Eine kommunale Begräbnisstätte der Gründerzeit im Wandel
Der Waldbachfriedhof in Offenburg
von: M.Sc. Isabel David, Philip Denkinger, Marlen ScheunemannAktuell zeigt sich bei einem Gang durch den 150-jährigen Friedhof der wachsende Bedarf einer Instandsetzung. Um sich dem Thema einer Inwertsetzung des Gartendenkmals annähern zu können, wurde der bei der Offenburger Stadtbevölkerung beliebte Freiraum jüngst einer eingehenden Bestandsuntersuchung unterzogen.1 Diese soll als Basis für eine anschließende gartendenkmalpflegerische Zielplanung dienen.
Lage und formale Gestalt
Östlich des historischen Stadtzentrums und des Bahngrabens gelegen, stellt der Waldbachfriedhof heute ein grünes Mosaik von den gestalteten Freiräumen der Innenstadt in die Natur- und Landschaftsräume der Vorbergzone des Schwarzwalds dar. Die west-ost-orientierte Anlage ist nach mehreren, bis in die Nachkriegszeit vollzogenen Erweiterungen 4,35 Hektar groß. Ein rasterförmig angelegtes Wegesystem untergliedert die Gesamtfläche in 22 streng orthogonale Felder. Im ältesten, südwestlich gelegenen Friedhofsteil aus dem Jahr 1870 steht im Schnittpunkt des Hauptwegekreuzes die im Stil der Neorenaissance erbaute Friedhofskapelle aus dem Jahr 1876.
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Gründerzeitliche Anlegung des Friedhofs
Bis ins frühe 19. Jahrhundert diente der mittelalterliche Kirchhof der Heiligkreuz-Kirche innerhalb der von einer Ringmauer umgebenen Stadt für die katholische Bevölkerung als Bestattungsort. Die überproportionale Zunahme der Stadtbevölkerung im Zeitalter der Industrialisierung und dadurch bedingter Platzmangel auf dem alten Kirchhof sowie die neue Bedeutung hygienischer Aspekte, führten in Offenburg wie vielerorts im Ergebnis der Aufklärung zur Verlegung des Begräbnisplatzes außerhalb der historischen Stadt.2 Dabei stellte der Waldbachfriedhof in Folge des anhaltenden Stadtwachstums bereits die zweite Friedhofsverlegung in außerstädtisches Gebiet dar. Mit den Hygienebestrebungen traten neue Rechtsgrundlagen im Friedhofswesen ein.3 Nach dem damaligen Stand der Wissenschaft waren neben den durch Verwesungsprozesse hervorgerufenen Wasserverunreinigungen insbesondere Leichenausdünstungen gefürchtet, deren gesundheitsschädliche Auswirkungen bei der Planung Berücksichtigung fanden. Der Friedhof wurde aus diesem Grund mit ausreichendem Abstand östlich der Stadt angelegt, um die für bedenklich erachteten Leichengifte mit Hilfe von Westwinden wirksam von den Wohngebieten fernhalten zu können.4 Der Grundriss des Friedhofs orientierte sich am neuen Städtebau, der schablonenhaft über die schnell wachsenden Stadtgebiete gelegt wurde.5 Die rasterartig gegliederte Fläche verhalf dazu eine strenge Ordnung herzustellen.
