Ingolstadt, Überlingen und Kamp-Lintfort präsentieren neues Grün
Drei Landesgartenschauen, drei neue Parkanlagen
von: Dr. Juliane von HagenUnterschiedlicher könnten die Gartenschauen 2020 kaum sein. Die drei Standorte, Ingolstadt in Bayern, Überlingen in Baden-Württemberg und Kamp-Lintfort in Nordrhein-Westfalen haben auf den ersten Blick wenig gemein. Dennoch liegt es allen drei Gartenschauen daran, neue Grünräume zu kreieren, die dauerhaft für die Menschen vor Ort zugänglich sind.
Das bayerische Ingolstadt kann in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Landesgartenschau ausrichten. Während die erste Schau eine Brache in Sichtweite der historischen Altstadt aufzuwerten half, hat das diesjährige Gelände ganz anderen Charakter. Im Norden der Stadt, umgeben von stark befahrenen Straßen und riesigen Industrie- und Gewerbebauten ist es eine Freifläche, die es vor Bebauung zu bewahren und in einen öffentlich zugänglichen Park zu verwandeln galt.
Auch in Kamp-Lintfort, einer kleinen Stadt am linken Niederrhein, begrüßt den Gartenschaubesucher ein mächtiges Bauwerk. Aber anders als in Ingolstadt, ragt in Kamp-Lintfort ein Zeugnis der industriellen Vergangenheit empor: der Förderturm der Zeche Friedrich-Heinrich. Sofort nach ihrer Stilllegung im Jahr 2012 wurden Ideen zur Nachnutzung des Geländes diskutiert. Die diesjährige Landesgartenschau ist eine davon. Sie hat das ehemalige Industrieareal in einen zentralen, innerstädtischen Park verwandelt, der wichtige Impulse für den Strukturwandel in Kamp-Lintfort bringt.
Weit weg von Gewerbe und Industrie liegt der neue Uferpark, den die Landesgartenschau in Baden-Württemberg in diesem Jahr an den Rand der Stadt Überlingen bringt. In dieser bei Touristen und als Wohnort gleichermaßen beliebten Stadt am Nordufer des Bodensees sind es weder gewerbliche oder industrielle Nutzungen, die Freiräumen zusetzen. Vielmehr sind die Grünräume der Stadt in die Jahre gekommen, genauso wie die stadtbildprägende Uferpromenade. Aber auch die öffentlichen Zugänge zu den Ufern und deren naturnahe Gestaltung hatten in Überlingen lange keine Rolle gespielt. Das hat die Gartenschau geändert. Wer die dichte Bebauungsstruktur und räumliche Enge der Stadt am nördlichen Ufer des Bodensees mit der nach Norden ansteigenden Topographie kennt, fragt sich vielleicht, wo überhaupt noch Platz für eine Gartenschau ist. Flächenmäßig ist die Schau mit 11 Hektar auch eine der kleinsten Gartenschauen in Baden-Württemberg.
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Aber auch am Rand von Überlingen lagen Flächen brach oder waren mindergenutzt. Und das waren genau diejenigen, die die Chance boten, einen Park mit naturnahem Zugang zum See zu schaffen. Schon 2012 stellten relais Landschaftsarchitekten aus Stuttgart und Berlin in ihrem preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag dem urbanen Ufer in der Altstadt einen landschaftlich geprägten Entwurf für den westlichen Stadteingang entgegen. Dieser 6 Hektar große Uferpark steht im Spannungsfeld zwischen ökologischem Anspruch und den Nutzungsanforderungen eines Bürgerparks. Verschiedene Bereiche zum Spielen, multifunktionale Wiesenbereiche, intensive Staudenflächen und heimische Gehölzstrukturen prägen den Park genauso wie ein lebendiges Relief aus unterschiedlichen Böschungen und Geländemodellierungen.
Die neugestaltete Uferzone, die die alte Ufermauer ersetzt, besteht aus einer Abfolge steiler Abkantungen und flacher Kiesabschnitte, deren unterschiedliche Neigungen die wechselnden Wasserstände des Bodensees erlebbar machen. Am östlichen und damit stadtzugewandten Rand des Parks faltet sich das Geländerelief zu einem Aussichtshügel auf, von dem der Blick weit über den Überlinger See reicht. Auf dem Weg vom Uferpark zur Innenstadt kommen die Besucher an den Villengärten vorbei, die lange Teil der Kurparks waren und nun verschiedene Ausstellungselemente der Gartenschau aufnehmen.
Hier verlässt auch der 5 Kilometer lange Rundweg der Gartenschau den ufernahen Teil der Stadt und folgt dem historischen Stadtgraben. An diesem liegen weitere Ausstellungsorte, wie die Rosenobelgärten oder die neugestalteten Menzinger Gärten. Kaum sichtbar hängen diese kleinen, früher als Kleingärten genutzten Flächen beinahe an der Stadtmauer. Die Gartenschau hat sie umgestaltet und macht sie für jedermann zugänglich. Von hier oben führt der Rundweg weiter gen Osten und wieder den Hang hinunter ans Seeufer und seine Promenade.
