Nutzungsdruck ist entscheidendes Kriterium bei der Auswahl
Natur- oder Kunstrasen? Beides!
von: Dipl.-Ing. Steffen BaumannFlutlicht am Ortsrand, ein Fußballspiel in vollem Gange: 22 Spielerinnen geben alles, um zu gewinnen - ebenso ihre Eltern auf den Zuschauerrängen. Sport spielt in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle. Das zeigt sich nicht nur beim Public Viewing, wo Millionen von Menschen gemeinsam und live an Großereignissen teilnehmen: In Deutschland sind allein rund 25,5 Millionen Menschen in Sportvereinen organisiert¹, etwa ein Drittel der Bevölkerung. Hinzu kommen Schul-, Uni- und individuell-organisierter Freizeitsport. Für all dies benötigen Kommunen, Städte und private Einrichtungen geeignete Sportanlagen.
Sportstätten zu planen, zu bauen und zu erhalten stellt Entscheider häufig vor eine komplexe Faktenlage. Individuelle Anforderungen und die unterschiedlichen Entscheidungskriterien sind unter ein Dach zu bringen. Welche Maßnahmen sind erforderlich? Welche Grundlagen und Voraussetzungen bieten die örtlichen Gegebenheiten? Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
Natur- vs. Kunstrasen?
Vor allem die Entscheidung über den geeigneten Sportbelag ist wesentlich. Für Fußball wie Hockey, beispielsweise, stellt sich die Frage: Natur- oder Kunstrasen? Um diese fachgerecht zu beantworten, bedarf es einer umfassenden Analyse der Situation vor Ort. Diese umfasst, neben den sporttechnischen, auch wirtschaftliche und ökologische Erwägungen.
Spieler und Trainer bevorzugen Naturrasen. Dieser natürliche Belag hat optimale Spieleigenschaften wie Kraftabbau, gutes Ballrollverhalten und Gleitfähigkeit. Eine dichte Grasnarbe ermöglicht Sportlern, ihre Fähigkeiten voll auszuspielen. Sie passt sich in idealer Form dem Bewegungsablauf an, federt Schläge und Sprünge ab. In Deutschland finden Ligaspiele ausschließlich auf Naturrasen statt.
Auf den ersten Blick sprechen, neben diesen sporttechnischen Eigenschaften auch die einmaligen Investitionskosten für eine Naturrasenfläche. Für Bau und Erstellung liegen diese etwa 30-40 Prozent unter den Baukosten für Kunstrasenfelder. Für einen umfassenden Kostenvergleich müssen jedoch der Aufwand für Pflege sowie die Gesamtlebensdauer in die Betrachtung mit einbezogen werden. Nur ausreichende Pflege gewährleistet, dass die Sportflächen ganzjährig in einem guten bespielbaren Zustand bleiben.
Naturrasen muss regelmäßig bewässert werden und benötigt dafür im Durchschnitt ca. fünf bis sechs Mal mehr Wasser, als für die Bewässerung von Kunstrasen notwendig ist. Eine Beregnung ist für den Erhalt des Naturrasens unumgänglich, beim Kunstrasen dient sie lediglich der Kühlung. Hinzu kommen Mähen, Vertikutieren, Düngen Ausbessern und die Nachsaat. Zwar muss auch Kunstrasen ordnungsgemäß gepflegt und unterhalten werden, über das Jahr betrachtet liegt der Pflegeaufwand für die natürliche Variante deutlich über der künstlichen. Der konkrete Aufwand und Wasserverbrauch ist von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten, insbesondere den Bodenverhältnissen, sowie der Witterung und der für diese Arbeiten investierten Zeit abhängig. Im Schnitt liegen sie jedoch bei etwas mehr als dem doppelten Aufwand für das Instandhalten eines natürlichen Rasenspielfelds.
Jedoch kann auch der Blick auf die "nackten" Zahlen allein, für die Wahl des richtigen Sportflächen-Belags nicht ausschlaggebend sein. Um eine sachlich fundierte Wahl zu treffen, ist es notwendig, die Gesamtsituation vor Ort mit in die Betrachtungen einzubeziehen. An dieser Stelle kommen insbesondere die Trainings- und Spielstunden sowie die örtliche Lage der Kommune beziehungsweise des Vereins zum Tragen: In Ballungsräumen, Großstädten und dicht besiedelten Regionen sind Flächen knapp. Gleichzeitig gibt es aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte viele Menschen, die Sportflächen nutzen möchten.
Der SC Baldham-Vaterstetten beispielsweise, gehört zur bevölkerungsreichsten Gemeinde in Oberbayern und grenzt unmittelbar an den Großraum München. Mit 42 Fußballmannschaften im Spielbetrieb ist der Sportclub einer der mannschaftsstärksten Vertreter unter dem Dach des Bayerischen Fußballverbandes. Regelmäßig trainieren hier Jugend-, Damen-, Herren- und Seniorenmannschaften. Rund ums Jahr finden an jedem Tag der Woche etwa vier bis sechs Trainings- und Wettkampfeinheiten statt. Eine Belastung, für die ein Verein drei Naturrasen-Spielfelder benötigte.
Denn Naturrasen ist bekanntlich nicht dauerhaft bespielbar. Die wöchentliche Belastung der Rasenfläche muss auf ca. 15 Stunden beschränkt werden - alles darüber hinaus ist eine Überlastung und zerstört den Platz. Naturrasen muss bei Regen, Frost und Schnee geschont werden. Er kann nur in wärmeren Jahreszeiten, das heißt bei ausreichend abgetrockneter Oberfläche, bespielt werden.
