Neues Handlungsfeld für Naturschutz und Freiraumplanung
Gesundheitliche Potenziale städtischer Grünräume
Gesundheit wird zunehmend als bedeutendes Thema der Stadtentwicklung, der Freiraumplanung und des Stadtnaturschutzes wahrgenommen - auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, demographischer Veränderungen sowie eines zunehmend "sitzenden Lebensstils" und damit verbundenem Bewegungsmangel. Dem hinkt die Praxis noch hinterher: Zwar sind Bezüge zwischen Freiraum- und Landschaftsplanung sowie Naturschutz einerseits, Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung andererseits häufig offensichtlich, sie werden bislang aber nur vereinzelt explizit thematisiert.
Im Rahmen des vom Bundesamt für Naturschutz geförderten F+E-Vorhabens "Grün, natürlich, gesund. Die Potenziale multifunktionaler städtischer Räume" (Rittel et al. 2014) wurden vor diesem Hintergrund in interdisziplinärer Zusammenarbeit (Gesundheitswissenschaft, Medizin, Landschaftsplanung) Möglichkeiten der Berücksichtigung von Gesundheitsaspekten in Stadtentwicklung, Naturschutz sowie Landschafts- und Freiraumplanung untersucht.
SUG-Stellenmarkt
Beteiligt waren die Städte Leipzig, München, Norderstedt und Eckernförde, da Sichtweisen, Erfahrungen und Anforderungen der kommunalen Planungspraxis eine wichtige Rolle spielten.
Das Vorhaben sollte, unter anderem, folgende Fragen beantworten:
- Welche gesundheitsfördernden Wirkungen bzw. Potenziale haben Grünräume in der Stadt und welche Eigenschaften sollten sie hierfür aufweisen?
- Welche Synergien und Konflikte zwischen Naturschutz und Gesundheitsförderung bestehen in städtischen Grünräumen? Wie können Konflikte minimiert oder gelöst werden?
- Wie können die Themen Gesundheit und Gesundheitsförderung in der Stadtentwicklung, insbesondere der Landschaftsplanung, berücksichtigt und thematisiert werden? Welche praxisrelevanten Hinweise können hierfür gegeben werden?
Gesundheit wurde im Sinne der WHO als "Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens" verstanden. In diesem umfassenden Sinne bedarf sie einer Vielzahl an Voraussetzungen, jedoch konnten im Vorhaben nur jene thematisiert werden, die der räumlichen Planung zugänglich sind: nämlich die räumlichen Umweltbedingungen, nicht individuelle Verhaltensweisen oder -änderungen (zum Beispiel von Ernährungs- oder Bewegungsgewohnheiten). Zudem beschränkte sich das Vorhaben weitgehend auf das Konzept der Gesundheitsförderung. Die Abwehr von Gesundheitsgefahren (Gesundheitsschutz) wurde nur am Rande thematisiert. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse des Vorhabens dargestellt, die insbesondere für die städtische Freiraumplanung von Interesse sind (vgl. ausführlich und mit umfassenden Literaturverweisen Rittel et al. 2014).
Gesundheitliche Potenziale und Wirkungen städtischer Grünräume
Die Vertreter der beteiligten Kommunen waren daran interessiert, wissenschaftliche Belege für positive gesundheitliche Wirkungen von Grünräumen zu erhalten. Daher wurden entsprechende Veröffentlichungen ausgewertet und in Form einer "Argumentationshilfe" zusammengestellt. In der Tat belegen Studien eine Vielzahl gesundheitsfördernder Potenziale beziehungsweise Wirkungen von Grünräumen, wenngleich die Ergebnisse nicht immer widerspruchsfrei sind. Dennoch lässt sich in der Tendenz die Aussage treffen, dass sich Grünräume positiv auf die menschliche Gesundheit auswirken können. Ob und in welchem Ausmaß dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich jedoch nicht ohne Betrachtung des Einzelfalls beurteilen, da dies von zahlreichen Rahmenbedingungen abhängt: etwa der räumlichen Lage und Zahl der Grünräume in der Stadt, den Verbindungen zwischen ihnen, der Qualität der einzelnen Grünräume sowie ihrer Nutzbarkeit und Nutzung.
Analytisch lassen sich die Potenziale beziehungsweise Wirkungen in eine ästhetisch-symbolische, soziale, psychische und physische Komponente differenzieren. De facto hängen diese natürlich eng zusammen (ausführliche Belege und Quellennachweise zu den folgenden Ausführungen in Rittel et al. 2014).
- Ästhetische und symbolische Potenziale weisen Grünräume auf, sofern Menschen diese als "schön" empfinden. Zudem können Grünräume ein "geglücktes Mensch-Natur-Verhältnis" symbolisieren, angenehme Erinnerungen hervorrufen, zur Identifizierung mit dem Ort und damit insgesamt zum Wohlempfinden beitragen.
