Ansätze naturnaher Spielraumplanung

Freiräume für Kinderkrippen

von:
Naturnahe Gärten
Auch für Kleinkinder ist das Spiel in naturnaher Umgebung geeignet – wichtig nur die angemessene Beaufsichtigung. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel

Wie Pädagogik, Entwicklungspsychologie und Erkenntnisse aus der bestehenden Praxis bestätigen auch die Erfahrungen der naturnahen Spielraumplanung, dass Kinder in ihren Spielräumen nicht in erster Linie Spielgeräte benötigen - es ist vielmehr die naturnahe Umgebung, die das freie und kreative Spiel ermöglicht. Keines der existierenden Konzepte naturnaher Planung ist jedoch auf Kinder im Krippenalter zugeschnitten, Zielgruppen sind zumeist Kindergarten- oder Schulkinder.

Wie bestehende Konzepte hinsichtlich ihres möglichen Einsatzes für Freiräume von Kinderkrippen zu bewerten sind, klärt der folgende Beitrag, konzipiert als Fortsetzung zum gleichnamigen Artikel in Stadt und Grün 05/2013.

Naturnahe Spielraumplanung

Die Nachfrage nach räumlich definierten Spielorten entstand mit der Industrialisierung und der zunehmenden Verstädterung schon im 19. Jahrhundert. Erst 1979 wurde sie jedoch in Deutschland auch gesetzlich verankert. Schon von Beginn an wurde dabei auch Kritik laut: "Seit Ende der 50er-Jahre findet eine kontinuierliche Verdrängung unserer Kinder in sogenannte Ersatzräume, wie zum Beispiel eingezäunte Kinderspielplätze, statt. Insbesondere die gigantische Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs hat dazu geführt, dass Kinder zunehmend auf kleinen, isoliert liegenden, unattraktiven möblierten Restflächen spielen müssen. Die Folgen sind allgemein bekannt und können in den Stichworten ,Ghettoisierung' und ,Verinselung' zusammengefasst werden. Wir kennen diese Phänomene übrigens auch aus dem Artenschutz" (Barz 2008: 11).

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Naturerfahrungsraum in Stuttgart: Einzelne Trampelpfade in dichtem Gebüsch (a). Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel
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Naturerfahrungsraum in Stuttgart: Einzelne Trampelpfade in dichtem Gebüsch (b). Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel

Auch unabhängig von dieser Nähe zum Naturschutz, die sich dadurch ergibt, dass beide Interessen in Reservate abgeschoben werden, ist die Forderung nach mehr Natur von Anfang an Teil der Spielplatzdebatte. Dennoch ist der Spielplatzbau anfangs stark gerätebetont; dies erklärt sich unter anderem aus seiner Verankerung im Sportstättenbau, wo schon vor der eigenständigen gesetzlichen Erfassung strategische Spielplatzplanung betrieben wird.1) Erst in den 1960er-Jahren kommen mit Abenteuerspielplätzen, Kinderbauernhöfen und Stadtteilfarmen erste alternative Spielplatzkonzepte aus der Sozial- und Erlebnispädagogik auf. Natur gewinnt hier Bedeutung als Primärerfahrungsraum und gesellschaftliche Ressource. Diese Ideen sind bis heute wirksam im Verständnis der pädagogischen Wirkung von Räumen. Die Gestaltung von Räumen stellt so eine Bereitstellung von Gelegenheiten für Erfahrungen dar.2) Im gärtnerisch-planerischen Bereich gewinnt zeitgleich (besonders in den 1970er- und 80er-Jahren) die ökologisch geprägte Naturgartenbewegung an Bedeutung, die ebenfalls bis heute wirksam ist. Sie propagiert Naturschutz durch die Nutzung heimischer Pflanzen sowie Strukturvielfalt als Grundvoraussetzung für Biotop- und damit wiederum Artenvielfalt.

