Albaniens Hauptstadt: mit Betonromantik im Umbruch

Tirana, wo alles passieren kann

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1 Tirana mit dem Großen Park vor der Bergkulisse des Dajti -Liebe auf den zweiten Blick. Foto: Alpinfo_eigenes Werk_CC BY-SA 3-0

Nach Tirana geht man nicht, um dort glücklich zu werden. Man muss schon glücklich sein, wenn man in Tirana ankommt" - sagte mir einmal ein guter Freund, der nahezu ein Jahrzehnt in Albanien verbracht hat. Und er hatte durchaus recht. Wenn jemand in Tirana, der Hauptstadt Albaniens den osmanischen Charme einer Balkanmetropole sucht, wird arg enttäuscht sein. Anstelle dessen erwartet einen Mussolini-Klassizismus, Betonromantik, und trotzige Postostblock-Modernität, die sich vor einer palmenbestückten, mediterranen Kulisse inszenieren.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters, aber was Tirana betrifft, muss man lange schauen, bis diese Schönheit entdeckt ist. Es wäre trotzdem falsch, die Stadt als physischen und sozialen Raum vorschnell für uninteressant zu erklären. Gerade die städteplanerische Entwicklung der letzten Jahre sowie die erinnerungskulturelle Aufarbeitung der architektonischen Spuren der Geschichte machen die Stadt zu einem wahren Erlebnispark für Interessierte.

Hauptstadt?!

Tirana oder wie es die Einwohner in ihrem Dialekt nennen, Tirona, kam als Hauptstadt lange nicht in Frage. Im Ersten Weltkrieg wurde Albanien ein Schauplatz innenpolitischer Unruhen und großmachtpolitischer Kämpfe. 1920 kam die albanische Elite am kleinen Ort Lushnja zu einem Kongress zusammen, und suchte nach Lösungen, wie sie die angeschlagene Souveränität des Landes wiederherstellen könnte.

Eine Hauptstadt musste her. Unglücklicherweise war Vlora, wo 1912 die Unabhängigkeit Albaniens ausgerufen wurde, seit dem Ersten Weltkrieg von italienischen Truppen besetzt. Die Regierung wurde wiederum vom Kongress entmachtet und damit fiel auch die provisorische Hauptstadt an der Adriaküste, Durrës, in Ungnade. So einigten sie sich am Ende auf eine bis dahin unbedeutende und verstaubte Stadt, die sich in der geographischen Mitte des Landes befand: Tirana.

Abgesehen von den schlichten Argumenten der Geometrie, sprach auch die Geographie für diese Entscheidung. Tirana hatte eine durchaus günstige Lage: Es liegt in einem Tal vom Bergmassiv Dajti umgeben, das Richtung Meer und den Norden offen ist. Wegen der Berge ist die Gegend sehr reich an Wasser, im Talkessel der Stadt ist es wiederum gewöhnlich einige Grad wärmer als in der umliegenden Landschaft. Das macht die Region zu einem guten Anbaugebiet von Obst und Gemüse.

Aus der verschlafenen Provinzstadt wurde innerhalb von zwei Jahrzehnten das Regierungsviertel eines modernen Albaniens aufgebaut und die Grundzüge des heutigen Straßennetzes niedergelegt. Die Zeit der Generalpläne für die Stadt begann: In den 1920 er Jahren mit Österreichern und kurz darauf mit dem italienischen Architekten Armando Brasini, der einen Bauplan für die neue Hauptstadt Tirana entwickeln sollte.

Aus dieser Zeit stammt die von Norden nach Süden verlaufende Achse eines Boulevards und eines entlang des Flüsschen Lana, sowie der monumentale Skanderbeg-Platz. Sein Namensgeber, Skanderbeg, ist der albanische Nationalheld schlechthin, der im 15. Jahrhundert erfolgreich gegen die osmanische Invasion kämpfte.

Um diesen Platz herum entstanden in der Zwischenkriegszeit die Gebäude der gelb-roten Ministerien und das Rathaus mit grünen Fensterläden im Littorio Stil. Diesem Stil ist "die Verwendung einer vereinfachten, klassizistischen Formensprache, Marmor- und Travertinverkleidungen, sowie die Verwendung von Flach-Reliefs an den Fassaden"¹ eigen, was etwa an den unverkennbaren Helmreliefs Skanderbegs erkennbar ist, die das heutige Rathaus zieren. Sie stellten den Skanderbeg-Platz allerdings erst nach der Besetzung des Landes durch italienischen Truppen am 7. April 1939 fertig.

