Nicht Einschränkungen, sondern Fähigkeiten stehen im Fokus

Inklusive Spielräume

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Mit Rad oder Rollstuhl durch Steilkurven flitzen, über Hängebrücken oder Balken balancieren oder das "Ferraphone" nutzen, dem man – auch im Sitzen – sanfte Klänge entlocken kann – so können inklusive Spielräume sein. Sie inspirieren zu gemeinsamen Abenteuern und uneingeschränktem Miteinander.
Inklusion Spielräume in der Stadt
1 Der Übersichtsplan: Sind Informationen für unterschiedliche Sinne aufbereitet – optisch wie taktil wahrnehmbar – eröffnet dies manchen Menschen erst die Möglichkeit herauszufinden, welche Spielangebote überhaupt vorhanden sind und wie diese erreicht werden können. Foto: Massstab Mensch

Jede und jeder kann dabei sein und nach ihren und seinen eigenen Fähig- und Fertigkeiten mitmachen. Unter dieser Prämisse stellt der "Normungsausschuss NA 005-01-14 AA Spielplätze" des Deutschen Instituts für Normung eine Matrix für inklusive Spielräume auf. Weitere Hinweise zum barrierefreien und inklusiven Bauen finden sich in den folgenden Normungen:

Entsprechend gestaltete Spielräume erfüllen die Pflicht, öffentlichen Raum – und dazu zählen auch Spielplätze – so zu gestalten, dass für alle Menschen nutzbare Angebote zur Verfügung stehen. Zudem räumen sie ganz offensichtlich mit den Vorurteilen auf, dass speziell auf Behinderungen zugeschnittene Geräte nötig und inklusive Spielplätze langweilig sind.

Inklusive Spielräume sollen gemeinsames Spielen ermöglichen. Sie bieten allen Kindern Spielmöglichkeiten; einfach indem Angebote vorhanden sind, die auch – aber nicht ausschließlich – von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können.

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Inklusion Spielräume in der Stadt
2 Ziel der Inklusion: Gemeinsames Spielen an einem Ort. Foto: Svenja Thomsen, Just-Hansen-Stiftung

Die Inklusionsmatrix wendet dazu ihren Blick auf Fertigkeiten und Fähigkeiten, statt auf unterschiedliche Behinderungsarten und eventuell dafür gestaltete spezielle Geräte. Das ist ein radikaler Perspektivwechsel. Denn: Jeder Mensch verfügt über Fertigkeiten und Fähigkeiten in unterschiedlicher Ausprägung. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der von der Inklusionsmatrix definierten Grundanforderungen an Spielräume und ihre vielfältigen und sehr unterschiedlichen Weisen der Umsetzung. Wer die Gesamtheit von Spielräumen, Spielplatzgeräten und Umfeld vernetzt betrachtet, erzielt gute Ergebnisse.

Drei Faktoren als Leitlinien

Um attraktive, herausfordernde und interessante Erfahrungsräume zu gestalten, definiert die Matrix ein Zusammenspiel von drei wesentlichen Faktoren. Erstens: Die Erreichbarkeit des Spielplatzes selbst sowie der einzelnen Spielstationen. Zweitens: Vielfalt. Hier geht es darum, ob Angebote unterschiedliche Sinneswahrnehmungen, Bewegungserfahrungen oder auch soziale Aspekte ermöglichen. Der dritte Faktor ist die Nutzbarkeit von Spielangeboten.

Betrachten wir das Thema "Erreichbarkeit": Für die Erreichbarkeit des Spielplatzes selbst (entsprechende Regelungen enthält die DIN 18034), sowie der einzelnen Stationen auf dem Spielplatz, setzt die Matrix auf das "Zwei-Wege-System" und "Zwei-Sinne-Prinzip". Kann eine Spielstation nicht einzig über Stufen erreicht werden, sondern gibt es alternativ dazu zum Beispiel eine Rampe, dann ist dieser Spielbereich barrierefrei zugänglich. Hat ein Zugang eine Wegbegrenzung mit tastbaren Oberflächen, die zudem farblich abgesetzt ist, kann der Zugang über unterschiedliche Sinne und entsprechend individueller Fähigkeit erkannt werden. Dies eröffnet manchen Menschen erst die Möglichkeit, zu wissen, welche Angebote überhaupt auf dem Spielplatz vorliegen und wie diese zu erreichen sind.

