Identitätsorte im suburbanen Raum?

Wiener Freiräume am Stadtrand

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Grüngürtel Landschaftsplanung
Stadtrandsituation im Süden von Wien: Blick von der Wohnbebauung Alterlaa auf den Steinsee. Foto: Karin Standler

"Die Verstädterung (...) ist nicht sichtbar. Wir sehen sie noch nicht. Liegt das einfach daran, dass unser Auge von der vorherigen Landschaft geprägt (oder verbildet) ist und neuen Raum nicht zu erkennen vermag?" schrieb Henri Lefebvre in den 1970er Jahren über den verstädterten Raum (Lefebvre 1972: 35). Seitdem haben sich, vorangetrieben durch die Debatte um Thomas Sieverts "Zwischenstadt", viele Forschungsprojekte, Studien und Entwürfe mit Phänomenen des suburbanen Raumes beschäftigt und ihn zu beschreiben versucht. Und doch bleibt ein weites Feld an ungeklärten Deutungsversuchen und offenen Fragestelllungen zu Wahrnehmung, Definition, Qualifizierung, Entwicklung und Gestaltung von Stadträndern. Es fängt bereits beim Begriff an: Peripherie, Stadtrand, suburbaner Raum, sprawl. So wenig wir den Rand an sich fassen können, so wenig erklärt sind die suburbanen Freiräume bisher. Können sie mit den gängigen Freiraumtypen beschrieben werden?

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Der Rand ist häufig ein Zufallsprodukt, "das, was wir hier vor uns sehen, haben wir nicht gewollt entworfen ..." (Eisinger 2007). Dabei wird übersehen, dass auch die historischen Kernstädte ein "Speicher von in jahrhundertelanger Entwicklung in Versuch und Irrtum gewonnenen Erfahrungen" (Sieverts 2010: 363) sind. Bisher bleibt der Rand meist nur Träger von Dingen, die wir "in der Stadt" nicht haben wollen (etwa Ablagerungen wie Mülldeponien, Autofriedhöfe, Hundeabrichteplätze und Autobahnrestfläche) und ist - so meinen wir - oft Wohnort kleinbürgerlicher Spießigkeit. Gerne suchen Location Scouts für die Filmindustrie Orte vermeintlicher Nicht-Ästhetik im suburbanen Raum aus, die Vereinsamung und mangelnde Identität symbolisieren sollen. Es ist ein voyeuristischer Blick auf die Dinge, der uns Planern und Wissenschaftlern einen klaren Blick auf den Stadtrand bisher untersagt. Der Blick auf die Peripherie war Ausgangspunkt für das Projekt "Ressource Landschaft - Der Stadtrand von Wien" an der Technischen Universität Wien (Fachbereich Landschaftsplanung) in, über und am Wiener Stadtrand aus dem Blickwinkel von Landschaft und Freiräumen.

Welche Zukunft hat der Grüngürtel von Wien?

Wie in vielen europäischen Großstädten, so war auch die Stadt Wien im 19. Jahrhundert geprägt vom Zuzug der arbeitsuchenden Landbevölkerung aus den ehemaligen Kronländern der Donaumonarchie. Die Bevölkerungszahl hat sich im 19. Jahrhundert auf über 2,1 Millionen Einwohner vervielfacht. Heute hat Wien rund 1,8 Millionen Einwohner. Aus Sicht der "Stadthygiene" und der Erholung war Handlungsbedarf gegeben. Nach der Rettung des Wienerwaldes vor der Abholzung wurde 1905 der Plan zum Wiener Wald- und Wiesengürtel vom Gemeinderat beschlossen, ein grüner Ring, der große bestehende Wald- und Wiesengebiete umfasste und das Ziel hatte, erreichbare Freiräume für kommende Generationen sicherzustellen.

Die Stadtplanung des vorigen Jahrhunderts hat es geschafft, den Grüngürtel sowie die großen Naherholungsbiete und Parkanlagen weitgehend von Bebauungen freizuhalten. Wien ist mit fast 50 Prozent Grünflächen eine sehr grüne Stadt. Allerdings ist der hohe Grünanteil eher ein "Nebeneffekt" der Eingemeindungen des vergangenen Jahrhunderts denn das Ergebnis einer weitsichtigen Stadtplanung. Entsprechend ungleich zeigt sich die Grünflächenverteilung innerhalb der Stadt. Vor allem die innerstädtischen Quartiere aus der Gründerzeit weisen erhebliche Freiraumdefizite auf.