Es ist eine Laune des Schicksals, dass die Italiener den Freiheitskämpfer Skanderbeg in der Architektur der Stadt verewigten, gleichzeitig beraubten sie den jungen Staat seiner Selbstständigkeit durch die Einrichtung eines Protektorats. Somit ist der Stadtkern bis heute ein stummer Beweis für quasi-koloniale Verhältnisse.

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3 Sovietische Architektur in Albanien – das Schallvare-Gebäude. Foto: AdobeStock/20190215141303
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2 Tiranas Zentrum von oben. Foto: AdobeStock/207029989

Während der zweiten Weltkriegs war Tirana ein zentraler Ort des kommunistischen Widerstands.

Die Befreiung des Landes von der Fremdherrschaft bedeutete keineswegs die Befreiung der Menschen. Enver Hoxha, der Leiter der albanischen Kommunistischen Partei errichtete schnell eine Diktatur, was auch das Stadtbild und das Leben in Tirana nachhaltig prägte.

Dafür bekam das kleine Albanien ein großzügiges Geschenk von Chruschtschow 1959: einen Kulturpalast mit einer großen Freitreppe, der bis heute die Oper und Nationalbibliothek beherbergt. Die Freundschaft der beiden Länder dauerte nicht lange: 1961 erfolgte der Bruch zwischen ihnen und die Entwicklung der albanischen kommunistischen Architektur nahm eine eigene Richtung. Dazu gehörte die Entfernung vom sowjetischen Realismus Anfang der 1970er Jahre, als engagierte albanische Architekten wie Maks Velo und Petraq Kolevica der Parteiführung einen Hauch Modernismus und Kubismus unter dem Label des sozialistischen Realismus verkauften.

Eines der berühmtesten Beispiele für den albanischen Kubismus ist der Pallati me kuba (Palast mit Würfeln), das im Jahr 1972 von Maks Velo entworfen wurde. Dieses Gebäude wurde ganz in der Nähe des Skanderbeg-Platzes in der Dibra-Straße erbaut. Es ist auch als Kadare-Gebäude bekannt, da der bekannteste albanische Schriftsteller, Ismail Kadare, während der kommunistischen Zeit sein eher privilegiertes Leben in diesem Haus verbrachte. Dieses Gebäude ging nicht mehr als sozialistischer Realismus im Hoxha-Regime durch, sondern wurde als von westlichen Einfluss infizierte modernistisch und kubistisch deklariert und Maks Velo musste für zehn Jahre ins Gefängnis.

So kam nach dieser kurzen Phase der relativ liberalen Tendenzen die vollkommene Abschottung und eine Zeit der politischen Paranoia. Hoxha, der politische Architekt des neuen Albaniens machte aus Tirana eine Stadt, wo Privatpersonen keine Fahrzeuge besitzen durften, allerdings verkehrten die Omnibusse für Nulltarif. Die Stadt sollte die neue Ideologie des albanischen Kommunismus widerspiegeln und alles nichtsozialistische zum Verschwinden bringen. So musste das alte neoklassizistische Rathaus vor dem Nationalmuseum mit seinem riesigen Mosaik zu Ehren des ewig kämpfenden albanischen Volkes weichen.

"Politik mit Farben"²

Nach 1990 verwandelte sich Tirana wie ganz Albanien in ein herrschaftsloses Vakuum. Die Stadt platzte aus allen Nähten wegen der starken Zuwanderung. Viele Leute, die sich im politisch-wirtschaftlichen Wirrwarr nicht nach Italien absetzen konnten oder wollten, suchten ihr Glück in der Hauptstadt. So entstanden binnen weniger Jahre riesige illegale Siedlungen wie etwa Kamza am nordöstlichen Eck von Tirana, wo sich überwiegend Leute aus dem Norden niederließen. Sie brachten die alten Traditionen des albanischen Gewohnheitsrechts und Armut mit, und hausten lange ohne Anschluss an Wasser und Elektrizität. Dadurch waren und teilweise sind diese Gegenden stark von Kriminalität betroffen.

