Bürgerinitiative schafft neue vertikale Gärten
São Paulo: Eine Stadtautobahn wird Grün
von: Dr. Carlos Smaniotto CostaÜber die großen Defizite und kleinen Schritte für eine bessere Freiraumsituation in São Paulo wurde in der Ausgabe von Stadt und Grün in 10/2012 bereits berichtet. Ohne einen starken politischen Willen, der sich für einen Paradigmenwechsel einsetzt, ändert sich so eine defizitäre Lage nur langsam in der Stadt. Aufgrund ihrer Dimension, Dichte und Dynamik ist die Umweltsituation in São Paulo besonders kritisch. Das rasante Urbanisierungs- und auto-zentrierte Mobilitätsmodell verschlang fast alle Freiflächen, was unweigerlich zu einer schlechten Umweltqualität und der Zerstörung wichtiger Lebensräume führte. Heute sind die verbleibenden, nicht bebauten Flächen durch Immobilienspekulationen bedroht. Darüber hinaus ist das öffentliche Eigentum knapp und untersteht konkurrierenden Interessen. In São Paulo haben es Stadtentwicklungsmaßnahmen, die nicht direkt den Autofahrern (und der Autoindustrie) zugutekommen, schwer. Ein krasses Beispiel liefert die Entwicklung des Fahrradnetzes. Im März 2015 wurde der Bau des Radwegs auf dem Grünstreifen der Paulista Avenue, die Prachtstraße im Bankenviertel, durch eine Gerichtsentscheidung mit sofortiger Wirkung mit der Begründung gestoppt, der Bau von Radwegen darf nicht den (Auto)Verkehrsfluss beeinträchtigen! Erst in der zweiten Instanz gewann die Stadtverwaltung, was jedoch beispielhaft zeigt, wie schwer es andere Entwicklungsmuster in der Stadt haben.
Das Freiraumdefizit und zum Teil ein absoluter Mangel an öffentlichen Grün- und Erholungsflächen verleitet die Anwohner, selbst ungeeignete Orte anzunehmen, wie die Hochstraße "Minhocão", die wegen Verkehrslärm und Luftverschmutzung abends und an Wochenenden geschlossen bleibt. Die Nutzung und Aneignung der Hochstraße nimmt skurrile aber interessante Züge an. Mit der zeitweisen Sperrung für den Verkehr wurde sie zunehmend für Freizeit und aktiven Sport benutzt. Sie ist eine beliebte Fahrradstrecke, es wird Fußball gespielt und Seifenkistenrennen gefahren, mit den Leuten kommen die Straßenverkäufer - was sie insgesamt zu einem interessanten Freiraum in einer Stadt macht, wo diese rar sind.
Diese Aneignung ist der Keim einer Bewegung, die sich dafür einsetzt, aus dieser Hochstraße einen Park entstehen zu lassen. Inspiriert von der Idee der High-Line Parks in New York und durch den Rückbau 2014 einer ähnlichen Hochstraße in Rio de Janeiro, die im Zuge der Vorbereitung für die Olympischen Spiele dafür sorgte, dass Rios Innenstadt sich neu entdeckt, und alte und neue Plätze als Begegnungsraum aufkommen ließ. Die wichtige Lektion aus Rio de Janeiro liegt bestimmt darin, dass ein Rückbau von mächtigen Verkehrsanlagen sogar auch in Brasilien erfolgen kann. In Rio wurde die Hochstraße immer kritisiert, da sie deutlich mehr Probleme mit sich brachte als sie löste, genauso wie in São Paulo.
Die Hochstraße Minhocão
Die Hochstraße, offiziell Elevado Präsident João Goulart genannt, wurde 1971 eingeweiht und ist Teil einer teils achtspurigen Ost-West Schnellverbindung. Da die Straßen am Rand der Innenstadt wegen der vielen bereits vorhandenen Hochhäuser nicht ausgebaut/erweitert werden konnten, entschied man sich, über sie eine Hochstraße zu bauen - mit einer Länge von 3,4 Kilometern, ohne Kreuzungen und ohne Verbindung zu anderen Schnellstraßen. Diese Hochstraße wird "minhocão", etwa "großer Wurm" genannt, da sie sich auf engen Straßenzügen um die Hochhäuser herum schlängelt.
