Neue Methode zur Untersuchung begrünter Dächer
Mit Luftbildern dem Grün auf der Spur
von: Dipl.-Wirt. Biol. Wolfgang AnselGemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR hat der Deutsche Dachgärtner Verband, DDV eine Methode zur fernerkundlichen Untersuchung begrünter Dächer entwickelt. Die Analyse der Dachflächen aus der Vogelperspektive gibt Auskunft darüber, wie groß der Anteil begrünter Dächer in den Städten bereits ist und welche weiteren Potenziale aktiviert werden können.
Dachbegrünungen sind in der Lage, neue Handlungsspielräume für den Klimaschutz und die Klimawandelanpassung zu eröffnen, da sie in vielen stadtökologischen Bereichen positive Wirkungen entfalten, etwa auf Stadtklima, Entwässerung und Artenvielfalt. Gleichzeitig können sie auf ein enormes brachliegendes Freiraumpotenzial zurückgreifen. Für die aktive Einbindung begrünter Dächer in kommunale Klimawandelanpassungsstrategien fehlten aber bislang Datensätze, die neben dem Umfang und der Lage bereits existierender Gründächer zusätzlich auch geeignete Dachflächen für eine nachträgliche Begrünung ausweisen. Um diese Informationen zur Verfügung stellen zu können, hat der DDV gemeinsam mit dem DLR ein Verfahren zur fernerkundlichen Identifizierung und Potenzialanalyse von Dachbegrünung entwickelt. Zu den weiteren Kooperationspartnern gehörten die Städte Hamburg, Karlsruhe, Stuttgart, München und Nürtingen sowie die HafenCity Universität Hamburg, HCU, der Gründach-Systemhersteller ZinCo GmbH und die Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz, GALK. Das innovative Pilotprojekt wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, DBU, gefördert.
Die neue automatisierte Methode ermöglicht eine schnelle und effiziente Analyse der städtischen Dachoberflächen. Basierend auf der genauen Lokalisierung und Quantifizierung der vorhandenen Gründächer lassen sich für die kommunalen Fachbehörden praktische Anwendungsmöglichkeiten im Bereich derStadtklimaanalyse, der Entwässerungsplanung und der Biotopvernetzung ableiten. Die Sichtbarmachung der noch erschließbaren Potenzialflächen erleichtert es den kommunalen Entscheidungsträgern außerdem, die ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeuge zur Förderung begrünter Dächer effizient einzusetzen.
Beschreibung der Methode
Bei der von Julian Zeidler und Dr. Thomas Esch am DLR in Oberpfaffenhofen entwickelten Methode werden für die Vegetationserfassung Luftbildaufnahmen verwendet, welche neben dem sichtbaren Spektralbereich (rot, grün, blau) zusätzlich auch den Bereich des nahen Infrarots abdecken. Die für das menschliche Auge nicht sichtbare Infrarotstrahlung wird von Pflanzen sehr stark reflektiert und liefert damit ein gut messbares Vegetationssignal. In Luftbildern wird dieser Effekt in der so genannten "Falschfarbendarstellung" wiedergegeben. Die Reflektion im nahen Infrarot wird dabei auf den roten Farbkanal gelegt, wodurch die vorhandene Vegetation rotgefärbt erscheint.
Aus dem Bereich der Geobasisdaten werden als zweiter Eingangsdatensatz die Hausumringe beziehungsweise die digitalen Gebäudemodelle der betrachteten Städte benötigt. Für die Potenzialanalyse spielt außerdem die Dachform eine wichtige Rolle. Um in der späteren Anwendung eine hohe Praxistauglichkeit zu gewährleisten, wurde die Methode auf Datensätze aufgesetzt, die bei den beteiligten kommunalen Partnern bereits vorlagen und nicht erst kosten- und zeitaufwendig erhoben werden mussten.
SUG-Stellenmarkt
Gründach-Inventarisierung
Um vorhandene Dachbegrünungsflächen zu identifizieren, werden Luftbildaufnahmen und Geobasisdaten überlagert. Für alle Bildpunkte, die innerhalb einer Dachfläche liegen, wird eine Vegetationsanalyse durchgeführt. Auf Grundlage verschiedener Schwellenwerte wie Stärke des Vegetationssignals, Größe der begrünten Dachfläche und Flächenanteile der Begrünung entscheidet das Programm im Anschluss, ob das Dach als Dachbegrünung eingestuft wird. Abbildung 3-6 illustriert die Methode.
