Verkehrssicherungspflicht

Wie schnell muss eine Krone eingekürzt werden?

Dem Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig vom 01.02.2019 - 11 U 19/18 -, der zur Berufungsrücknahme und Rechtskraft des Klage abweisenden Urteils des LG Braunschweig vom 28.12.2017 - 7 O 1372/16 - führte, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger begehrt von der beklagten Stadt als Baumeigentümerin Schadenersatz für durch einen umgestürzten Spitz-Ahorn an seinem geparkten Pkw am 17.01.2016 verursachte Schäden. Die Beklagte hat regelmäßige Sichtkontrollen des Baumes durch einen beauftragten Dritten durchführen lassen, zuletzt vor dem Schadeneintritt am 23.11.2015. Bei dieser Regelkontrolle ergab sich kein Anlass für Sofortmaßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherheit, allerdings als empfohlene Maßnahme "Kroneneinkürzung/Kronenteileinkürzung" mit der "Priorität 1 dringlich". Diese war zum Schadenszeitpunkt noch nicht umgesetzt. Das Landgericht hat eine Baumsachverständige mit der Klärung der Frage beauftragt, ob sofortiger Handlungsbedarf bestanden habe und, ob die empfohlene Maßnahme zum Schadenszeitpunkt bereits hätte durchgeführt sein müssen.

Das LG Braunschweig hat durch Urteil vom 28.12.2017 - 7 O 1372/16 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht sich auf die Feststellungen der Sachverständigen berufen, für eingehende Untersuchungen habe kein Anlass bestanden, die im Nachhinein festgestellte Wurzelstockfäule sei bei der Sichtkontrolle äußerlich nicht erkennbar gewesen und ein Zeitrahmen für die vorgesehene Maßnahme von acht Wochen, der zum Unfallzeitpunkt noch nicht verstrichen war, sei angemessen. In dem vor dem OLG Braunschweig durchgeführten Berufungsverfahren hat das Gericht mit Hinweisbeschluss vom 01.02.2019 - 11 U 19/18 - dem Kläger mitgeteilt, der Senat beabsichtige, die Berufung mangels Erfolgsaussicht durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen und die Rücknahme der Berufung angeregt. Aufgrund dieses Hinweisbeschlusses wurde die Berufung zurückgenommen und das Urteil des LG Braunschweig rechtskräftig.

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Nach Darlegung der Grundsätze zur Verkehrssicherungspflicht für Straßenbäume gemäß der Rechtsprechung des BGH hat das OLG zunächst keinen Anlass für eine erneute Beweisaufnahme gesehen. Es hat auf die Bindung des Berufungsgerichtes an die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme hingewiesen, weil konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen nicht bestünden. Soweit der Kläger erstmals im Rahmen des Berufungsverfahrens eine angebliche Parteilichkeit der Sachverständigen gerügt hat, weist das OLG zutreffend darauf hin, dass er die Möglichkeit der Geltendmachung eines Ablehnungsrechts wegen Befangenheit gehabt habe. Dieses Rechtes sei er aber verlustig gegangen, weil er von diesem erstinstanzlich keinen Gebrauch gemacht habe. Nach den überzeugenden Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen hätten weder Verfärbungen noch Einwallungen oder ein nicht unerheblicher Schrägstand des Baumes sowie dessen nachlassende Vitalität hinreichende Anzeichen für eine Wurzelfäule gegeben, weder für sich genommen noch in der Gesamtschau. Im Übrigen liege auch keine Pflichtverletzung darin, dass die Beklagte dringend erforderliche baumpflegerische Maßnahmen nicht rechtzeitig umgesetzt habe. Die Sachverständige habe überzeugend begründet, dass im konkreten Einzelfall eine Zeitspanne von bis zu acht Wochen einen angemessenen Bearbeitungsrahmen für einen dringlichen, aber nicht sofort erforderlichen Handlungsbedarf darstelle. Dieser Zeitrahmen sei zum Schadenszeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen. Ebenso wenig habe Anlass für niederschwelligere Maßnahmen, wie etwa das Aufstellen von Warnschildern oder das Absperren der Parkplätze, bestanden. Hierbei beruft sich das OLG zutreffend auf das "Pappelurteil" des BGH vom 06.03.2014 - III ZR 352/13 -.

Die Entscheidung des OLG Braunschweig liegt auf einer Linie mit dem Beschluss des OLG Hamm vom 31.07.2015 i. V. m. dem Hinweisbeschluss vom 03.07.2015 - I - 11 U 113/14 -, wo das Gericht sich der Einschätzung der gerichtlich beauftragten Sachverständigen angeschlossen hatte, dass dort im konkreten Einzelfall ein Zeitraum von drei Monaten zur Durchführung notwendiger Baumpflegemaßnahmen und Totholzbeseitigung angemessen, aber auch ausreichend gewesen sei (vgl. hierzu Braun, Aktuelle Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen im Berichtszeitraum 2014/2015, FLL-Verkehrssicherheitstage 2015, Tagungsband, Teil 1, 9, 11 f.). Abgesehen von den beiden Entscheidungen des OLG Braunschweig und des OLG Hamm existiert bislang kaum Rechtsprechung zum Zeitrahmen für die Durchführung notwendiger Maßnahmen im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht. Ältere Rechtsprechung hat überwiegend in nicht zumutbarer Weise für den Pflichtigen von diesem ohne sachgerechte Einzelfallprüfung pauschal ein sofortiges Handeln gefordert (vgl. hierzu Braun, Die Haftungsuhr läuft: Zeitrahmen für Gefahrenbeseitigung nach der Baumkontrolle, Jahrbuch der Baumpflege 2011, 76 m.w.N.).

Praxistipp: Baumkontrolleure sollten im Rahmen der Baumkontrolle bei festgestelltem Handlungsbedarf zur Herstellung der Verkehrssicherheit einen fachlich nachvollziehbaren Zeitrahmen möglichst konkret benennen, der bei Maßnahmenumsetzung konsequent einzuhalten ist.

Ass. jur. Armin Braun, GVV-Kommunalversicherung

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