Die Gemeinde Wien veröffentlicht seit dem Jahr 1984 alle zehn Jahre einen Stadtentwicklungsplan (STEP), der die Leitbilder und Ziele für die künftige Entwicklung der Stadt auf unterschiedlichen Ebenen festlegt. Ein Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung ist für viele europäische Städte, so auch für Wien, ein festgeschriebenes Ziel der Stadtplanung. Die Landschaftsräume am Stadtrand - der Bisamberg, das Marchfeld, die südlichen Terrassenlandschaften, der Donauraum und der Wienerwald - prägen mit ihrer heterogenen Struktur die periurbane Landschaft Wiens. Der Erhalt dieser charakteristischen Landschaften ist Ziel der räumlichen Entwicklung am Stadtrand. Steht der überwiegende Teil des Wienerwaldes, des Bisamberges und des Donauraumes unter Naturschutz, so wird sich die Stadt vor allem in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten im Bereich der Terrassenlandschaften im Süden und im Marchfeld im Nordosten Wiens erweitern müssen. Wie denn nun eine bauliche Entwicklung mit entsprechenden Dichten in der wachsenden Stadt Wien vorangetrieben werden kann, ohne dabei den Landschaftsraum und dessen Identität maßgeblich zu verändern, wird im Stadtentwicklungsplan nicht beantwortet.

In seiner strategischen Ausrichtung hat der aktuelle STEP 2005 einen Paradigmenwechsel vollzogen. Das bisherige Prinzip einer baulichen Entwicklung entlang vorgegebener Siedlungsachsen (STEP 1984, 1994) mit dazwischen liegenden Grünzügen und Grünkeilen wird aufgegeben. Stattdessen werden 13 Zielgebiete ausgewiesen, die am Stadtrand vorrangig auf einer baulich-infrastrukturellen Ebene vorangetrieben werden. Damit reagiert die Stadtplanung auf die mehr oder weniger erfolglosen Bemühungen der Vergangenheit, Flächen entsprechend den Zielsetzungen des Stadtentwicklungsplanes (Siedlungsachsen, Grünzüge etc.) zu erwerben und zu entwickeln. Dieses Problem der Stadt- und Freiraumplanung ist nicht neu. Schon bei der Umsetzung des Grüngürtels zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der "Lückenschluss", also der Erwerb von Flächen durch die Gemeinde aufgrund der schwierigen Eigentumsverhältnisse und der offenen Frage der Finanzierung nur sehr beschränkt möglich. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert. Die baulichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte und die aktuellen Projekte am Stadtrand gleichen einem Flickenteppich. Gebaut wird dort, wo Flächen verfügbar gemacht werden können; der zumeist noch landwirtschaftlich genutzte "Restfreiraum" füllt die Lücken zwischen den bebauten Parzellen.

Diese Zufälligkeit der Entwicklung müssen wir kritisch betrachten. Mit der Ausweisung der Zielgebiete konzentrieren sich die großen Entwicklungen am Stadtrand folglich vor allem auf jenen Flächen, die sich ohnedies im Eigentum der Gemeinde Wien befinden oder auf die anderweitig zugegriffen werden kann. Der Druck der Bau- und Immobilienwirtschaft auf den Bodenmarkt ist enorm und führt mancherorts zu problematischen Entwicklungen, die mit den vorhandenen Instrumenten der Stadtplanung kaum mehr gesteuert werden können. Ein politischer Wille, wirksame Steuerungs- und Finanzierungsstrategien zu installieren ist nicht spürbar. Unter solchen Rahmenbedingungen langfristige Entwicklungsziele insbesondere für die Landschaft am Stadtrand zu verfolgen, scheint schwierig. Vor allem auch deshalb, weil das österreichische Gesetz weder Eingriffsregelungen noch Ausgleichszahlungen kennt. Entsprechend gering sind die Budgets ausgestattet, mit denen Freiräume erworben und entwickelt werden können. Zurzeit wird von der Gemeinde Wien der neue Stadtentwicklungsplan ausgearbeitet. Ob dieser "Plan" den Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden kann und somit auch konkrete Maßnahmen und Instrumente beinhaltet oder ob man doch unverbindliche allgemeine Zielsetzungen formulieren wird, wird die Zukunft weisen. Wien rechnet mit einem Anstieg der Bevölkerung von 1,8 auf 2,1 Millionen Einwohner bis zum Jahr 2030. Angesichts dieser Entwicklung werden tiefgreifende Transformationsprozesse am Stadtrand erwartet, die sowohl das räumliche und soziale Gefüge als auch die ökologischen Kapazitäten der Landschaftsräume maßgeblich beeinflussen werden.