Diese Situation änderte sich 2000, als der Rebell der südosteuropäischen Politikszene, Edi Rama ins Rathaus einzog. Der ehemalige Basketballprofi und Maler sei ein Selbstdarsteller, sagen Journalisten die ihn gut kennen, und liegen damit vermutlich richtig. Er verordnete den Abriss der illegal gebauten Häuser und übertünchte die postkommunistische Tristesse der grauen Stadt mit bunten Farben an den Außenwänden der Wohnhäuser im Zeichen der Kunst. Seitdem beherrschen die farbenfrohen Hochhäuser das Stadtbild.

Der Coolste der Coolsten, Edi Rama, stellte sich damit noch nicht zufrieden. In einem Gastauftritt im Rapsong "Tirona" in 2004 beklagte er sich im Takt über den Lärm der Stadt. Auf die Worte folgten Taten: Er startete das Projekt Clean and Green, der auf die Erholung des öffentlichen Raums abzielte. Er reorganisierte die Müllentsorgung und ließ öffentliche Parks anlegen. Für sein Engagement wurde er von den Vereinten Nationen ausgezeichnet und 2004 von der City Mayor Foundation zum Weltbürgermeister des Jahres ernannt.

Ein zentrales Anliegen von Rama war, das Stadtzentrum zu erneuern. Der Skanderbeg-Platz mit der Reiterstatue ist bis heute ein Wahrzeichen der Stadt und ein Ort, wo durch Baupläne politische Kämpfe ausgetragen worden sind. Die Umgestaltung der verkehrstechnischen Katastrophe zu einer autofreien und grünen Insel der Stadt wurde von ihm angestoßen. Im internationalen Wettbewerb wurde das Projekt des belgisch-albanischen Teams 51N4E ausgewählt.

Der Umbau wurde allerdings 2013 vom neu gewählten Bürgermeister Lulëzim Basha gestoppt. Er gehört als Mitglied der Demokratischen Partei zum politischen Erzfeind des Sozialisten Edi Rama. Substanzielle Unterschiede zwischen den zwei führenden Parteien Albaniens gibt es nicht, umso mehr findet man auf regionale Klanstrukturen zurückzuführende Gegnerschaften und puren Machtkampf. Im Jahr 2013 wurde ein neuer allgemeiner Masterplan von Tirana vom Bürgermeister Basha genehmigt. Er wurde in Zusammenarbeit mit der Polytechnischen Universität Tirana und Nichtregierungsorganisationen erarbeitet, wodurch der Platz mehr Grün bekam, jedoch blieb er praktisch ein Autokarussell.

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4 Der neu gestaltete Skenderbeg-Platz im Jahre 2014. Foto: AdobeStock/101671007
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5 Der Pallati me kuba (Palast mit Würfeln), des Schriftstellers Ismail Kadares Wohnung. Foto: Stadt Tirana

"Die sauberste Stadt des Balkans"³

Als ein neuer aufgehender Politstern am Himmel der Sozialistischen Partei Albaniens in Person von Erion Veliaj erschien und das Rathaus für die Sozialisten zurückeroberte, wurde der Skanderbeg-Platz vom ehemaligen Gewinnerteam unter der neuen Verwaltung 2016 wieder neugestaltet. Das fertiggestellte Projekt erhielt 2018 den "Europäischen Preis für den städtischen öffentlichen Raum". Als Ergebnis verschwanden die Autos, allerdings auch große Teile der Grünfläche.

Stattdessen bildet jetzt das Zentrum des Platzes eine freie Fläche, die mit rund 130.000 Steinen aus verschiedenen Mineralen aus ganz Albanien gepflastert ist. Auf der Oberfläche sind mehr als hundert Wasserspiele versteckt, die den im Sommer aufheizenden Platz etwas abkühlen. Auch an die Nachhaltigkeit wurde gedacht: "In einem Kreislaufsystem wird das Wasser aufgefangen und wiederverwendet."4 Auf dem Platz, der nur wenig Schatten anbietet, sind mehrere grüne, bewegbare Stühle aufgestellt, so werden die Fußgänger eingeladen, den öffentlichen Raum mitzugestalten.

Durch diesen Umbau veränderte sich die Dynamik des Stadtkerns grundlegend. Der Skanderbeg-Platz verwandelt sich von Zeit zu Zeit zum Weihnachtsmarkt, einem Sommerfest oder öffentlichen Kundgebungen. Neben älteren Männern mit Zigaretten im Mund und plaudernden jungen Mädchen sind auch Skater und Inliner erschienen - eine neue Szene ist im Entstehen.