- Soziale Potenziale entstehen durch den öffentlichen Charakter von Grünräumen: Der Aufenthalt in ihnen und die Kommunikation mit anderen Besuchern kann die Entwicklung von Kindern sowie die soziale Interaktion zwischen Besuchern aller Altersgruppen fördern und damit Prozesse gesellschaftlicher Integration unterstützen.
- Psychische Wirkungen können Grünräume entfalten, da ihre Betrachtung oder der Aufenthalt in ihnen stressreduzierend, entspannend und beruhigend wirken. Dies kann sich positiv auf die kognitive und emotionale Entwicklung auswirken sowie Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitsleistung verbessern.
- Die Befunde zu physischen Wirkungen von Grünräumen sind teilweise widersprüchlich: So ist etwa umstritten, ob der Aufenthalt im Grünen die Mortalitätsrate verringert oder ob Grünräume in Wohnortnähe zu einer stärkeren körperlichen Aktivität anregen. Nicht umstritten sind hingegen Forschungsergebnisse die zeigen, dass sich Menschen nach einer Krankheit schneller erholen, wenn sie Grünräume oder -strukturen (zum Beispiel Einzelbäume) betrachten oder sich darin aufhalten können.
Neben den genannten Komponenten sind "gesundheitsrelevante Naturhaushaltsfunktionen" zu erwähnen, von denen Menschen unabhängig davon profitieren, ob sie eine Grünfläche aufsuchen oder nicht. Beispiele sind die Filterung von Luftschadstoffen, die Abkühlung der städtischen Temperatur, die Verbesserung der Luftqualität oder die Versickerung und Schadstofffilterung in Böden, die von Bedeutung für die Trinkwassergewinnung sein kann. Mit solchen Funktionen befassen sich Naturschutz, Landschaftsplanung und Freiraumplanung bereits seit langem, ohne dass in der Regel deren Gesundheitsrelevanz explizit erwähnt wird. Hier besteht ein erster Anknüpfungspunkt, das Thema Gesundheit seitens Naturschutz und Freiraumplanung stärker zu betonen.
Nicht verschwiegen werden soll, dass sich in Einzelfällen Grünräume auch negativ auf die Gesundheit auswirken können. Dies gilt insbesondere für Allergien auslösende Pflanzenarten sowie die Übertragung von Infektionskrankheiten durch Tiere (vor allem Nagetiere, Insekten, Zecken).
Ermittlung gesundheitsfördernder Potenziale und Wirkungen von Grünräumen
Wie können nun die gesundheitsrelevanten Potenziale von Grünräumen im planerischen Handeln ermittelt werden? Eine entsprechende Kategorisierung nach unterschiedlichen Grünraumtypen (zum Beispiel Park, Stadtwald, Garten, Hinterhof, Brache etc.) wird der Komplexität der Fragestellung dabei nicht gerecht. Erstens sind bereits die verschiedenen Typen von Grünräumen in sich sehr heterogen. So können sich Parks erheblich nach Größe, Gehölzanteil, Alter, Pflegeintensität, Betretungsverboten, Rückzugsmöglichkeiten, Ausstattung mit Spielflächen und auch hinsichtlich der Anforderungen des Arten- und Biotopschutzes unterscheiden. Zweitens hängt das gesundheitsrelevante Potenzial von der Lage einer Grünfläche innerhalb der Stadt ab: Wie ist die Erreichbarkeit der Fläche, wie die Lärm- und Schadstoffbeeinträchtigung durch angrenzende Straßen, wie die Wegeverbindung zu anderen Grünräumen? All diese Frage können nur im jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Allgemein gültige Aussagen hierzu sind kaum zielführend.
Um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden, erwiesen sich daher checklistenartige Kriterienkataloge als sinnvoller, die jeweils für die ästhetisch-symbolische, soziale, psychische und physische Gesundheitskomponente erstellt wurden. Mit ihrer Hilfe können die gesundheitsrelevanten Merkmale des einzelnen Grünraums erhoben sowie das daraus resultierende gesundheitsrelevante Potenzial abgeschätzt und bewertet werden. Darüber hinaus sind auch allgemeine Qualitätskriterien (zum Beispiel Sicherheit, Sauberkeit, Erreichbarkeit) zu berücksichtigen, die mit darüber entscheiden, ob ein Grünraum überhaupt von der Bevölkerung angenommen und genutzt wird. Tabelle 1 zeigt die Kriterien, die zur Beurteilung des ästhetisch-symbolischen Potenzials eines Grünraums relevant sein können.
Nutzeranalysen als Voraussetzung der Ausschöpfung gesundheitsfördernder Potenziale von Grünräumen
Die Kenntnis der Bedürfnisse der tatsächlichen Nutzer ist grundlegend für die gesundheitsbezogene Bewertung und Planung von Grünräumen. Grundsätzlich wird die Möglichkeit, sämtliche Nutzerbedürfnisse innerhalb eines Grünraums zu erfüllen, jedoch durch dessen Größe und vorrangige Zweckbestimmungen eingeschränkt. Dieses nicht vermeidbare Defizit sollte aber durch eine Vielfalt unterschiedlicher Grünräume auf teil- und gesamtstädtischer Ebene kompensiert werden. Schließlich ist zu bedenken, dass öffentliche Grünräume in der Regel über Jahrzehnte Bestand haben werden und damit nicht nur aktuellen, sondern auch künftigen Bedürfnissen Rechnung tragen müssen.