Hybride Freiräume am Stadtrand

Im Zuge aktueller Entwicklungen trifft man immer öfter auf die Begriffszuschreibung des "hybriden Raums", im Wortsinn verstanden als etwas Gebündeltes, Gekreuztes oder Gemischtes. Der hybride Raum ist nicht eindeutig zuzuordnen, ist sowohl Park als auch Platz, ist weder eindeutig öffentlich noch eindeutig privat (vgl. Berding & Havemann 2010). Sind die Freiräume am Stadtrand weder dem einen noch dem anderen zuzuschreiben oder sind sie vielmehr Ausdifferenzierungen und Modifizierungen bekannter Freiraumtypen (vgl. IÖR 2010: 282f.)? Oder hängt diese Begriffsunsicherheit an unserem Unvermögen, die suburbanen Räume zu verstehen und zu benennen?

Namenlose Orte scheint es am Stadtrand einige zu geben. Über einen derartigen Ort am Stadtrand von Wien, der zwar einen Namen - Macondo - hat, dieser aber auf keiner Wiener Karte verzeichnet ist, und seinem Verhältnis zur historischen Wiener Innenstadt schreibt Elke Krasny: "Der Stephansdom und das Riesenrad, die Lipizzaner und die Sachertorte, der Zentralfriedhof und die Kapuzinergruft werden wie von selbst beschworen, um ein einendes, geschichtsseliges, vor allem veränderungsresistentes Bild dieser Stadt zu entwerfen. Doch wo ist die Wirklichkeit dieser Stadt zu Hause? Wo kann die Stadt ihren eigenen, sie fest im Griff haltenden Bildern entgehen? Oder, um genauer zu sein, wo sind die Wirklichkeiten dieser Stadt zu Hause?" (Krasny 2012: 252).

Nähert man sich nun dem südlichen Wiener Stadtrand, dann findet man dort auch die bekannten Freiraumtypen: unter anderem Kleingartenanlagen, Kurpark, das städtische Naherholungsgebiet Wienerberg. Andere Rahmenbedingungen, Eigentums- und Nutzungsformen sowie Gestaltungsweisen und Nutzungsmöglichkeiten führen aber zu unterschiedlicher Quantität, Qualität und Ausprägung bestehender Freiraumtypen. Charakteristisch für den (Wiener) Stadtrand ist das parzellierte, segregierte Nebeneinander unterschiedlicher Siedlungs-, Infrastruktur- und Freiraumstrukturen. Die unverbundene Nachbarschaft von unterschiedlichsten Räumen, oft ohne Übergänge oder öffentliche Zugänge, ist schwer als Gesamtbild, teilweise aber auch nicht in ihren Einzelelementen wahrnehmbar. Der Ziegelteich "Steinsee" in Alt Erlaa ist zwar im Besitz der Stadt Wien, für die Öffentlichkeit aber nicht zugänglich. Das Ufer des Teichs wird gesäumt von Grundstücken des Kleingartenvereins "Am Steinsee", die aber den Eigentümern der Kleingärten vorbehalten sind. Ähnlich ist es mit anderen Kleingartenvereinen, die charakteristische Raumstrukturen am Wiener Stadtrand bilden.

Labor Stadtrand

Begleitet von diesem Kontext und Fragen an den STEP haben sich Studierende der Studienrichtung Raumplanung der Technischen Universität Wien - Fachbereich Landschaftsplanung im Sommersemester 2012 auf die Suche nach der Identität, dem Besonderen und den möglichen Entwicklungsszenarien für den südlichen Wiener Stadtrand begeben. Dazu wurde auch eine Lehr- und Forschungskooperation mit der RWTH Aachen (Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung) und der TU München (sustainable urbanism - Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land) eingegangen.

Zu Beginn des Projektes wurde versucht, die Landschaft am Stadtrand "zu lesen", Veränderungen und folglich Entwicklungen der vergangenen Jahre zu erkennen und zu analysieren. Informelle Werte der landschaftlichen Gegebenheiten, deren soziokultureller Wert und dessen Authentizität wurden ebenso reflektiert wie der historische Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen und die damit verbundenen landschaftsrelevanten Prozesse. Als Ergebnis dieser Analyse wurden Handlungsstrategien und Szenarien unter folgenden Fragestellungen formuliert: Wie "tickt" der Stadtrand? Genügen die bekannten städtebaulichen und landschaftlichen Typologien, um den Stadtrand zu fassen und zu begreifen? Welche Identitätsorte sind identifizierbar? Sind die im urbanen Raum bewährten Landschafts- und Städtebau-Leitbilder am Stadtrand noch tragfähig? Welche dynamischen Prozesse beeinflussen die Entwicklung maßgeblich und welches Planungsinstrumentarium ist sinnvoll, um Entwicklungen an der Peripherie nachhaltig zu beeinflussen?