Im Spannungsfeld dieser beiden Einflüsse befindet sich die naturnahe Spielraumplanung bis heute. Dabei gibt es keine klare Definition dessen, was einen Spielraum naturnah macht. Grob zu unterscheiden sind jedoch zwei Typen: Gerätespielplätze in naturnaher Umgebung und geräteunabhängige Naturspielräume.

Die Mehrzahl der als naturnah beschriebenen Planungen verzichtet nicht vollständig auf eine Möblierung mit technischen Spielgeräten, kann also als Gerätespielplatz in naturnaher Umgebung beschrieben werden. Verwendet werden dabei jedoch zumeist nur bestimmte Geräteausführungen, die häufig, naturtümelnd in ihrer Materialität, Spielerlebnisse vermitteln sollen, die den Kindern bekannt und nicht durch naturnahe Alternativen zu ersetzen sind (vgl. zum Beispiel Pappler/Witt 2001: 18). Genannt werden dabei häufig Holmbreitrutschen und Schaukeln. Bekanntester Vertreter dieser Planungsrichtung ist Reinhard Witt, ein freiberuflicher Biologe und Journalist, der sich schon seit den 1980er-Jahren in der Naturgartenplanung engagiert. Natur-Erlebnis wird von ihm als "demokratischer Prozess" gedeutet (ebd.: 12), an dem das Kind aktiv teilhaben kann. Dem Kind wird fundamentales Lernen über sich selbst und die Natur ermöglicht, ihm werden Freiräume für das aktive Gestalten zugestanden (ebd.: 13). Dazu wird auch die Nutzerbeteiligung bei der Planung, beim Bau und bei der Pflege naturnaher, kindgerechter Freiräume gefordert (ebd.: 14). Der Aspekt des Heimischen steht in der Naturgartentradition im Vordergrund von Witts Pflanzplanungen.

Geräteunabhängige Naturspielräume werden hingegen häufig aus Naturschutzgedanken entwickelt und verzichten auf jegliches technisches Spielgerät. Besonders zu nennen ist an dieser Stelle das Konzept der Naturerfahrungsräume. Diese wurde 1998 im Zuge eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes des Bundesamts für Naturschutz von Hans-Joachim Schemel entwickelt, das der zu jener Zeit bevorstehenden Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes vorausging. Akzeptanzprobleme des Naturschutzes wurden dabei auf dessen "einseitig naturökologische Ausrichtung" zurückgeführt, die den Menschen vornehmlich als "Störfaktor" empfinde und insofern "restriktive Schutzkonzeptionen" vertrete (vgl. Schemel 1998:7). Eine Betonung der "Funktion der Landschaft als Erlebnis- und Erholungsraum", ohne dabei den Schutzzweck zu gefährden, wurde angestrebt und sollte mittels der neuen Flächenkategorie "Naturerfahrungsraum" (auch NERaum) raumpolitisch gefasst werden (vgl. ebd.: 7ff.). Die Entwicklung von "naturnahen, ökologisch vielfältigen Flächen in enger Verknüpfung mit der schonenden Nutzung" sollte "Schutz durch nachhaltige Nutzung" bieten (vgl. ebd.: 8) und somit letztlich Umweltschutz und Erholungsplanung integrieren sowie einer Naturentfremdung vorbeugen (vgl. Schemel 1996: 363f.).3)

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Typisches Element naturnaher Spielraumplanung nach Witt: Der Weidentunnel. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel

In einer weiteren Studie Schemels4) wurden exemplarisch in vier baden-württembergischen Städten NERaum-Standorte ausgewählt und untersucht (vgl. Blinkert/Reidl/ Schemel 2005). In Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe und Nürtingen wurden in neu angelegten NERäumen oder in bestehenden naturnahen Grünflächen Kinder und jugendliche Nutzer in ihrem Spielverhalten beobachtet und befragt, Vergleichsgruppen auf konventionellen Spielplätzen untersucht, Elterngespräche geführt und Aufnahmen von Vegetation und Nutzungsspuren in den Freiräumen ausgewertet. So sollte die Akzeptanz im Allgemeinen und die Nutzung der Räume durch Kinder und Jugendliche im Speziellen belegt werden. Die Ergebnisse der Studie bleiben jedoch eine Antwort, die über vorab formulierte Ansichten der Autoren hinausgeht, schuldig.

