Garten und Park in der Musik
"Ombra mai fu" - So viel Schatten war nie...
von: Prof. Dr. Hanns-Werner HeisterDer historische Perserkönig Xerxes I. regierte 486-465 vor unserer Zeitrechnung; er befehligte 480 den Angriff der Perser auf Griechenland. Für Händel war aber davon nur die Platanen-Szene wichtig. Er schreibt in der Vorbemerkung zum gedruckten Libretto: "Einige Verrücktheiten und die Unbesonnenheit des Xerxes (so sein tiefes Verliebtsein in eine Platane [. . . ]) sind Grundlage der Handlung, der Rest ist Erfindung".
Die Szene greift eine Notiz des griechischen Geschichtsschreibers Herodot († um 430/420 v. Chr.) auf. Während des Feldzugs unterwegs nach Abydos zum Hellespont, heute Dardanellen, begegnete Xerxes einem Platanusbaum, "den er seiner Schönheit wegen mit einem goldenen Schmuck beschenkte und einem unsterblichen Wärter¹ zur Hut übergab, worauf er am andern Tag in der Hauptstadt der Lydier ankam." (Abb. 2)
Das Libretto von Nicolò Minato war schon 1654 von Francesco Cavalli in Venedig vertont worden war. Silvio Stampiglia arbeitete diese Vorlage für eine Oper Giovanni Bononcinis (Rom 1694) um. Der Bearbeiter der Version Händels ist unbekannt. Die Uraufführung von Händels Xerxes fand in London am 15. April 1738 im Londoner Kings' Theatre statt. Der Text der nur einteiligen Arie ist sehr kurz: "Nie war der Schatten einer Pflanze süßer, lieblicher und angenehmer." Das einleitende Rezitativ: "Zarte und schöne Blätter meiner geliebten Platane, euch möge das Schicksal leuchten. Donner, Blitze und Unwetter mögen nie den teuren Frieden euch stören, noch komme ein gieriger Südwind, euch zu entweihen".
Der "Persische Garten" setzte altorientalische Traditionen wie solche des Islam fort. Er war in Mode noch in Händels Zeit. Ein Platanen-Park aus einer späteren Epoche, unter A?mad Sh?h (regierte 1909-1925) aus der Dynastie der Qadjaren, Ghadscharen und Kadjaren) (1779-1925). (Abb. 3)
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Gärten in der Musik: Orte für Lieben, Spielen, Arbeiten - und als Symbol
Es ist ein wahrlich weites Feld, das sich hier auftut, weshalb hier auch nur einige Aspekte und Beispiele vorgestellt werden können. Dabei zeigte sich übrigens bei der Recherche, dass über Musik im Garten in Büchern und vor allem im Internet viel zu lesen, über den Garten in der Musik dagegen erstaunlich wenig.²
In der Oper sind Gärten und Parks häufig Spiel-Plätze. Sie werden dabei meistens, im Unterschied zu ihrer Rolle im Xerxes, nicht als solche thematisiert. Gebüsche, hinter denen man sich versteckt, Labyrinthe, in denen man sich verläuft, machen sie zu idealen Schauplätzen für sei's harmlos-ausgelassene, sei's frivole Spiele, und natürlich für das Intrigenspiel wie in Verdis Otello, fürs Anbahnen und Durchführen von Verführungen, wie Frau Marthe Schwerdtleins Garten in den Faust-Opern, für nächtliche Feste und Verwicklungen wie im Finale von Lortzings Die lustigen Weiber von Windsor und in Verdis Falstaff. Am häufigsten und genauesten werden Gärten und Parks als solche in instrumentaler Musik thematisiert, als Programm-Musik im weiten Sinn, wobei oft konkrete Orte bezeichnet werden, so etwa bei Franz Liszt in "Les jeux d'eau à la Villa d'Este".
Zweitens gewinnen Gärten aber auch in der Oper eine Eigenständigkeit als Gärten, gern im Typus des Zaubergartens - so etwa im Fall von Klingsors Garten in Wagners Parsifal.
Drittens sind Gärten Orte heimlicher Liebe, die hier trotz Intrigen praktiziert werden kann - in einer sehr keuschen Version zum Beispiel in Maurice Maeterlincks symbolistischem Stück Pelleas und Melisande, in Debussys gleichnamiger Oper sowie einigen Orchesterwerken.
Viertens erscheint der Park, vor allem der Nutzgarten, als Arbeitsplatz. Das Kinder- und Volkslied vom "bucklicht Männlein" gibt da ein Beispiel: "Will ich in mein Gärtlein gehn,/Will mein Zwiebeln giessen,/Steht ein bucklicht Männlein da,/Fängt als an zu nießen."
