Klartext
Baumpflege - Verantwortung für die Sache oder Geschäft?
von: Prof. Dr. habil. Hartmut Balder"Baumpflege ist lukrativer Vandalismus", beschrieb auf den Osnabrücker Baumpflegtagen in den 1990ern ein Kritiker die Baumpflege-Szene und provozierte kurzfristig die Akteure. "Angelverein" titulierte gleichzeitig ein anderer Kritiker die FLL in ihrem Bemühen um Sachlichkeit für die Szene, der Vorwurf haftet ihr leider bis heute an. Die ISA Germany versuchte vorübergehend, ihr Image vom Kletterverein zu einer fachlich versierten Organisation der verantwortungsbewussten Baumexperten zu entwickeln - und ist bis heute mangels Interesse der deutschen Mitglieder gescheitert. Ein Vergleich der Baumzustände in Berlin nach dem Mauerfall ergab, dass sich nicht im West-, sondern im Ostteil der Stadt die gesünderen Baumbestände befanden - mangels Beschädigungen durch menschliche Aktivitäten. Das hat sich leider schnell geändert! In der Folge habe ich die Perspektive der Baum-Szene bereits 1995 ebenfalls auf den Osnabrücker Baumpflegetagen so formuliert: "Zeitgemäße Baumpflege ist, einen Baum nur dort zu pflanzen, wo er ausreichende Entwicklungsmöglichkeiten vorfindet und ihm unvermeidbare Verletzungen so zuzufügen, dass hierdurch keine folgenschweren Entwicklungen ausgelöst werden." Zwischenzeitlich ist das Weißbuch Stadtgrün des Bundes erschienen und fordert genau dieses in der Vernetzung der urbanen Infrastruktur ein. Aber nimmt die Baumpflege-Szene diesen Auftrag überhaupt wahr?
Nach wie vor gibt es keine staatlich organisierte Ausbildung zum Baumpfleger, der unzureichende Zustand der Stadtbäume bundesweit schreit regelrecht danach. Wenige Hochschulen bemühen sich mit unterschiedlichem Erfolg, qualifiziertere Akteure mit Weitblick und Durchsetzungskraft auszubilden. Der Arbeitsmarkt entdeckt die neuen Fachkräfte noch sehr zögerlich, beispielsweise als Park- oder Baummanager. Eine Ausbildung kann aber nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn im Vorfeld das zu vermittelnde Wissen durch wissenschaftliche Experimente zweifelsfrei abgeklärt ist. Aber was haben wir in den letzten 30 Jahren erlebt? Worauf baut die Baupflegepraxis ihre Baumansprachen, Untersuchungs- und Vegetationstechniken, Baumbehandlungen und -fällungen auf?
Eine objektive Bearbeitung von Forschungsfragen und die Wissensvermittlung findet nur von wenigen Landes- und Bundesinstitutionen statt. Universitäre Einrichtungen haben in der Baumpflege kaum einen Schwerpunkt. In diese Lücke preschen private Akteure, wobei der Grat zwischen wohl gemeinter Absicht für die Sache und Geschäftemacherei sehr schmal ist und von Außenstehenden kaum verstanden wird. Es ist aber unverantwortlich, dass unter anderem in der Wirkung ungeprüfte Bodenhilfsstoffe, Substrate, Pflanzenstärkungsmittel, Mykorrhizapräparate, Untersuchungstechniken und -geräte in der Praxis zum Einsatz kommen. Wenn auf Baumpflegeseminaren durch Seilschaften nur Halbwissen vermittelt wird, Produktwerbung überwiegt oder sich Referenten über die Themen öffentlich streiten, wie soll dann ein Gutachten über einen Baumzustand qualitativ hochwertig sein? "Man kann es ja mal mit der Methode X versuchen" ist dann oft zu lesen. Böse Zungen sprechen von einem Baumpflege-Kartell! Hat die Baumpflege ein Zukunftsproblem? Ich denke ja. Aber vielleicht wird ja nach Corona alles anders!
Ihr Prof. Dr. Hartmut Balder