Ost-West-Schnellstraße und die Minhocão wurden während der Militärdiktatur gebaut, eine Zeit, in der Bürgerrechte ausgesetzt waren und Entscheidungen nur von oben getroffen wurden. Somit verkörpert sie auch den Ausdruck eines autoritären Regimes, welches die Meinung der Bevölkerung und das öffentliche Interesse außer Acht gelassen hat. Im Juli 2016 erhielt die Hochstraße durch die Linksregierung der Stadt ihren aktuellen (Präsidenten)Namen. Nun wird sie nach dem gewählten Präsident benannt, der 1964 vom Militärputsch, angeführt von General Costa e Silva, gestürzt wurde. Bis dahin hieß sie Elevado Costa e Silva. Dieser Militärpräsident war auch derjenige, der per Dekret den damaligen Bürgermeister von São Paulo nominierte, der den Bau der Hochstraße beschloss. Dieses verdeutlicht nicht nur eine physische, sondern auch eine politische Barriere in der Stadt.
Die Hochstraße ist ein schlichtes Betonbauwerk mit einer Breite zwischen 15,5 und 23 Metern und auf einer Höhe von fünf Metern. Sie verläuft besonders dicht an den Hochhäusern entlang, zum Teil mit weniger als fünf Meter Abstand und somit direkt an deren zweiten und dritten Etage vorbei. Die Hochstraße verursacht nicht nur ein Problem in den oberen Bereichen, auch die Räume unter ihr sind nicht weniger problematisch, da kaum Sonnenlicht den Boden erreicht und Abgase dort eine sehr hohe Konzentration erreichen, da kaum Luftaustausch stattfindet. Ohne ein richtiges Konzept sind fast alle Flächen gepflastert und entweder als Parkraum oder gar nicht benutzt worden, was eine Vermüllung mit sich bringt. Dieses alles begünstigte eine zunehmende Verwahrlosung.
1998 gelingt es der Stadt durch Sponsoring, Kunstwerke an den Pfeilern zu installieren. Aber ohne weitere Maßnahmen werden diese nur als kosmetisch angesehen. Die Abwertung und allgemeine Verschlechterung der angrenzenden Bebauung ist unverkennbar, zahlreiche Gebäude sind in einem sichtbar schlechtem Zustand und es entstehen praktisch keine neuen Gebäude, was kein gutes Zeichen in einer ständig wachsenden Stadt ist. Im Jahr 2010 zählt das Brasilianische Statistische Amt über 230.000 Einwohner in der direkten Nachbarschaft der Hochstraße.
Seit seiner Planung hat die Minhocão für Diskussionsstoff gesorgt. Während die Anwohner sich wegen seiner negativen Auswirkungen und einer brutalen Nicht-Architektur beschweren, setzen andere auf die schnellere Verbindung in einer Stadt, in welcher Autoverkehr eine wesentliche Rolle in der Stadtplanung einnimmt. Mit zunehmendem Verkehr und damit einhergehender Luftverschmutzung und Lärmbelästigung sind die Grundstückspreise stark zurückgegangen. Die Probleme und die Beschwerden der Anwohner wurden so laut, dass die Stadtverwaltung bereits 1976 die Hochstraße am Wochenende für den Autoverkehr sperrte, diese Sperre wurde 1993 auf täglich abends ausgeweitet. Zumindest in dieser Zeit haben die Anwohner ihre Ruhe.
Während der Woche bleibt die Minhocão für den Autoverkehr von 21.30 bis 6.30 Uhr und von samstags 15 Uhr bis zum Montagmorgen geschlossen. Da stellt sich die Frage, wieso die Stadt in Infrastrukturen investiert, die nicht mal zweckvoll benutzt werden können. Nicht dass ich für den Bau solcher Anlagen bin, aber wenn dafür öffentliches Geld benutzt wird, muss die Stadt auch sicher sein, dass dem Allgemeinwohl gedient wird. 2010 hat die Stadtverwaltung die Absicht bekundet, die Minhocão komplett zurück zu bauen. Dieses, so schätzen Experten, wird aber nicht vor 2025 passieren (O Globo). Nach Angaben der Zeitung Folha de S. Paulo, sind 56 Prozent der Stadtbewohner für den Erhalt der Minhocão für den Autoverkehr. Diese Option steht jedoch gar nicht mehr zur Debatte, da der Stadtrat 2014 einen Masterplan ohne die Minhocão verabschiedet hat. Dennoch scheiterte im April 2016 ein Plan an der Einwilligung der städtischen Verkehrsbehörde, die Schließung der Minhocão für den Autoverkehr bereits auf 20 Uhr vorzuverlegen.