Manchmal wird Gartenarbeit nur vorgegeben: Adlige Frauen, die als Gärtnerinnen verkleidet ihren Geliebten wiederzugewinnen suchen, sind im Musiktheater des 18. Jahrhundert nicht selten, so etwa in Mozarts La finta giardiniera (Die verstellte Gärtnerin oder Die Gärtnerin aus Liebe) (KV 196), ein Dramma giocoso, eine heitere Oper von 1775. Echte Gärtner gibt es öfters als Staffagefiguren und manchmal auch als Hauptfiguren, wie den Feigen erntenden Osmin in Mozarts Die Entführung aus dem Serail. In Tschaikowskis Oper Eugen Onegin müssen die Dienstmädchen beim Beerenernten singen, damit sie den Mund nicht zur Nahrungsaufnahme gebrauchen. Als freudig dagegen schildert Bertolt Brecht die Gartenarbeit in seinem Gedicht aus dem Exil in Hollywood Vom Sprengen des Gartens, vertont von Hanns Eisler.
Fünftens dient der Park als Spielplatz für Kinder; gleich zweimal zum Beispiel bei Modest Mussorgski, im III. Satz der Bilder einer Ausstellung, den Tuilerien, und im Liederzyklus Aus der Kinderstube, und auf spielende Kinder bezieht sich auch ein Lied-Zitat in Debussys Jardins sous la pluie.
Sechstens ist der Garten Projektion innerer Regungen und Symbol der Seele. Das Volkslied gibt dafür Muster vor (ebenso wie schon der Pflanzenname "Vergissmeinnicht"). Arnold Schönbergs Liederzyklus Das Buch der hängenden Gärten (1908/1909) nach einem Gedichtzyklus von Stefan George (1895) entfaltet diese Funktion: "Die dort versammelten 32 Gedichte geben die Geschichte eines jungen Prinzen und seines sexuellen Erwachens in einem paradiesischen Garten in poetischen Bildern wieder. Das beherrschende Thema ist die Verwandlung: ein naiver Jugendlicher betritt den Garten, um schließlich die Erfüllung aller Sehnsüchte mit seiner Geliebten in einem Blumenbett zu finden. Wenn er nach diesem Erweckungserlebnis von ihr verlassen wird, zerfällt auch der Garten."³
Siebtens schließlich fungiert der Garten als politisches Symbol wie in Kurt Tucholskys Feldfrüchte (auch "Radieschen" betitelt), 1928, vertont von Hanns Eisler Anfang 1930. Der ausführlichen Beschreibung eines Gartens folgt die auf die Sozialdemokratie gemünzte Pointe: Wie das "bescheidene Radieschen" sei sie "außen rot und innen weiß".
Garten als eigenständiger Gegenstand in vokaler Musik
Der 1652 entstandene, noch immer viel gesungene Choral von Paul Gerhardt Geh aus, mein Herz, und suche Freud beschreibt detailreich die Freude an der Natur in Gartengestalt: 1. Geh aus, mein hertz. und suche freud/In dieser lieben sommerzeit/An deines Gottes Gaben:/Schau an der schönen gärten zier,/Und siehe/wie sie mir und dir/Sich ausgeschmücket haben. 2. Die bäume stehen voller laub/Das erdreich decket seinen Staub/Mit einem grünen kleide./Narcissus und die Tulipan,/Die ziehen sich viel schöner an/Als Salomonis seyde."4 (Abb. 4)
Hier ist also die kultivierte Natur der höfischen Kultur überlegen. Der Nutzgarten ist mitgedacht und wird ausgeweitet auf Wiesen, Weiden, Wälder und Felder: Ab der dritten Strophe geht der Garten allmählich in eine agrikulturell-pastorale Landschaft über - Lerche, Nachtigall, Hirsch und Reh ergänzen die Haustiere Taube, Nachtigall, Glucke, Schwalbe, Bienen und Storch. Mit der neunten der insgesamt 15 Strophen erhält dies irdische Paradies noch eine religiöse Dimension. Es wird zu einem Vorboten himmlischer Freuden. 9. "Ach, denck ich, bist du hier so schön/Und läßst dus uns so lieblich gehn/Auf dieser armen erden/Was wil doch wol nach dieser welt/Dort in dem vesten himmelszelt/Und güldnem schlosse werden."