Inklusion Spielräume in der Stadt
3a Leitsystem: Ein Baumstamm sowie ein mäanderndes Band aus hellen Granitsteinen setzen den Wegrand farblich wie auch von der Oberflächenstruktur her von dem dunkleren Weg ab. Foto: Massstab Mensch
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3b Leitsystem: Das Bild zeigt, wie der Bildausschnitt 3a bei einer Restsehfähigkeit von 10 Prozent (Simulation) immer noch kontrastreich wahrgenommen werden kann. Foto: Massstab Mensch

Werden die drei Faktoren – Erreichbarkeit, Vielfalt, Nutzbarkeit – berücksichtigt, entsteht eine umfassendere und nachhaltigere Inklusion als beispielsweise durch eine "Rollstuhlschaukel". Denn diese Art spezialisierter Geräte ist ausschließlich für eine definierte Nutzergruppe gedacht. Das heißt, sie können und dürfen nur von Rollstuhlfahrern genutzt werden – und zwar alleine. Das bedeutet letztlich auch: Diese Geräte sind nicht inklusiv. Häufig kommt hinzu, dass, je nach Situation des Spielplatzes, das spezifische Gerät unter Umständen gar nicht erreicht werden kann, weil der gesamte Spielplatz von Wiese umgeben ist, ohne berollbaren Zugang. Ein noch so geeignetes oder aufregendes Spielangebot ist nutzlos, wenn die Kinder nicht dorthin gelangen können. Es müssen Wege und Zugänge für alle Nutzerinnen und Nutzer vorhanden sein.

Das Zusammenspiel der oben genannten Faktoren, also ein nach den Prinzipien der Matrix geschaffener Spielraum, ist inklusiv. Er bringt Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammen, fördert Bewegung, berücksichtigt Vielfalt. Getreu dem Motto: Mit dabei statt außen vor.

Daraus folgt jedoch nicht, dass alle alles können müssen. So etwas kann es nicht geben. Vielmehr muss für jede und jeden etwas vorhanden sein, dass sie oder er nutzen kann. Und: Die Bereiche oder Angebote, die nicht von allen genutzt werden können, sollten die Ausnahme sein.

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4a Ein "Sprachrohr" spricht den Sinn Hören an. Foto: Massstab Mensch
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4b Ein Klanginstrument spricht ebenfalls den Sinn Hören an. Foto: Massstab Mensch

Ein Spielraum soll zudem ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen ermöglichen, dabei gleichzeitig mehrere Sinne ansprechen und immer auch dazu dienen, "selbstsicheres" Verhalten zu trainieren. Das geht am besten, indem die Nutzerinnen und Nutzer lernen, Gefahren wahrzunehmen und zu beurteilen. Auch darin werden Menschen mit Behinderungen gleichbehandelt. Mit dem Fokus auf Fertigkeiten und Fähigkeiten lassen wir kalkulierbare Risiken zu. Jeder, der das Spielangebot erreicht, kann es entsprechend der eigenen Fähigkeiten erforschen und lernen, das Risiko einzuschätzen und sich auszuprobieren. So schaffen wir herausfordernde, vielfältige und attraktive Spielplätze, die das Miteinander fördern, wo jede und jeder etwas findet, das Spaß macht.