Die Minhocão als Freiraum
Mit der Schließung der Hochstraße für den Verkehr entdeckten die Anwohner die Anlage allmählich als öffentlichen Raum. Aufgrund des Fehlens an geeigneteren Möglichkeiten die Freizeit außerhalb der Wohnung zu verbringen, ist selbst eine so unfreundliche Umgebung wie die Minhocão willkommen. Zuerst kamen Rad fahrende Jugendliche, die noch von der Polizei verjagt wurden. Allmählich sehen die Anwohner die Minhocão als Erholungsgebiet und langsam eignet man sich diesen für verschiedene Aktivitäten an. Natürlich hat anfänglich die Ungewöhnlichkeit der Hochstraße eine hohe Anziehungskraft. Heute beschweren sich die Anwohner, dass die Wochenendruhe vorbei sei, da die Hochstraße eine große Menge Menschen anzieht. Eigentlich trifft man alle auf der Hochstraße, von Skate-, Rad- und Seifenkistenfahrer bis zum Jogger oder Spaziergänger oder Leute, die auf den Bordkanten sitzen und das ganze Geschehen beobachten. Bei so starkem Besuch entdecken auch die Straßenverkäufer ihre Chancen, sodass das Gewimmel auf der Minhocão sich nicht grundsätzlich von dem auf anderen Grünflächen in der Stadt unterscheidet.
Von der Hochstraße zum Park
In März 2016 wird von der Stadtverwaltung der Parque do Minhocão ausgerufen. Damit wird seitens der Stadtverwaltung die intensive Nutzung der Minhocão als Erholungsgebiet anerkannt. In der Praxis wird diese Entscheidung allerdings weder neue Strukturen auf den Weg bringen noch Veränderungen in den Öffnungszeiten schaffen. Die Statusänderung erlaubt jedoch die Schaffung eines Rates für das Management der Hochstraße. Damit verliert das Tiefbauamt das alleinige Recht über die Hochstraße zu entscheiden. Der Rat, dem auch Anwohner angehören müssen, muss nun in alle Entscheidungen mit einbezogen werden, was mögliche Verbesserungen (in einem anderen Sinne als fließender Verkehr) anbelangt. Damit gewinnen die Anwohner auch über die Zukunft der Minhocão ein Mitspracherecht.
Überhaupt wird über die Zukunft der Minhocão immer heiß und polemisch diskutiert, Meinungen verhärten sich in drei kontroversen Lagern: während eine Gruppe den Rückbau mit Sanierung der angrenzenden Stadtteile befürwortet, sind Andere jedoch dafür, die Minhocão zu erhalten, sie aber für Fahrzeuge zu schließen. Angestrebt wird die Einrichtung eines lokalen High-Line Parks. Und es gibt natürlich immer noch eine Gruppe, die den Erhalt des Status-quo mit dem Argument befürwortet, seine Schließung habe Auswirkungen für den gesamten Stadtverkehr. Der Masterplan, der im Jahr 2014 in Kraft trat, bestimmt jedoch dessen Rückbau.
Soziale Media-Plattformen spielen in diesem Kampf natürlich immer eine große Rolle, alle Gruppen sind dort präsent. In ihren Auftritten kann man nicht nur die jeweiligen Argumente finden, sondern auch viele Bilder über Pro und Kontra, genauso wie über Veranstaltungen oder Videos, die die Rolle der Minhocão als angenommener Freiraum beweisen soll, oder eben nicht. Der Freundesverein (Associação Amigos do Parque Minhocão) gehört zur stärksten Fraktion. Für ihn spricht die Tatsache, dass die Bevölkerung bereits die Hochstraße als Park sieht und entsprechend nutzt, "es fehlen nur noch die Bäume". Die Ernennung der Hochstraße als Park ist ein Verdienst dieser Gruppe. Sie argumentieren, dass die Umwandlung der Minhocão in einen Park viel weniger Kosten verursacht, als es komplett abzubauen. Ein São-Paulos-High-Line könnte nach Angaben vom Associação Amigos eine Länge von ungefähr 2,8 Kilometer haben und würde zwei große Grünflächen der Stadt - den Água Branca Park im Norden und einen möglichen Augusta Park im Süden - verbinden.
Für das andere Extrem steht der Verein Desmonte (portugiesisch für "auseinander nehmen"). Sie wollen den vollständigen Rückbau der Anlage. Zu ihrem Erfolg zählt ein Gutachten der Feuerwehr, das jegliche Veranstaltung auf der Hochstraße mangels Sicherheit und geeigneter Zugänglichkeit verbietet. Man könnte gegen angedachte Karnevalzüge, Musikfestivals oder Food Trucks erfolgreich klagen. Ironischerweise war diese Gruppe, deren Mitgliedschaft mehrheitlich aus Anwohnern besteht, die gegen die Vorverlegung der Schließung auf 20 Uhr waren, was theoretisch den Anwohnern ja zugutekommen würde. Sicherlich befürchten sie, dass damit noch mehr Leute die Anlage nutzen und die Idee der Minhocão als Park somit noch mehr verkörpert wird.