Auch die profitiert von der Gartenschau und erstrahlt in neuem Pflasterglanz. Die Neugestaltung wertet sie in ihrer Funktion als identitätsstiftende Mitte der Stadt auf. Wenn die Gartenschaubesucher Überlingen per Schiff, Fahrrad oder Bahn verlassen, werden sie sich kaum erinnern, wann und wo sie in der Stadt und wann auf der Gartenschau waren. Das ist auch gut so. Denn neben dem zukunftsweisenden Projekt Uferpark war die Landesgartenschau Anlass, vorhandene Grünschätze in der Stadt zu bergen und zu kultivieren.
Einen grünen Schatz hat auch die niederrheinische Stadt Kamp-Lintfort: die ehemalige Zisterzienserabtei Kloster Kamp und ihre prächtigen Gärten. Umgeben von Wohngebieten, Wiesen- und Waldflächen waren die Gärten der Klosteranlage schon immer Anziehungspunkt am Ort. Wenn Besucher kamen, dann eher hierhin als in die Innenstadt, die nah am großen Bergwerk Friedrich-Heinrich liegt. Nach dessen letzter Schicht drohte eine große Brache inmitten der Stadt zu entstehen.
Das dort ein riesiger Landesgartenschaupark entstehen würde, hätte vor zehn Jahren wohl kaum einer geglaubt. So wie die Bergleute früher gelangen die Besucher der Gartenschau heute durch das alte Werkstor auf das ehemalige Zechengelände. Hier werden sie vom neuen orthogonal angelegten Quartiersplatz begrüßt, dessen Höhepunkt die alten Fördertürme sind. Insbesondere der moderne, ungewöhnlich hohe massive Turm zieht die Aufmerksamkeit an. Wer sich auf seine Aussichtsterrasse traut, wird mit einem weiten Blick belohnt.
Die Weite des Niederrheins ist aber auch im Gartenschaupark zu spüren. Der Blick vom Quartiersplatz entlang der Promenade nach Norden, Richtung Innenstadt, macht die Dimension des insgesamt 25 Hektar großen Zechenparks deutlich. Dabei machen die ebenen, direkt an die Zechengebäude grenzenden Flächen nur etwa die Hälfte der neuen Grünfläche aus. Östlich der Promenade erhebt sich das Terrain zu einem imposanten, großzügig gestalteten Landschaftsbauwerk, in dessen Inneren die Altlasten des Standorts schlummern.
Von zwei Hochpunkten, dem "Großen Fritz" und dem "Kleinen Fritz" eröffnet sich ein bisher ungekannter Blick. Von hier aus rückt nicht nur die benachbarte Bergarbeitersiedlung ins Visier, sondern der Besucher sieht auch den östlichen Teil des neuen Parks. Denn am Fuße des bis zu 8 Meter hohen Landschaftsbauwerks schlängelt sich das alte Flüsschen Große Goorley. Das hat den Verstädterungsprozess von Kamp-Lintfort als grünes Rückgrat zwar überlebt, im Laufe der Jahre aber an Beachtung verloren. Die Landesgartenschau holt es wieder in den Stadtraum zurück, greift seinen Verlauf auf, kreiert Wiesen, Wege und Spielplätze an seinen Rändern und stärkt damit die Verbindung zwischen neuem Park und historischen Gartenanlagen des Kloster Kamp.
Am nördlichen Rand des Zechenparks gelangen die Besucher auf einem neu gestalteten Wandelweg nach Kamp. Kurz nachdem der Große Goorley dort in den Kanal Fossa Eugenia mündet, empfängt das Kamper Gartenreich die Besucher mit seinem renovierten Obst- und Paradiesgärten und dem prominenten Terrassengarten am Fuße des Klosters. So wie das Kloster ein Highlight in Kamp-Lintfort ist, wird auch der große, neue Zechenpark zum Aushängeschild werden.
Auch in Ingolstadt hat eine Landesgartenschau wichtige Impulse zur Entwicklung der Stadt gegeben. Das liegt viele Jahre zurück. Damals wurde eine aufgelassene Brache südlich der Donau, nah an der historischen Altstadt, in eine grüne Oase verwandelt. Der heutige Klenzepark hat sich nicht nur in eine wichtige Grünfläche in der Stadt verwandelt. Er hat wesentlich dazu beigetragen, die Donau wieder ins Bewusstsein der Ingolstädter zu rücken und Anstoß dazu gegeben, die Sanierung der Altstadt abzuschließen. Ähnlich wichtige Impulse will auch die bayrische Landesgartenschau im Jahr 2020 geben. Diesmal steht eine Fläche im Norden von Ingolstadt im Fokus, beinahe eingezwängt zwischen riesigen Industriehallen, großen Gewerbe- und Einzelhandelsbauten, vielbefahrenen Straßen und Landwirtschaftsflächen.