Potenzialanalyse
Um die Anzahl der für eine nachträgliche Begrünung in Frage kommenden Gebäude mit Hilfe fernerkundlicher Methoden einzuschränken, können die Parameter "Dachneigung" und "Kiesdächer/Gebäudestatik" herangezogen werden. Da der technische und finanzielle Aufwand für die Begrünung von Schräg- und Steildächern vergleichsweise hoch ist, werden für die Potenzialanalyse nur Gebäude mit flachen oder leicht geneigten Dächern bis etwa zehn Grad berücksichtigt. Falls es sich dabei um Kiesdächer handelt, die genug statische Lastreserven für die Installation einer extensiven Dachbegrünung besitzen, erhöht sich der Wert für die potenzielle Begrünbarkeit. Abbildung 7 liefert ein Beispiel für die Anwendung der Potenzialanalyse. Bei dem flachen oder leicht geneigten Dach des Gebäudes wurde bei der Analyse der Oberflächenstruktur auf 80 Prozent der Dachfläche ein Kiesbelag erkannt. Die tatsächliche Begrünbarkeit eines Gebäudes und deren voraussichtliche Kosten müssen aber zusätzlich auch im Rahmen von Vor-Ort-Besichtigungen überprüft werden, wobei eine Potenzialanalyse im Vorfeld die Anzahl der zu überprüfenden Gebäude deutlich reduzieren kann.
Analyse Stadtgebiet
Die automatisierte fernerkundliche Methode ermöglicht Aussagen, die von der Gebäudeebene über Quartiere und Stadtteile bis hin zum gesamten Stadtgebiet reichen. Die nachfolgende Tabelle liefert eine Übersicht der Auswertung für die Stadt München.
Mit 3,15 Millionen Quadratmeter Dachbegrünung auf knapp 60.000 Gebäuden besitzt die bayerische Landeshauptstadt bereits einen hohen Anteil begrünter Dächer. Die Gesamtfläche aller Dachbegrünungen in München ist mit damit fast so groß wie der Englische Garten mit 375 Hektar, eine der größten innerstädtischen Parkanlagen der Welt. Hier zeigen sich die Erfolge einer langjährigen kommunalen Förderpolitik. Bereits seit 1996 wird in München über die Freiflächengestaltungssatzung gefordert, geeignete Flachdächer sowie flachgeneigte Dächer bis 20 Grad ab einer Größe von 100 Quadratmeter zu begrünen. Nichtsdestotrotz gibt es auch in München im Bestand noch eine große Anzahl potenziell begrünbarer Dachflächen, deren Eignung durch Vor-Ort-Besichtigungen überprüft werden kann.
Einsatzgebiete des Verfahrens
Bei den Gesprächen mit den kommunalen Partnern des Projektes konnten verschiedene stadtplanerische Themenfelder identifiziert werden, in die die ermittelten Werte zur Inventarisierung und Potenzialanalyse eingespielt werden können. Zu den Einsatzgebieten, die von den befragten Personen als "sehr wichtig" und "wichtig" bezeichnet wurden, gehören folgende Punkte:
- Einbindung der Daten in Modellierungen für das Stadtklima, die Entwässerungsplanung und die Biotopvernetzung
- Fixierung spezieller Gründach-Typen, je nach Stadtgebiet und Umweltschwerpunkt
- Gezielte kommunale Förderung begrünter Dächer in Gebieten mit mangelhafter Grünausstattung
- Nutzung der Daten für die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit, um bei Bürgern und Investoren die Akzeptanz für begrünte Dächer zu erhöhen
Den höchsten Wert erzielte bei der Umfrage die Einbindung der Daten in Modellierungen für die Entwässerungsplanung. Ein weiteres, wichtiges Anwendungsgebiet stellt die kommunale Förderung begrünter Dächer in Gebieten mit mangelhafter Grünausstattung dar. Hier unterstützt und ergänzt die neue Methode die Anwendung des "Leitfadens Dachbegrünung für Kommunen", den der Deutsche Dachgärtner Verband gemeinsam mit der HafenCity Universität Hamburg und der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz 2011 ebenfalls im Rahmen eines Förderprojektes der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erstellt hat.
Bei der Expertenbefragung wurden aber auch zahlreiche interessante Einzelaspekte genannt, für die sich das Verfahren einsetzen lässt.
- Kontrollwerkzeug für die Ausführung begrünter Dächer
- Ökologische Aufwertung vorhandener Gründächer
- Einspeisung der Daten in die Immobilienbewertung: Kostenersparnis bei Energie und Niederschlagswasser
- Grundlagen zur Aktivierung von sozialen, öffentlichen Flächen auf Dächern: Nachbarschaftstreffs, Urban Gardening etc.
Insgesamt zeigt sich, dass die Methode eine große Palette an Anwendungsmöglichkeiten besitzt, die dem Thema Dachbegrünung in vielen Bereichen eine neue Wertigkeit verleihen kann. So liefert die fernerkundliche Analyse der Dachflächen jetzt zum ersten Mal die Basisdaten, um realistische Annahmen für die stadtökologischen Wirkungen begrünter Dächer auf Gebäude-, Quartiers- oder Stadtebene machen zu können und sie gleichzeitig einer ökonomischen Bewertung zugänglich zu machen.