In unterschiedlichen Projekten und Szenarien haben Studierende versucht, auf diese komplexen Fragestellungen methodische und planerische Antworten für ausgewählte Stadtrandgebiete zu entwickeln und darzustellen. Diese werden im Folgenden beispielhaft beschrieben.

Urbane Landwirtschaft in Wien

Der südliche Wiener Stadtrand beherbergt große landwirtschaftliche Flächen, die der Nahrungsmittelversorgung Wiens dienen. Die Simmeringer Haide bildet dabei das größte zusammenhängende Gartenbaugebiet innerhalb der Wiener Stadtgrenzen (vgl. Stadt Wien 2004). Es ist eine hoch technisierte Landwirtschaft fernab romantischer Bilder von einem ländlichen Leben in der Stadt, die häufig mit "urbaner Landwirtschaft" verbunden werden. Auf den ersten Blick erfüllt das Gebiet kaum die Eigenschaften des Wiener Grüngürtels, als landwirtschaftliches Gebiet hat es jedoch einen "Sonderstatus" im Grüngürtel. Wertgelegt wird in erster Linie auf die Erhaltung großer, zusammenhängender Agrarflächen (vgl. Stadt Wien 2005). Als Gemüseanbaugebiet ist es dem Wiener Grüngürtel zugeordnet, de facto handelt es sich aber zum Großteil um eine hochindustrialisierte Glashauslandschaft zur Gemüseproduktion. Für die Simmeringer Haide stellt sich für die Zukunft die Frage, wie Grünräume in einer wachsenden Stadt gesichert werden können und zum anderen, ob bestehende Produktionsweisen noch zeitgemäß sind (vgl. auch Jedlersdorf, Forster 2012).

Kommunikation am Stadtrand

Im Gebiet Rothneusiedl am südlichsten Stadtrand von Wien untersuchte eine Studentengruppe Kommunikations- und Interaktionsmuster. Rothneusiedl weist unterschiedliche Siedlungsstrukturen auf, die meist durch räumliche Grenzen voneinander getrennt sind (Kleingartenvereine neben historischen Höfen und Neubaugebieten und landwirtschaftlichen Flächen). Die Studierenden stellten fest, dass es dem Stadtrand durch seine hohe Veränderungsdynamik an räumlicher und sozialer Beständigkeit fehlt. Um Identität am Rand zu schaffen, ist ihrer Meinung nach das Einbeziehen der Bevölkerung in zukünftige Planungen notwendig. Die Studierenden schufen sogenannte Kommunikationsplattformen, um bestehende (oder nicht existente) Kommunikationsflüsse zu identifizieren und gleichzeitig Menschen zu aktivieren. An mehreren Tagen stellten sie an räumlichen Schnittstellen (Kleingartenverein/landwirtschaftliche Fläche und Kleingartenverein/Neubaugebiet) einen weißen Pavillon mit Tischen, Stühlen und Getränken auf, um mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. In diesen Gesprächen stellten die Studierenden fest, dass die Anwohner kaum miteinander kommunizieren obgleich ein Interesse am Austausch vorhanden ist. Es fehlen die Gelegenheiten und Plattformen, um über Orte, seine Bewohner, Veränderungen und die damit verbundenen Ängste und Sorgen reden zu können. Durch die "Pavillongespräche" versuchten die Studierenden, Kommunikationsknotenpunkte und -flüsse aufzuspüren und gleichzeitig die individuelle Sicht der angetroffenen Bewohner auf den Stadtrand zu identifizieren.

Ihr Ziel, mit den "Pavillongesprächen" Menschen zu ermuntern, über die Umgebung, in der sie leben, nachzudenken, über räumliche Veränderungen zu sprechen und zukünftige räumliche Prozesse mitzugestalten, wurde aus Sicht der Studierenden erreicht. Den "Pavillon" als kommunikativer Impulsgeber, (mobiler) Kommunikationsknotenpunkt und temporärer Ort im Ort betrachten sie demzufolge auch als geeignetes informelles Planungsinstrument zur Entwicklung des Wiener Stadtrandes.