Die Minhocão als Grünkorridor
Die intensive Aneignung der Bevölkerung macht auch die Unwirtlichkeit der Minhocão deutlich. Der Zugang, sei es für Fußgänger, Radfahrer oder Straßenhändler, erfolgt ausschließlich über die Auffahrrampen. Schranken erschweren hier einem bequemen Eintritt, verhindern ihn aber nicht. Solange die Hochstraße für den Autoverkehr bestimmt ist, kann auf den Fahrbahnen selbst aufgrund von Sicherheit und technischen Voraussetzungen wenig verändert werden. Außerdem gibt es seitens des Tiefbauamtes immer wieder Beschwerden über Schmierereien auf den Fahrbahnen und Verkehrsschildern. Eine Situation, die sich wahrscheinlich nicht so schnell ändern wird.
Weitet sich der Blick jedoch nach oben, eröffnet sich ein großes Potential. Auch aufgrund der Luftverschmutzung und Lärmbelastung haben viele Hochhäuser den Rücken zur Hochstraße und das Resultat sind riesige fensterlose Fassaden. Anfänglich wurden sie als Träger für Leuchtreklamen und Werbung benutzt, das ist jedoch seit 2007 verboten, als die Stadt jegliche Reklame aus dem Stadtbild verbannt hat. Seit 2013 keimen die ersten Ideen, diese fensterlosen Fassaden für Vertikalgärten zu nutzen, was neben einer ästhetischen und visuellen Aufwertung auch eine Verringerung der Umweltverschmutzung und eine bessere Wärmebilanz der Hochhäuser ermöglichen würde. In Zusammenarbeit von Associação Amigos und dem Landschaftsarchitekturbüro Movimento 90 Grad wurde das Konzept Minhocão als "Corredor Verde", als Grünkorridor erarbeitet, der durch die Abfolge von Vertikalgärten gebildet werden soll. Somit wirbt die Associação für den ersten Grünkorridor dieser Art in der Welt.
Die erste Aufnahme des Vereins ergab 140 potenzielle Fassaden um die Minhocão und weitere 500 in der näheren Nachbarschaft. Diese bieten die Möglichkeit 58.000 Quadratmeter Vertikalgärten einzurichten. Die ersten Vertikalgärten-Projekte von bescheidener Größe wurden als Beweis angeführt, dass so etwas auch in São Paulo möglich ist und von privaten Spendern finanziert werden kann. Nun werden neue Projekte, die erhebliche Ausmaße einnehmen können, als Kompensation oder Ausgleich für Baumaßnahmen finanziert.
Der Grünkorridor ist am 11. September - zum brasilianischen Frühlingsanfang - offiziell eingeweiht worden. Sechs große Vertikalgärten markieren bereits den Aufbruch des Grünkorridor-Plans, welcher vorsieht, zehn Vertikalgärten bis Ende 2016 zu bauen. Neben den fertiggestellten Gärten befinden sich zwei Objekte im Bau. Auch die einzelnen Gärten nehmen eine beträchtliche Größe an und werden - als Kunstobjekt verstanden - von verschiedenen Künstlern gestaltet. Während der erste Garten (302 Quadratmeter, fertiggestellt im September 2015) noch ein Zusammenspiel von Pflanzentexturen und -farben aufweist, werden die neuen als ein ästhetisches Element betrachtet und erhalten daher eher einen graphischen Effekt, wie das Werk von Pedro Wirz, der sich auf einer Grundfläche von 620 Quadratmetern von der brasilianischen Folklorefigur carranca (eine Art Galionsfigur) inspirieren ließ. Sein Werk steht seit April 2016.
Technik "learning by doing"
Das Grünkorridor-Projekt stößt grundsätzlich auf keinen Widerstand, aber es gibt laute Stimmen dagegen, da die Übernahme der Anlagen durch die Stadtverwaltung nicht reibungslos läuft und die ersten Gärten allmählich ein verwahrlostes Aussehen zeigen. Die Stadt übernimmt per Amt für Parks und Grünflächen die Pflege für die ersten sechs Monate nach Fertigstellung. Die Pflege beschränkt sich allerdings eher auf Kontrollgänge beziehungsweise Sicherstellung eines einwandfreien Betriebs der Bewässerungsanlagen.