Naturnahe Spielraumplanung bleibt so Überzeugungssache - Gegner und Befürworter verteidigen sie oft eher intuitiv, wenige wissenschaftliche Grundlagen werden zumeist der persönlichen Einstellung des jeweiligen Planers unterworfen. Naturnah ist jedoch für Kinder keinesfalls zwangsläufig in einem ökologischen Sinne zu verstehen. Kinder nehmen, besonders im Krippenalter, Natur zunächst als Umwelt wahr, die vorerst noch keinen moralisch-ästhetischen Kategorien unterliegt. Laut Gebhard (2009) sind daher Freiräume für Kinder attraktiv, die veränderbar sind und in denen sie sich der Kontrolle der Erwachsenen (bedingt) entziehen können, ohne jedoch den Kontakt dabei zu verlieren (vgl. ebd.: 98 f.). Dabei "ereignet sich die Wirkung von Natur nämlich nebenbei" (ebd.: 98). Gebhard geht davon aus, dass die nichtmenschliche Umwelt wesentlich die Gesamtpersönlickeitsentwicklung eines Kindes beeinflussen kann (vgl. ebd. 16 f.). Naturerfahrungen im Kindesalter können also bis ins Erwachsenenalter wirken. So erscheint naturnahe Planung sinnvoll, muss jedoch losgelöst von den Aussagen der Planer selbst auf ihre Praxistauglichkeit untersucht werden.

Erfahrungen aus der Praxis

In einem studentischen Projekt an der Universität Kassel5) wurden im Jahr 2011 exemplarisch naturnahe Spielflächen untersucht, um die Nachhaltigkeit der oben genannten Gestaltungsansätze zu prüfen. Witts Planung eines Schulhofs und Kindergartens in Schwabach, die stark an der ökologischen Naturgartenbewegung orientiert ist, zeigt dabei vor allem eine Übernutzung der Vegetation - diese ist dem hohen Nutzungsdruck vor allem auf dem stark frequentierten Schulhof nicht immer gewachsen. Eine Entfernung der Pflegenden von ursprünglichen Konzepten, zum Beispiel durch das Einbringen von Rosa rugosa6) statt Rosa canina, wo letztere "abgespielt" war, trägt ihr übriges dazu bei, ursprüngliche Konzepte zu verwischen.

Die unter Begleitung Schemels von der HfWU angelegten Naturerfahrungsräume sind hingegen nicht einmal als Spielräume zu erkennen. Durch Sukzession heute stark bewachsen, ähneln sie wahlweise dem nahe gelegenen Wald (Karlsruhe) oder einem, bis auf wenige (Mahd)Wege undurchdringlichen Gebüsch (Stuttgart). Eine Nutzung war während der Besuche 2011 nicht festzustellen.

Durch eine gezieltere pflegerische Begleitung können aber auch geräteunabhängige Konzepte funktionieren; so bestätigt durch das "Paradies", ein Modellprojekt des Landes Rheinland-Pfalz in Oppenheim, das seit inzwischen 15 Jahren genutzt wird. Betreut wird es von Henriette Degünther, die Kinderbedürfnisse an den Raum ernst nimmt, gleichzeitig aber für Akzeptanz bei den Erwachsenen wirbt. Sie empfiehlt dafür einen "Sauberkeitsstreifen", der die Spielraum-"Wildnis" optisch eingrenzt (vgl. auch Bellin-Harder/Huxmann, 2012: 52 f).