Wie Paul Gerhardt nach dem Ende des 30-jährigen Kriegs, der Deutschland ruinierte, so hat Johann Hermann Schein (1586-1630) kurz nach dessen Beginn ebenfalls den Garten und damit das irdische Leben gefeiert in seiner dreistimmigen Villanella Viel schöner Blümelein.5 Das schlichte Lied wurde erstmals 1626 in Musica boscareccia, Teil II, Nr. 9 veröffentlicht ("Wäldchen-Musik"). (Abb. 5)
Scheins Lied steht in der Tradition der Schäferdichtung, der Bukolik, die seit der Antike ihr idyllisches Arkadien feierte. "Viel schöner Blümelein/jetzt und von neuem/im kühlen Maien/hervorgewachsen sein.//Von diesen Blümlein allen/tun mir die zwei gefallen:/Jeläng'r jelieb'r,/Vergiß nicht mein." Die Blumen vollbringen, was ihre Namen verheißen: "Die Blümlein beid' aufgehn/in Filli Herzen/ohn allen Scherzen/sehr wohl geraten stehn". Es geht also wieder um den Garten als genuinen Verbündeten der Liebe. "Filli", Phyllis, ist seit der Antike der Typen-Name einer Schäferin, der in die galante Lyrik von Renaissance und Barock übernommen wurde. Das Stichwort "Tod" in der V. und letzten Strophe ist nicht wie bei Gerhard der christliche Pferdefuß, sondern verweist mehr auf ewige Liebe als auf ein ewiges Leben im Jenseits: "Drum will ich fleißig warten/aus gleicher Lieb',/aus Lieb' den Garten/bis an mein' Tod und letztes End."
Häufig findet man in liedhaften Darstellungen des Gartens die lyrische Konzentration auf einen Gartenaugenblick. Die Nr. 1 von Robert Schumanns Sieben Ritornellen von Friedrich Rückert in kanonischen Weisen 1847 für Männerchor a cappella reiht knapp und nüchtern zwei Beobachtungen: "Die Rose stand im Tau,/es waren Perlen grau,/als Sonne sie beschienen,/wurden sie zu Rubinen."
Das "Verweile doch, du bist so schön" (Faust II), mit dem Goethes Faust den höchsten Augenblick verewigen will, ist auch im Gartenparadies nicht realisierbar.
Den Grundton der Vergänglichkeit, das Vanitas-Motiv, schlägt ein Gedicht von Robert Herricks (1591-1674) aus der Zeit von Johann Hermann Schein und Paul Gerhardt an. "Wie euch bleibt uns nur kurze Zeit,/auch unser Lenz - rasch hin;/so schnell wir werden, welken wir,/wie ihr und alles Ding."6 Speziell geht es hier um die gelbe Narzisse alias Osterglocke: "An Narzissen/Narzissen schön, wie weinen wir, wenn allzu früh ihr weicht;/noch eh' die frühe Morgensonn'/den Mittag hat erreicht." ("Fair daffodils, we weep to see/You haste away so soon;/As yet the early-rising sun/Has not attain'd his noon.") Herricks' Gedicht wurde von vielen britischen Komponisten vertont, unter anderem von Arthur Sullivan, Ralph Vaughan Williams, Frederick Delius und Benjamin Britten, später auch noch von Chee Yean Wong (Jahrgang 1979). Die Klage über die vergängliche scheint in der Musik fast beliebter als die Freude die blühende Natur.
Garten als eigenständiger Gegenstand in instrumentaler Musik
Gleich in drei Klavierwerken hat Franz Liszt (1810-1882) den Park der Villa d'Este in Tivoli bei Rom musikalisch gestaltet, im III. Band seiner drei Années de pèlerinage (Pilgerjahre), einer vielfältigen Sammlung von 26 Charakterstücken. Liszt hatte schon 1848 damit angefangen. Die Stücke über die Villa d'Este, 1877 komponiert, gehören bereits zum Spätwerk. Zwei gelten den berühmtem Zypressen der Villa, als zweites und drittes Stück dieses III. Bands: Aux cyprès de la Villa d'Este I und II (Bei den Zypressen der Villa d'Este). Beide nennt Liszt Thrénodien, Klagegesänge, da Zypressen mit Friedhof und Trauer assoziiert sind. (Abb. 6)
Dem Gegenstand entsprechend sind beide Stücke, Varianten einer Grundidee, ruhig und statisch angelegt. (Abb. 7)
Ganz das Gegenteil, nämlich ausgreifende melodisch-akkordische Bewegungen zeigt Liszts Darstellung der Kette von Wasserspielen, für welche die Villa d'Este ebenfalls berühmt war und ist. (Abb. 8)
Es beginnt sinnfällig-sichtbar mit aufsteigenden Arpeggien, in Melodien aufgelösten Akkorden. (Abb. 9)