Das Bestattungswesen als kommunale Aufgabe
Bis zum Zeitpunkt der außerstädtischen Friedhofsverlegungen oblag das Bestattungswesen der Kirche. Diese Aufgabe übernahm nun die Stadt. Die Schaffung eines kommunalen Friedhofsbetriebs mit Anlegung der neuen Bestattungsorte beförderte lokale Säkularisierungsprozesse. Die Stadt hob die vormals konfessionsbedingte Trennung der Verstorbenen auf, so dass Katholiken neben Protestanten bestattet werden konnten. Gleichzeitig wurde der jüdischen Gemeinde das Recht eingeräumt, östlich des Waldbachfriedhofs einen abgeschlossenen Friedhofsteil für die Beisetzung ihrer Gemeindemitglieder herzustellen.6 Die kommunale Friedhofsordnung von 1877 bestimmte unterdessen den genauen Ablauf von der Leichenschau bis zur Bestattung sowie die Gestalt und Herstellung der Gräber.7 Die Verstorbenen sollten nach Zeitfolge des Todes stringent in fortlaufender Reihe mit gleichförmigen Grabgrößen und festgelegten Ruhezeiten bestattet werden.8 Grabreihenfolge, Grabverzeichnisse und Ruhefristen waren im Allgemeinen unverzichtbare Bestandteile der neuen Friedhofsordnungen und sollten die vollständige Verwesung, aber auch die Auffindbarkeit des Verstorbenen gewährleisten.9 Die räumlichen Binnenstrukturen der Grabfelder sind heute auf Teilfächen nur noch schwer zu erkennen. Eine Untersuchung mit Georadar im südwestlichen Grabfeld konnte die in den Lageplänen dokumentierte Gliederung allerdings bestätigen. Entlang der Hauptwege erhob die Stadt höhere Taxen für besondere Familiengräber, die bis heute in ihrer repräsentativen Gestalt den Aufstieg des Offenburger Bürgertums veranschaulichen.10 Auf den Innenflächen stellte die Stadt günstigere Bestattungsflächen für die breite Bevölkerung bereit.11 Hinsichtlich der Grabmalausstattung zeigt der Waldbachfriedhof die Entwicklung vom Eklektizismus der Gründerzeit mit individuellen Einzelgrabmalen hin zu den nach einheitlichen Kriterien gestalteten Grabfeldern, die unter dem Eindruck der Grabmalreform im frühen 20. Jahrhundert und dem Streben nach sozialer Gleichheit erfolgten.12 Die Fürsprecher der Grabmalreform forderten mittels verbindlicher Gestaltungsvorschriften eine homogene und handwerkliche Gestaltung sowie die Integration der Grabmäler in die Umwelt durch Verwendung heimischer Materialien. Diese Bestrebungen zeigen die Abteilungen der Soldatenfriedhöfe des Ersten und Zweiten Weltkriegs besonders anschaulich.
Südlich der Friedhofskapelle entstand im Jahr 1892 das Wohnhaus für den städtischen Leichenwärter. Da auch die Hausaufbahrung aus gesundheitlichen Gründen als bedenklich erachtet wurde, sollten Verstorbene ohne Verzögerung dem Leichenwärter übergeben und mit Hilfe von elektrischen Apparaten in der Leichenstube des Friedhofs überwacht werden. Mit dieser Maßnahme versuchte man den gefürchteten Scheintod auszuschließen.13 Die traditionelle Aufbahrung zuhause, die Leichenwaschung, Leichenwache sowie das Gebet im heimischen Kreis der Familie konnten in der Folge nicht mehr praktiziert werden. Auch der Brauch den Verstorbenen vom Haus bis zum Begräbnisort in einem feierlichen Leichenzug zu geleiten war nicht mehr möglich. Mit den neuen Friedhöfen traten somit einschneidende Änderungen in der traditionellen Sepulkralkultur ein. Der Waldbachfriedhof berichtet in seiner Denkmalsfunktion eindrücklich von diesem Wandel.
Gehölzbestand
Der Friedhof wurde zunächst nicht mit Gehölzen bepflanzt. Wirtschaftliche Gründe oder auch die gewünschte freie Luftzirkulation mögen dafür Anlass geboten haben. Doch nicht nur neuere wissenschaftliche Studien, die die Bedeutung des Baumbesatzes für die Lufthygiene herausstellten, auch der allgemeine Wunsch nach gartenkünstlerischer Verschönerung und die 1904 aufkommende Heimatschutzbewegung zeigten Wirkung. Um 1910 begann die Stadt die orthogonalen Grabfelder mit heimischen Birken und Fichten zu säumen. Das raumbildende Gehölzgerüst zeichnete sich bis um die Jahrtausendwende gut lesbar im Bestand ab. Der Sturm Lothar dezimierte im Jahr 1999 den Gehölzbestand von über 500 Bäumen um circa 20 Prozent.14 Weitere Altbäume mussten in den Folgejahren aus Standsicherheitsgründen gefällt werden. Seit 2006 bepflanzen die Technischen Betriebe Offenburg unter Mitwirkung des "Förderkreises historischer Waldbachfriedhof" auf Grundlage eines Gemeinderatsbeschlusses den Ort mit verschiedenartigen Gehölzen im Sinne eines Arboretums. Vereinzelt wurden auch die ehemals strukturbildenden Birken nachgepflanzt.