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Sauberkeitsstreifen am "Paradies" in Oppenheim. Akzeptanz durch ordentliche Außenpräsentation. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel
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Natursteinmauern als Strukturelemente. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel
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Die Wittsche Pflanzenverwendung beschränkt sich auf Einheimisches: Wiese im Spätherbst. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel
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Kindergartenplanung von Witt in Schwabach. Strukturvielfalt durch kleinräumige Aufteilung. Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel

Konsequenzen für die Planung für Krippenkinder

Während Kinder im Kindergartenalter auch ohne durchgehende Eins-zu-Eins-Betreuung das Gelände erkunden können, ist dies für Krippenkinder nicht denkbar - zu wichtig die Fürsorge und Rückversicherung und zu groß die Gefahr: Kleinstkinder haben in diesem Alter noch nicht die nötige Risikokompetenz, um in für sie unübersichtlichen Räumen zu verstehen, welche Aktivitäten gefährlich sein könnten. Auch erkunden sie altersgemäß viele Dinge mit dem Mund - eine kontrollierte Vegetation, bei der giftige Pflanzen von Kindern zumindest nicht direkt erreicht werden können, ist insofern für diese Zielgruppe notwendig.

Dennoch sind Grundideen der naturnahen Spielraumplanung auch auf Freiräume für Kinderkrippen übertragbar. Diese sind:

  • Strukturreiche Freiräume mit unterschiedlichen Bereichen bieten vielfältige Anregungen für Kinder.
  • Naturerleben ist, wie im zugehörigen Artikel in Stadt + Grün 05/2013 beschrieben, von entscheidender Wichtigkeit für Kinder - es erscheint sinnvoll, sie so früh wie möglich daran teilhaben zu lassen, so dass eine "Entfremdung" von der Natur erst gar nicht eintritt.
  • Naturerleben braucht einen geeigneten Rahmen, also Sicherheit, die im Falle der Kleinstkinder durch Betreuung aber auch durch ein deutlich kleineres Raumangebot und eine bessere Übersichtlichkeit erreicht werden kann.

Für den der Studie des Bundesamts für Naturschutz zugrunde liegenden Naturschutzgedanken sind die Kleinstkinder im Krippenalter zu jung - Naturerfahrung bedeutet für sie in erster Linie Erkundung der Welt, ihrer Selbst, ihres Empfindens und ihrer Wahrnehmung anhand der sinnlich-erfahrbaren Umwelt. Das Lernen und Erkunden findet dabei im Spiel statt, als Teil der vom Kind selbst ausgehenden Entwicklung.

Die Beteiligung aller Interessierten und Betroffenen, so zum Beispiel die Anwohner, im Falle der Kindertageseinrichtung aber vor allem auch die Eltern, ist ebenfalls ein für den Krippenbereich übertragbarer Gedanke. So ist bei naturnahen Ansätzen der Freiraumausstattung einer Kindertagesstätte eine enge Kooperation mit den Eltern sinnvoll. Im Krippenalter ist die Kompetenz der Kinder, eigene Ideen, Wünsche und Vorschläge zu naturnahen Räumen zu entwickeln noch nicht gegeben. Somit ist eine echte Beteiligung der Kinder noch nicht umsetzbar. Dennoch sollten sie in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden und neue Entwicklungen nachverfolgen und miterleben, so dass sie ein Gefühl des Beteiligtseins und der damit verbundenen Wertschätzung für den Raum und die darin enthaltene Natur entwickeln können.