Fazit
Die entwickelte Softwarelösung macht eine bisher noch weitgehend ungenutzte Flächenressource mit einem riesigen Entwicklungspotenzial für die stadtökologischen Analysen zugänglich - die Dachflächen der Städte. Basierend auf der genauen Lokalisierung und Quantifizierung der vorhandenen Gründächer und möglicher Potenzialflächen erschließt sie den kommunalen Fachbehörden damit eine neue Ebene der grünen Infrastruktur. Nach Abschluss der Pilotprojektphase wird die Methode jetzt als neue fernerkundliche Dienstleistung durch die Firma Eftas Fernerkundung Technologietransfer GmbH und den Deutschen Dachgärtner Verband angeboten. Weitere Informationen zu den Projektergebnissen und der praktischen Anwendung der Methode sind bei der Geschäftsstelle des Deutschen Dachgärtner Verbandes in Nürtingen erhältlich, Tel.: 0 70 22/30 13 78, contact@dachgaertnerverband.de
Julian Zeidler, Entwickler, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und Wolfgang Ansel, Geschäftsführer, Deutscher Dachgärtner Verband, DDV im Gespräch über Farbenspiele, Alibi-Begrünungen und ungenutzte Potenziale.
Die Gründach-Inventarisierung basiert auf so genannten Falschfarbeninfrarot-Luftbildaufnahmen. Klingt ziemlich kompliziert. Warum konnte man nicht einfach das natürliche Grün der Dach-Vegetation zur Identifizierung verwenden?
Julian Zeidler: Prinzipiell ließe sich zur Erkennung der Dachbegrünung auch das Grünsignal verwenden. Allerdings kommt man dann sehr schnell zu dem Problem, das natürliche Grün von künstlichem Grün zu unterscheiden. Man müsste dann für jedes neue Bild interpretieren, welches Grün auch wirklich Vegetation ist. Durch die Hinzunahme des nahen Infrarots kann hingegen der in der Fernerkundung bewährte NDVI-Index berechnet werden. Der NDVI beschreibt die Begrünung der Erdoberflache durch Vegetation und trennt auf standardisierte Weise pflanzliches und künstliches Grün. Auf diese Weise ist eine Übertragbarkeit auf andere Befliegungen sehr leicht zu realisieren.
Worin bestand für Sie die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Julian Zeidler: Für mich war die größte Herausforderung eine Methodik zu entwickeln, die flexibel genug ist, um mit den unterschiedlichen Eingangsdaten der Städtepartner zurechtzukommen. Die in optimaler Weise ohne große Anpassung der Einstellungen von einem versierten Benutzer schnell auf neue Daten angewendet werden kann, sodass mit jedem neuen Datensatz auch gleich die Analyse durchgeführt werden kann. Daneben war es uns ein Anliegen, dass die Methode von kommerzieller Software unabhängig ist und auf einem handelsüblichen Laptop lauffähig ist.
Was hat Sie bei der Anwendung des Verfahrens am meisten überrascht?
Wolfgang Ansel: In vielen Städten war der Anteil an begrünten Dächern viel höher als erwartet. In München kommen auf jeden Einwohner heute schon 2,1 Quadratmeter Dachbegrünung. Auch in Nürtingen wird mit 1,6 Quadratmeter ein respektabler Wert erreicht. Wenn man die Zahlen aus unseren Analysen mittelt und Erhebungen in Düsseldorf und Hannover einbezieht, dürfte die Fläche der bereits vorhandenen Dachbegrünungen in Deutschland bei ca. 100 bis 150 Millionen Quadratmetern liegen. Einen Unsicherheitsfaktor stellen dabei Tiefgaragenbegrünungen dar, die nicht in allen Datensätzen hinterlegt sind, aber einen erheblichen Umfang besitzen können. In München kommen hier zum Beispiel nochmals 1,5 Millionen Quadratmeter Dachbegrünung auf Tiefgaragen hinzu.
Ist bei der Dachbegrünung damit also alles im grünen Bereich?
Wolfgang Ansel: Das würde ich so nicht sagen. Einerseits wird natürlich nach wie vor die Mehrzahl der Dachflächen nicht begrünt. Und dann gibt es leider auch einige Dachbegrünungen, die aufgrund geringer Substrathöhen und mangelnder Pflege nur eine sehr dürftige Vegetationsbedeckung besitzen. Diese "Alibi-Begrünungen" unterscheiden sich bei der Luftbildauswertung nur wenig von Spontanbegrünungen auf bekiesten Dächern. Auch bei den Bestandsgründächern existiert deshalb ein großes Potenzial für Verbesserungen.
Literatur
Ansel, W. (2016): Kommunale Gründach-Strategien: Inventarisierung - Potenzialanalyse - Praxisbeispiele. DDV Verlag, Nürtingen.
Ansel, W., H. Baumgarten, W. Dickhaut, E. Kruse und R. Meier, (2012): Leitfaden Dachbegrünung für Kommunen: Nutzen - Fördermöglichkeiten - Praxisbeispiele. 2. Auflage, DDV Verlag, Nürtingen.