Heute stehen auf dem Waldbachfriedhof rund 400 Bäume in rund 140 unterschiedlichen Arten, die dem Ort einen parkartigen Eindruck verleihen. Die Analyse des Baumbestands zeigt, dass die spezifischen Artenzusammensetzungen auf dem Friedhof mit den Erweiterungsphasen in Zusammenhang gebracht werden können. Im alten Friedhofsteil aus dem Jahr 1870 sowie dem nördlichen Erweiterungsteil finden sich heute vornehmlich ausgewachsene Koniferen, die aus ehemaligen Grabbepflanzungen hervorgehen.
Stilllegung des Friedhofs und Wiederbelebung
In den 1980er Jahren folgten Überlegungen, den historischen Waldbachfriedhof als Bestattungsort aufzugeben und in einen Park umzuwandeln. Seit den 1960er Jahren fanden Bestattungen vor allem im neu angelegten Weingartenfriedhof statt. Die räumlichen Kapazitäten des Waldbachfriedhofs waren damals ausgeschöpft. Der Gemeinderat beschloss 1990, Erdbestattungen nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Gleichzeitig setzten aber auch Bestrebungen ein, den historischen Friedhof zu erhalten, so dass er 2006 wieder extensiv in Betrieb genommen wurde. Mittlerweile sind neben den traditionellen Sargbestattungen auch Urnen- und Baumbestattungen in geringem Umfang zugelassen. Das Wärterhäuschen neben der Kapelle wurde in den vergangenen Jahren nicht mehr genutzt. Da das Gebäude nicht Teil der Denkmalsachgesamtheit war, beschloss die Stadt im Zuge von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen den Abriss. Die entstandene Freifläche im Bereich des ehemaligen Wärterhäuschens wurde überarbeitet und zur Kapelle ein neuer barrierefreier Zugang hergestellt.
Anstehende Aufgabe
Im Jahr 2021 feierte der Waldbachfriedhof sein 150-jähriges Bestehen. Er ist ein wertvolles Zeugnis eines kommunalen Friedhofs der Gründerzeit, der die Reformen im Friedhofswesen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts idealtypisch veranschaulicht. Gleichzeitig präsentiert er sich als grünes Kleinod innerhalb der bebauten Stadtlandschaft. Er stillt die Sehnsucht der Stadtbevölkerung nach Rückzugsräumen und schattigen Plätzen in der lebendigen Stadt. Die vorbereitende historische Recherche ermöglichte die Erkenntnisse über das Kulturdenkmal zusammenzutragen und einen erschöpfenden Einblick in die geschichtlichen Zusammenhänge und die Bewirtschaftungsform zu erhalten. Nach Fertigstellung des gartendenkmalpflegerischen Gutachtens soll im nächsten Schritt eine Zielplanung für den Friedhof erarbeitet werden. Wie lässt sich der Ort unter Erhalt seiner eigentümlichen Atmosphäre und Vielgestaltigkeit weiterentwickeln? Wie kann sowohl den zeitgemäßen Anforderungen an Pflege, Unterhalt und Betrieb entsprochen und gleichzeitig den Bedürfnissen der Bürger und der Politik genüge getan werden? Und wie lässt sich bei einer Konstellation unterschiedlicher Interessensgruppen dem Auftrag zur Bewahrung des Kulturdenkmals nachkommen? Eine Fachgruppe unter Beteiligung von Interessensvertretern wird sich im Rahmen einer gartendenkmalpflegerischen Zielplanung diesen Fragestellungen widmen. Die gemeinsame Bemühung in einem offenen Arbeitsprozess soll garantieren, dass dieser besondere Ort in seiner charakteristischen Ausprägung und mit seinen Qualitäten erhalten werden kann.