Die konkrete Ausgestaltung von Freiräumen für Kinderkrippen kann jedoch schon aufgrund der Größe der Außenanlagen nicht vollständig dem Konzept der Naturerfahrung folgen - zu stark ist in den meisten Fällen der Nutzungsdruck auf den häufig eher kleinen Flächen. Denkbar wäre jedoch eine Zonierung, die naturnahe Gebiete in den geringer genutzten Randbereichen des Freiraumes vorsieht. Dies deckt sich mit bestehenden Beobachtungen von Kindern in Kindertagesstätten: "Kinder [suchen] gerne die Stellen auf [...], die von den Planern als Umrandungsbegrünung gedacht waren" (Hoppe 2008: 94). Die "Wildnisbereiche" nach Außen zu verlegen, widerspricht jedoch der erfolgreichen Planungsphilosophie Henriette Degünthers, die eine gepflegte Präsentation im Außenbereich aus Akzeptanzgründen empfiehlt. Eine enge Zusammenarbeit mit Eltern und Anwohnern kann an dieser Stelle Missverständnisse vermeiden. Es muss jedoch nicht die ungepflegte, "wilde" Natur sein, die den Freiraum zu einem Naturerlebnisraum im Kleinen macht - "spannende und lehrreiche Naturerfahrungen [können] überall stattfinden" (ebd.). Besonders für die Zielgruppe der Krippenkinder sollte daher eine angemessene Dimensionierung nicht aus den Augen verloren werden - schon wenige Sträucher können für sie zu einem großen Gebüsch werden, wenige Blühstauden zur "Blumenwiese".7)

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aIm Paradies „Innen“: Vielfältige Spielerlebnisse durch unterschiedliche Vegetationsstrukturen (a). Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel
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aIm Paradies "Innen": Vielfältige Spielerlebnisse durch unterschiedliche Vegetationsstrukturen (b). Foto: Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Uni Kassel

Neben der pflanzlichen Abgrenzung des Freiraumes nach Außen sollte jedoch auch der Innenbereich durch Geländemodellierung und Pflanzungen strukturiert sein. So entstehen abgetrennte Räume, deren Grenzen dennoch durchlässig sind - dies gibt den Kindern die Möglichkeit, je nach Bedarf Blick- oder Sichtkontakt zu halten, oder doch eigenständig den Freiraum zu erkunden. In diese Struktur eingebettet sind für Kleinstkinder größere Rasenflächen, Sand- und Wasser-Matsch-Bereiche zu empfehlen. Entgegen der Theorien zur naturnahen Spielraumplanung verlangen Erfahrungen aus der Praxis des Weiteren nach einer versiegelten Fläche zum Spiel mit den beliebten Fahrzeugen. Diese könnte idealerweise ums Gebäude herum angelegt sein und so eine flexible Übergangsfläche vom Haus zum Freigelände darstellen. Von dieser "sicheren Basis" ausgehend, können die Kleinkinder das Gelände selbständig erkunden.

Das beschriebene Flächenkonzept stellt somit eine Invertierung von Henriette Degünthers Konzept der eingebetteten Wildnis dar - Wildnisbereiche fassen in diesem Fall die gepflegteren, einer stärkeren Nutzung ausgesetzten Spielbereiche. Dieser Ansatz erscheint trotz allem sinnvoll, da insgesamt eine höhere Pflegeintensität für Flächen der institutionellen Kleinstkindbetreuung zu veranschlagen ist, die einem höheren Nutzungsdruck unterliegen als öffentliche naturnahe Spielräume. Insgesamt muss in einer Betreuungseinrichtung ein gepflegteres und übersichtlicheres Bild entstehen - für eine Akzeptanz der Eltern, aber auch, um dem Betreuungspersonal die Beaufsichtigung und Rückversicherung aller ihnen anvertrauten Kinder zu ermöglichen. Die Vegetation sollte dabei weitestgehend bespielbar und für die Kinder auf verschiedenen Ebenen erlebbar sein - ein- und zweijährige Blütenpflanzen, die sich versamen und immer wieder an anderen Stellen auftauchen, Stauden und robuste Gehölze, die auch ersten Kletterversuchen standhalten, sind dabei zu empfehlen.8) Bei einer entsprechenden Planung sollten diese auch der Erkundung der Kleinstkinder standhalten können - Trampelpfade und ähnliche Nutzungsspuren sind jedoch nicht zu vermeiden; sie sind als Spuren der Aneignung und Selbstwirksamkeit der Kinder faktisch erwünscht. Weniger robuste Vegetation kann in deutlich markierten Beeten untergebracht werden - diese sollten idealerweise erhöht umgesetzt werden, so dass sie eine natürliche Grenze den Kleinkindern gegenüber darstellen.

