Gebundene Bauweise als Lösungsmöglichkeit für Geh- und Radwege?
Wegebau an Baumstandorten
von: Prof. Dipl.-Ing. (FH) Martin Thieme-Hack, Prof. Dr. Jürgen Bouillon, Verena Stengel, Prof. Dr. Jens ThomasBesonders bei gering belasteten Verkehrsflächen wie bei Geh- und Radwegen kommt es zu der Problematik, dass Baumwurzeln in die Wegebauschichten einwachsen und diese im weiteren Wachstumsprozess anheben. So entstehen unebene Pflasterflächen, die für die Passanten zum Stolpern führen können und die meist kostenintensiv instand gesetzt werden müssen (Kopinga 1992, Reichwein 2002). Zudem kommt es bezüglich des Baumes durch notwendige Reparaturarbeiten in den Wegen zur Schädigung der Baumwurzeln und somit gegebenenfalls zur Beeinträchtigung der Baumvitalität und zur Verkürzung der Lebensdauer.
Ob unterschiedliche Baustoffe und Bauweisen ein Einwurzeln von Bäumen in die benachbarten Oberbauschichten von Geh- und Radwegen vermindern können, ist die Frage, mit der sich das Forschungsprojekt "Wegebau an Baumstandorten - Bauweisen zur Minimierung von Schäden durch Baumwurzeln im Wegebereich" an der Hochschule Osnabrück beschäftigt.
- solche, die den Baum betreffen,
- solche, die den Wurzelraum betrachten und
- Ansätze, die sich auf den Wegebau beziehen.
Zudem wird unterschieden nach vorbeugenden Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Schadensanierung.
Deutlich wird dabei, dass bei der Schadenverminderung und -vermeidung unterschiedliche Einflussfaktoren bedacht werden müssen. Diese Einflussfaktoren beziehen sich zum einen auf die Vegetationstechnik. Das heißt: Wurde der "richtige" Baum für den Standort gewählt? Ist das Wurzelraumvolumen ausreichend? Welches Substrat ist für die Baumpflanzung geeignet? Auf diese Fragen gibt es schon ausreichende Antworten beispielsweise in Form der von der FLL herausgegebenen "Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2" oder der GALK-Straßenbaumliste.
Allerdings reicht die Ausbildung eines ausreichenden Wurzelraumes alleine nicht aus, um das Einwurzeln unter die Pflasterdecke zu verhindern (Reichwein 2002). Zum anderen müssen auch bautechnische Fragen bezüglich des Wegebaus geklärt werden. In den bestehenden Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) werden für Geh- und Radwege bautechnische Anforderungen an die Baustoffe sowie Bauweisen aufgezeigt. Die Problematik des Einwurzelns von nahstehenden Bäumen in die Schichten des Wegebaus spielt dort jedoch keine Rolle. Aussagen zu bodenphysikalischen und bodenchemischen Anforderungen an die Baustoffe des Geh- und Radwegebaus, welche ein Einwurzeln verhindern können, werden nicht genannt. Das vom europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE) geförderte Forschungsprojekt an der Hochschule Osnabrück beschäftigt sich hinsichtlich der Lösungsansätze mit dieser bautechnischen Seite und untersucht, ob unterschiedliche Wegebaustoffe und Wegebauweisen das Einwurzeln eindämmen können.
Lösungsansätze zur Minimierung des Einwurzelns
Mit dem Ziel, das Einwurzeln in die Wegebauschichten zu minimieren, wurden unterschiedliche Lösungsansätze bezüglich der Wegebautechnik untersucht. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden insgesamt neun Varianten entwickelt und mit Hilfe einer Versuchsreihe auf ihre Durchwurzelbarkeit hin überprüft. Die Varianten unterscheiden sich in der Art der Bettungsstoffe, in der Verwendung unterschiedlich geformter Pflastersteine sowie in der Einbauweise der Wegebauschichten. Berücksichtigt wurden mit diesen Ansätzen boden-physikalische und bodenchemische Eigenschaften sowie die Ausbildung der Grenzzonen zwischen den Wegebauschichten.
Praxisnahe Untersuchungen im Feldversuch
Zu Beginn des Projektes stand die Entwicklung der Varianten auf Grundlage bisheriger Untersuchungen (unter anderem Polomski u. Kuhn 1998, Reichwein 2002, Stützel et al. 2009) sowie die Anordnung der Varianten auf der Versuchsfläche.
