestaltete Grabfelder füllen Freiräume
Als Vorreiter dieser Entwicklung kann man den Hauptfriedhof in Karlsruhe nennen. Dort entstand um die Jahrtausendwende mit dem Feld 24 das erste landschaftlich gestaltete Grabfeld in Deutschland. Die Gräber wurden dort als Gemeinschaftsanlagen in unterschiedlichen Varianten gestaltet. Sie fanden bei der Bevölkerung und den Fachleuten großen Zuspruch.
Mit den gärtnerbetreuten Feldern setzten die badischen Friedhofsgärtner diesen Weg vor rund zehn Jahren fort. Gemeinschaftsgräber für Urnen waren zu diesem Zeitpunkt die Antwort der Verwaltungen und Gewerke auf die Entwicklungen in der Bestattungskultur. Mit den gärtnerbetreuten Feldern entstand ein Modell, aus dem bis heute deutschlandweit mehr als 400 Anlagen erwachsen sind.
Am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen ist gut zu sehen, wie unterschiedlich und individuell gestaltet diese Anlagen sein können. Die Stadt verzeichnet heute durch die vielen gärtnerbetreuten Felder einen deutlichen Rückgang der Rasenreihengräber. In der Regel sind es Friedhofsgärtner, die gemeinsam mit der Verwaltung und den anderen Gewerken ein Feld planen, finanzieren und bepflanzen.
Sinnhafte und aussagekräftige Gestaltung im Memoriam-Garten
Dabei stehen zum einen die Vielfalt an Grabformen und die Vielseitigkeit der Bepflanzung im Vordergrund. Friedhofsgärtner sind in erster Linie Gärtner. Das Arbeiten mit der Pflanze ist ihr ureigenstes Gebiet. 2009 stellte der Bund deutscher Friedhofsgärtner (BdF) deshalb im Rahmen der Bundesgartenschau in Schwerin mit dem ersten "Memoriam-Garten" ein offenes Konzept vor, an dem sich jeder Interessierte beteiligen kann. Bis heute gibt es in Deutschland 26 Memoriam-Gärten. Diese Form des gärtnerbetreuten Feldes folgt klaren Regeln. So muss es zum Beispiel Urnen- und Sarggräber enthalten. Namenlose Beisetzungen gibt es dort nicht. Aus Sicht der Angehörigen bieten die neuen gärtnerischen Formen der Bestattung zwei große Vorteile: Die gesamte Anlage wird vor der ersten Beisetzung fertiggestellt und gepflegt. Man kauft also etwas, das man sieht. Auf eine gute Aufenthaltsqualität wird außerdem viel Wert gelegt.
Zum anderen werden die gärtnerbetreuten Felder und Memoriam-Gärten immer in Zusammenarbeit mit der bewährten friedhofsgärtnerischen Dauergrabpflege erstellt. Das bedeutet für die Angehörigen, dass sie beim Kauf eines Grabes einen Dauergrabpflegevertrag abschließen, mit dem sie sicher sein können, dass ihr Grab über die gesamte Ruhefrist hinweg immer sorgfältig gepflegt wird. Vor allem älteren Menschen wird damit die Sorge um die Grabpflege genommen.
Heute gehört ein Memoriam-Garten als fester Bestandteil zu jedem friedhofsgärtnerischen Auftritt auf einer Bundesgartenschau. Doch auch auf den ersten Landesgartenschauen findet sich in diesem Jahr die gärtnerische Antwort auf die aktuellen Entwicklungen in der Bestattungskultur. Sondergrabstätten wie zum Beispiel die beiden in Deutschland bekannten Grabstätten für HSV-Fans in Hamburg und für Schalke Fans in Gelsenkirchen sind von ihrer Anlage und der Finanzierung her übrigens gärtnerbetreute Felder. Beide Beispiele finden sich auf ganz normalen deutschen Friedhöfen.
Zurück zur Tradition - nur in neuer Anlage
Mit den gärtnerbetreuten Feldern haben die Friedhofsgärtner eine Lösung für die aktuelle Entwicklung gefunden, die vielen Menschen auch deshalb gefällt, weil sie einen Bereich mit hoher Aufenthaltsqualität schafft und gleichzeitig individuelles Gedenken ermöglicht. Grabgestaltungen mit ansprechendem Inhalt, starker Symbolkraft und Inspiration tragen dazu bei, dem traditionellen Begräbnis das "Aus den Augen, aus dem Sinn" zu ersparen.