Anmerkungen
1 Isabel David: Friedhof Waldbach Offenburg – Gartendenkmalpflegerisches Gutachten. Haigerloch 2022 – Alexander Hemmann/Gesellschaft für geophysikalische Untersuchungen: Offenburg, Waldbachfriedhof Untergrunduntersuchung nach historischen Bebauungsresten, Karlsruhe 2022 – Christian Rabe/Baumpartner Breisgau: Stellungnahme zum Baumbestand auf dem Waldbachfriedhof in Offenburg. Merzhausen 2022.
2 Vgl. Ernst Batzer: Führer durch die Kreisstadt Offenburg. Offenburg 1912, S. 3.
3 Vgl. Norbert Fischer: „Das Herzchen, das hier liegt, das ist sein Leben los“. Historische Friedhöfe in Deutschland. Hamburg 1992, S. 11f. – Vgl. Norbert Fischer: Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland. Köln/Weimar/Wien 1996, (=Kulturstudien, Bibliothek der Kulturgeschichte, hg. von Hubert Ch. Ehalt und Helmut Konrad, Sonderband 17), S. 10.
4 Victor Adolf Riecke: Über den Einfluß der Verwesungsdünste auf die menschliche Gesundheit und über die Begräbnißplätze in medizinisch-polizeilicher Beziehung. Stuttgart 1840. – Vgl. Ludger Heuer: Ländliche Friedhöfe in Unterfranken. Dettelbach 1995, (=Kasseler Studien zur Sepulkralkultur, hg. von Reiner Sörries, Bd. 6), S. 98.
5 Vgl. Stadtarchiv Offenburg nachfolgend StAO: Plan der Stadt Offenburg 1882.
6 Vgl. Samuel Dzialoszynski, Martin Ruch: Der jüdische Friedhof in Offenburg. KulturAgentur „Am Oberrhein“, 2007, S. 6.
7 StAO 05/00938, Einführung einer neuen Begräbnisordnung (Friedhof-, Leichen-, Leichenhaus-Ordnung). 1876–1904.
8 StAO 05/00938, Beilage zum Ortenauer Boten Nr. 100 vom 29. April 1877.
9 Vgl. HEUER 1995 (wie Anm. 4), S. 197.
10 Cornelia Kalt-Jopen, Martin Ruch: Wer liegt denn da? Persönlichkeiten auf dem Offenburger Waldbachfriedhof. Bühl 2017.
11 StAO 05/00938 Einführung einer neuen Begräbnisordnung (Friedhof-, Leichen-, Leichenhaus-Ordnung) 1876–1904.
12 Vgl. Gerhard Richter: Die Wandlung des friedhofsarchitektonischen Erscheinungsbildes für die Zeit von 1750 bis 1850. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V. Kassel (Hg.): Vom Kirchhof zum Friedhof. Wandlungsprozesse zwischen 1750 und 1850. Kassel 1984, (=Kasseler Studien zur Sepulkralkultur, Bd. 2), S. 137–143, S. 140.
13 Vgl. Barbara Happe: Der Tod gehört mir. Die Vielfalt der heutigen Bestattungskultur und ihre Ursprünge. Berlin 2012, S. 109. – StAO 5/938, Ortenauer Bote Nr. 100 vom 29.04.1877. – Ortenauer Bote vom 17.11.1877, „Die neue Begräbnißordnung“.
14 „viele Rotfichten und 120 bis 130 Jahre alte Birken“. O.A.: Exotische Baumvielfalt. Am Waldbachfriedhof gibt es ein einzigartiges Arboretum. Offenburger Tageblatt, 10. August 2019, Baden online: www.bo.de/lokales/offenburg/am-waldbachfriedhof-gibt-es-ein-einzigartiges-arboretum, zuletzt abgerufen am 03.01.2021.