Das Besondere des Stadtrandes

Versteht man den Stadtrand in positivem Sinne als Laboratorium, um über ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Land in seiner bisherigen Erscheinungsform nachzudenken und um dabei gleichzeitig liebgewonnene Bilder zu hinterfragen - die europäische Stadt auf der einen Seite, das unberührte, naturnahe Landleben auf der anderen Seite - lässt man sich gleichzeitig auf die Besonderheiten des Stadtrandes ein, so stellen sich automatisch positive Bilder fernab einer Inszenierung vereinsamter, identitätsloser (Film)Orte ein. Die sich zurzeit vollziehenden Transformationsprozesse zwingen zu einer Neuinterpretation von Stadt und Land (vgl. Pretterhofer et al.: 2010). Ihre Veränderung birgt gleichzeitig die Chance, den Stadtrand nicht mehr nur als Übergang und notgedrungen zu überwindendes Übel auf dem Weg von der Stadt aufs Land (Zwischenstadt) zu begreifen, sondern als eigenständigen Raum mit besonderer Prägung.

Im Laufe der Auseinandersetzung mit der südlichen Wiener Peripherie wurde klar, dass sich das Besondere des Stadtrandes nicht aufdrängt. Hinter der vordergründigen Normalität verbergen sich unerwartete Welten (vergleiche dérive 2012). Es bedarf in Zukunft unterschiedlicher Blickwinkel und neuer Analysetechniken, Untersuchungsmethoden und -gegenstände. Die isolierte Betrachtung von Landschaft, Städtebau, Infra- oder Bevölkerungsstruktur hilft nicht weiter, Stadtränder zu verstehen. Die Erfahrungen mit dem Wiener Stadtrand sowie aktuelle wissenschaftliche Publikationen zu Freiräumen im suburbanen Raum (vergleiche unter anderem Peters 2012) haben gezeigt, dass in diesem Feld weitergedacht und -geforscht werden muss. Dabei ist es nicht weiterführend, sich in Gestalt, Typologien und Ausdruck auf die Europäische (Kern)-Stadt zu beziehen und damit weiterhin ein "veränderungsresistentes Bild dieser Stadt" (Krasny 2012: 252) zu kreieren. Um die Alltagsrealität und Wirklichkeit unserer Städte zu begreifen, müssen wir uns auf die Stadtränder einlassen. Wir müssen lernen, sie neu zu lesen, um sie verstehen zu können. Wir müssen die Prozesse verstehen, um sie auch gestalten zu können. Begreifen wir ihre sozio-räumliche Struktur und Potenziale und übertragen sie auf die innerstädtischen Quartiere, sind unsere Städte in ihrer Gesamtheit auch besser gerüstet für zukünftige Veränderungen.


Literatur

Berding, Ulrich, u. Antje Havemann 2010: Zwischen kommunalen und privaten Einflüssen. Ergebnisse des Forschungsprojektes "STARS - Stadträume in Spannungsfeldern". In: Stadt und Grün, Heft 8, August 2010, S. 9-19.

Dérive, 2012: Exzentrische Normalität: Zwischenstädtische Lebensräume. Heft 47, April-Juni 2012.

Eisinger, Angelus, 2007: "Architektur als Weltlabor. Eine Renaissance". In: Hochschule Liechtenstein (Hg.), Die ökologische Stadt. Petersberg, S. 40-44.

Forster, Franziskus, 2012: Über den Gartenzaun hinein und darüber hinaus. Landbesetzung in Jedlersdorf wirft Landfrage in Wien auf. In: Augustin 320/2012. S. 7.

Lefebvre, Henri, 1972: Die Revolution der Städte. Frankfurt a. M.

Krasny, Elke, 2012: Hinter der Blechwand: die Welt. In: Krasny, Elke (Hg.): Hands-on Urbanism 1850-2012. Vom Recht auf Grün. Wien, Berlin. S. 250-256.

Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) (Hg.), 2010: Freiräume in schrumpfenden Städten. Chancen und Grenzen der Freiraumplanung im Stadtumbau. Berlin.

Peters, Cornelia, 2012: Qualifizierungsprozesse suburbaner Freiräume in wachsenden Stadtregionen. Erfahrungen, Herausforderungen und Potentiale am Beispiel der Region Köln/Bonn. Aachen.

Pretterhofer, Heide; Dieter Spath, u. Kai Vöckler 2010: Land. Rurbanismus oder Leben im postruralen Raum. Graz.

Sieverts, Thomas, 2010: Die Gestaltung des öffentlichen Raums. In: Havemann, Antje & Selle, Klaus (Hg.): Plätze, Parks & Co. Stadträume im Wandel - Analysen, Positionen und Konzepte. Detmold. S. 358-366.

Stadt Wien, MA58, 2004: Agrarstruktureller Entwicklungsplan für Wien. Wien.

Stadt Wien, 2005: Stadtentwicklungsplan 2005. Wien.

Stadtplanung Wien, 1995: Wien - Grünes Netzwerk, Stand der Dinge, Wien.

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Landschaftsarchitektin

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