Die regelmäßige und gleichmäßige Bewegung, wie die in Reihen angeordneten realen Fontänen, gerät - natürlich - im weiteren Verlauf des Werks in wildere, virtuose Bewegung. Wasser ist eben selbst in gezähmter Form ziemlich lebendig, selbst wenn es nicht das märchenhafte "Wasser des Lebens" ist. Auf das Wasser des "ewigen Lebens" verweist Liszt übrigens selbst mit einem Zitat aus Johannes 4, 14, ungefähr beim Höhepunkt des Mittelteils. Wie der Zufall so spielt, ist es just der Takt 144, also die Multiplikation der heiligen Zahl 12x12, und 144 permutiert überdies die Abfolge der Zahl der Bibelstelle 414. (Abb. 10)
Liszts Wasserspiele seien, so ein Bonmot des Komponisten und Pianisten Feruccio Busoni, Quelle und Modell für alle folgenden musikalischen Fontänen gewesen. Das zeigt unter anderem Claude Debussys Jardins sous la pluie (Gärten im Regen), die Nr. 3 der dreiteiligen Sammlung Estampes von 1903. Dargestellt ist, anders als bei Liszt, kein konkreter Park. In den gleichmäßigen Akkordbrechungen verschränken sich künstliche Fontänen nach oben und Regen als natürliche Fontänen von oben. Als Basslinie zitiert Debussy ein Kinderlied, baut also auch, wie erwähnt, den Spielaspekt des Parks mit ein. (Abb. 11a)
Zum Kinderspiel im Regen gehört auch das Platschen in Pfützen. (Abb. 11b). Konkrete Parks wiederum erscheinen in Manuel de Fallas dreisätzigem Orchesterwerk Noches en los jardines de España (Nächte in spanischen Gärten), an dem er 1909/1916 arbeitete. I. En el Generalife (Im Generalife), II. Danza lejana (Ferner Tanz), III. En los jardines de la Sierra de Córdoba (In den Gärten des Berglands von Córdoba).
Der Generalife, ?annatal al-?Ar?f ('Garten des Architekten') war der Sommerpalast und Landsitz der Nasriden-Sultane von Granada, die von 1232-1492 El-Andalus regierten und in der Alhambra residierten.)7
Diese Impresiones sinfónicas para piano y orquesta, "symphonische Impressionen", ursprünglich als Nocturnes für Klavier geplant, erweiterte Ravel zu einem Werk für Orchester mit Klavier, das zusätzliche Farben liefert. Anregungen erhielt der im fernen Paris lebende Ravel durch Bildbände über die Alhambra und Belletristik. Ausgiebig verarbeitet er die Idiome andalusische Volkslieder und Tänze, die Motivik, Melodik und Rhythmik prägen. Überdies baute er Anspielungen und Zitate auf Musik mit ähnlicher Thematik ein. So im Satz En el Generalife Anklänge an Dialogue du vent et de la mer" (Gespräch zwischen Wind und Meer), dem dritten Satz von Debussys La Mer, und "an der Stelle des ersten Klaviereinsatzes in En el Generalife eine vollendete Synthese von drei Schichten: es sind dies die ersten Takte der Jeux d'eau à la Villa d'Este von Liszt, der Anfang der Jeux d'eau von Ravel [Klavierstück von 1901] und das Klangbild von Wassergeräuschen".8 In de Fallas Werk bündeln sich also eine ganze Reihe von einschlägigen Werken und verdichten sich einige Charakteristika der Darstellung von Gärten und Parks.9 (Abb. 12)
Anmerkungen
¹ Persische Infanterie-Eliteeinheit, nur von Herodot erwähnt. Ausf. z. B. de.wikipedia.org/wiki/Unsterbliche_(Persisches_Reich), 9.9.20, Abruf 14.7.22.
² Etwas abweichend vom üblichen enthält das folgende Buch auch einen Beitrag Atmosphären des Gartens im Fin de Siècle. Krull, Wilhelm/Wolschke-Bulmahn, Joachim (Hg.): Gärten in der Musik, Musik in den Gärten. Kultur und Konversation im Freien. Herrenhausen-Matinee 2020 (Herrenhäuser Schriften, Bd. 12) München 2022.
³ Charles Stratford, Arnold Schönberg Center: 23. August 2022, schoenberg.at/index.php/de/joomla-license/15-gedichte-aus-rdas-buch-der-haengenden-gaertenl-op-15-1908-1909.
4 Ausf. www.liederlexikon.de/lieder/geh_aus_mein_herz_und_suche_freud/editiona.
5 Für den Hinweis auf dieses Stück danke ich Anabella Weismann.
6 Übersetzung von Bertram Kottmann, 2013, www.lieder.net/lieder/get_text.html, Abruf 10.10.22. Liste der Komponisten ebenda.
7 Ausf. u. a. de.wikipedia.org/wiki/Generalife, 26.6.19, Abruf 22.9.22.
8 Ausf. Yvan Nommick: Beiheft zu einer Einspielung des Werks, harmoniamundi.com HMC 902099, Arles 2011, S. 16.
9 Für zahlreiche Vorschläge zum Text danke ich Bernd Jürgen Warneken.