Eines der prominentesten und umfassendsten Beispiele gibt die Stadt Nürnberg. Dort hat die Stadtverwaltung 2022 verfügt, dass die Inklusionsmatrix für alle Neuplanungen und Generalsanierungen von Spielflächen verbindlich angewendet werden muss. Seither wurden auf unterschiedlichen städtischen Spielplätzen entsprechende Leitsysteme, alternativer Fallschutz und "Farbräume" für optische Sinneserlebnisse integriert. Weil der Fokus auf Fähigkeiten und Fertigkeiten liegt, statt auf der Einschränkung, entstehen im gesamten Stadtgebiet immer mehr Spielflächen, die für jeden etwas bereithalten. Viele Kinder können diese Anlagen nutzen und bespielen. Die Reaktion der Öffentlichkeit war überraschend: Bei der Eröffnung des ersten nach den neuen Leitlinien gebauten Spielplatzes wurden die Verantwortlichen gefragt, was daran "inklusiv" sei, man würde davon ja gar nichts sehen. Ein großes Kompliment, denn: Inklusion sollte selbstverständlich und gerade nicht als solche erkennbar umgesetzt werden. Ein attraktives Angebot für alle.

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5 Berollbare und taktil wahrnehmbar gestaltete Flächen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip bieten allen Menschen Zugang zu den jeweiligen Spielstationen. Ein unterfahrbarer Sandtisch, in den allgemeinen Sandspielbereich integriert, ermöglicht gemeinsames Spielen und Begegnung. Foto: Massstab Mensch

Manche fürchten höhere Kosten für inklusive Spielplätze, weil häufig davon ausgegangen wird, dass die gesamten Flächen mit synthetischem Fallschutz ausgelegt werden müssen. Dabei geht es um die Frage der Berollbarkeit von Böden, die gleichzeitig dem Fallschutz dienen. Inzwischen stehen dafür verschiedene, erprobte Möglichkeiten zur Auswahl: Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk, EPDM, oder synthetischer Fallschutz ist nur eine davon. Darüber hinaus können Hackschnitzel, Sand oder Kies mit speziellen Adaptern oder auch Rasen so verlegt werden, dass diese Materialien als Fallschutz sehr gut funktionieren und gleichzeitig berollbar sind – sie machen damit die Spielstation für deutlich mehr Menschen zugänglich.

Die Inklusionsmatrix bietet als Leitfaden Orientierung und macht Ergebnisse mess- und nachvollziehbar. Um die darin angelegten, deutlich breiteren und vielfältigeren Nutzungsangebote zu schaffen, ist eine fachkundige Planung gefragt. Die Matrix hilft dabei, an alle relevanten Aspekte zu denken. Wie diese dann in Spielräume umgesetzt werden, die mit unterschiedlichen Schwierigkeiten herausfordern und verschiedene Sinne ansprechen, liegt an den Planern und ihrer Kreativität.

Ein Spielraum ist dann inklusiv, wenn Vielfalt vorliegt. Denn dann ist sehr wahrscheinlich, dass es für jeden ein Angebot gibt. Um dies zu überprüfen, gibt die Inklusionsmatrix grundsätzliche Aspekte vor: Man muss auf den Spielplatz gelangen (barrierefreie Zugänglichkeit) sowie die einzelnen Spielangebote finden und erreichen und dort etwas (Interessantes) tun und erleben können. (Erreichbarkeit einer gewissen Anzahl an Spielangeboten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade).

Auf diese Weise wird ein größeres und breiteres Spektrum an Möglichkeiten geschaffen und die Ergebnisse sind umfassender inklusiv, als wenn ein Spielplatz mit einem Gerät ausgestattet wird, das auf spezielle Behinderungen abzielt.

DIN 18034-1: Spielplätze und Freiräume zum Spielen

  • DIN TS18034-2: Inklusionsmatrix für Spielbereiche und Freiräume zum Spielen (Februar 2024)
  • DIN 33942: Barrierefreie Spielplatzgeräte
  • DIN 18040 Teil 1-3: Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen
  • Sowie die übergeordnete Normung DIN 17210: Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umwelt – Funktionale Anforderungen
Dipl.-Ing. (FH, MPA) Peter Schraml
Autor

Sachverständiger für Spielplätze und Obmann des Arbeitskreises Inklusion

Massstab Mensch

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