Demgegenüber ist Kunstrasen nahezu witterungsunabhängig. Das künstliche Grün ist robuster als Naturrasen und bietet deutlich mehr Spielern für deutlich mehr Stunden Sportaktivitäten. Er ist rund ums Jahr einsatzfähig. Damit bietet er vielen Sportvereine mit nur einer Rasenfläche trotzdem eine ausreichende Trainingskapazität und Spielmöglichkeiten. Die Nutzungsfähigkeit eines Kunstrasen-Felds ist zweieinhalbfach höher als die von Naturrasen.
Gerade bei kleineren Kommunen und Vereinen mit begrenzten Pflege- und Instandhaltungsbudgets und Know-how, sind (ergänzende) Kunstrasenspielfelder notwendig, um den Spiel- und Trainingsbetrieb aufrechtzuerhalten.
Naturrasen hat offensichtliche ökologische Vorteile: er ist natürlich CO2 neutral. Rasengräser sind biologisch aktiv, verbessern durch ihre Sauerstoffproduktion die Luftqualität und regulieren das Klima. Ein natürlicher Rasenteppich absorbiert Schadstoffe, bindet Staub und verhindert Bodenerosion. Rasenflächen tragen grundsätzlich zur Verbesserung der Bodenqualität bei. Bei geringer Belastung und guter Pflege ist Naturrasen lange haltbar, um den ökologischen Preis eines sehr hohen Wasserverbrauchs. Zudem ist eine Naturrasen-Sportfläche keine "Bienenweide". Um eine dichte Grasnarbe zu erhalten und gleichzeitig Überdüngung zu vermeiden, muss Naturrasen regelmäßig nach einem fachkundigen Plan gedüngt werden. Je nach Region in Deutschland, sollte sechs bis sieben Mal pro Jahr Dünger auf das Spielfeld aufgebracht werden: ca. 300 Kilogramm bei einer Spielfeldgröße von ca. 7000 Quadratmetern. Dabei ist es wichtig, nicht zu früh im Jahr zu beginnen, um (Frost-)Schäden am Rasen zu vermeiden. Hier spielen regionale Klima- und Witterungsunterschiede eine Rolle.
Kunststoffrasen punkten unter Umweltgesichtsaspekten durch ihren deutlich geringeren Flächen- und Ressourcenverbrauch bei deutlich höheren Nutzungs- und Auslastungsmöglichkeiten. Aufgrund einer Studie des Fraunhofer Instituts geriet Kunstrasen im vergangenen Jahr in Verruf: Allein durchs Kicken könne von diesen Plätzen jedes Jahr knapp 8000 Tonnen des Einstreumaterials, und damit Mikroplastik, in die Umwelt gelangen. Dies legen die Zahlen der Studie nahe. Grundlage dafür waren Schätzungen. Direkte Messungen auf den Sportplätzen, in den Umkleidekabinen oder in den Büschen am Rand der Anlage gab es nicht. Die Forscher stützen ihre Annahme auf Verbrauchsmengen, mit denen verloren gegangenes Material ersetzt wird.
Tatsächlich kann, je nach Sportanlage, die Menge des zu ersetzenden Materials von 100 Kilogramm bis zu 1,5 Tonnen pro Jahr variieren. Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Pflege. Eine der wesentlichen Ursachen, warum das Einstreugranulat nachgefüllt werden muss, ist das Schneeräumen im Winter. Das im Schnee an die Seite geschaffte Material kann ebenso wiederverwendet werden, wie das Granulat, aus der standardmäßig um einen Platz herum befindlichen Auffangrinne (s. Graphik am Textanfang).
In den vergangenen Jahrzehnten fand im Bereich des Einstreugranulats eine intensive Entwicklung statt. Die erste Generation bestand noch zu 100 Prozent aus Kunststoffen, die gesundheitsschädliche Infill-Materialien mit Weichmachern und Rußanteilen enthielten. Seit den frühen 2000er-Jahren in Deutschland verboten, löste recycelter Kunststoff dieses Material ab. Inzwischen ist die dritte Generation im Einsatz, aus ausschließlich zertifiziertem, recyceltem Kunststoff sowie speziell angefertigten Kunststoffen, wie EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuke) und TPE (Thermoplastische Elastomere). Alle Granulate müssen der DIN 18035, Teil 7 sowie der DIN EN 15330-1 entsprechen und unterliegen strengen Kontrollen hinsichtlich Umwelt- und Gesundheitsunbedenklichkeit. Per Definition zählt jedoch jedes Granulat mit einer Körnung <5 mm als Mikroplastik.
Weltweit entwickeln innovative Unternehmen alternative Materialien. Diese bestehen inzwischen im Wesentlichen aus natürlichen und/oder nachwachsenden Rohstoffen: von Hanf über Kork bis hin zu Granulat aus Holzfasern - und sind vollständig biologisch abbaubar.
Planung und Umsetzung von Sportstätten sind sowohl technisch als auch baulich anspruchsvoll, sowie mit hohen Investitionen verbunden. Daher sind sorgfältige Analysen für Neu- und Umbau, sowie die Sanierung von Sportanlagen essentiell. Sämtliche Anforderungen sind mit einzubeziehen, denn daraus resultiert, welche Art von Sportflächenaufbau diesen gerecht wird. Ganzheitliche Beratung und Planung, die neben den rein ökonomischen Überlegungen ebenfalls gesellschaftliche Anforderungen wie langfristige Nachhaltigkeit berücksichtigen, gewährleisten Entscheidern eine belastbare Grundlage - und Vereinen die Grundlage für ein faires Spiel.
ANMERKUNGEN
¹ Deutscher Olympischer Sportbund e. V., Statistik der Gesamtmitgliederzahl des Deutschen Olympischen Sportbundes, der Landessportbünde, der Spitzenverbände und weiterer Mitgliedsorganisationen, 2019