Zur Bundesgartenschau (BUGA) in der Havelregion 2015 werden, neben den klassischen Gräbern für den Wettbewerb der Friedhofsgärtner, auch neue Grabflächengestaltungen zu sehen sein. Ähnlich wie zur BUGA Schwerin 2009 mit dem Memoriam-Garten präsentieren sich die Friedhofsgärtner hier innovativ. Geplant ist eine neue Grabform: Ein Gräberfeld, das homogen und einheitlich gestaltet und bepflanzt wird und in das Grabstätten in der Größe eines Doppelgrabes eingelassen sind. Das jeweilige Doppelgrab erfährt keine Einfassung aus Stein. In der Bepflanzung fügt es sich harmonisch in die gärtnerische Gesamtgestaltung der Fläche ein. Das Grabzeichen darauf ist jedoch individuell gearbeitet. So präsentieren sich auf der BUGA 2015 Havelregion ineinander verzahnte Grabflächen, die kleine Ausschnitte aus einem gärtnerbetreuten Feld sein können. Den Ausstellern ist es wichtig, eine Trauerfläche anzubieten, an der man Blumen ablegen kann, getreu dem Motto des Bundes deutscher Friedhofsgärtner "Leben braucht Erinnerung".
Den Mehrwert vermarkten - mit Naturerfahrung, Kontemplation, Geschichten
Viele der bestehenden Friedhöfe haben ihren gestalterischen Ursprung in den Park- oder Waldfriedhöfen des 19. Jahrhunderts. Mit ihren breiten Alleen und ihrem alten Baumbestand bilden sie oft neben städtischen Parks die einzigen Naturoasen in einer Stadt. Friedhöfe haben somit einen gesellschaftlichen Mehrwert. Sie sind nicht nur Erinnerungsstätte für die Toten, sondern auch ein grünes Biotop und ein Refugium für alle, die die Ruhe suchen. Aber auch ein Parkteil für Literaturlesungen könnte entstehen oder ein botanischer Garten wie in der ostwestfälischen Stadt Minden mit dem 200 Jahre "Alten Friedhof". Hier sind nur noch Erbbestattungen in vorhandenen Familiengräbern möglich. Man hat ein Baumkataster angelegt, Beschriftungen angebracht und an Ein- und Ausgängen entsprechende Infokästen aufgehängt. Damit soll die Besucherfrequenz gehoben werden. Vielleicht lohnt es sich, einmal nach prominenten Bürgergräbern Ausschau zu halten. Themenführungen sind beliebt. Der Melatenfriedhof in Köln ist, als Beispiel für Friedhofstouristik, nicht nur eine Grabstätte, sondern auch ein Raum für Kunst. In gebauter Architektur, deren Motiven, Skulpturen und Symbolen können die Besucher verschiedene Kunst-Epochen in Form von klassizistischen Grabmälern bis hin zur Neorenaissance und dem Neubarock auf sich wirken lassen. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) bietet naturkundliche Unterweisung an. Am beliebtesten sind die Rundgänge mit "Prominenten-Verzällcher" (Geschichten) auf Kölsch. Insgesamt bieten 13 Veranstalter jährlich rund 1300 Führungen zu durchschnittlich 10 Euro Honorar pro Teilnehmer an. Je Führung werden von den Führern 35 Euro an die Friedhofsverwaltung abgeführt. Die geschätzte Einnahme für die Stadt: rund 45 500 Euro.
Umnutzung - leider ein akutes Thema
Aufgrund des Überangebots an Friedhofsfläche ist in vielen Kommunen ihr Erhalt nicht möglich. Beispielsweise unterstützt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit 123.000 Euro ein Modellprojekt von Osnabrück zur Überführung der stadteigenen, 1808 errichteten Begräbnisstätten Hasefriedhof und Johannisfriedhof in öffentliche Parkanlagen. Zwei Pflegeformen - die instand setzende und die bewahrende Pflege - werden modellhaft erprobt. Die große Herausforderung des Vorhabens besteht darin, naturschutzfachliche und denkmalpflegerische Ziele gleichermaßen zu berücksichtigen. Der hiesigen Universität ist zudem ein Forschungsprojekt übergeben, das ein "Konzept zur nachhaltigen Nutzung von Kulturdenkmalen mit Grünbestand am Beispiel der Denkmale Hase- und Johannisfriedhof in Osnabrück" aufstellen soll. Die Nutzung der Friedhöfe als Orte der Kultur und der Bildung stehen bisher im Mittelpunkt. Es fanden zum Beispiel vier Veranstaltungstage unter dem Titel "Neues Leben zwischen alten Gräbern" statt. Zudem wurde gemeinsam mit Cache4You die Geocache-Tour "Von Grabstätten und Stolpersteinen - Eine Geocache-Tour durch Osnabrück" zur regionalen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelt. Im Sommer 2014 gab es Lesungen, Kulturspaziergänge, vogelkundliche Führungen, Konzerte bis hin zu einer Blumenzwiebel-Pflanzaktion. Die Website des Hasefriedhofs in Osnabrück vermittelt die Erkenntnis: "Die Nutzung eines Friedhofs als Ort der originären Beisetzung ist und bleibt jedoch die beste Form der Nutzung. Durch sie sind Aspekte wie der Erhalt der Substanz, die soziale Kontrolle oder der respektvolle Umgang der Menschen mit den Flächen am ehesten gegeben."
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