Und der neue Bürgermeister hat auch weitere ambitionierte Pläne, wie er Tirana nachhaltiger und lebenswerter machen kann. Veliaj, wie Rama, ist ebenso ein unkonventioneller Politiker, der aus dem internationalen NGO-Milieu in die Politik eingestiegen ist. Sein Tirana 2030 Projekt, das er 2016 startete, ist Teil seiner Vision, die Stadt den Bürgern zurückzugeben. Das Projekt sieht einen Waldstreifen vor, der wie ein grüner, atmender Gürtel die Hauptstadt festbindet. Dafür sollen bis 2030 zwei Millionen Bäume gepflanzt werden.

Der Plan ist ein Werk des italienischen Architekten Stefano Boeri, und soll "Tiranas Zukunft als ökologisch nachhaltige Stadt sichern,"5 wie dies die Stadtverwaltung selbstsicher verkündet. Selbstsicher ist auch der Bürgermeister Veliaj, der seit 2015 ohne Unterbrechung die Stadt leitet und neulich den Titel "European Youth Capital" mit nach Hause brachte. Unter dem Motto "aktive Jugend"6 reagiert die Stadt auf die Bedürfnisse ihrer jungen Bewohner und Bewohnerinnen, es werden zum Beispiel immer mehr Fahrradwege gebaut, auch wenn es noch nicht so viele Radler gibt, die sich ohne Pferdestärke in den Verkehr trauen.

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6 Typische Straße in Tirana. Foto: Creative Commons, anj?i BY-Sa 2.0
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7 Der Skenderbeg-Platz in heutiger Form. Foto: Leeturtle eigenes Werk, Creative commons, CC BY-SA 3.0

Gelebte Geschichte

Für die Erschaffung einer gemeinsamen Identität sind "Fixpunkte der Vergangenheit"7 für eine Nation ausschlaggebend. Die Identitätssuche findet auf mehreren Ebenen wie Sprache, Kultur und Religion statt, und bezieht auch architektonische Werke mit ein. Diese Aussage gilt besonders für Albanien, das sich im Trubel der überlappenden Interessen der Großmächte und anderer Balkanstaaten behaupten musste. Dadurch entstand ein topographischer Palimpsest, eine Wiederbeschreibung von konkurrierenden Geschichtsdeutungen, wobei von den jeweiligen Machthabern immer wieder versucht wurde, Spuren bestimmter Herrschaftssysteme, Kulturen oder Religionen zu verwischen.

So gab es eine Zerstörungswelle von materiellen Überresten des Kommunismus im Zuge des Systemwechsels, was etwa der Sturz der Enver Hoxha-Statue 1991 symbolisierte. Andere wurden lange einfach ignoriert, wie die sogenannte Pyramide von Enver Hoxha. Einst als Mausoleum und Museum von seiner Tochter Pranvera Hoxha entworfen, fristete der skurrile Bau neben der Residenz der Ministerpräsidenten sein Schattendasein, bis dank "staatlicher und privatwirtschaftlicher Inszenierung des sozialistischen Kulturerbes" ihr Umbau begann.8 Nach mehreren Anläufen plant die Stadtverwaltung die Umwandlung der Pyramide in einen Begegnungsraum, wo junge Kreative und Techniknerds gemeinsam an ihren Ideen feilen können.

Gegenüber dem Gebäude auf der anderen Straßenseite des Boulevards prangen drei Relikte der sozialistischen Vergangenheit, von denen eins den Deutschen bekannt vorkommen wird: ein Stück Berliner Mauer, die Betonstützen aus der Mine von Spaç, einem Arbeitslager für politische Gefangene während des Kommunismus und ein Bunker - davon gibt es nach neuesten Untersuchungen fast 75.000 verstreut im ganzen Land. Sie stammen aus der Zeit der völligen Isolation, als Enver Hoxha in ständiger und panischer Angst vor ausländischen Angriffen lebte.