Entstehen sollte so ein Freiraum, der der Reggiopädagogik gemäß "dritter Erzieher" sein kann, eine "vorbereitende Umgebung", die dem Kind als kompetenter Persönlichkeit Möglichkeiten gibt, Räume auch mit zu formen. Dafür, so zeigt sich in Pädagogik und Entwicklungspsychologie, braucht das Kind vor allem eine funktionsfreie Umgebung, deren Spielbereiche von den Kindern selbst definiert und gestaltet werden können. Dafür geeignet sind besonders naturnahe Spielräume; das Gerätespiel ist, besonders für Kleinstkinder, zu vernachlässigen. Die "Natur als pädagogische Kraft", wie auch in der Waldpädagogik gefordert, kann so im Freiraum erlebt werden. Dabei ist die generelle Möglichkeit zu Naturerfahrungen entscheidend, nicht das Umfeld, in welchem dies geschieht. Ein naturnaher Krippenspielraum ist demnach keine Sukzessionsfläche, die sich ohne Pflege entwickeln sollte, sondern eine Spielfläche mit verschiedenen Vegetationselementen, die eine Entwicklung der Pflanzungen zulässt und Prozesse der Pflege zur Stabilisierung unter Nutzungsdruck stehender Pflanzengemeinschaften entwirft.


ANMERKUNG

1) Die Deutsche Olympische Gesellschaft hatte schon im Jahr 1959/60 eine Empfehlung zur Spielplatzversorgung in Deutschland herausgegeben („Goldener Plan“; vgl. Mevert o. D.).

2) Schoch (2005) sieht dabei immer auch die „Gefahr der Instrumentalisierung von Spiel“ (ebd.: 1)zur erzieherischen oder anderen Zwecken: „Es ist [...] der Versuchung vorzubeugen, den für Kinder spezifischen ,spielerischen’ Zugang zur Welt zu kolonialisieren, d. h. aus pädagogischem Interesse heraus eine Lebensäußerung zu ,verzwecken’, die vor allem dadurch charakterisiert ist, dass sie bei Kindern eigentlich keinem äußeren Zweck dient, sondern in aller erster Linie aus sich selbst heraus motiviert ist“ (ebd.: 2). Durch ein bloßes Bereitstellen von Möglichkeiten kann dies im Spielraum vermieden werden.
3) Die Einführung einer neuen Flächenkategorie „Naturerfahrungsraum“ im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) hat jedoch trotz Schemels Bemühungen im Zuge der Studie nicht stattgefunden, weder in der „kleinen Novelle“ 1998 noch in der überarbeiteten Novellierung 2002. Auch in der aktuellen Novellierung, die zum 1. März 2010 wirksam wurde, werden Naturerfahrungsräume nicht als Flächenkategorie eingeführt. Eine der wichtigen Vorgaben für das neue Gesetz, das dank Föderalismusreform den Naturschutz erstmals bundesweit regelt, sei es gewesen, die Anzahl der Kategorien auf so wenige wie möglich zu beschränken, so Prof. Erdmann vom Bundesamt für Naturschutz (mündl. 25.02.2010). Die Zahl der Kategorien sei so oder so schon viel zu groß und für den Laien nicht mehr verständlich – dies führe nicht zu gesteigerter Akzeptanz, sondern sei dieser eher gegenläufig.
4) Zusammen mit Prof. Dr. Baldo Blinkert vom Freiburger Institut für angewandte Sozialwissenschaft (FIFAS) und Prof. Dr. Konrad Reidl von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU).
5) Betreut von der Autorin und Dipl.-Ing. Claus Prinz.
6) Diese aus Ostasien eingebürgerte Art ist keiner der von Pappler/Witt geforderten einheimischen.
7) Eine Orientierung an bewährten Vorbildern wie Bepflanzungentlang von Fassaden oder Zäunen (Stockrosensäume, Hecken, Ranker etc.) erscheint daher sinnvoll.
8) Vorbilder für eine robuste, dynamische Vegetation bieten stark gestörte Biotope wie Kiesbänke mit Weidenbewuchs oder die städtische Ruderalvegetation, die in Maßen gärtnerisch angereichert werden kann.