Bei den Bauweisen wurden die folgenden Ansätze berücksichtigt:
- Verwendung unterschiedlicher Bettungsstoffe für die ungebundene Bauweise
- Auflösung von Grenzschichten zwischen den Wegebauschichten
- Verwendung von gebundenen Bettungs- und Fugenstoffen
Varianten der ungebundenen Bettungsstoffe:
- V0: Hart-Kalk-Stein 0/5
- V1: Karbon-Quarzit 0/5
- V2: Hydrophober Sand 0/5
- V3: Hart-Kalk-Stein 0/5; Pflasterstein mit gezackter Unterseite
- V4: Hart-Kalk-Stein 0/5; aufgeraute Tragschichtoberfläche
- V5: Hart-Kalk-Stein 0/11
- V6: Hart-Kalk-Stein 2/5
Die Varianten 7 und 8 (gebundene Bau-weisen mit unterschiedlichen Bettungsmörteln) wurden in ihrer Versuchszeit verlängert. Hier erfolgte nach einer Vegeta-tionsperiode eine Probeöffnung.
Im April 2011 folgte der Bau der neun Varianten auf der Freilandversuchsfläche, die sich beidseitig entlang einer Baumreihe aus 19 Ulmen erstrecken (vgl. Abb. S. 44, oben links). Die Ulmenreihe ist Bestandteil einer Baumschulfläche in Bad Zwischenahn. Für das Anlegen der Versuchsreihe wurde im Bestand eine Endreihe gewählt. Der Stammumfang zum Zeitpunkt des Versuchsflächenbausin einem Meter Höhe betrug im Mittel 60 Zentimeter.
Auf der Versuchsanlage ist jede Variante außer der Variante 0 in vierfacher Wiederholung angelegt worden (vgl. schematische Darstellung rechts). Die Variante 0 wurde insgesamt sechsmal aufgebaut, um die Möglichkeit von Probeöffnungen sicher zu stellen.
Die Öffnung der Pflasterflächen mit der Erfassung der Wurzelmasse, welche in den Bettungsstoffen der ungebundenen Bau-weisen eingewachsen ist, erfolgte im November 2012; also nach zwei Vegetationsperioden (vgl. Abb. oben) Dabei wurde jeweils eine Hälfte der Fläche je Variante geöffnet, um bei der zweiten Hälfte die Versuchslaufzeit zu verlängern und später eine Langzeitbetrachtung vorzunehmen.
Für die Auswertung des Versuches wurde die Wurzelmasse (in Gramm), welche während der Versuchslaufzeit in die Wegebauschichten eingewachsen ist, als Bewertungskriterium herangezogen. Hierfür wurde nach der Öffnung der Pflasterdecke die Wurzelmasse durch Siebung der Bettungsmaterialien abgesammelt.
Wurzelwachstum im Oberbau der Wegebeläge
Die Grafik unten zeigt die erfassten Mittelwerte der Wurzelfrischmasse je Variante. Die Variante 2 (Bettungsstoff: Hydrophober Sand) weist hiernach die größte Frischmasse auf. Die geringste Frischmasse wurde bei Variante 3 (Bettungsstoff: Hart-Kalkstein 0/5; Verzahnung Pflasterdecke mit Bettungsschicht) ermittelt.
Die Auswertung der in den Bettungsstoffen befindlichen Wurzelmasse mit Hilfe statistischer Tests zeigt, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen den einzelnen Varianten gibt. Ebenso wird deutlich, dass eine weite Streuung der Wurzelmassen innerhalb der Varianten bei den jeweils vier Wiederholungen vorzufinden ist (vgl. Grafik unten).
Obwohl der Test aussagt, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Varianten gibt, zeigt die Darstellung der Wurzelfrischmassen, dass die Variante 2, bei der als Bettungsstoff ein hydrophober Sand verwendet worden ist, bedeutend von den anderen Varianten abweicht.
Bezüglich der Variante 2 konnte bei der Öffnung der Versuchsflächen des Weiteren festgestellt werden, dass die Wurzeln eine andere Struktur aufweisen. Die Wurzeln, welche in den hydrophoben Sand eingewachsen sind, waren dicker ausgebildet als in den anderen Materialien. Zudem waren die Wurzelspitzen deutlich weißer und dicker entwickelt (vgl. Abb. links oben).
Nach einer weiteren statistischen Analyse (Regressionsanalyse) zeigt sich, dass verschiedene untersuchte Faktoren einen Einfluss auf die Durchwurzelung der Bettungsstoffe haben. Zu diesen Faktoren gehören das lösliche Calcium (Ca2+) sowie die elektrische Leitfähigkeit als auch die Art der Körnung der Bettungsstoffe. Der pH-Wert der Bettungsstoffe sowie die Verzahnung der Schichten üben laut der Auswertung keinen Einfluss auf die Durchwurzelung aus. Jedoch muss diese Analyse mit Vorsicht interpretiert werden, da die statistischen Voraussetzungen zur Durchführung einer Regressionsanalyse nicht gegeben waren. Zudem ist anzumerken, dass unter Nichtberücksichtigung von Variante 2 (Bettungsstoff: Hydrophober Sand) in der Regressionsanalyse gar kein Einfluss der verschiedenen untersuchten Faktoren festgestellt wird.