Im Bewusstsein dieser Einschränkungen wurden Aussagen der Fachliteratur zu Bedürfnissen verschiedener - sich kategorial überlagender - Nutzergruppen zusammengestellt. Diese sind allerdings nicht abschließend und ausschließlich zu verstehen, sondern stellen eine erste Annäherung dar. Im konkreten Fall sollen sie eine Unterstützung sein. Ihre Gültigkeit ist jeweils zu prüfen. Unter anderem finden sich Aussagen zu Allergikern, älteren Menschen, Menschen mit Stress, Menschen mit körperlichen Behinderungen, Kindern und Jugendlichen, Frauen, Eltern, Menschen mit niedrigem Einkommen, Menschen mit Migrationshintergrund sowie physisch oder psychisch beeinträchtigten Menschen. Für die meisten Gruppen spielen die Bedürfnisse nach Ruhe, Rückzug, Privatheit und nach "Naturerlebnis" einerseits sowie nach sozialen Kontakten andererseits eine wichtige Rolle bei der Nutzung von Grünflächen.
"Erholungs- und Bewegungsverbund": eine Möglichkeit der Förderung gesundheitlicher Potenziale städtischer Grünräume
Umweltmedizinern zufolge ist die Förderung der Alltagsbewegung eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitsförderung. Bewegung soll nicht nur in der Freizeit gefördert, sondern muss als fester Bestandteil des Alltags verankert werden. Wege zur Arbeit, zum Einkauf, in die Schule et cetera sollten, soweit möglich, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Hierfür sind attraktive, sichere und weitgehend straßenlärmfreie Wegeverbindungen in Grünräumen eine wichtige Voraussetzung.
Zur planerischen Umsetzung dieses Anliegens wurde die Idee eines "Erholungs- und Bewegungsverbunds" entwickelt, der ansatzweise beziehungsweise implizit bereits in vielen freiraumplanerischen Konzepten enthalten ist. Ein solcher Verbund sollte aus multifunktional nutzbaren Grün- und Freiräumen mit hoher Aufenthaltsqualität bestehen, die durch vom Straßenraum getrennte, lineare "grüne" Fuß- und Radwege verbunden sind. Aufgrund ihrer ästhetischen Qualitäten, der (weitgehenden) Lärmfreiheit sowie der erhöhten Sicherheit könnten solche Verbindungen die Attraktivität des Fuß- und Radverkehrs erhöhen und hierdurch die Alltagsbewegung fördern. Um genutzt zu werden, müssen die "Verbundflächen" zudem Verbindungen zwischen Wohngebieten und stark frequentierten Orten (Gemeindezentren, Schulen, Kindergärten, Sportplätze, Einkaufszentren, Bahnhöfe) herstellen. Für eine solche gesamtstädtische Vernetzung von Grünräumen können bestehende Planungen beziehungsweise bereits existierende Verbundsysteme wie Biotopverbund oder Fuß- und Radwegekonzepte genutzt werden. Ob eine vollständige räumliche Überlagerung solcher Systeme sinnvoll und konfliktfrei möglich ist, gilt es vor Ort zu prüfen.
Fazit und Ausblick
Das Forschungsvorhaben hat gezeigt, das viele Synergien zwischen Naturschutz und Freiraumplanung einerseits sowie der Gesundheitsförderung andererseits bestehen, die es von beiden Seiten zu nutzen gilt. Neben der Integration von Gesundheitsbelangen in die planerischen Instrumente der Stadt-, Landschafts- und Freiraumentwicklung bedarf es hierfür aber zugleich einer verstärkten Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den relevanten Fachverwaltungen. Außerdem ist der Aufbau neuer Kooperationen, die auch Schulen, lokale Initiativen, Sportbehörden und -vereine, Krankenkassen oder Tourismusvereine einbeziehen, notwendig. Dies ist unzweifelhaft kein Selbstläufer und mit Schwierigkeiten verbunden. Dennoch gilt: "Die 'gesunde Stadt' ist … nur als interdisziplinäre Aufgabe und als Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen vieler Akteure zu verstehen" (Klages 2012, S. 323).
Literatur
Klages, A. (2012): Starke Sportvereine - starke Kommunen: Neue Perspektiven für die Stadtentwicklung. Stadt und Raum 6/2012. 320-324.
Rittel K.; Bredow L.; Wanka E. R.; Hokema D.; Schuppe G.; Wilke T.; Nowak D.; Heiland S. (2014): Grün, natürlich, gesund: Die Potenziale multifunktionaler städtischer Räume. BfN-Skripten 371. Download unter: www.bfn.de; www.landschaft.tu-berlin.de.