LITERATUR UND QUELLEN
Barz, Hans-Peter (2008): Spielraum für alle? Ziele der DIN 18034. In: Agde, Georg; Degünther, Henriette und Hünnekes, Annette (Hg.): Spielplätze und Freiräume zum Spielen. Ein Handbuch für Planung und Betrieb. 3. vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin, S. 10–15.
Bellin-Harder, Florian; Nora Huxmann (2012): Fünfzehn Jahre naturnahe Spielraumplanung Vegetationskundliche Untersuchung im „Paradies“. In: Stadt und Grün 07/2012, S. 51–58.
Blinkert, Baldo; Reidl, Konrad und Schemel, Hans-Joachim (Hg.) (2005): Naturerfahrungsräume im besiedelten Bereich: Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts. Nürtinger Hochschulschriften Nr. 24/2005, Nürtingen/Geislingen.
Erdmann, Karl-Heinz; Bundesamt für Naturschutz (mündl. 25.02.2010). Gebhard (2009): Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. 3. überarbeitete Auflage. Wiesbaden.
Hoppe, Jörg Reiner (2008): Naturerfahrungen in Kindertagesstätten. In: BfN (Hg.): Kinder und Natur in der Stadt. Spielraum Natur: Ein Handbuch für Kommunalpolitik und Planung sowie Eltern- und Agenda-21-Initiativen, Bonn-Bad Godesberg.
Mevert, Friedrich (ohne Datum): „Goldener Plan“ und „Zweiter Weg“: Vor 50 Jahren wurden die Weichen für den Sport für alle in Deutschland gestellt. http://www.dog-bewegt.de/fileadmin/images/Interaktiv/OF/Leseproben/Goldener_Plan_und_Zweiter_Weg_.pdfwww.dog-bewegt.de/fileadmin/images/Interaktiv/OF/Leseproben/Goldener_Plan_und_Zweiter_Weg_.pdf [Zugriff: 30.03.2013].
Pappler. Manfred und Reinhard Witt (2001): NaturErlebnis-Räume: Neue Wege für Schulhöfe, Kindergärten und Spielplätze, Seelze-Velber.
Schemel, Hans-Joachim (1998): Einführung. In: BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturerfahrungsräume. Bonn-Bad Godesberg, S. 7–10.
Schemel, Hans-Joachim (1996): Diskussionspapier für das F+EVorhaben „Naturerlebnisgebiete – ein humanökologischer Ansatz zur Sicherung der Landschaft als Erlebnis- und Erholungsraum und zur Förderung einer natur- und landschaftsverträglichen Erholung“. In: BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hg.) (1998): Naturerfahrungsräume. Bonn-Bad Godesberg, S. 363–371.
Schoch, Bernhard (2005): Spielraum Stadt – kritische Anmerkungen zu den Herausforderungen an das pädagogische Handeln. http://fachschulpaedagogik.de/articles/Spielraum%20Stadt.pdfwww.fachschulpaedagogik.de/articles/Spielraum%20Stadt.pdf [Zugriff: 30.03.2013].

M. Sc. Nora Johanna Huxmann
Autorin

Juniorprofessur im Fachgebiet Pflanzenverwendung in der Landschaftsarchitektur, TU Dresden, Institut für Landschaftsarchitektur

TU Dresden

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