Gebundene Bauweise als Lösungsmöglichkeit?
Bei der Betrachtung der Wurzelfrischmassen in Abbildung Seite 45 unten könnte man meinen, dass die Verwendung von Hydrophoben Sand als Bettungsstoff (Variante 2) zu mehr Einwurzelung führt und dass bei einer Pflasterung mit einem Betonstein, welcher eine gezackte Unterseite aufweist und so mit der Bettung verzahnt ist (Variante 3), die Einwurzelung vermindert werden kann. Die statistischen Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass keine der ungebundenen Varianten dazu führt, ein Einwurzeln in den Oberbau der angrenzenden Wege zu verhindern. Im Vergleich zur Nullvariante, welche als übliche Bauweise angenommen wurde, konnte statistisch gesehen also kein Unterschied in der Durchwurzelbarkeit festgestellt werden. Die Baumwurzeln wachsen somit ungehindert in den Oberbau der Geh- und Radwege hinein.
Zwar ist bei der Durchführung eines Freilandversuchs damit zu rechnen, dass es häufig zu einer weiten Streuung der Daten kommt und eine Interpretation damit erschwert wird, dennoch war es für die Untersuchungen wichtig, den Versuchsaufbau im Freiland zu realisieren, um eine Praxisnähe zu haben. In weiteren Versuchen sollte untersucht werden, wie andere Baumgattungen bei den unterschiedlichen Baustoffen reagieren würden, da sich die Untersuchungen lediglich auf die Ulme beziehen. Ebenso besteht weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich des Hydrophoben Sands, der sich als eher "wurzelfreundlich" erwiesen hat.
Als Lösung der Zukunft gegen ein Einwurzeln könnte sich die gebundene Bauweise herauskristallisieren. Hier hat eine Probeöffnung gezeigt, dass nach einer Vegetationsperiode keine Wurzeln in den Bettungsmörtel eingedrungen sind. Es könnte angenommen werden, dass eine Durchwurzelung in den Versuchsflächen nicht oder zumindest zeitlich stark verzögert stattfindet. Für neue Baumstandorte, welche an Geh- und Radwegen oder an sonstigen gering belasteten Verkehrsflächen liegen, sollte deshalb untersucht werden, ob eine gebundene Bauweise für die jeweilige Verkehrsfläche in Betracht kommt, um Schäden durch Einwurzelung an der Pflasteroberfläche zu vermindern.
Unterstützt wurde das Projekt durch die Kooperationspartner: GaLaBau Emsland GmbH & Co. KG, tubag Trass Vertrieb GmbH & Co. KG, Tegra Baustoffe GmbH, Rekers Betonwerk GmbH & Co. KG sowie Bruns Pflanzen-Export GmbH & Co. KG.
Hintergründe zum Forschungsprojekt sind unter folgendem Link zu finden: www.al.hs-osnabrueck.de/wegebau-an-baumstandorten.html [Stand: 22.11.2013].
Literatur
Costello, L. u. Jones, K. S. (2003): Reducing Infrastructure Damage by Tree Roots: A Compendium of Strategies. Western Chapter of the International Society of Arboriculture (WSISA) 235 Hollow Oak Drive, Cohasset, CA 95973, USA.
FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V.) (Hrsg.) (2010): Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2: Standortvorbereitungen für Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate. Bonn.
GALK (Ständige Konferenz der Gartenamtsleiter beim Deutschen Städtetag) (2012): GALK-Straßenbaumliste. www.galk.de/arbeitskreise/ak_stadtbaeume/akstb_strbaumliste12.htm [Stand: 22.11.2013]
Kopinga, J. (1992): Die Entwicklung von Baumwurzeln unter Straßenbelägen und einige praktische Methoden um Schaden vorzubeugen. In: 11. Osnabrücker Baumpflegetage: 22. bis 24. September 1992. Osnabrück. 10.1-10.23.
Polomski, J. u. N. Kuhn (1998): Wurzelsysteme. Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (Hrsg.). Bern, Stuttgart, Berlin.
Reichwein, S. (2002): Baumwurzeln unter Verkehrsflächen. Untersuchungen zu Schäden an Verkehrsflächen durch Baumwurzeln und Ansätze zur Schadensbehebung und Schadensvermeidung. Hrsg.: Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover. Hannover.
Stützel, T., C. Bennerscheidt u. M. Streckenbach (2009): Unterschiedliche Arten und Ursachen von Schäden durch Gehölzwurzeln an Verkehrswegen; In: Dujesiefken, Dirk (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2009. Augsburg. 33-40.