Heute werden manche Bunker etwa als Schäferstündchen von Jugendlichen, als Restaurantküche am Strand oder eben als Museum benutzt. Vom letzteren gibt es in Tirana zwei, eins direkt hinter dem Rathaus und eins am nördlichen Rande der Stadt am Bergfuß des Dajti. Das BunkArt 1, wie das Museums heißt, liegt in einem eher unschönen Viertel der Stadt und diente damals als Privatbunker von Enver Hoxha und des politischen Kaders. Er beherbergte sogar ein Kino, wenn es zu langweilig sein sollte. Heute hämmert das Museum durch beindruckende und beklemmende Bilder, Artefakte und Zeitzeugeninterviews seine Botschaft in die Köpfe der Besucher: nie wieder Diktatur.

Eine andere Modifikation des Raums erfolgte mit dem einst abgeschotteten Regierungsviertel Blloku: Heute ist es die angesagteste Partymeile der Stadt, wo im Anbruch der Dunkelheit aufgedonnerte Frauen und Männer von einem Club in den anderen flanieren und die ehemalige Villa des Diktators keines Blickes würdigen. Im Blloku wird gerade ein Wahrzeichen des Tirana 2030 fertiggestellt: der Blloku Cube. Ein würfelförmiger Shopping-Komplex mit raffinierter doppelter Fassade. Die "Double Skin", die aus einer "geschlossenen Glasfassade" und "quadratischen Modulen aus eloxiertem Aluminium" besteht,"9 sorgt für thermische Effizienz. So verbinden sich auch in diesem Fall die Komponenten des gesellschaftlichen Nutzens alla Albanese mit der Nachhaltigkeit.

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8 Ein Stück moderne Architektur – Das Toptani Einkaufszentrum. Foto: Stadt Tirana
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9 Aus dem politischen Wahnsinn zum Museum: das BunkArt 2 im Zentrum Tiranas. Foto: Stadt Tirana

"Alles kann passieren, wir leben in Tirana"

Nach fast zwei verbrachten Jahren in dieser Stadt bin ich von Tirana fasziniert und genervt zugleich. Man merkt Woche für Woche, wie sich die Stadt meistens zum Guten verändert. Es gibt immer mehr Beispiele für kreative, verantwortungsvolle Umgestaltung und Erneuerung des öffentlichen Raums und des architektonischen Erbes: etwa der Rilindja Park am Boulevard, wo mit einem Hundepark endlich auch an die Vierbeiner gedacht wurde, und die Stromkästen zieren überall kreative Graffitis.

Der große Kreisverkehr am Sheshi i Shqiponja (Platz des Adlers) nach dem überdimensionalen zweiköpfigen Adler, der schweigend den chaotischen Stau um ihn herum bewachte, wird umgebaut. Dieser Ort, wo vier verkehrslastige Straßen am nordwestlichen Ende der Stadt zusammenlaufen, wird durch einen Tunnel entlastet.

Dafür wurden jedoch zahlreiche kleine Häuser und damit Existenzen eiskalt mit dem Bulldozer weggetragen. Nach dem Abriss passierte lange nichts - das Geld war einfach weg. Sowohl hier als auch bei den Hochhäusern rund um den Skanderbeg-Platz verdichten sich kriminelle Energien, wo Klans und Mafia großes Interesse zeigen, in Albaniens Bauwirtschaft zu investieren.

Die Internationalisierung der Architektur der Stadt erfolgt oft auf Kosten des städtischen und architektonischen Erbes. Neoklassizistische Villen und Fundstücke des sozialistischen Erbes versanken im Müll und dem ihnen eigenen eingestürzten Baumaterial - ganz in der Nähe des bayerischen jagdhausartigen Gebäudes der Deutschen Botschaft sowie im Kiez des Neuen Basars vor den gleichgültigen Blicken der einheimischen und internationalen Einwohner*innen der Stadt.

Im Verkehr gilt immer noch das Gesetz des Stärkeren und neben Vergemeinschaftung gibt es auch Tendenzen der Privatisierung des Raums wie etwa im Norden der Stadt, wo sich die ehemalige Zugstation und der alte Markt befanden. Es bedarf also weiterhin starkes politisches und zivilgesellschaftliches Engagement, das auf einen bewussten und nachhaltigen Umgang mit der Stadt als Lebensraum abzielt.

Die Zukunft ist offen, aber in Tirana gilt der zum Sprichwort stilisierte Satz des Rapsongs von Edi Rama: "Alles kann passieren, wir leben in Tirana".10

Anmerkungen

 Zsófia Turóczy
Autorin

Doktorandin

Universität Leipzig

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