Unter dem Motto "Neues Grün muss wachsen" geht es auf dem 23 Hektar großen Areal der diesjährigen Landesgartenschau darum, Freiraum vor baulicher Entwicklung zu schützen und für die Menschen im Nordwesten der Stadt zu erschließen. Denn insbesondere den kinderreichen Familien der benachbarten Stadtteile, aber auch den Mitarbeitern der angrenzenden Unternehmen, fehlt es an Frei- und Bewegungsräumen. Diesen zu gestalten, war in dem auf den ersten Blick wenig reizvollen Ort nicht einfach. Därr Landschaftsarchitekten aus Halle an der Saale haben eine geometrische Gestaltungssprache entwickelt, die an Moleküle unter Druck erinnert, die sich in einer Gitterstruktur anordnen und zu Kristallen verzerren.
Dieser Idee folgend ist der Gartenschaupark von geometrischen Linien und daraus resultierenden Flächen geprägt, die mit Wasser, Stauden- und Pflanzbeeten oder gepflasterten Oberflächen gefüllt sind. Eine davon ist die langgezogene Parkterrasse inmitten des Geländes, die nicht nur zentraler Ort und Entree für die Gartenschaubesucher ist. Sie ragt regelrecht in die angrenzenden Quartiere und verbindet sie mit dem neuen Park. Im Osten mündet die Terrasse im neuen, autofreien Piussteg, der die vielbefahrene Hans-Stuck-Straße überwindet. Im Süden grenzt die Parkterrasse an einen 5500 Quadratmeter großen, kantigen Landschaftssee. Daran schließt wiederum ein 3000 Quadratmeter großer Wasserspielplatz an, dessen Gestaltung auch klaren, geometrischen Formen folgt, die farblich akzentuiert werden.
Nördlich der Parkterrasse weitet sich das Gelände; zumindest optisch. Aber nicht alles, was grün ist, ist Teil der Gartenschau. Das eigentliche Landesgartenschaugelände zieht sich nur als Streifen nach Norden. Diesen prägt eine wallartige Aufschüttung, die Distanz zur angrenzenden Straße und dem benachbarten Güterverkehrszentrum schafft. Entlang dieses Walls reihen sich kleinteilige Garten- und Spielzonen mit weitläufigen Wiesen- und Wirtschaftsflächen wie Perlen an einer Kette auf. Zwischen den Perlen ragen landwirtschaftliche Flächen bis an den Wall heran. Die spielt auf der Landesgartenschau in Ingolstadt eine wichtige Rolle. Nicht nur weil das Gelände früher landwirtschaftlich genutzt war und einige Bereiche das nach der Gartenschau auch wieder werden.
Landwirtschaft wird in Ingolstadt bewusst thematisiert. Auf 1,8 Hektar präsentieren Landwirte ihre moderne Produktion. Sie wollen zeigen, dass die nicht mit Artenzerstörung und Klimavernichtung gleichzusetzen ist, erläutert der Verein Inspiration Landwirtschaft e. V. Der lädt die Besucher ein Landwirtschaft 4.0 zu erleben und in einen Dialog zu treten; gerne auch mit kritischer Sichtweise. An anderer Stelle werden die Landesgartenschau-Besucher ökologischen Landbau erleben oder in den sogenannten "Krautgärten" sogar selber, gemeinschaftlich Hand anlegen dürfen.
So unterschiedlich die drei Städte sind, die in diesem Jahr Landesgartenschauen ausrichten, so unterschiedlich sind auch ihre Konzepte. Aber allen dreien ist gemein, dass sie den Anstoß für die Entwicklung eines innerstädtischen Grünraums geben, der über die Gartenschau hinaus für die Öffentlichkeit erhalten bleibt. Wenngleich in Ingolstadt und Kamp-Lintfort kleine Teile der großen Parkgelände wieder in ihre ursprüngliche Nutzung als Ackerfläche oder in eine neue Nutzung als Wohnquartier überführt werden, bleibt doch ein großer Gewinn. Der ist für Kamp-Lintfort von zentraler Bedeutung: im direkten und übertragenen Sinne. Der neue Zechenpark wertet eine große Fläche inmitten der Stadt auf, die das Potenzial hat, zum beliebten, grünen Zentrum der Stadt zu werden. Das wiederum wird wichtiger Baustein auf Kamp-Lintforts Weg von der Bergbaustadt zum attraktiven Wohn- und Dienstleistungsstandort sein.
Aber auch für das erfolgsverwöhnte Überlingen ist der neue Uferpark von großer Bedeutung. Denn mit zunehmender Verdichtung der Stadt insbesondere durch Bauten im gehobenen Segment, darf die Stadt die Bürger nicht aus dem Blickwinkel verlieren, die auf öffentlich zugängliche Grünräume angewiesen sind. Die müssen nun nicht mehr Nischen am Ufer des Sees suchen, sondern haben im neuen Uferpark endlich ausreichend Platz an Land und Wasser. In Ingolstadt wird der neuerschlossene Grünraum sicherlich auch zum attraktiven Park werden. Vielleicht wichtiger aber sind noch die Diskussionen, die die Landesgartenschau im Spannungsfeld von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und Landwirtschaft 4.0 anregt. Wir werden hören.