Für die Installation der Gärten musste man wegen mangelnder (und besonders Langzeit-) Erfahrungen auf "learning by doing" setzen, genauso wie bei Kenntnissen über Pflanzenarten, die am besten für solche Standorte geeignet sind. Der Artenreichtum der brasilianischen Flora erwies sich sicherlich als Vorteil und mit zunehmender Erfahrung wuchs auch eine Informationsdatenbank, die geeignete, insbesondere heimische Pflanzenarten enthält (Movimento 90 Grad). Auch ein Handbuch mit detaillierter Anleitung für die Erstellung eines Vertikalgartens steht bereits zur Verfügung.
Mehr Grün in Sicht?
Die Minhocão ist eine nicht zu leugnende Anomalie. Bereits bei ihrer Entstehung wuchsen schon die Beschwerden über Verkehrslärm und Luftverschmutzung, so dass ihr Daseinszweck befristet ist. Dennoch macht die Art, wie die Bevölkerung São Paulos dieses Betonmonster an autofreien Zeiten nutzt, mittlerweile aus ihm einen der lebendigsten Orte inmitten der Betonwüste von São Paulo. Und das wirft natürlich die Frage auf, wie die Stadt mit solch einer lebendigen Anomalie umgehen kann oder soll. São Paulos Entwicklung weg von der Idee einer autofreundlichen Stadt hat es weiterhin schwer. Der neugewählte Oberbürgermeister, der sein Amt am 1. Januar 2017 antritt, machte bereits während des Wahlkampfes von sich reden, als er sich für den Stopp des Ausbaus des Fahrradwegnetzes und die Wiedererhöhung der Fahrgeschwindigkeit auf Stadtautobahnen und -schnellstraßen ausgesprochen hat. Vor wenigen Wochen stellte er weitere Pläne vor und schlug vor, verschiedene öffentliche Güter zu veräußern oder zu privatisieren, darunter der Ibirapuera-Park, die größte und am stärksten frequentierte städtische Grünfläche. Mit diesem Vorschlag verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Unterstützung der Stadt für die Minhocão als Grünkorridor.
Dieser Privatisierungsvorschlag wirft außerdem viele Fragen auf, denn wenn der Park privatisiert wird, bedeutet dies, dass ein gewinnorientiertes Unternehmen ihn kommerziell nutzen wird, auch um in dessen Er- und Unterhaltung investieren zu können. Hier beginnt die ganze Kontroverse, denn was wird dieses Unternehmen überhaupt verkaufen, um Geld zu machen? Solche Ideen lassen daran zweifeln, dass die öffentliche Nutzung des Parks bewahrt und seine kostenfreie Nutzung als Allgemeingut gewährleistet wird. Dieses in einer Stadt, wo öffentliche Grünräume rar sind und es nicht Wunder nimmt, dass sogar unwirtliche Orte wie die Minhocão für Freiraumzwecke "missbraucht" werden.
Dennoch sind die Ereignisse um den Minhocão-Park ein Vorbild für den eventuell zukünftigen Augusta Park - eine Grüninsel inmitten des Bankenviertels. Spekulanten wollten das Gelände schon lange zubauen, was jedoch eine Bürgerinitiative bisher verhindern konnte. Bizarre Architektenentwürfe, die das Grün noch andeutungsweise behalten wollen, lassen Hoffnung entstehen, dass es auch in São Paulo eine bessere Freiraumversorgung geben kann. Eine weitere wichtige Lektion ist zu erkennen, nämlich, dass eine nachhaltige Stadtentwicklung ein nie endender Prozess ist und ohne die treibende Kraft einer Stadtverwaltung ein so gut wie nicht begehbarer Weg ist.
Literatur
Associação Amigos do Parque Minhocão (Minhocão Freundesverein), minhocao.org.
Folha de São Paulo (Tageszeitung) Ausgabe 10/04/2016. www1.folha.uol.com.br/cotidiano/2016/04/1759320-minhocao-tem-novo-acirramento-em-disputa-sobre-o-futuro-do-elevado.shtml
Movimento 90°. 90mov.com
O Globo (Tageszeitung) Ausgabe 26/072016. g1.globo.com/sao-paulo/noticia/2016/07/lei-que-muda-nome-do-minhocao-para-elevado-joao-goulart-e-sancionada.html
Smaniotto Costa, C. (2007). Ökonomische Argumente für Grünflächenentwicklung. Stadt und Grün. 2: 13-19.
Smaniotto Costa, C. (2012). Die Wiederentdeckung der Stadträume - Ein Blick auf Freiräume in São Paulo. Stadt und Grün. 9: 7-14.